Im Jahre 2003 auf dem Camino Fisterra - Muxía

Autor: Rudolf Fischer
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(Die kumulierte Entfernung bezieht sich auf unseren Abmarschort Villaviciosa.)

Allgemeines:
Über die Pilgerwege hinter Santiago, also im Dreieck Santiago - Kap Finisterre - Muxía, gibt es ein ausgezeichnetes Faltblatt, mit einer stilisierten Streckenübersicht und realistischen Entfernungsangaben. Titel: Prolongación Xacobea a Fisterra e Muxía. Guía Práctica do Peregrino. Herausgegeben von der Asociación Galego de Amigos de Camino de Santiago. Wir bekamen es typischerweise nicht in den zuständigen Pilgerbüros in Santiago, sondern in einer Bar, auf halber Strecke zwischen Negreira und Olveiroa.

Der Weg zwischen Fisterra und Muxía ist zwar markiert, aber teilweise sehr schlecht. Zudem hat man sich zu dem unglücklichen Kompromiss durchgerungen, dass die Muscheln nicht in eine bestimmte Richtung weisen. Das macht sie oft fast nutzlos. Gelbe Zusatzpfeile sind notwendig, um zu wissen, wohin es geht, und auch hier weiß man nicht, ob sie die Hin- oder die Rückrichtung angeben. Mehr als anderswo muss man sich also auf sein Gefühl verlassen, wobei wir uns prompt zweimal verliefen.

Achtung: Wegen einer gefährlichen Flussüberquerung rate ich ab, diesen Weg allein zu gehen. Unbedingt einen kräftigen Stock mitnehmen.

Wenn man die Wahl hat, kann man besser von Muxía nach Fisterra laufen als umgekehrt. Denn dann hat man das Schwierigste in der ersten Hälfte, findet den Weg an manchen Stellen besser und hat von Fisterra aus eine bessere Busverbindung. Andererseits (und das wiegt schwer) darf man eigentlich den Abschnitt von Hospital de Logoso nach Cée wegen seiner einmaligen Schönheit nicht verpassen. Die Strecke von Hospital nach Muxía habe ich zwar nur von dem Berg Monte Facho de Lourido vor Muxía aus gesehen, aber sie sah nicht sehr spannend aus.


Neue Herberge in Muxía: Am 1. April 2007 wurde in Muxía eine neue Pilgerherberge in Betrieb genommen. Die Turnhalle hat damit ausgedient.

04.09.2003, Donnerstag: Von Fisterra nach Muxía, 29 km (522 km)

Nach einer Einkaufspause am Ortsrand ziehen Rainer, meine Frau und ich um 9h15 (0.10) die Straße Richtung Cée zurück, also nicht am Strand entlang, wie wir gekommen sind. 9h25 (0.20) Abzweigung nach San Martiño links. Es geht ohne Steigungen parallel zur Fernstraße gegen Norden, auf einen langgestreckten Sattel zwischen dem Bergmassiv des Kaps und dem Küstengebirge, zu.

Die Polizei im Nacken

(9h40, 0.35) Wir hören ein Auto hinter uns auf der schmalen Asphaltstraße. Oha, ein Polizeiauto! Und vorn sitzt die Hospitalera neben dem Fahrer! Die suchen uns, ohne Zweifel. Ist aufgeflogen, dass wir das donativo vergessen haben? ;-)) Nein, es geht um das gefundene Mobiltelefon. Rainer möchte genau zeigen, wo er es gefunden hat, an Ort und Stelle! Ja, ist denn Sankt Bürokratius der Schutzpatron der Gegend hier? Rainer hat es doch mündlich ausreichend beschrieben. Sie wollen ihn hintransportieren, am besten mit einem zweiten von uns, der den Fundort bestätigen kann. Es daure auch nur 5 Minuten (spanischen Zeitempfindens, also kann das eine halbe Stunde werden). - Wir zucken mit den Schultern. Na gut, wenn's sein muss. Ich bleibe beim Gepäck am Wiesenrand zurück. Meine Frau und Rainer fahren in dem Polizeiauto davon. Ich mache mich für ein Nickerchen fertig. Kaum habe ich die Augen zu, höre ich wieder ein Auto. Sie sind tatsächlich schon nach 15 Minuten zurück. Der Polizist dankt uns sehr für unsere Hilfe. Die Hospitalera war nur mitgefahren, um uns zu identifizieren und notfalls mit Brocken Englisch zu helfen.

Meine Frau und Rainer erzählen, dass es anscheinend um eine größere Sache geht. Der Besitzer des Mobiltelefons sei tot, habe die Hospitalera gemunkelt. Uns fällt ein, dass vor einigen Tagen über einen Taxifahrermord in Fisterra in den Zeitungen berichtet wurde. Ein Verdächtiger war inzwischen in Haft. "Na", sage ich zu Rainer, "wenn du Glück - oder Pech - hast, darfst du noch als Zeuge nach Spanien zurück."

Verseuchte Strände, schlechte Auszeichnung

Jetzt aber den Weg unter die Füße genommen. Ein gelber Pfeil weist nach links hoch. Kommt uns merkwürdig vor, wir ignorieren ihn, bleiben auf der Straße. Das war richtig. 10h09 (0.49) T-Kreuzung. Es geht eine schnurgerade Asphaltstraße über den Sattel nach Nordwesten. Die Gegend ist flach, und das mitten zwischen dem Küstengebirge. Kein Wald, landwirtschaftliche Flächen weit und breit, dazwischen kleine Dörfer. (10h16, 0.56) Hermedesuxo. (10h34, 1.14) "Deule" oder ähnlich, kann mein Geschreibsel nicht gut entziffern. Keine Zeichen mehr, und mit ungutem Gefühl laufen wir sehr lange geradeaus. 10h47 (1.27) Rechtskurve. Wir haben das gegenüberliegende Meeresufer erreicht und sind am Südrand der Playa de Rostro. (Die Skizze gibt inzwischen mehrere Dörfer an, aber das könen nur Streusiedlungen sein, die ohne Ortsschild ineinander übergehen.) Wir laufen nun parallel zu Stränden nach Norden. Leider überall Schilder: "Wegen Säuberungsarbeiten betreten verboten". Was könnte man bei dem schönen Wetter hier sonst für Strandpausen machen!

Ein Hubschrauber fliegt Teersäcke aus unzugänglichen Buchten an den zentralen Strand, wo der Abfall gesammelt wird. Welch ein Aufwand!

Wir kommen an eine Kreuzung, wo es links zur Playa de Rostro geht. Kein Zeichen! Die Asphaltstraße, die inzwischen in ganz schönen Wellen rauf und runter geht, biegt nach rechts ins Landesinnere. (Dort muss man weiter.)


Wir entscheiden uns leider falsch, eine Piste geradeauszugehen, da diese weiter nach Norden führt. 400 m weiter erneut eine Kreuzung. Links zum Strand, geradeaus ein gelbweiß gekennzeichneter Wanderweg. Nach 15 Minuten Pause diesen Weg 12h00 weiter. Es geht runter, und geradeaus erhebt sich ein grasbewachsener Hügel. Da kommt uns ein alter Bauer entgegen. Als er uns sieht, hebt er abwehrend die Hände. Nein, es ist nicht gegen unseren bösen Blick, sondern weil dies nicht der Pilgerweg ist. Er führt uns zur Kreuzung zurück. So wie ich ihn (mühsam) verstehe, hätten wir die Asphaltstraße hoch müssen, könnten nun aber links in den Waldweg (aus der Richtung, die wir erst gekommen sind, also rechts) und dann rechts und wieder links. O je, o je. - Wir folgen seinem Rat und laufen den Waldweg. Da kommt er mit einem Auto hinter uns her, fährt an uns vorbei, winkt, fährt Schritt: Er will uns den Pfadfinder machen. Rührend! - Rechtsbogen, dann nicht geradeaus, sondern links, dem Hauptwegeverlauf nach. Nach 300 m tauchen rechts Häuser auf. Das soll Padrís sein. Hier kommt der Pilgerweg von rechts und geht nach links weiter. - Wir winken dankend dem Bauern zu, der befriedigt davonfährt.

Durch die Ría von Lires

Ein Muschelstein (12h19, 2.35). Sehr schöne Waldwege, parallel zu dem falschen, den wir vorher gegangen sind. Evtl. hätte man da auch ... aber so vermeidet man den gesichteten grünen Hügel, der später links hinter uns auftaucht. (12h37, 2.53) Ein Muschelstein zeigt nach rechts bzw. geradeaus, aber ein hinzugefügter gelber Pfeil nach links. Wir folgen dem Pfeil. Das war richtig, aber vielleicht wär's rechtsrum auch gegangen, denn bald mündet unser Pfad in einen Weg von rechts. Mehrere gelbe Pfeile.
Kleine Buchten vor Lires Durch Anklicken vergrößern Wir kommen oberhalb der Küste vor Lires heraus. Ein wunderschöner Blick, jetzt geht's wieder die Küste entlang. Unten eine schöne Sandstrandbucht nach der anderen. Alle gesperrt, unten liegen Teersammelsäcke. Was wir nicht wissen: Wir handeln uns einen riesigen Umweg ein, denn wir müssen bald die Ría von Lires entlang ins Landesinnere zurück. Das hätte man abkürzen können, aber dann sieht man die schöne Küste nicht.

Im einmündenden Fluss tummeln sich tausende von Fischen. Sowas habe ich noch nie gesehen. Dann kommt am jenseitigen Ufer ein großer Komplex in Sicht, aus dem es in den Fluss schäumt. Es ist eine Fischzuchtfabrik. Sie verliert wohl Futter und Laich, deshalb das Gewimmel im Fluss. Endlich, nach etwa 1 km, kann man den Fluss links auf einer Brücke queren und läuft in der Stadt das jenseitige Ufer hoch. T-Kreuzung. Hier führt der Pilgerweg schon wieder links aus der Stadt. (14h00, 4.16) Ich habe einen meiner seltenen hellen Momente, da meine Skizze was von "bares" und "comidas" sagt. Wir haben alle Hunger. Oh, rechts die Straße hinauf, ist etwas entfernt ein Haus zu sehen, das eine Bar sein muss. Auch finden wir einen Brunnen. Besagte Bar liefert aber wohl kein Essen, dafür aber eine zweite gleich gegenüber: "As Eiras". Da steht was von "comidas" an der Markise, was allerdings nichts besagen muss. Aber hinein. Ein junger Mann hat Dienst und liest die Zeitung. Sonst kein Mensch. - O ja, wir können etwas zu essen haben. Er will eben in der Küche fragen. Inzwischen sehen meine Stielaugen echte 0,5-Litergläser Bier, eine Seltenheit in Spanien. - Es gibt für 6 EUR ein tolles Fischgericht (klar, die können die unten im Fluss beim Baden fangen), Salat für 2 EUR, usw. Alles sehr lecker. Dazu für mich einen halben Liter Bier. (Ich weiß nicht mehr, woher ich die Disziplin aufgebracht habe, nicht noch einen nachzubestellen, aber das war goldrichtig, wie sich bald zeigte.)

Die "Brücke" hinter Lires

Erst 15h12 weiter. Wo sind die Pilgerwegzeichen? Es gibt keine. Ca. 200 m hinter dem Ort weisen grüne Wanderzeichen vor einem Haus nach rechts, außerdem ein weiterer Pfeil, schwarz übermalt. Könnte mal gelb gewesen sein. Mangels sonstiger Zeichen also rechts ab. Vor dem Haus hält ein Junge einen größeren Hund zurück, zwei Arbeiter schaufeln Beton in eine Mischmaschine. Alle (auch der Hund) schauen uns so merkwürdig an. Wohl noch nie Pilger gesehen, was? 150 m weiter kann ich im Nachhinein die Blicke deuten: "Na, die werden im Nullkommanix greinend wieder hier sein." Was ist passiert?

Rechts glaube ich zunächst, im Grün eine Überschwemmung zu sehen. Dann schreit Rainer, der kurz vor uns ist, auf: "Ach du je, da müssen wir rüber." Vor uns ein Fluss, nicht sehr tief, aber breit.


Ob wir da wirklich rüber müssen, ist dahingestellt. Kein Pilgerzeichen. Nur gegenüber grüne Wanderzeichen. Ich erkunde das Ufer geradeaus weiter: Nichts! Zurückgehen und die Bauarbeiter fragen? Ja, darauf lauern die nur. Also rüber! - Meine Skizze verzeichnet eine Brücke. Spinnen die denn?

Im Wasser 15 große Steinblöcke als Behelfsbrücke, 6 davon unter Wasser, einer durch die Flut beiseitegedrückt. Hm, wenn wir durchwaten wollen, sind wir bis über die Knie drin. Also doch besser über die Steine. Wir binden uns Schuhe und Socken um den Hals.

Durch Anklicken vergrößern Das soll eine Brücke sein

Über die Steine, Rainer voraus. Die Abstände sind so groß, dass er einen ordentlichen Schritt machen muss, ich einen für mich sehr großen, und meine Frau muss fast springen. "Glitschig" schreit Rainer. Jeden Moment wird er mit dem Rucksack auf dem Rücken das Gleichgewicht verlieren und in den Fluss fallen. Das wäre nicht nur unangenehm, sondern wegen der Steine auch sehr gefährlich. Er reicht mir die Hand, geht auf den nächsten. Ich versuche, sicher zu stehen, stütze mich mit dem Pilgerstock noch auf dem Flussgrund ab, fange meine Frau auf. Auf den Steinen unter Wasser ist's die Hölle. Aber wir schaffen es, kommen alle wohlbehalten nach drüben. Was hätten wir nur gemacht, wenn wir drei einander nicht gehabt hätten? Wieder ein Gleichnis fürs Leben, so ist der Pilgerweg.
Was ich allein gemacht hätte: Auch noch die Hose auf den Rucksack gebunden und durchgewatet, auf der Flussaufwärtsseite an den Steinen entlang, mit einer Hand auf sie aufgestützt, in der andern den Pilgerstab. Außerdem hatte ich doch extra Plastiksandalen für solche Fälle dabei; die hätten auch die Füße geschützt. (Hatte ich total vergessen.)

Nachtrag von 2007: Mehrere Pilger berichten von Blutegeln, die sich an ihren Beinen festgesetzt haben. Ist zwar nicht gefährlich, aber eklig. Man kann sie angeblich mühelos ablösen. Viel Erfolg!


Am andern Ufer wurden erst einmal die Füße getrocknet und Socken und Schuhe wieder angezogen. Dann die bange Frage: Ist das wirklich der Pilgerweg? Nicht, dass wir wieder zurückmüssen! - Wir laufen über gemähtes Gras, an der nächsten Kreuzung (grüner Pfeil) links. Ein Bauernhaus - und ein Muschelstein, hurra! Eine Bauersfrau mustert uns wortlos. Am Gebäude steht "Baosilveiro". (Später merke ich, dass das ein "Dorf" Vaosilveiro auf meiner Skizze sein sollte.) Sie sagt auch keinen Ton, als wir in derselben Richtung, die wir gekommen sind, geradeaus einem Weg in den Wald hoch folgen.
Dabei haben wir uns irgendwo verlaufen. Evtl. muss man gleich am Bauernhaus rechts, aber dann hätte die Frau doch was sagen können.
Wir folgen grünen Pfeilen und grün-weißen Markierungen. Es gibt noch einmal die Möglichkeit, halbrechts abzuzweigen, vielleicht ist das richtig. Wir gehen aber halblinks einen steilen Einschnitt hoch, links begleitet uns ein brausendes Wildwasser. 16h13 (5.17) Wir haben viel Zeit verloren, sind endlich oben. Hier geht nur ein Fußpfad geradeaus weiter. Keiner von uns glaubt mehr, dass das der Pilgerweg ist. Bald kommen wir auf einer Landstraße heraus. Auf der gegenüberliegenden Seite ein unklares Steinmännchen. Nach rechts, entscheide ich. Das war richtig. 16h27 (5.31) erreichen wir das Dörfchen Frixe. Auf einmal ein Muschelstein links, der uns entgegenzeigt. Aha, von rechts ist also der Pilgerweg aus dem Wald hochgekommen, etwa vom Bauernhof her. Jetzt müssen wir 100 m zurück und halbrechts rein (von unserer falschen Herkunftsrichtung war das scharf links, was wir übersehen haben). Eine hilfreiche Spanierin hängt im Fenster und bestätigt, dass wir jetzt richtig seien.

Der letzte Berg ist zu überwinden

16h47 (5.51) überqueren wir eine Asphaltstraße. Der Weg führt uns 17h12 (6.16) an den Dorfrand von Guisamonde. Es geht hinter Häusern entlang, wieder wird eine Asphaltstraße überquert. Links liegt ein weiteres Dorf. Sind wir richtig? Es gibt keine Zeichen mehr, also stur geradeaus. Ein Blick auf die Skizze macht uns große Sorgen. Wir laufen jetzt schon den ganzen Tag rum, haben nach der Skizze aber erst knapp zwei Drittel des Weges geschafft. Vor uns liegt noch ein Höhenzug, der Monte Facho de Lourido, den es laut Skizze erheblich rauf und wieder runter geht. Und 20h30 macht das Pilgerbüro in Muxía zu! (Vorher fanden wir das zeitlich sehr großzügig bemessen.) Wir verschärfen das Tempo. Vor uns taucht der Höhenzug auf - und ein Dorf. Herr, lass es Morquintián sein, damit wir richtig sind! Wenn wir uns jetzt verlaufen haben, können wir am Strand pennen.

17h38 (6.42) Ich kann nicht mehr. Mein Oberschenkel meldet sich wieder. Fast 20 km hat er durchgehalten, aber jetzt ist Feierabend. Rechts an der Straße, in Sichtweite der Ortschaft, ein Brunnen. Rainer passt es nicht ganz, aber ich sinke erschöpft nieder. Frisches Wasser trinken, etwas essen. Wir schaffen das schon. Der Ort ist Morquintián, da sind wir uns sicher, denn direkt dahinter ist nun der letzte Berg. 17h48 weiter.

18h01 (6.55) Am Ortsende eine Kreuzung. Keine Zeichen. Der Berg liegt halblinks. Aber eine Asphaltstraße führt scharf rechts hoch. Da hoch oder geradeaus? Ich denke an die Playa von heute morgen, wo wir der richtigen Richtung, aber der falschen Straße gefolgt sind. Niemand da, den man fragen kann. Wenn man mal hilfreiche Spanier braucht ... da fällt mein Blick auf ein altes Paar, das auf seinem Acker sitzt und uns beobachtet. Sie sind dunkel gekleidet, heben sich vom Untergrund gar nicht ab. "Nach Muxía geradeaus?" brülle ich zu ihnen rüber. Sie schwenken die Arme, ja, das ist richtig. Gottseilob! Mein linker Oberschenkel schmerzt immer mehr, ich humpele. In meinem Notizbuch ist ab hier fast nichts mehr eingetragen. Ich meine, mich zu erinnern, dass es von der Asphaltstraße eine Piste links ab ging, über den Höhenzug. Die Steigung hält sich in Grenzen, der Ort lag schon sehr hoch. Wenigstens in diesem Punkt haben wir Glück. Damit ich meine Schmerzen vergesse, beginnt Rainer, entscheidende Momente seines Lebens zu schildern. Ich höre wirklich gefesselt zu und laufe. (Eine tolle Stilblüte!)


Die letzte Höhe ist erreicht Durch Anklicken vergrößern 18h43 (7.37) Wir haben die Höhe erreicht. Ein wahnsinniger Ausblick in alle Richtungen. Weit in der Ferne qualmen die Schornsteine von Hospital de Logoso. Unten muss der Pilgerweg von da her nach Muxía führen. Sieht nicht so schwer aus. Meine Frau bleibt stehen, sucht die beste Position, ein Foto zu machen. Rainer wird ungeduldig. Ich beruhige ihn. - Die Skizze hat drei Balken für den Abstieg (nur zwei für den Aufstieg): Es geht also so steil runter wie vor Cée. Mein Oberschenkel jault, ich jaule innerlich mit. Trotzdem äußerstes Tempo, wir können es noch schaffen. 19h08 (8.02) das Dorf Xurarantes, noch ziemlich weit über dem Tal. Steil zu einer Asphaltstraße hinunter. Diese dann in Richtung Küste weiter, ein Wegweiser sagt schon "Muxía".

Zur Herberge von Muxía

Aber es geht noch lange den Taleinschnitt in Richtung Meer die Landstraße entlang. Links kommen Sportanlagen in Sicht. Ist hier die Herberge? Sie soll ja in einer Turnhalle sein.
Nachtrag von 2007: Seit dem 1. April 2007 gibt es eine neue Herberge in der Rúa Enfesto mit 36 Plätzen (+ 32 Matratzen).
Der folgende Abschnitt hat nur noch historischen Wert.
Aber nichts zu sehen. Rechts qualmt eine Müllhalde. Wie kann man nur, in so einer Landschaft! Auf dem rechten Bürgersteig in Richtung Innenstadt. Rainer hält es nicht mehr aus. Er prescht vor, kann ja für uns den Schlüssel besorgen. Denn eigentlich müssen wir die Einzigen sein heute, haben doch niemanden unterwegs gesehen.

In der dichteren Bebauung holen wir ihn wieder ein, da er nach dem Weg fragen muss. Irgendwie liegt das Pilgerbüro geradeaus, die Herberge aber schon rechts. Rainer läuft geradeaus. Kurz darauf kommt er uns mit einem ganzen Trupp entgegen. Pilgersleute, das sehen wir. Eine Frau hat das Kommando, muss die Hospitalera sein. Das stimmt. Wir sollten mal gleich zum Pilgerbüro, das pünktlich schließen wolle. Wieder habe ich einen hellen Moment. "Nichts da," sage ich, "erst bringen wir unser Gepäck zur Halle." Das war goldrichtig, denn das Büro war noch über 1 km entfernt! Sie gibt nach, und wir folgen dem Trupp nach rechts, laufen damit direkt auf die Halle zu. 19h48 (8.42) sind wir da. Von der Zeit her eine der längsten Etappen der diesjährigen Tour. Sagt auch mein Oberschenkel.

In der Halle ist Platz für tausend Mann. Alles schnappt sich Matratzen, die reichlich vorhanden sind. Dann folgen wir der Hospitalera in die Innenstadt zum Pilgerbüro. 20h15 sind wir dort. Ich beglückwünsche mich, hierhin nicht mit dem Gepäck gegangen zu sein. Ein junges Mädchen stempelt unsere Ausweise, gibt uns einen Stadtplan, informiert uns über Abfahrtzeiten der Busse nach Fisterra und Santiago de Compostela. Alles prima. Meine Frage nach La Coruña löst allerdings Probleme aus. Das wissen sie nicht aus dem Kopf. Dann bekommen wir wieder eine Urkunde (die "Muxía"?). Da will der Ort hinter Fisterra nicht zurückstehen. Beide Städte schreiben auf ihren Dokumenten provozierend: "... am Ende des Pilgerwegs." - Als wir gehen, wird gleich hinter uns abgeschlossen.

Ein letzter Abend in Muxía

Ich humpele neben meiner Frau zurück. Wir kaufen ein. Später humpele ich nochmal in die Stadt, weil ich zu Hause anrufen will, wie es meiner Mutter geht. Die Schmerzen sind noch schlimmer geworden. Ich muss dringend das Bein stilllegen. Das Telefon funktioniert nicht, ich bekomme keine Verbindung. Alles wieder für die Katz. Für Rainer sollten wir noch Rotwein mitbringen, bekommen aber nichts mehr. Da werden unsere Vorräte eben geschwisterlich geteilt.
Wir sehen einige Pilger aus Fisterra wieder, darunter die Jugendgruppe. Neben mir liegt der Spanier, der so vornehmes Englisch spricht. Mancher tut so, als sei er gelaufen, aber ich frage nach dem Flussübergang. Da geben alle zu, gefahren zu sein. Wir waren wohl tatsächlich die einzigen Fußpilger heute. Morgen wollen wir uns die Stadt ansehen, bevor es zurückgeht. Ich reibe mir dick den Oberschenkel mit Sportlersalbe ein. Hoffentlich ist mit viel Ruhe morgen alles überstanden. Ich hätte keinen Tag weiterlaufen können. Die letzten Etappen waren doch sehr lang und anstrengend, drei Mal über 30 km hintereinander. (Sicher, auf dem Papier waren es heute nur 29 km, aber plus Verlaufen!) So einen Schnitt schaffe ich also auf Dauer nicht mehr.
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Am Ende des Weges: durchgelaufene Pilgerschuhe

Die Nacht verläuft sehr ruhig. Die einzelnen Gruppen liegen weit auseinander, trotzdem hallt das Schnarchen schön. :-))

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Letzte Änderungen: 03.02.2017