Im Jahre 2000 auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela


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Weitere Pilgerberichte aus anderen Jahren sowie Beschreibungen der Planung usw. finden sich auf der Übersichtsseite.
(Achtung: Am Ende der folgenden Berichtsübersicht stehen Nachträge von 2001 bis 2006.)



Autor: Rudolf Fischer

Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer bei Esperanto.de

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Da nahm ich die Muschel...



Der Weg ist nicht das Ziel,
der Weg ist nur der Weg zum Ziel,
und das Ziel ist nicht Santiago oder das Jakobsgrab,
sondern GOTT allein und nichts und niemand anderes.
Wo ist er auf dem Camino noch zu finden?


Einleitung und Resümee

"Da nahm ich das Kreuz..." könnte der Anfang des Berichtes eines Kreuzritters sein, der vor 1000 Jahren aufbrach, um Spanien von den Mauren zu befreien. Sicher ahnte er nicht, welche Strapazen und Mühen ihm bevorstanden, bis er überhaupt zu einem Schlachtfeld gelangte. Unzählige sind jämmerlich umgekommen. Es war der helle Wahnsinn!

"Wahnsinn!" war auch mehr oder minder ungeschminkt die Reaktion in meiner Umgebung, wenn ich damit rausrückte, "die Muschel nehmen" zu wollen, um als Pilger zu Fuß (für viele eine Horrorvorstellung) 800 Kilometer durch Nordspanien zu laufen. Wenige reagierten anders, bewunderten die sportliche Leistung oder schwärmten unter dem Eindruck der umfangreichen philosophischen oder romantischen Pilgerberichte aus den letzten Jahren von einem sicher einmaligen geistigen oder kulturellen Erlebnis, das ich haben werde. Um es vorwegzunehmen: die Wirklichkeit war ganz anders!

Wahnsinn war es schon, aber nicht die Strapazen des Fußmarsches, sondern die alles überschattende Lemmingflut der "Pilger", die auf der Jagd nach dem letzten Refugio-Bett in Kolonnen um die Wette liefen, lärmend in jeden stillen Winkel einbrachen, alles verbrauchend und verschmutzend, Hektik bis hin zur Panik, Konkurrenzdenken bis hin zur Feindseligkeit im Kampf um die knappen Hilfsmittel verbreitend.

Nun, es war die Hauptferienzeit in Spanien und auch in Frankreich. Im Juli und August schwillt daher die Pilgerflut an wie ein Gebirgsbach zur Schneeschmelze. Auch im Juni und September soll es schlimm sein, in den übrigen Monaten weniger. Aber wer kann schon außerhalb des Sommers so lange Urlaub bekommen? Und außerdem ist besonders in den Bergen in der übrigen Zeit mit heftigen Wetterunbilden zu rechnen. Auf dem Cebreiro soll es in den vergangenen Jahren im September einmal 40 cm Neuschnee gegeben haben!

Man muss also die Hauptferienzeit berücksichtigen, wenn man den folgenden überwiegend negativen Bericht liest. Hinzu kommt, dass ich nicht zu den Menschen mit rosaroter Brille gehöre und manches vielleicht negativer sehe als andere. So hat meinen Sohn Harald das für mich albtraumhafte Zusammengepferchtsein in den Refugios wesentlich weniger gestört; ich habe darunter gelitten, was sicher auch eine Altersfrage ist. In diesem Sinne sollte der Leser meine persönlichen Einstellungen nicht allzu sehr verabsolutieren.

Von einer Vorstellung kann man jedenfalls Abschied nehmen: auf dem Jakobsweg ist (zumindest im Sommer) von Pilgern fast nichts zu bemerken. Wenn ich im Folgenden von Pilgern rede, so bin ich immer in Versuchung, das Wort in Anführungsstriche zu setzen; denn echte Pilger traf man nur wenige. Da gab es die, die aus sportlichen Motiven unterwegs waren (da drehten sich die Gespräche hauptsächlich darum, wer mehr Kilometer pro Tag "geschafft" hatte); in diese Kategorie fielen fast alle Radfahrer, mit ihrer modischen Kostümierung und ihren teuren Sporträdern. Da gab es die unzähligen (meist spanischen) Touristen, für die der Jakobsweg ein billiger Urlaub war, für ein oder zwei Wochen, manchmal nur ein Wochenende.

Freizeithospitalero Uli fasste in Cebreiro zusammen:

Der Camino ist kaputt!

Denn wie sollte es eigentlich sein? "Refugio" heißt doch "Zufluchtsort", nämlich für (echte) Pilger, die den Tag über schwitzend und meditierend unterwegs gewesen sind und nun einen Ort der Ruhe brauchen, um die körperlichen Kräfte wiederzugewinnen, ohne die eine geistige Erneuerung gar nicht möglich ist. Da stellt man sich vor, vom Pfarrer der nahen Kirche empfangen zu werden, dort ein gemeinsames Gebet oder gar eine Messe zu genießen und sich gegenseitig Schwestern und Brüder zu sein. Von all dem findet man nur noch an wenigen Orten kümmerliche Reste. Im Vordergrund steht den ganzen Tag die Sorge um den notwendigen Ruheplatz im Refugio, der Kampf um die wenigen Toiletten, Duschen, Waschplätze und Kochstellen, ja nur um einen kleinen Platz im Schlafsaal oder Matratzenlager, wo man seinen Rucksack unterbringen kann. Wer den täglichen Überlebenskampf in Konkurrenz zu anderen üben will, der gehe den Jakobsweg im Sommer. Das ist mein bitteres Resümee.

Nun, bei diesem Fazit soll es natürlich nicht bleiben. Es gab auch viel Positives, und alles in allem war es natürlich ein einmaliges Erlebnis. Dazu ist in den folgenden Kapiteln noch im Einzelnen viel zu sagen. Mein Bericht soll zugleich eine Momentaufnahme sein, was nützliche Informationen angeht; denn auch die neusten Handbücher erwiesen sich in sehr vielen Angaben als schon wieder überholt. Auf dem Camino ändert sich alles schnell, auch das sollte der Leser meines Berichtes im Auge behalten. Eine Herberge, die im Jahre 2000 neu und toll ist, wird ohne Renovierung bei der extremen Nutzung durch die Pilgerscharen in wenigen Jahren heruntergekommen sein. Die einzelnen Wegabschnitte ändern sich ebenfalls häufig, vor allem in Folge des Straßenbaus. So ist der Talweg zwischen Villafranca del Bierzo und Ambasmestas vor dem Aufstieg zum Cebreiropass wegen des dortigen Autobahnbaus praktisch nicht mehr benutzbar.


Zwischendurch: Das hässlichste Geräusch auf dem Camino ;-)

Nein, nicht mein Schnarchen, sondern einer der folgenden Laute:


Hinweis: Die in den folgenden Texten eingestreuten kleinen Bilder sind nur so genannte Vorgucker. Sie lassen sich durch Anklicken auf ein Vollbild (ca. 30-50 Kb) vergrößern.

Allgemeine Informationen

Liste der Unterkünfte am Camino Francés (Autor: Jochen Schmidtke)

Weitere allgemeine Informationen in einem Vorabkapitel. Dieses (zum Lesen bitte die vorstehende Überschrift anklicken) enthält folgende Abschnitte:


Ablauf der Pilgerfahrt

Kapitel 1: Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Pamplona (3 Etappen, 68 km)

Kapitel 2: Von Pamplona nach Burgos (9 Etappen, 226 km)

Kapitel 3: Durch die Meseta nach León (8 Etappen, 180 km)

Kapitel 4: Von León zum Cebreiropass (7 Etappen, 159,5 km)

Kapitel 5: Durch Galicien bis Santiago (7 Etappen, 158,5 km)

Kapitel 6: Von Santiago zum Kap Finisterre (4 Etappen, 100 km)


Schlussbemerkungen

Auf dem Camino sind echte Pilger selten. Wo wir auftauchten, mit unseren großen Hüten, ein Kreuz um den Hals, rissen die Leute die Kameras hoch: "Da, da vorn laufen welche..." Wir sähen wirklich gut aus, meinte ein spanischer Pilgerfreund in Hontanas lächelnd. Sicher waren andere echte Pilger unscheinbarer und nicht so leicht zu erkennen. Insgesamt gilt aber: Der Camino ist nur noch zum geringen Teil ein Pilgerweg, er wird massenhaft als Urlaubswanderweg missbraucht. Da hilft es auch nichts, dass immer mehr Refugios gebaut werden. Im Gegenteil, sie locken noch mehr Massen an.

Ein unlösbares Problem, denn der "echte" Pilger ist ja gar nicht einwandfrei von den Touristen und Sportlern zu trennen. Niemand wird verlangen, dass nur der ein echter Pilger ist, der rein aus religiösen Gründen unterwegs und tief fromm ist. (Sicher war doch bei uns selbst auch eine sportliche Komponente in der Motivation dabei, z.B. bei mir: Schaff ich das noch, oder bin ich schon zu alt?) Man würde etwa definieren, dass der ein echter Pilger ist, für den die Meditation auf dem Weg das wichtigste Anliegen ist. Dieses Kriterium ist praktisch natürlich nicht handhabbar.

Der Pilgerausweis und die Stempel bieten auch keine Kontrollmöglichkeit. Den Ausweis bekommt jeder, der bei einer Ausgabestelle auftaucht und behauptet, ab hier pilgern zu wollen. Man kann ja nicht vorhersehen, ob er nicht zwei Tage später schon wieder mit dem "Pilgern" aufhört. Der Stempel wird jedem gegeben, der ihn haben will, auch ohne Übernachtung. Selbst der, der für jeden Tag mit glaubwürdiger Entfernung einen Stempel hat, kann die Etappen mit dem Bus oder einem versteckten Privatauto bewältigt haben. Und nach den Erzählungen der Pilger wird ziemlich oft "gemogelt", d.h. die eine oder andere Etappe mit dem Bus zurückgelegt. Auch das ist nicht generell ehrenrührig, denn was soll einer machen, der vor Blasen momentan nicht weiterkommt, aber aus Zeitgründen nicht an einem Ort verweilen kann?

Insgesamt ist so jede Kontrolle problematisch, darunter auch die Aufnahmereihenfolge: Fußpilger, Reiter, Radfahrer; Fußpilger mit Begleitfahrzeug (aber nicht die Fahrer), Radfahrer mit Begleitfahrzeug. Noch problematischer sind Fußpilgergruppen: Eigentlich haben sie ihr Bett genauso verdient wie Einzelpilger; andererseits sorgen größere Gruppen dafür, dass das betroffene Refugio, wo sie auftauchen, unweigerlich überbelegt wird (siehe Triacastela). Man kann also nur raten, dass Gruppen eigene Zelte mitbringen, damit wenigstens genug Betten bleiben.

Eine drastische Möglichkeit wäre, nur den als Pilger anzuerkennen, der ein Aussendedokument seiner Pfarrgemeinde (oder einer anderen kirchlichen Organisation) aufweisen kann. Wir hatten so ein Dokument mit. Tatsächlich ist eine derartige Maßnahme im Gespräch; ich bezweifele aber, ob sie durchsetzbar ist.

Die vielen Touristen auf dem Camino zeigen einen dringenden Bedarf, der bislang gar nicht gedeckt zu sein scheint: Weitwanderwege zu haben, mit einfachen, bezahlbaren Unterkünften, die man flexibel vorbestellen kann, um tagsüber von der Sorge um sein Nachtlager befreit zu sein. Vielleicht müssen in Deutschland die Einzelwanderer die Jugendherbergen wieder entdecken (und umgekehrt), oder es gibt mehr Unterkünfte beim Bauern im Heu. Aber da ist noch viel zu tun...

Der Camino macht süchtig, sagt man: "Einmal Camino, immer Camino." Werde ich den Weg noch einmal gehen? Ich weiß es nicht. Mancher geht ein zweites Mal, um das erste Mal zu verarbeiten. Vielleicht wird es mir so gehen.


Nachtrag vom Frühjahr 2001:

Achtung: Im Kapitel "Allgemeine Informationen", Abschnitt "Blasen, Blasen, Blasen", wird jetzt das Geheimnis des "Wunderpflasters" gelüftet.
Viele Leser meines Berichtes haben mir inzwischen geschrieben. Fast alle, die wie wir im Juli und August unterwegs waren, haben meinen kritischen Ausführungen beigepflichtet. Zu anderen Zeiten ist es ruhiger, in Frankreich und in der Schweiz sowieso. Mir kommt es vor, als sei es schon Jahre her, dass wir auf dem Camino unterwegs fahren, und ich plane längst die nächste Pilgerfahrt...

Im Mai 2001 waren die Refugios am Anfang des Camino Francés schon bis 14 Uhr ausgebucht (trotz der frühen Jahreszeit).

Corina Anthuber schreibt nach ihrer Pilgertour Pfingsten 2001 u.a.:
Atapuerca (vor Burgos, nicht mit "Olmos de Atapuerca" verwechseln): Neues, schönes Refugio. Bar. Hospitaleros bieten günstig Lebensmittel an, sonst kein Laden. - Kleines Museum über die berühmten Ausgrabungen. Es lohnt nicht, zur eigentlichen Ausgrabungsstätte zu wandern; dort sieht man praktisch nichts. In Burgos gibt es ein Museum, in dem die Ausgrabungsstätte rekonstruiert ist.

Wer aber das Kloster Miraflores besuchen will, der kann eine Nebenstrecke von San Juan de Ortega aus laufen (9 km Umweg). Diese ist im Outdoor-Handbuch "Spanien: Jakobsweg" von Michael Kasper beschrieben. Ein Pilgerfreund ist den Weg gegangen und fand ihn sehr schön; hat in freier Natur vor Burgos übernachtet.


Nachtrag von August/September 2002:

Es ist unverändert schlimm im Sommer. Eine spanische Zeitung brachte einen großen Artikel unter der Überschrift: "Camino zusammengebrochen". Dazu Bilder von endlosen Schlangen vor Refugios. Seit 1989 haben sich die Pilgerzahlen mehr als verzehnfacht, die Heiligen Jahre gar nicht gerechnet. Siehe die aktuelle Statistik. Auf jeder Etappe sind ca. 200 Pilger am selben Tag unterwegs.

Tipps, was man machen kann, wenn man unbedingt nur zwischen Mitte Juni und Mitte September pilgern kann:

Weitere Informationen von August/September 2002 (einfach anklicken) über:


Nachtrag von Juni 2003: Pilgerandrang schon ab Ende April

Pilgerfreund Jochen Krueger. war vom 22.4.-4.6.2003 auf dem Hauptweg unterwegs.
Er schreibt dazu:
" ... am 22.4. in Roncesvalles 76 Übernachtungen. In den Tagen danach - nach Hörensagen - eher mehr. Am 1.5. bekomme ich im Refugio in Navarrete den letzten Platz auf dem Fußboden. Später dann ab ca. León 120 - 150 Leute/Tag unterwegs (meine Schätzung). Insgesamt fast alle Albergues ab ca. 14.00 total überfüllt mit den bereits von Ihnen beschriebenen Begleiterscheinungen: kein Platz für den Rucksack, kein Platz auf der Wäscheleine....Klos ..Duschen ..."
Und weiter humorvoll-anschaulich:
"Wenn ich genussvolle Pausen im Blumenmeer mit Fernblick, Zigarette und einem Schluck aus der botella de apoyo machte, dachten die Leute, ich sei krank und die netten fragten, ob sie mir helfen könnten .... Der camino läuft sich wohl tot ...."
Ein Tipp von ihm: "Albergue in Obanos - perfekt, privat, sehr netter Hospitalero und vermutlich immer eher leer, weil alle 3 km weiter nach Puente la Reina marschieren. Außerdem ein nettes kleines Städtchen mit Kultur (und der Ort, an dem eigentlich wirklich die beiden Wege zusammentreffen)." -

Als Alternative hat er in Hostals und Hotels übernachtet, wo man allerdings im Sommer auch vielleicht kein Bett mehr bekommt.
Achtung: 2004 ist ein "Heiliges Jahr" (in dem das Jakobusfest am 25. Juli ein Sonntag ist). Es ist dringend davon abzuraten, in diesem Jahr auf dem Camino Francés unterwegs zu sein. Ich selbst werde 2004 evtl. wie schon 1999 spanische Pilgerwege überhaupt meiden.


Nachtrag von August/September 2003:

Weitere Informationen (einfach anklicken) über:


Bericht von Juni 2005:


Bericht von August/September 2005:


Bericht von Juli 2006:


Letzte Änderung: 02.03.2017