Weitere Pilgerberichte aus anderen Jahren sowie Beschreibungen der
Planung usw. finden sich auf der
Übersichtsseite.
(Achtung: Am Ende der folgenden Berichtsübersicht
stehen Nachträge von 2001 bis 2006.)
Autor: Rudolf FischerMeine Netzadresse: Rudolf.Fischer bei Esperanto.de Zurück zur Übersichtsseite |
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Da nahm ich die Muschel...Der Weg ist nicht das Ziel,
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"Wahnsinn!" war auch mehr oder minder ungeschminkt die Reaktion in meiner Umgebung, wenn ich damit rausrückte, "die Muschel nehmen" zu wollen, um als Pilger zu Fuß (für viele eine Horrorvorstellung) 800 Kilometer durch Nordspanien zu laufen. Wenige reagierten anders, bewunderten die sportliche Leistung oder schwärmten unter dem Eindruck der umfangreichen philosophischen oder romantischen Pilgerberichte aus den letzten Jahren von einem sicher einmaligen geistigen oder kulturellen Erlebnis, das ich haben werde. Um es vorwegzunehmen: die Wirklichkeit war ganz anders!
Wahnsinn war es schon, aber nicht die Strapazen des Fußmarsches, sondern die alles überschattende Lemmingflut der "Pilger", die auf der Jagd nach dem letzten Refugio-Bett in Kolonnen um die Wette liefen, lärmend in jeden stillen Winkel einbrachen, alles verbrauchend und verschmutzend, Hektik bis hin zur Panik, Konkurrenzdenken bis hin zur Feindseligkeit im Kampf um die knappen Hilfsmittel verbreitend.
Nun, es war die Hauptferienzeit in Spanien und auch in Frankreich. Im Juli und August schwillt daher die Pilgerflut an wie ein Gebirgsbach zur Schneeschmelze. Auch im Juni und September soll es schlimm sein, in den übrigen Monaten weniger. Aber wer kann schon außerhalb des Sommers so lange Urlaub bekommen? Und außerdem ist besonders in den Bergen in der übrigen Zeit mit heftigen Wetterunbilden zu rechnen. Auf dem Cebreiro soll es in den vergangenen Jahren im September einmal 40 cm Neuschnee gegeben haben!
Man muss also die Hauptferienzeit berücksichtigen, wenn man den folgenden überwiegend negativen Bericht liest. Hinzu kommt, dass ich nicht zu den Menschen mit rosaroter Brille gehöre und manches vielleicht negativer sehe als andere. So hat meinen Sohn Harald das für mich albtraumhafte Zusammengepferchtsein in den Refugios wesentlich weniger gestört; ich habe darunter gelitten, was sicher auch eine Altersfrage ist. In diesem Sinne sollte der Leser meine persönlichen Einstellungen nicht allzu sehr verabsolutieren.
Von einer Vorstellung kann man jedenfalls Abschied nehmen: auf dem Jakobsweg ist (zumindest im Sommer) von Pilgern fast nichts zu bemerken. Wenn ich im Folgenden von Pilgern rede, so bin ich immer in Versuchung, das Wort in Anführungsstriche zu setzen; denn echte Pilger traf man nur wenige. Da gab es die, die aus sportlichen Motiven unterwegs waren (da drehten sich die Gespräche hauptsächlich darum, wer mehr Kilometer pro Tag "geschafft" hatte); in diese Kategorie fielen fast alle Radfahrer, mit ihrer modischen Kostümierung und ihren teuren Sporträdern. Da gab es die unzähligen (meist spanischen) Touristen, für die der Jakobsweg ein billiger Urlaub war, für ein oder zwei Wochen, manchmal nur ein Wochenende.
Freizeithospitalero Uli fasste in Cebreiro zusammen:
Nun, bei diesem Fazit soll es natürlich nicht bleiben. Es gab auch viel Positives, und alles in allem war es natürlich ein einmaliges Erlebnis. Dazu ist in den folgenden Kapiteln noch im Einzelnen viel zu sagen. Mein Bericht soll zugleich eine Momentaufnahme sein, was nützliche Informationen angeht; denn auch die neusten Handbücher erwiesen sich in sehr vielen Angaben als schon wieder überholt. Auf dem Camino ändert sich alles schnell, auch das sollte der Leser meines Berichtes im Auge behalten. Eine Herberge, die im Jahre 2000 neu und toll ist, wird ohne Renovierung bei der extremen Nutzung durch die Pilgerscharen in wenigen Jahren heruntergekommen sein. Die einzelnen Wegabschnitte ändern sich ebenfalls häufig, vor allem in Folge des Straßenbaus. So ist der Talweg zwischen Villafranca del Bierzo und Ambasmestas vor dem Aufstieg zum Cebreiropass wegen des dortigen Autobahnbaus praktisch nicht mehr benutzbar.
Nein, nicht mein Schnarchen, sondern einer der folgenden Laute:
(Überspringen und gleich zum Ablauf der Pilgerfahrt)
Es folgen jetzt allgemeine Informationen. Hier eine Übersicht über die Abschnitte (die auch direkt aufgerufen werden können):
Wir flogen von Düsseldorf aus mit der Air France nach Paris und dann mit einem anderen Flug nach Biarritz. Vor dem Flughafen in Biarritz fuhr der Linienbus (Linie 6) zum Bahnhof nach Bayonne. Im Flughafen gab es einen Informationsschalter, bei dem das Faltblatt mit dem Fahrplan auslag. Trotzdem sollte man beim Fahrer zur Kontrolle zurückfragen, ob er in die gewünschte Richtung fährt, da beide Richtungen von derselben Haltestelle aus in derselben Abfahrtrichtung bedient werden. Die Fahrt zum Bahnhof Bayonne dauerte etwa eine halbe Stunde und kostete 7,50 fr pro Person. Der Bus fährt leider nur stündlich, also zeitlich nicht zu knapp kalkulieren.
In Bayonne lösten wir Karten für den Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Den Automaten bekamen wir nicht in den Griff, dafür konnten wir zu wenig Französisch, kannten die Tarife nicht, die gefragt wurden, und hatten zu wenige Münzen. Es gab aber auch einen Schalter. Fahrpreis: 47 fr (eine Richtung, pro Person).
Der Zug fährt nachmittags gegen 15 Uhr und dann noch abends
zweimal (sonntags seltener). Fahrzeit 1 Stunde. Im Internetz ist
der Fahrplan der französischen Bahn
(einfach anklicken).
Man sollte nicht erst spät abends in St.-Jean ankommen, dann hat
man kaum eine Chance, noch eine Unterkunft zu bekommen.
Die Zugfahrt verlief durch eine schöne Gegend. Wir versuchten,
Pilger unter den Fahrgästen zu identifizieren. Bei einem waren
wir uns sicher: der hatte so einen Flackerblick... Treffer, stellte sich
später heraus. :-)
Die Rückfahrt begann am 7.9.
in Finisterre mit dem Bus um 13.45 Uhr
nach Santiago (87 km, 1.425 Peseten). Es gab noch einen späteren
Bus um 16 Uhr, bei dem man aber umsteigen musste. Den aktuellen Busfahrplan
erhält man in Santiago im Touristenbüro. In Santiago fuhren
wir am 8.9. mit einem Linienbus um 7.55 Uhr vom Busbahnhof zum Flughafen
(200 Peseten). Auch diesen Fahrplan gibt's im Touristenbüro.
Fahrzeit eine knappe halbe Stunde. Von Santiago aus flogen wir um
10 Uhr nach Bilbao. Den Flug haben wir schon zu Hause gebucht, da
der Esperantofreund, bei dem wir in Bilbao übernachteten, uns
das geraten hatte; er selbst habe schon einmal keinen Platz mehr
bekommen. (Nun, in der kleinen Fokker-Maschine blieben von den etwa
50 Plätzen doch noch ein paar frei. Die Ferien waren ja auch zu
Ende.) Angeblich gibt die Iberia 50% Ermäßigung für
Pilgerrückflüge, aber diesen Rabatt hätten wir
natürlich erst in Santiago mit Vorzeigen der Compostela bekommen.
Achtung: Im Erdgeschoss des Pilgerbüros bot ein
Reisebüro Flüge zu "Pilgertarifen" an. Die waren genauso
teuer wie von zu Hause. Außerdem Unterkünfte im
Studentenheim für 4.500 Peseten, was in Santiago unverschämt
teuer ist. (Wir hatten ein Quartier bei der Kathedrale gleich um die
Ecke: ein einfaches Doppelzimmer für 3.000 Peseten insgesamt,
also zu einem Drittel des Preises.)
In Bilbao holte uns der Esperantofreund vom Flughafen ab und brachte
uns gleich zum Busbahnhof, wo wir eine Fahrt Bilbao-Biarritz für
den anderen Tag buchten (145 km, 2 1/2 Stunden, 2.100 Peseten pro Person).
Tags darauf (9.9.) fuhren wir mit der U-Bahn zum Busbahnhof, kein Problem.
In Biarritz stellte ich fest, dass ich den Fahrplan der Linie 6
zum Flughafen verloren hatte. So mussten wir erst feststellen, wo wir
überhaupt waren (direkt vor dem Touristenbüro und hinter dem
Rathaus); im Touristenbüro lag der Fahrplan natürlich
auch aus. Die Linie
6 fuhr vor dem Rathaus 1 Stunde später ab. Auch hier musste also
genügend Pufferzeit sein.
Der Rückflug über Paris nach Düsseldorf wurde indirekt
von den Streiks der Speditionen behindert: unser Flugzeug in Paris kam
erst mit 1 1/2 Stunden Verspätung aus dem Süden. Von
Düsseldorf aus benutzten wir die S-Bahn und den Regionalexpress
nach Münster (2x umsteigen), wo wir 23.48 Uhr eintrafen. Danach
fuhr sofort ab 0.00 Uhr ein Überlandbus nach Nordwalde. Etwa 0.40 Uhr
waren wir zu Hause. Ein langer Rückreisetag mit vielen
verschiedenen Verkehrsmitteln (und 6 Stunden Warten in Paris).
In Saint-Jean-Pied-de-Port waren unglaublich hohe Preise: 0,25 l
Bier für 15 fr (etwa 5 DM). Es ist eben ein Touristenort.
Spanien ist wie bekannt relativ billig. Zur Grenze nach Frankreich
hin war es in Roncesvalles (ebenfalls Touristenort) noch teurer.
Achtung: Trick! ;-) Es gibt merkwürdigerweise fast immer
pro Tisch eine Flasche Rotwein (sofern man nicht ein anderes
Getränk wünscht), egal, ob man allein oder zu viert ist.
Will man also zu viert ein Pilgermenü essen und ist einem eine
viertel Flasche zu wenig: einfach zunächst getrennt an zwei
Tische setzen, bestellen, den Wein kommen lassen und sich dann als
Pilgerfreunde "kennen lernen" und am Ende zusammensetzen.
Nun waren wir immer zu zweit und sahen, wie an den Nachbartischen
halbe und viertel Flaschen stehen blieben. Die Versuchung war
groß, unsere leere Flasche blitzschnell auszutauschen, nachdem
der Gast weg war und der Wirt noch nicht abgeräumt hatte. Aber
erstens haben wir uns doch nicht getraut, das zu tun, und außerdem
war eine halbe Flasche pro Kopf für uns doch genug, wie sich
zeigte, als wir einmal mehr getrunken hatten. :-(
Nicht nur Bier, auch andere Lebensmittel :-) variierten ansonsten
landesweit nur gering im Preis.
Private Unterkünfte: Im August teils wegen
der Ferienzeit teuer, ansonsten Doppelzimmer (ohne Bad) 3.000-4.000,
mit Bad 4.000-5.000 Peseten. In den Städten wegen der Konkurrenz
eher billiger als auf dem Land. Unsere teuerste Unterkunft war in
Corcubión für 7.000 Peseten, aber einschließlich eines (kargen)
Frühstücks, das gewöhnlich nicht inbegriffen ist. Mit
der Mehrwertsteuer N.V.A. gab es keinen Ärger; sie wurde nur in einem
erkennbaren Ausnahmefall extra berechnet. Trinkgeld wird nicht
erwartet, aber gern genommen, wobei 100 Peseten schon was gelten.
(In der Kirche pflegt man 25 Peseten in den Klingelbeutel zu tun.)
1 Glas Wein 0,1 l ist das Standardgetränk der Spanier an der
Theke; es kostet etwa 100 - 150 Peseten und wird oft nicht leer
getrunken. (Auch beim Essen bleiben oft Reste liegen.)
1 Stangenbrot kostet um 100 Peseten, 1 l Milch ebenfalls, 1 l Fruchtsaft
(Standardgetränk unseres Frühstücks) 100-130 Peseten. Es
gibt im kleinsten Laden eine erstaunliche Auswahl von Aufschnitt. Fast
jeder Ort hat einen Lebensmittelladen ("Supermercado" oder
"Alimentación"), der normalerweise auch gut von außen
gekennzeichnet ist. Die Öffnungszeiten sind überall
verschieden
und werden in der Regel nicht angegeben.
Meist sind die Läden zwischen 14 und 18 Uhr geschlossen.
In einigen Städten gibt es sogar am Sonntag etwas zu kaufen,
insbesondere, wenn einmal im Monat "Markttag" (am Sonntag!) ist.
Postämter sind selten und haben nie ihre Öffnungszeiten
vermerkt. Briefmarken kauft man sowieso in "tabacos"-Läden.
(Porto für eine Ansichtskarte nach Hause: 75 Peseten)
Bankautomaten gibt es in den Städten haufenweise, nur in kleineren
Orten nicht. Nicht nur ich hatte großen Ärger mit den
Automaten. Der Dialog war manchmal nur auf Spanisch. Mal gab es dann
Geld, mal keins, mit wechselnden Fehlermeldungen: "zu viele Operationen" (?),
"Bankkarte für RD 300 nicht zugelassen" (??)
und ähnliche sphinxhafte Auskünfte. Meine Frau brachte zu Hause
in Erfahrung, dass man bei Postbankkarten "Kreditkarte"
(und nicht "Sparkonto" und nicht "Girokonto") drücken
muss (auch bei einer Karte für ein 3000-plus-Sparkonto), wenn
dieses in einem Dialog mit den Automaten gefragt wird (was nicht immer
der Fall war). Mal waren auch 50.000 Peseten kein Problem, dann waren wieder
30.000 Peseten die Obergrenze. Insgesamt verwirrend und schweißtreibend.
Bei den Restaurants gab es ebenfalls ärgerliche Tricks. In León
und Santiago signalisierte ein "Menú del día" (Tagesmenü), dass
es dieses nur mittags gab (trotzdem blieb es als Kundenfang draußen
hängen). In anderen Städten gab es das "Menú del día" auch
abends. Ein "Menú de la casa" (Menü des Hauses)
oder ein "Menú del peregrino" (Pilgermenü) gab es in
der Regel auch abends. Es war meist billiger
(aber ohne Preisvorteil für Pilger), als nach der Speisekarte
das Essen zusammenzustellen. Aber: Die draußen angeschlagenen
Alternativen für die verschiedenen Gänge gab es selten. Statt
dessen wurde das aktuelle Angebot so schnell runtergerasselt,
dass niemand etwas
verstand. Naja. Auf Nachfrage habe ich aber in Santiago das (nicht mehr
angeschlagene) "Menú del día" abends doch noch zum Mittagspreis
bekommen. Allgemein kann ich sagen, dass wir nie übers Ohr gehauen
worden sind. Alle Preise hängen im Gastraum aus. Manchmal muss man
draußen am Tisch mit Bedienung 25 Peseten mehr bezahlen als innen
an der Theke. Auch auch das ist dann auf der Preisliste vermerkt.
Private Refugios nehmen für eine Übernachtung 500-1.000
Peseten. (Ausnahme: 1.500 in Santa Irene) Das ist sehr angemessen, denn man bekommt
für 1.000 P. immerhin eigene Bettwäsche.
Der Segen des Camino sind die Bars. Sie nennen sich "Bar
Café" laut Schild, im Gegensatz zu den Restaurants. Man bekommt dort
Getränke aller Art, insbesondere den Café con leche, den Milchkaffee,
Hauptnahrungsmittel der Pilger :-), bei dem die Wirte längst
zurückfragen: "Grande?" ("Si, si!"), und dann gibt es wirklich
große Becher (125 - 200 P.). Über den "Café con leche"
sind schon Hymnen geschrieben worden. Ich kann es verstehen (siehe
"Pilgers Tagesablauf"), ich unterschreibe sie alle. Hinzu kommt: in jeder
Bar sind Pilger willkommen. Die Wirtsleute sind persönlich und
freundlich (auch wenn die Pilger dreckig reinkommen und alle gleich erst
einmal auf die Toilette rennen) und ganz entzückt, wenn sogar
Ausländer etwas Spanisch können (siehe "Sprache und
Verständigung").
Auch gibt es in den Bars das etwas festere
Grundnahrungsmittel "Bocadillo", ein großes belegtes Brötchen,
das den Pilgern als Mittagessen dient (200-450 Peseten, je nach
Belegung). Sonst gibt es noch "tostadas" (belegte Röstbrotschnitten),
"tortillas" (Pasteten), Croissants, "tapas" (Happen) und andere
Backwaren. Warmes Essen gibt es nur in Restaurants, die aber fast
ausnahmslos erst abends öffnen (meist ab 20 Uhr).
Manchmal ist eine Bar in ein Restaurant integriert. Das hilft einem
aber nichts, da warmes Essen trotzdem nur abends ausgegeben wird. Sehr
ärgerlich ist, dass die Abendessenszeiten nirgendwo angezeigt werden
(die Spanier wollen sich wohl die Freiheit lassen, wann sie die
Küche denn genau öffnen) und dass diese, dem Tagesablauf der
Spanier folgend, so spät liegen, 20 oder gar 21 Uhr, für
Pilger eigentlich fast untragbar.
Zur fehlenden Nachtruhe hat oft auch der volle Magen beigetragen...
Wenn ein Refugio zudem schon um 22 Uhr eisern geschlossen wurde,
war ein Abendessen auch zeitlich kaum zu schaffen.
Mit wenigen Ausnahmen gaben die Hospitaleros ihre Erläuterungen
nur in Spanisch (dazu noch sehr schnell) ab. Gleich in Roncesvalles
musste ich das, was ich verstanden hatte (etwa 3/4), auf Niederländisch
an ein Ehepaar weitergeben, das neben mir stand und gar nichts
mitbekommen hatte. Dabei brauchte man einige Informationen, z.B., wann das
Refugio abends schließt, wirklich dringend.
Ich hatte ein Spanisch-Wörterbuch dabei,
das praktisch pausenlos in Gebrauch war. So machte mein rudimentäres
Spanisch auch wortschatzmäßig gute Fortschritte, und ich
handelte mir sogar ein paar Mal ein Lob ein: "Ja, die Deutschen, die
können gut Fremdsprachen!" Einmal fragte man mich, ob ich denn Spanisch
in der Schule gelernt habe ("Nein, selbst beigebracht aus einem
Buch." "Unglaublich!") Nun ja, das Geheimnis jedes Erfolgs
ist oft einfach der gewitzte Einsatz sehr beschränkter Mittel,
wobei diese dann ein breites Wissen vortäuschen. Kennt man aus
jeder erfolgreichen Examensprüfung! :-)
Die Einheimischen atmeten immer sichtlich auf, wenn man sich für
sie verständlich äußerte. Es galt dabei die Regel: Je besser
einer Spanisch konnte, um so mehr erreichte er, vor allem in
Konfliktfällen. (Eine Pilgerfreundin schaffte es sogar, dass sie
privat bei einem Bauern unterkam, als das benachbarte Refugio wieder
hoffnungslos überfüllt war. Ein anderes Mal kutschierte man
sie im Privatauto zu einer 16 km entfernten Kirche; ebenso, als sie
einige Kilometer zurück ihren Fotoapparat hatte liegen lassen.)
In Einrichtungen des Tourismus versuchte man manchmal, uns gleich auf
Englisch anzusprechen. Nachdem ich dann auf Spanisch antwortete, schaltete
man sofort um. (Das Englisch war sowieso meistens von der Aussprache
her fast unverständlich.)
Unter den verschiedensprachigen Pilgern diente in der Regel Englisch
als Verständigungspidgin. Dabei merkte man dann, wie wenig man kann,
wenn man es nicht regelmäßig verwendet. Insgesamt blieb
die Sprachbarriere fühlbar: die Pilger tun sich in den Refugios meist nach
Sprachgruppen zusammen. Konflikte zwischen Verschiedensprachigen
können nicht geklärt werden; es fehlt ferner die
Möglichkeit, manches sprachlich diplomatisch abzufedern. Gesten
reichen dazu nicht aus. Man liest oft etwas anderes, aber das ist
Quatsch und resultiert aus Wunschdenken. Es gibt kein Verständnis,
ohne dass die Verständigung gewährleistet ist. Auf dem Camino
ist mir wieder einmal aufgegangen, wie ganz anders es unter
Esperantosprechenden zugeht und wie schwer Englisch gegenüber
Esperanto ist.
Die Spanier sind ein fröhliches und freundliches Volk. Den
Fremden betrachten sie mit Abstand, bis sie merken, der kann etwas
Spanisch. Dann fragen sie einen gleich aus, und der Bann ist gebrochen.
Hilfsbereitschaft wird groß geschrieben. Versteht man die
Ortsbeschreibung nicht, führt einen einer am Ärmel hin.
Fragen (und damit etwas Spanisch können) lohnt sehr, nirgends
wird man mürrisch abgewiesen.
Ausnahme: In einer (vollen) Fernfahrerbar
in Portela vor Ambasmestas sahen die Angestellten durch uns hindurch und
bedienten uns einfach nicht. In einem anderen Pilgerbericht las ich,
dass der Autor auch genau in dieser Gegend eine ausnahmsweise mangelnde
Freundlichkeit hervorhob. Er führte es darauf zurück, dass
die Menschen durch den Autobahnbau verstört sind, denn die
Autobahn wird ihnen die meiste Kundschaft wegnehmen. Ich halte das als
Erklärung für sehr glaubwürdig.
Pilger sind - zumindest auf dem Hauptweg (Camino Francés) -
bekannt und als solche ausgewiesen.
Viele schauten neugierig auf, wenn wir zwei abenteuerlichen Gestalten
uns näherten. Wir grüßten auf dem Land immer, in den
Städten oft. Dann ging ein Lächeln über die
Gesichter, und man wurde freundlich zurückgegrüßt.
Besonders bei alten Leuten, die vor dem Haus saßen, fiel mir
auf, wie sehr sie es brauchten, gesehen und beachtet zu werden.
Von ihnen wurde uns auch oft ein "gute Reise", "viel Glück auf
dem Camino", usw. nachgerufen. Einige saßen den ganzen Tag an
einer etwas unübersichtlichen Abzweigung und "lauerten" darauf,
dass man als Pilger Miene machte, den falschen Weg zu gehen. Dann
kam Leben in sie, dann hatten sie eine Aufgabe: Sie winkten und
riefen: "Nein, hier entlang!" Oft (aber nicht immer!) hatte ich es
selbst gerade schon bemerkt, aber wir bedankten uns immer sehr.
Das gab ein gutes Caminogefühl auf beiden Seiten!
Ein Phänomen unter den Wartenden am Camino ist Doña Elisa.
Inzwischen kennt man sie schon aus Fernseh- und Zeitungsberichten,
aber diesmal sollten wir sie persönlich kennen lernen. Ich hatte ganz
vergessen, vor welcher Stadt sie wartet: es war Logroño. Wir hatten
die Umgehungsstraßen schon hinter uns und stapften durch
ein ärmliches Hüttenviertel vor der Stadt. Ein kleiner
Hund, angebunden, kläffte und kläffte. Wir wussten
nicht, dass er ein Alarmsignal für eine kleine, sehr alte Frau
war, die eilig an zwei Tische vor ihrer Hütte humpelte. Da war sie:
Doña Elisa in Person und lachte uns herzlich mit zahnlosem Mund
entgegen. Ich grüßte höflich und fragte: "Sind Sie die
berühmte Doña Elisa, die wir in Deutschland im Fernsehen
gesehen haben und über die in deutschen Zeitungen berichtet
wurde?" "Ja, klar" lachte sie und fuchtelte mit den Armen, und dann
ergoss sich ein Redeschwall über uns, von dem ich nur
Bruchstücke verstand. 50 Jahre (so glaubte ich zu verstehen)
säße sie nun schon hier, hätte den Bau von manchen
Refugios in Gang gebracht, wo die zuständigen Priester
immer nur geredet hätten. Damit überreichte sie uns zwei
Faltblätter mit Informationen zu allen Refugios im Rioja,
der kleinen, berühmten Weinprovinz, wozu Logroño gehört.
Wir legten bewundernd zwei
100-Peseten-Stücke in die Sammelschale, die sie uns
unaufdringlich zuschob. Die Bewunderung war echt. Da hat ein
Mensch seinen Platz und seine Aufgabe gefunden, setzt sich für
andere ein und strahlt auch im hohen Alter trotz offensichtlicher
Armut Lebensfreude und Freundlichkeit aus. Wer von uns hat es weiter
gebracht? Ausnahmsweise ließen wir uns von ihr unseren
Pilgerausweis stempeln, was wir sonst oft verwehrt haben. Wir
wollten grundsätzlich nur Stempel von den Orten, an denen
wir übernachteten. Kurz darauf ärgerten wir uns sehr, dass
wir vor aller Rührung vergessen hatten, von ihr ein Foto
zu machen. Sie ist eine der Personen des Camino, die man nicht
vergisst.
Eine verbreitete "Unsitte" (aus unserer Sicht) ist die Neigung der
Spanier, "so laut" zu sein. Tatsächlich gibt es hier gewaltige
interkulturelle Unterschiede. In den Bars dröhnt pausenlos der
Fernseher, auch wenn keiner hinguckt. Eine normale Unterhaltung wird in
einer Lautstärke geführt, die bei uns nur ein Streit sein
könnte. Das nervt in den Refugios, in denen man Ruhe sucht, sehr.
In Pedrouzo wurde abends im dunklen Schlafsaal mehrmals um Ruhe
gebeten, da zwei Spanier sich in benachbarten Betten unterhielten,
als müssten sie eine Straße überschreien. Sie machten
weiter, flüstern kannten sie nicht. In Villadangos del Páramo
kam zur Pilgerschlafenszeit von 22 Uhr eine ganze Familie in den
Schlafraum und begrüßte lautstark eine andere, ihr bekannte Familie,
die auch schon im Bett lag. Das Licht wurde angeknipst, und dann nahm
ein Familientreffen seinen lautstarken Verlauf. Das war dann doch auch den
anwesenden Spaniern zu viel, und sie protestierten energisch gegen
diese Ruhestörung, bis sich die Besucherfamilie, keineswegs hastig,
zurückzog. Die Erklärung für diesen Vorfall liegt darin,
dass wir aus der Sicht der Besucherfamilie "am hellichten Tag" im Bett
lagen, nämlich um 22 Uhr, wenn die Spanier erst richtig munter
werden. In mancher Stadt habe ich es erlebt, dass es 21 Uhr zum Essen,
23 Uhr zum Trinken und 1 Uhr zum Feiern ging. In Mansilla de las
Mulas fuhr ich um
3 Uhr hoch und wollte gerade wütend nachsehen, wer denn da im
Erdgeschoss betrunken rumgrölte, bis ich merkte, dass der
Lärm von unten von der Straße her durch die geöffneten
Fenster kam. Zugespitzt gab es nachts deshalb oft die Alternative:
Ersticken oder Ertauben.
Wegen dieses Tagesablaufs auch unsere zeitlichen Schwierigkeiten
mit den Restaurants. Auch viele Bars machten zu unserem Leidwesen erst
um 8 Uhr oder noch später auf, wenn wir längst unterwegs
waren und nach einem Café con leche lechzten.
Weitere spanische Untugenden sind das starke Rauchen (zuweilen auch
verbotenerweise im Refugio) und die Mobiltelefonitis. Einmal konnte ich
an einer Aufschnitttheke nicht bedient werden, weil die
Verkäuferin sich nicht von ihrem Mobiltelefon lösen konnte.
Eine aufmerksame Kassiererin musste herüberkommen und aushelfen.
Nachts piepten manchmal nicht abgeschaltete Geräte; an frei
zugänglichen Steckdosen wurde Strom nachgetankt. Man muss allerdings
zugeben, dass ein Mobiltelefon gerade für einen Pilger, der auf
dem Marsch in Not gerät, sehr wichtig sein kann.
Die Spanier waren sehr kälteempfindlich. Sie trugen aber oft
auch nur hauchdünne T-Hemden und kurze Hosen und hatten zum Teil
nur Leinenschlafsäcke dabei. Ich hatte immer nur ein langärmeliges
Hemd (Sonnenschutz) auf dem Oberkörper; dazu eine lange Hose, die
mir bei zugewachsenen Pfaden sehr zustatten kam und auch verhinderte,
dass Steinchen in die Wanderstiefel gerieten.. Auch unsere
Schlafsäcke waren ziemlich dick und schwer. Da die Spanier im
Refugio darauf bestanden, sämtliche Fenster im Schlafsaal zu
schließen, wurde es nachts anfangs sehr heiß, und die
Luft war morgens zum Schneiden. Ich habe deshalb schlimme Nächte
gehabt; bin ich es doch gewohnt, in möglichst kaltem Schlafzimmer
zu schlafen. Daher lag ich (und anderen ging es genauso) fast immer,
nur mit meiner Unterhose bekleidet, nachts auf dem Schlafsack. Nur wenn
es morgens manchmal abkühlte, kroch ich doch noch hinein. Zwei Mal
haben wir in Zelten geschlafen (Villafranca Montes de Oca, Molinaseca),
und das war herrlich. In kleineren Zimmern konnte man auch verabreden,
ein Fenster geöffnet zu lassen; zuweilen habe ich "vergessen",
die Tür zu schließen.
Fazit zum Wetter: In jeder Jahreszeit ist mit Regen zu rechnen.
Pullover, Regenmantel und wärmender Schlafsack sind notwendig.
Geld, Preise, Läden
100 Peseten entsprechen 1,17 DM.
Ab 2002: 1.000 Peseten ziemlich genau 6
EUR, wenn man alte Preisangaben vergleichen will.
Das fast überall zu bekommende Touristenmenü (Vorspeise,
Hauptgang, Nachtisch, dazu Brot und Getränk) lag zwischen 900 Peseten
und 1.300 Peseten. Die Auswahl war nicht mehr so gut wie vor 2 Jahren.
Auch gab es den Rotwein zugeteilt.
Sprache und Verständigung
Nichts ist an Vorbereitung mehr zu empfehlen, als ein paar Brocken Spanisch
zu lernen. So schwer ist es ja nicht: man hat im wesentlichen nur einige
wenige Sprechsituationen: Anmeldung im Refugio, Mieten eines Privatzimmers,
Bestellen im Restaurant und in der Bar, nach dem Weg fragen und
Wegbeschreibungen verstehen.
Dazu noch ein kleiner Blitzschnellkurs ;-):
Wird man mit etwas angesprochen, was wie eine Frage klingt,
hilft meistens schon ein etwas zögerndes "si". Klingt's
nicht wie eine Frage, immer unbestimmt mit dem Kopf nicken und
"asi, asi" (so so) sagen. :-)
Von wegen "mit Englisch kommt man überall durch"! Der
Durchschnittsspanier spricht keine Fremdsprache. Jüngere können
etwas Englisch und/oder Französisch. Französisch ist
überhaupt noch die Fremdsprache, die am ehesten verstanden wird,
Deutsch fast nie. Unter den Pilgern gab es besonders Franzosen und
Engländer, die kein Wort Spanisch sprachen. Für sie mussten
gewöhnlich andere dolmetschen.
Nordspanien: Land und Leute
Nordspanien ist weitgehend bergig, mit viel Grün, Wasser, Wald oder
Feldern. Der Fortschritt hat gute Straßen und viel Zerstörung
gebracht. Erst in letzter Zeit merken die Spanier wieder, dass Betonbauten
unvergleichlich hässlicher sind als die schönen Steinbauten
mit ihrem unverfugten Mauerwerk. Trotz einem sichtbaren Aufschwung
sind doch noch allenthalben Ruinen (die in Deutschland zumindest
abgerissen würden) zu sehen, ist sehr viel kaputt, dreckig und vor
allem vermüllt. Wer da empfindlich ist, sollte nicht nach Spanien
reisen. Verkehrsmittel wie Bus und Bahn sind billig und
zuverlässig. Der Tourismus wird gut bedient, man vermisst nichts.
Auch Privatzimmer sind sauber und ordentlich. Das Wasser kam mir nicht
mehr an so vielen Orten im Freien trinkbar vor wie vor 2 Jahren. Die
chlorverseuchte Brühe aus den Kränen der Städte
sowieso nicht. Doch gibt es in jedem Kramladen 1,5 l Trinkwasser
für ein paar Pfennige. Das ist so billig, dass die Plastikflaschen
überall auf dem Camino herumlagen. Pilger trugen kräftig
zur Umweltverschmutzung bei: an manchem Pilgerrastplatz sah man
deutlich, dass dort eine Gruppe ihr Mittagessen eingenommen hatte.
Wohl gibt es inzwischen überall Abfalleimer. Sie werden bloß
zu selten geleert (manche dem Anschein nach überhaupt nicht,
so auf dem Aussichtsberg oberhalb von Cebreiro).
Wetter, Ausrüstung
Das Wetter kann in Nordspanien, besonders in den Bergen und in Galicien,
sehr feucht und kalt sein. Es war reine Glücksache, dass wir nicht
einen einzigen Regentag hatten (hinter Logroño habe ich das einzige
Mal etwa 10 Minuten die Regenjacke gebraucht,
drei Mal gab es abends einen Schauer,
nämlich in León, Molinaseca und Cebreiro; in Hontanas sogar einen
Gewitterplatzregen). Pilger, die vor und hinter uns gewesen waren,
berichteten aber von tagelangem Regen, hatten in den Pyrenäen nichts
gesehen und Kap Finisterre nur im Nebel erlebt. Tatsächlich war
die Wettervorhersage oft "bedeckt mit Schauern". Einmal sahen wir in
allen Richtungen Regen, nur über uns gaben die Wolken nichts her.
Der Morgen begann oft mit Nebel, durch den die Sonne zwischen 10 und 11 Uhr
durchdrang. Bis dahin war es kühl bis kalt. Oft zog ich erst meinen
Pullover an; aber nach den ersten Kilometern und der ersten Steigung
fing ich derart an zu schwitzen, dass ich ihn schon wieder auszog.
Zusätzlich hatten wir das Glück, dass bei
Sonnenschein oft ein frischer Wind durch die Berge strich oder dass es
zeitweilig Wolken oder Dunst gab, der die Sonnenstrahlung abmilderte.
Wohl deshalb haben wir über die angeblichen "Schrecken" der Meseta
nur gelacht. Der Sonnenhöchststand war gegen 14 Uhr. Ohne Wolken
war es zwischen 11.30 Uhr und 17 Uhr unerträglich heiß.
Wir sahen dann zu, schon zwischen 12 und 13 Uhr unser Ziel zu
erreichen. Das geht nur mit kurzen Etappen (20 - 22 km).
Die folgenden Bemerkungen, die zum Teil überholt sind,
beziehen sich auf die
damalige Packliste. Inzwischen gibt es eine
aktuelle Packliste, die sich aus den Erfahrungen
der Folgejahre entwickelt hat. Sehr viel hat sich aber nicht geändert.
Unsere großen Hüte waren oft hinderlich. Zumindest zum Einkaufen usw. hätte ich mir eine einfache Sonnenschutzkappe gewünscht. Anderereits schützten die Hüte das ganze Gesicht, und bei Regen wären sie unentbehrlich gewesen.
Was uns schmerzhaft fehlte, war eine kleine Taschenlampe. Wer hätte gedacht, dass sich das Refugioleben i.w. in der Dunkelheit abspielt (weil man nie Licht machen darf, um Schläfer nicht zu stören)? Einige Male habe ich so die Lichtschalter auf der Toilette nicht gefunden und wäre fast einige Stufen hinuntergefallen. Es war ein Segen, wenn Straßenlaternen durch die Fenster wenigstens für etwas Licht sorgten oder wenn es eine Notbeleuchtung gab.
Zum Thema "Taschenlampen" kann man köstliche Anekdoten erzählen: Die morgendlichen Hektiker, die im Dunkeln packten, benutzten kleine Punkttaschenlampen, um sich wenigstens etwas zu helfen. Wie packt man aber mit einer Hand, während die andere die Taschenlampe hält? Nun, man hatte Taschenlampen, die sich aufhängen ließen, oder, noch besser, solche, die an einem Kopfring getragen wurden, wie bei den Bergleuten am Helm! :-) Wenn man dann anschließend, noch im Dunkeln, losrannte, musste einer voran und mit der Taschenlampe die gelben Pfeile suchen, die den Jakobsweg markieren. (Einmal kamen zwei kleinlaut zurück, weil sie den Weg trotzdem nicht gefunden hatten.) Verrückt!
Unsere Teleskop-Wanderstöcke erwiesen sich als Trumpf! Sobald es mal in dem einen oder anderen Knie- oder Hüftgelenk zwickte, habe ich den Stock an die betreffende Seite gewechselt. Minuten später waren die Beschwerden verschwunden. Wir haben keine Kniebandagen, die man bei anderen Wanderern, überwiegend solchen ohne Wanderstab, häufig sah, gebraucht. Zudem waren die Stöcke immer das "dritte Bein", in Felsgeröll und bei einer Flussdurchquerung unverzichtbar. Ein einziges Mal bin ich trotzdem gestürzt, als gleichzeitig Stock und ein Bein ausglitten. Die Teleskopstöcke ließen sich mit einem Handgriff beim Runtersteigen verlängern; mit ihnen fühlte ich dann vor; beim Raufsteigen wurden sie verkürzt. Einfach praktisch!
Wir hatten ja dicke Bergschuhe mit, die die Knöchel bedeckten. Andere, die den Jakobsweg nur ein Stück gingen, glaubten, mit festen Sandalen, die die Ferse frei ließen, auskommen zu können. Ergebnis: der hintere Riemen rieb den Fuß oberhalb der Ferse bis aufs Fleisch durch. Wir haben entsetzliche Fälle gesehen. Unsere Schuhe gaben auch festen Halt, was bei den überwiegenden Schotter- und Geröllpisten einfach notwendig war. Wie oft bin ich (aus Müdigkeit) über einen Stein gestolpert, einige Male umgeknickt. Die robusten Schuhe fingen alles ab.
Mit den Isomatten ist es sicher so wie mit dem Regenschutz: Man braucht sie nur dann dringend, wenn man sie nicht mitgenommen hat. Wir haben unsere Isomatten tatsächlich nur ein Mal (in Larrasoaña) zum Schlafen gebraucht; sie waren aber mehrfach sehr nützlich, um sich in Parks, am Wegesrand oder am Strand auszuruhen.
Nachtrag:
Durch die tatkräftige Mithilfe meiner Apotheke zu Hause ist das
"Wunderpflaster" inzwischen identifiziert. Es ist eigentlich kein
Pflaster, sondern eine "elastische Klebebinde", die Fuß oder
Bein besseren Halt geben soll. Sie hieß bis 2007 "Elastoplast",
jetzt "Optiplaste-C".
2,50 m (die sich zu 4,00 m dehnen lassen) kosteten im Jahre 2013 14,95 €, nicht
eben wenig.
Hinter Santiago wurde es vollends lustig: Regelmäßig sprangen die Angaben (wieder mit Meterangaben) um rund 2 km hin und her. Das Rätsel lösten wir erst zwei Tage später an einer Verzweigung: Es waren abwechselnd die Entfernungen zum Leuchtturm nach Finsterre und nach Muxía, dem Wallfahrtsort "unserer lieben Frau vom Schiff" wiedergegeben worden. Wir hatten uns vorher den Zusatz "Muxía" nicht erklären können.
Unser Outdoor-Handbuch "Kasper, Michael: Spanien: Jakobsweg" (1999), im Folgenden kurz "Outdoor-Handbuch" genannt, war trotz der guten Wegauszeichnung sehr nützlich. Es lieferte z.B. zusammenfassende Beschreibungen von Wegalternativen, was eine gute Vorabplanung ermöglichte; dann verstand man, an der Abzweigung angekommen, auch die aufgemalten Hinweise besser.
Nachtrag 2007: Die Handbücher der "Outdoor-Serie" aus dem Conrad-Stein-Verlag sind weiter hin zu empfehlen. (Auf der Startseite den Menüpunkt "Programm" anklicken und dann "Süd-, West- und Mitteleuropa" auswählen.) Von dem o.e. Handbuch ist die 10. Auflage angekündigt.
Als immer aktuelles Nachschlagewerk für Unterkünfte aller Art (einschließlich Pilgerberhergen) auf dem Camino Francés sowie den Camino Aragonés (die Somport-Variante) empfehle ich nachdrücklich den Führer von Jochen Schmidtke. In diesem werden u.a. auch meine Hinweise laufend verarbeitet.
Auch die Landkartenkopien waren insgesamt sehr nützlich. Die Kopien stammten von den Karten Michelin 441 mit Galicien, Asturien und León sowie 442 mit dem Baskenland, Navarra und Kastilien. Ihr Maßstab ist 1:400.000, d.h. 1 cm Karte = 4 km Natur.
Als Handbücher hatten wir außer dem oben erwähnten noch folgendes mit: Wegner, Ulrich: "Wandern auf dem Spanischen Jakobsweg", 1999, Verlag DuMont. Es diente mit seinen Karten und einigen Informationen als Ergänzung und Kontrolle, ist aber nur für Orientierungsbedürftige (wie mich) von unverzichtbarem Wert. (Was bei ihm stört, ist, dass der Jakobsweg auf den Karten von rechts nach links verläuft, auf den Abbildungen der Höhenprofile aber von links nach rechts.) Die Karten mit allen Erhebungen und Wasserläufen helfen sehr bei der Orientierung, wie weit man ist. Leider ist manche neue Autobahn nicht eingezeichnet, von Santiago nur ein Kern dargestellt: die Bebauungsgrenze hat längst San Lazaro im Osten erreicht. Das verwirrt. Unsere Outdoor-Ausgabe war die von 1999, damit Sommer 2000 die neuste und trotzdem in sehr vielen Angaben schon wieder überholt; einige neue Refugios waren gar nicht vermerkt. Was aber äußerst hilfreich war, waren die Angaben über die Bettenzahl der Refugios, ob es Einkaufsmöglichkeiten am Ort gab oder wenigstens eine Bar. Bars schießen immer noch wie Pilze aus dem Boden; die Angaben dazu müssten dringend ergänzt werden. Leider bleibt das Risiko, dass die Bar geschlossen ist, weil sich die Spanier nicht gern auf feste Öffnungszeiten festlegen. Die Refugios in Galicien haben neuerdings (fast) einheitlich ab 13 Uhr geöffnet und schließen um 23 Uhr. (Nur Finisterre scherte aus.) Die Landkartenkopien halfen bei der Planung der Etappen; hinter Santiago waren sie das einzige Kartenmaterial, da die Strecke bis zum Kap nicht in den Handbüchern abgebildet war. Sehr viele Pilger hatten das bekannte Handbuch von Millán Bravo Lozano (mit Ringheftung) dabei; vor dessen Karten ist zu warnen, da sie nicht maßstabsgerecht sind und zu Fehlplanungen verleiten.
Alle Pilger waren untereinander trotz mancher Konflikte im Hintergrund im allgemeinen sehr friedlich und hilfsbereit. Ich habe auch nie beobachtet, dass Frauen "angemacht" wurden. Abgesehen von dem Wettrennen um die Betten konnte man sehr zufrieden sein. Es wurde nur von einem Fall berichtet, dass sich zwei Pilger um das letzte Bett in Puente la Reina geprügelt hätten.
Wie ich schon unter "Nordspanien: Land und Leute" berichtet habe, haben Pilger auch nichts von Nichtpilgern zu befürchten, mit der genannten Ausnahme auf der Strecke hinter Santiago. Etwas anders sieht es bei Diebstählen aus: In Burgos wurde davor gewarnt, etwas unter den Fenstern liegen zu lassen, und in Santiago kamen im Refugio (das ohne Aufsicht allen offen stand) massive Diebstähle vor. Sonst konnte man seine Sachen (natürlich nicht seine Wertsachen) überall unbesorgt rumstehen lassen, auch auf der Straße vor dem Refugio. Pilger bestehlen einander also wohl nicht. Im Gegenteil: ich verlor 50 DM auf dem Marsch und erhielt sie Minuten später von einer nachfolgenden französischen Pilgergruppe zurück. Eine Pilgerin, die ihren Fotoapparat auf dem Platz vor einem Refugio hatte liegen lassen, brauchte später nur die Hospitalera zu fragen: bei der war er schon abgegeben worden.
Eine ganz andere Gefahr sind zuweilen die Stockbetten. Wenn die oberen Betten kein seitliches Gitter haben, kann man rausfallen. Extrem: in Viana gab es 3-Stock-Betten, mit glatten Matratzen und ohne Gitter (siehe das Kapitel "Von Pamplona nach Burgos"). Man sollte es auf jeden Fall ablehnen, auf dem obersten Bett zu schlafen. Statt dessen einfach die Matratze nehmen und irgendwo auf den Boden legen. In Viana kam es nämlich, wenige Tage nach unserem Aufenthalt dort, zu einem hässlichen Unfall: Augenzeugen bestätigten uns, dass dort eine Frau samt Schlafsack vom obersten Bett herabgefallen war und in ihrem Blute lag. Es ist nicht klar, ob sie überlebt hat. Dreistockbetten sollten grundsätzlich nicht zulässig sein!
Ähnliches muss man zu manchen Duschanlagen sagen, die der reinste Mordanschlag sind: Rutschige Kacheln, in Ordnung, das kennt man, aber auch noch extrem abschüssig zur Duschwanne hin (damit das Spritzwasser besser zurückfließt)?! Wenn man wie ich ohne Brille keine Perspektivsicht mehr hat, sieht man weder Stufen noch Gefälle, die gleichgekachelt sind wie ihre Umgebung und nicht gekennzeichnet. Trotz aller Vorsicht bin ich so in den Duschanlagen des Refugios auf dem Cebreiropass in Rutschen gekommen und konnte mich nur noch dadurch vor einem Sturz bewahren, indem ich die Wasserhähne umklammerte. Eine ähnliche Gefahr gibt es häufig an Spaniens Straßen: Stufen und senkrechte Abstürze, bis zu zwei Metern hoch, an Straßenrändern und Bürgersteigen, ohne jegliches Gitter oder Absperrung. Wer da nicht darauf achtet, wohin er seine Füße setzt, kann böse abstürzen.
Eine andere, viel beschriebene Gefahr sind Hunde. Wir haben zwar keine wirklich gefährliche Situation erlebt, aber oft Angst geschwitzt, wenn nur einen Meter von uns entfernt, durch ein leicht überspringbares Gitter von uns getrennt, ein Dobermann oder ein Schäferhund tobte. Wie leicht konnte so ein Tier einmal aus Versehen frei sein und Pilger anfallen! Die Hunde, die auf dem Weg lagen, waren durchweg zu faul, um uns anzubellen. Bis Santiago waren sie offensichtlich die unentwegt vorbeiziehenden Pilger gewohnt. Hinter Santiago sah es wieder einmal anders aus. Hier musste ich schon mal mit dem Stock drohen oder Kampfbereitschaft signalisieren. Bei größeren Hunden sollte man auch das unterlassen, um sie nicht noch mehr zu reizen: Ohne sie anzusehen, stur geradeausschauen und mit festem Schritt weitergehen, evtl. sich dabei im Plauderton unterhalten. Kamen Hirtenhunde in Sicht, haben wir immer den Schäfer schon von weitem laut gegrüßt. Er grüßte dann natürlich mit normaler Stimme zurück, was seinen Hunden signaliserte, dass wir nicht potenzielle Angreifer waren. Das hat immer gut funktioniert. Das einzige Mal, als uns zwei Hirtenhunde graulend und knurrend den Weg verstellten, waren wir gerade drei Zweiergruppen hintereinander, und vor dieser Übermacht wichen auch die Hunde. Der Wanderstab hilft wohl eher symbolisch, als Signal für den Hund, dass er einen "Hirten" vor sich hat, und einem selbst als moralische Stütze, obwohl man sich vom Verstand her sagt, dass so ein Stock in der Hand eines Ungeübten keine wirksame Waffe ist.
Fazit zu der Gefahr, die von Hunden ausgeht: Es wurde kein Fall bekannt, dass jemand von einem Hund gebissen wurde. Aber oftmals musste man doch unangenehme Momente durchstehen.
Unterwegs wurden wir nur von wenigen Schnellläufern überholt, weil wir selbst dazu gehörten. Ansonsten waren wir Kurzläufer, denn die meisten unserer Etappen waren nicht länger als 25 km, während Langläufer am Tag bis zu 40 km und mehr liefen. (Einige hatten beide Füße bis zur halben Unterschenkelhöhe verbunden.) Sie trafen dann als Spätläufer mit anderen, die den ganzen Tag rumgebummelt hatten, erst abends ab 18 Uhr im nächstbesten Refugio ein, das in der Nähe lag und landeten dann regelmäßig auf dem Fußboden. Die Spätläufer waren oft die Verzweiflung der Hospitaleros: weiterschicken ging wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr, auch wenn das Refugio schon bis zum letzten Matratzenplatz voll war. Daher lagen sie dann im Frühstücks- und im Aufenthaltsraum, in der Küche, in sämtlichen Fluren und unter den Treppen, mit dem Resultat, dass abends und morgens nichts mehr davon benutzt werden konnte, ja nicht einmal Licht gemacht werden durfte. Es war schon nervig. Manches Refugio, das um 16 Uhr noch eine Oase der Stille und des Platzes war, verwandelte sich bis 22 Uhr in die übliche Sardinenbüchse. Fußpilger sollten eigentlich spätestens um 16 Uhr im Refugio eingetroffen sein; sonst sind ihre Etappen zu lang oder sie haben zu sehr gebummelt.
Harald und ich waren meist zur Öffnungszeit oder kurz danach, d.h. zwischen 12 und 14 Uhr an unserem Zielrefugio. Nach dem Belegen der Betten gingen alle Pilger zum Duschen, danach wird die Wäsche gewaschen (weil sie noch bis zum Abend trocken sein muss). Hat man diese Pflichten erfüllt, ist Siesta angesagt. Ich ruhte (schlafen konnte man in der Regel nicht) meist nur 1 Stunde, Harald länger. Bis 18 Uhr war Zeit für evtl. Besichtigungen, dann wurde eingekauft (für das Frühstück und das "Mittagessen" des kommenden Marschtages). Danach stand eigentlich nur noch das warme Abendessen in einem nahen Restaurant auf dem Plan. Bevor wir ins Bett gingen, holten wir noch die Wäsche rein und bereiteten unsere Frühstücksbeutel vor. Um 22 Uhr sollte Bettruhe sein, aber nicht ausgelastete Pilger lärmten manchmal noch bis 24 Uhr.
Die übermäßige Nutzung führt bei den Refugios natürlich zu einer schnellen und starken Abnutzung. Refugios, die im Outdoor-Handbuch noch als "schön" beschrieben werden, sind inzwischen nur noch als "heruntergekommen" zu bezeichnen. Sehr vieles ist kaputt und wird nicht repariert. In Ribadiso war die Herrenwaschanlage "vorübergehend" wegen Defekt gesperrt; vor zwei Jahren war sie es auch schon. Bei jeder Toilette muss man zuerst ausprobieren, ob sie funktioniert. Fenster und Türen sind verzogen und quietschen bei jeder Bewegung laut (nachts!). An vielen Toilettenkabinen fehlt das Schloss, oder es ist defekt (also pfeifen, solange man auf der Brille sitzt, oder einen Schuh unter der Tür hervorstrecken). Jede zweite Lampe funktioniert nicht usw. Das Chaos wird dadurch vergrößert, dass die Pilger in jeder Dusche unglaubliche Überschwemmungen verursachen (trotz eines zuweilen existierenden Duschvorhangs), die auf die Toiletten und in einem Fall sogar auf den Schlafsaal übergriffen. Mich fragte jemand kurz vor Santiago: "Na, wo möchtest du denn einmal gern Freizeithospitalero sein?" Spontan sagte ich: "Nirgends! Ich würde mich doch über die allgemeine Disziplinslosigkeit und Gleichgültigkeit den Einrichtungen gegenüber tot ärgern."
An dieser Misere ist m.E. nach das System der Refugios selbst mit schuld. Gedacht als Unterschlupf für arme Pilger, sind die Refugios so gut wie kostenlos (manchmal 3 EUR, meistens werden nur Spenden erwartet). Das lockt zum einen alle an, denen es nur um einen billigen Urlaub geht. Zum andern gilt etwas nichts, wenn es nichts kostet, und dann wird es auch nicht aufgepasst. Verstärkt wird dieser unselige Hang dadurch, dass einige Refugios praktisch ohne Aufsicht sind, so dass man nicht einmal mehr das Feigenblatt "Pilgerausweis" braucht, um sich dort einzuquartieren. (Der Stempel liegt irgendwo zur Selbstbedienung.) Das hat zur Folge, dass kein Geld da ist, um Refugios zu reparieren oder zu renovieren, und so geht es steil bergab. Das einstmals schöne Refugio von Cebreiro hat jetzt überall Wasserschäden und wird in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbar sein.
Was wäre zu tun? - Alle Refugios sollten von jedem 6 EUR für eine Übernachtung verlangen. Dann bliebe der größte Teil der Schmarotzer weg, und man hätte Geld in der Kasse. Die privaten Refugios machen das auch so und können offenbar damit wirtschaftlich über die Runden kommen. Wer nicht einmal 6 EUR bezahlen kann, der sollte mir erklären, ob er auch im Übrigen unterwegs von Wasser und Steinen lebt. Ganz ohne Geldmittel geht das Pilgern nun mal nicht. Ferner sollten die Refugios Privatquartiere für diejenigen vermitteln, die auf die Schlafsaalatmosphäre gern verzichten und etwas mehr bezahlen wollen (wurde in León schon gemacht). Auch das würde zu einer Entlastung führen. Endlich ist in jedem Refugio eine straffe Kontrolle notwendig. Dass das nicht stören muss, zeigen die guten Beispiele von Frómista, Mansilla de las Mulas und Palas de Rey. (Ich rufe hier also nicht nach "deutscher" Zucht und Ordnung: die spanischen Hospitaleros in den genannten Orten haben das fröhlich, aber kompetent und konsequent gehandhabt; ich habe mich dort wohlgefühlt.)
Es ist völlig überflüssig, neue Refugios zu bauen. Mit den vorgeschlagenen Änderungen käme mindestens so viel Geld in die Region, und die vorhandenen Refugios könnten saniert werden.
Auf dem Camino sind echte Pilger selten. Wo wir auftauchten, mit unseren großen Hüten, ein Kreuz um den Hals, rissen die Leute die Kameras hoch: "Da, da vorn laufen welche..." Wir sähen wirklich gut aus, meinte ein spanischer Pilgerfreund in Hontanas lächelnd. Sicher waren andere echte Pilger unscheinbarer und nicht so leicht zu erkennen. Insgesamt gilt aber: Der Camino ist nur noch zum geringen Teil ein Pilgerweg, er wird massenhaft als Urlaubswanderweg missbraucht. Da hilft es auch nichts, dass immer mehr Refugios gebaut werden. Im Gegenteil, sie locken noch mehr Massen an.
Ein unlösbares Problem, denn der "echte" Pilger ist ja gar nicht einwandfrei von den Touristen und Sportlern zu trennen. Niemand wird verlangen, dass nur der ein echter Pilger ist, der rein aus religiösen Gründen unterwegs und tief fromm ist. (Sicher war doch bei uns selbst auch eine sportliche Komponente in der Motivation dabei, z.B. bei mir: Schaff ich das noch, oder bin ich schon zu alt?) Man würde etwa definieren, dass der ein echter Pilger ist, für den die Meditation auf dem Weg das wichtigste Anliegen ist. Dieses Kriterium ist praktisch natürlich nicht handhabbar.
Der Pilgerausweis und die Stempel bieten auch keine Kontrollmöglichkeit. Den Ausweis bekommt jeder, der bei einer Ausgabestelle auftaucht und behauptet, ab hier pilgern zu wollen. Man kann ja nicht vorhersehen, ob er nicht zwei Tage später schon wieder mit dem "Pilgern" aufhört. Der Stempel wird jedem gegeben, der ihn haben will, auch ohne Übernachtung. Selbst der, der für jeden Tag mit glaubwürdiger Entfernung einen Stempel hat, kann die Etappen mit dem Bus oder einem versteckten Privatauto bewältigt haben. Und nach den Erzählungen der Pilger wird ziemlich oft "gemogelt", d.h. die eine oder andere Etappe mit dem Bus zurückgelegt. Auch das ist nicht generell ehrenrührig, denn was soll einer machen, der vor Blasen momentan nicht weiterkommt, aber aus Zeitgründen nicht an einem Ort verweilen kann?
Insgesamt ist so jede Kontrolle problematisch, darunter auch die Aufnahmereihenfolge: Fußpilger, Reiter, Radfahrer; Fußpilger mit Begleitfahrzeug (aber nicht die Fahrer), Radfahrer mit Begleitfahrzeug. Noch problematischer sind Fußpilgergruppen: Eigentlich haben sie ihr Bett genauso verdient wie Einzelpilger; andererseits sorgen größere Gruppen dafür, dass das betroffene Refugio, wo sie auftauchen, unweigerlich überbelegt wird (siehe Triacastela). Man kann also nur raten, dass Gruppen eigene Zelte mitbringen, damit wenigstens genug Betten bleiben.
Eine drastische Möglichkeit wäre, nur den als Pilger anzuerkennen, der ein Aussendedokument seiner Pfarrgemeinde (oder einer anderen kirchlichen Organisation) aufweisen kann. Wir hatten so ein Dokument mit. Tatsächlich ist eine derartige Maßnahme im Gespräch; ich bezweifele aber, ob sie durchsetzbar ist.
Die vielen Touristen auf dem Camino zeigen einen dringenden Bedarf, der bislang gar nicht gedeckt zu sein scheint: Weitwanderwege zu haben, mit einfachen, bezahlbaren Unterkünften, die man flexibel vorbestellen kann, um tagsüber von der Sorge um sein Nachtlager befreit zu sein. Vielleicht müssen in Deutschland die Einzelwanderer die Jugendherbergen wieder entdecken (und umgekehrt), oder es gibt mehr Unterkünfte beim Bauern im Heu. Aber da ist noch viel zu tun...
Der Camino macht süchtig, sagt man: "Einmal Camino, immer Camino." Werde ich den Weg noch einmal gehen? Ich weiß es nicht. Mancher geht ein zweites Mal, um das erste Mal zu verarbeiten. Vielleicht wird es mir so gehen.
Nachtrag vom Frühjahr 2001:
Achtung: Im Kapitel
"Allgemeine Informationen", Abschnitt
"Blasen, Blasen, Blasen", wird jetzt das Geheimnis des
"Wunderpflasters" gelüftet.
Viele Leser meines Berichtes haben mir inzwischen geschrieben.
Fast alle, die wie wir im Juli und August unterwegs waren, haben
meinen kritischen Ausführungen beigepflichtet. Zu anderen
Zeiten ist es ruhiger, in Frankreich und in der Schweiz sowieso.
Mir kommt es vor, als sei es schon Jahre her, dass wir auf dem Camino
unterwegs fahren, und ich plane längst die nächste
Pilgerfahrt...
Im Mai 2001 waren die Refugios am Anfang des Camino Francés schon bis 14 Uhr ausgebucht (trotz der frühen Jahreszeit).
Corina Anthuber schreibt nach ihrer Pilgertour Pfingsten 2001
u.a.:
Atapuerca (vor Burgos, nicht mit "Olmos de Atapuerca"
verwechseln): Neues, schönes Refugio. Bar. Hospitaleros
bieten günstig Lebensmittel an, sonst kein Laden. - Kleines
Museum über die berühmten Ausgrabungen. Es lohnt nicht,
zur eigentlichen Ausgrabungsstätte zu wandern; dort sieht man
praktisch nichts. In Burgos gibt es ein Museum, in dem die
Ausgrabungsstätte rekonstruiert ist.
Wer aber das Kloster Miraflores besuchen will, der kann eine Nebenstrecke von San Juan de Ortega aus laufen (9 km Umweg). Diese ist im Outdoor-Handbuch "Spanien: Jakobsweg" von Michael Kasper beschrieben. Ein Pilgerfreund ist den Weg gegangen und fand ihn sehr schön; hat in freier Natur vor Burgos übernachtet.
Nachtrag von August/September 2002:
Es ist unverändert schlimm im Sommer. Eine spanische Zeitung brachte einen großen Artikel unter der Überschrift: "Camino zusammengebrochen". Dazu Bilder von endlosen Schlangen vor Refugios. Seit 1989 haben sich die Pilgerzahlen mehr als verzehnfacht, die Heiligen Jahre gar nicht gerechnet. Siehe die aktuelle Statistik. Auf jeder Etappe sind ca. 200 Pilger am selben Tag unterwegs.
Tipps, was man machen kann, wenn man unbedingt nur zwischen Mitte Juni und Mitte September pilgern kann:
Weitere Informationen von August/September 2002 (einfach anklicken) über:
Nachtrag von Juni 2003: Pilgerandrang schon ab Ende April
Pilgerfreund Jochen Krueger. war vom 22.4.-4.6.2003 auf dem Hauptweg unterwegs.
Er schreibt dazu:
" ... am 22.4. in Roncesvalles 76 Übernachtungen. In den Tagen danach - nach Hörensagen - eher mehr. Am 1.5.
bekomme ich im Refugio in Navarrete den letzten Platz auf dem Fußboden. Später
dann ab ca. León 120 - 150 Leute/Tag unterwegs (meine Schätzung). Insgesamt fast
alle Albergues ab ca. 14.00 total überfüllt mit den bereits von Ihnen
beschriebenen Begleiterscheinungen: kein Platz für den Rucksack, kein Platz auf
der Wäscheleine....Klos ..Duschen ..."
Und weiter humorvoll-anschaulich:
"Wenn ich genussvolle Pausen im Blumenmeer mit Fernblick,
Zigarette und einem Schluck aus der botella de apoyo machte, dachten die Leute,
ich sei krank und die netten fragten, ob sie mir helfen könnten .... Der camino läuft sich wohl tot ...."
Ein Tipp von ihm: "Albergue in Obanos - perfekt, privat, sehr netter Hospitalero und
vermutlich immer eher leer, weil alle 3 km weiter nach Puente la Reina
marschieren. Außerdem ein nettes kleines Städtchen mit Kultur (und der Ort, an
dem eigentlich wirklich die beiden Wege zusammentreffen)." -
Als Alternative hat er in Hostals und Hotels übernachtet, wo man allerdings im Sommer
auch vielleicht kein Bett mehr bekommt.
Achtung: 2004 ist ein "Heiliges Jahr" (in dem das Jakobusfest am 25. Juli ein
Sonntag ist). Es ist dringend davon abzuraten, in diesem Jahr auf dem Camino Francés unterwegs
zu sein. Ich selbst werde 2004 evtl. wie schon 1999 spanische Pilgerwege überhaupt meiden.
Nachtrag von August/September 2003:
Weitere Informationen (einfach anklicken) über:
Bericht von Juni 2005:
Bericht von August/September 2005:
Bericht von Juli 2006:
Letzte Änderung: 02.03.2017