Zu: Im Jahre 2000 auf dem Jakobsweg nach Santiago

Kapitel: Allgemeine Informationen


Autor: Rudolf Fischer
Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer bei Esperanto.de
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An- und Rückreise

Wir haben das Flugzeug der Bahn und dem Fernbus vorgezogen. Die Bahn ist praktisch genauso teuer, braucht aber einen halben Tag mehr. Der Fernbus ist gut 50% billiger, braucht aber einen ganzen Tag mehr. Ein Pilger klagte, dass er zweimal in der Nacht den Bus wechseln musste und große Schwierigkeiten hatte.
Nachtrag von 2006:
Inzwischen ist das Fliegen sehr billig geworden, besonders nach Barcelona, Bilbao und Madrid.
Nachtrag von Mai 2002:
Weitere Hinweise auf Internetzseiten mit Verkehrsverbindungen und sonstigen Tipps: siehe Planung 2002

Wir flogen von Düsseldorf aus mit der Air France nach Paris und dann mit einem anderen Flug nach Biarritz. Vor dem Flughafen in Biarritz fuhr der Linienbus (Linie 6) zum Bahnhof nach Bayonne. Im Flughafen gab es einen Informationsschalter, bei dem das Faltblatt mit dem Fahrplan auslag. Trotzdem sollte man beim Fahrer zur Kontrolle zurückfragen, ob er in die gewünschte Richtung fährt, da beide Richtungen von derselben Haltestelle aus in derselben Abfahrtrichtung bedient werden. Die Fahrt zum Bahnhof Bayonne dauerte etwa eine halbe Stunde und kostete 7,50 fr pro Person. Der Bus fährt leider nur stündlich, also zeitlich nicht zu knapp kalkulieren.

In Bayonne lösten wir Karten für den Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Den Automaten bekamen wir nicht in den Griff, dafür konnten wir zu wenig Französisch, kannten die Tarife nicht, die gefragt wurden, und hatten zu wenige Münzen. Es gab aber auch einen Schalter. Fahrpreis: 47 fr (eine Richtung, pro Person).

Der Zug fährt nachmittags gegen 15 Uhr und dann noch abends zweimal (sonntags seltener). Fahrzeit 1 Stunde. Im Internetz ist der Fahrplan der französischen Bahn (einfach anklicken). Man sollte nicht erst spät abends in St.-Jean ankommen, dann hat man kaum eine Chance, noch eine Unterkunft zu bekommen.

Die Zugfahrt verlief durch eine schöne Gegend. Wir versuchten, Pilger unter den Fahrgästen zu identifizieren. Bei einem waren wir uns sicher: der hatte so einen Flackerblick... Treffer, stellte sich später heraus. :-)


Die Rückfahrt begann am 7.9. in Finisterre mit dem Bus um 13.45 Uhr nach Santiago (87 km, 1.425 Peseten). Es gab noch einen späteren Bus um 16 Uhr, bei dem man aber umsteigen musste. Den aktuellen Busfahrplan erhält man in Santiago im Touristenbüro. In Santiago fuhren wir am 8.9. mit einem Linienbus um 7.55 Uhr vom Busbahnhof zum Flughafen (200 Peseten). Auch diesen Fahrplan gibt's im Touristenbüro. Fahrzeit eine knappe halbe Stunde. Von Santiago aus flogen wir um 10 Uhr nach Bilbao. Den Flug haben wir schon zu Hause gebucht, da der Esperantofreund, bei dem wir in Bilbao übernachteten, uns das geraten hatte; er selbst habe schon einmal keinen Platz mehr bekommen. (Nun, in der kleinen Fokker-Maschine blieben von den etwa 50 Plätzen doch noch ein paar frei. Die Ferien waren ja auch zu Ende.) Angeblich gibt die Iberia 50% Ermäßigung für Pilgerrückflüge, aber diesen Rabatt hätten wir natürlich erst in Santiago mit Vorzeigen der Compostela bekommen.

Achtung: Im Erdgeschoss des Pilgerbüros bot ein Reisebüro Flüge zu "Pilgertarifen" an. Die waren genauso teuer wie von zu Hause. Außerdem Unterkünfte im Studentenheim für 4.500 Peseten, was in Santiago unverschämt teuer ist. (Wir hatten ein Quartier bei der Kathedrale gleich um die Ecke: ein einfaches Doppelzimmer für 3.000 Peseten insgesamt, also zu einem Drittel des Preises.)

In Bilbao holte uns der Esperantofreund vom Flughafen ab und brachte uns gleich zum Busbahnhof, wo wir eine Fahrt Bilbao-Biarritz für den anderen Tag buchten (145 km, 2 1/2 Stunden, 2.100 Peseten pro Person). Tags darauf (9.9.) fuhren wir mit der U-Bahn zum Busbahnhof, kein Problem.

In Biarritz stellte ich fest, dass ich den Fahrplan der Linie 6 zum Flughafen verloren hatte. So mussten wir erst feststellen, wo wir überhaupt waren (direkt vor dem Touristenbüro und hinter dem Rathaus); im Touristenbüro lag der Fahrplan natürlich auch aus. Die Linie 6 fuhr vor dem Rathaus 1 Stunde später ab. Auch hier musste also genügend Pufferzeit sein.

Der Rückflug über Paris nach Düsseldorf wurde indirekt von den Streiks der Speditionen behindert: unser Flugzeug in Paris kam erst mit 1 1/2 Stunden Verspätung aus dem Süden. Von Düsseldorf aus benutzten wir die S-Bahn und den Regionalexpress nach Münster (2x umsteigen), wo wir 23.48 Uhr eintrafen. Danach fuhr sofort ab 0.00 Uhr ein Überlandbus nach Nordwalde. Etwa 0.40 Uhr waren wir zu Hause. Ein langer Rückreisetag mit vielen verschiedenen Verkehrsmitteln (und 6 Stunden Warten in Paris).

Geld, Preise, Läden

100 Peseten entsprechen 1,17 DM. Ab 2002: 1.000 Peseten ziemlich genau 6 EUR, wenn man alte Preisangaben vergleichen will.

In Saint-Jean-Pied-de-Port waren unglaublich hohe Preise: 0,25 l Bier für 15 fr (etwa 5 DM). Es ist eben ein Touristenort.

Spanien ist wie bekannt relativ billig. Zur Grenze nach Frankreich hin war es in Roncesvalles (ebenfalls Touristenort) noch teurer.
Das fast überall zu bekommende Touristenmenü (Vorspeise, Hauptgang, Nachtisch, dazu Brot und Getränk) lag zwischen 900 Peseten und 1.300 Peseten. Die Auswahl war nicht mehr so gut wie vor 2 Jahren. Auch gab es den Rotwein zugeteilt.

Achtung: Trick! ;-) Es gibt merkwürdigerweise fast immer pro Tisch eine Flasche Rotwein (sofern man nicht ein anderes Getränk wünscht), egal, ob man allein oder zu viert ist. Will man also zu viert ein Pilgermenü essen und ist einem eine viertel Flasche zu wenig: einfach zunächst getrennt an zwei Tische setzen, bestellen, den Wein kommen lassen und sich dann als Pilgerfreunde "kennen lernen" und am Ende zusammensetzen.

Nun waren wir immer zu zweit und sahen, wie an den Nachbartischen halbe und viertel Flaschen stehen blieben. Die Versuchung war groß, unsere leere Flasche blitzschnell auszutauschen, nachdem der Gast weg war und der Wirt noch nicht abgeräumt hatte. Aber erstens haben wir uns doch nicht getraut, das zu tun, und außerdem war eine halbe Flasche pro Kopf für uns doch genug, wie sich zeigte, als wir einmal mehr getrunken hatten. :-(

Nicht nur Bier, auch andere Lebensmittel :-) variierten ansonsten landesweit nur gering im Preis.

Private Unterkünfte: Im August teils wegen der Ferienzeit teuer, ansonsten Doppelzimmer (ohne Bad) 3.000-4.000, mit Bad 4.000-5.000 Peseten. In den Städten wegen der Konkurrenz eher billiger als auf dem Land. Unsere teuerste Unterkunft war in Corcubión für 7.000 Peseten, aber einschließlich eines (kargen) Frühstücks, das gewöhnlich nicht inbegriffen ist. Mit der Mehrwertsteuer N.V.A. gab es keinen Ärger; sie wurde nur in einem erkennbaren Ausnahmefall extra berechnet. Trinkgeld wird nicht erwartet, aber gern genommen, wobei 100 Peseten schon was gelten. (In der Kirche pflegt man 25 Peseten in den Klingelbeutel zu tun.) 1 Glas Wein 0,1 l ist das Standardgetränk der Spanier an der Theke; es kostet etwa 100 - 150 Peseten und wird oft nicht leer getrunken. (Auch beim Essen bleiben oft Reste liegen.)

1 Stangenbrot kostet um 100 Peseten, 1 l Milch ebenfalls, 1 l Fruchtsaft (Standardgetränk unseres Frühstücks) 100-130 Peseten. Es gibt im kleinsten Laden eine erstaunliche Auswahl von Aufschnitt. Fast jeder Ort hat einen Lebensmittelladen ("Supermercado" oder "Alimentación"), der normalerweise auch gut von außen gekennzeichnet ist. Die Öffnungszeiten sind überall verschieden und werden in der Regel nicht angegeben. Meist sind die Läden zwischen 14 und 18 Uhr geschlossen. In einigen Städten gibt es sogar am Sonntag etwas zu kaufen, insbesondere, wenn einmal im Monat "Markttag" (am Sonntag!) ist.

Postämter sind selten und haben nie ihre Öffnungszeiten vermerkt. Briefmarken kauft man sowieso in "tabacos"-Läden. (Porto für eine Ansichtskarte nach Hause: 75 Peseten)

Bankautomaten gibt es in den Städten haufenweise, nur in kleineren Orten nicht. Nicht nur ich hatte großen Ärger mit den Automaten. Der Dialog war manchmal nur auf Spanisch. Mal gab es dann Geld, mal keins, mit wechselnden Fehlermeldungen: "zu viele Operationen" (?), "Bankkarte für RD 300 nicht zugelassen" (??) und ähnliche sphinxhafte Auskünfte. Meine Frau brachte zu Hause in Erfahrung, dass man bei Postbankkarten "Kreditkarte" (und nicht "Sparkonto" und nicht "Girokonto") drücken muss (auch bei einer Karte für ein 3000-plus-Sparkonto), wenn dieses in einem Dialog mit den Automaten gefragt wird (was nicht immer der Fall war). Mal waren auch 50.000 Peseten kein Problem, dann waren wieder 30.000 Peseten die Obergrenze. Insgesamt verwirrend und schweißtreibend.

Bei den Restaurants gab es ebenfalls ärgerliche Tricks. In León und Santiago signalisierte ein "Menú del día" (Tagesmenü), dass es dieses nur mittags gab (trotzdem blieb es als Kundenfang draußen hängen). In anderen Städten gab es das "Menú del día" auch abends. Ein "Menú de la casa" (Menü des Hauses) oder ein "Menú del peregrino" (Pilgermenü) gab es in der Regel auch abends. Es war meist billiger (aber ohne Preisvorteil für Pilger), als nach der Speisekarte das Essen zusammenzustellen. Aber: Die draußen angeschlagenen Alternativen für die verschiedenen Gänge gab es selten. Statt dessen wurde das aktuelle Angebot so schnell runtergerasselt, dass niemand etwas verstand. Naja. Auf Nachfrage habe ich aber in Santiago das (nicht mehr angeschlagene) "Menú del día" abends doch noch zum Mittagspreis bekommen. Allgemein kann ich sagen, dass wir nie übers Ohr gehauen worden sind. Alle Preise hängen im Gastraum aus. Manchmal muss man draußen am Tisch mit Bedienung 25 Peseten mehr bezahlen als innen an der Theke. Auch auch das ist dann auf der Preisliste vermerkt.

Private Refugios nehmen für eine Übernachtung 500-1.000 Peseten. (Ausnahme: 1.500 in Santa Irene) Das ist sehr angemessen, denn man bekommt für 1.000 P. immerhin eigene Bettwäsche.

Der Segen des Camino sind die Bars. Sie nennen sich "Bar Café" laut Schild, im Gegensatz zu den Restaurants. Man bekommt dort Getränke aller Art, insbesondere den Café con leche, den Milchkaffee, Hauptnahrungsmittel der Pilger :-), bei dem die Wirte längst zurückfragen: "Grande?" ("Si, si!"), und dann gibt es wirklich große Becher (125 - 200 P.). Über den "Café con leche" sind schon Hymnen geschrieben worden. Ich kann es verstehen (siehe "Pilgers Tagesablauf"), ich unterschreibe sie alle. Hinzu kommt: in jeder Bar sind Pilger willkommen. Die Wirtsleute sind persönlich und freundlich (auch wenn die Pilger dreckig reinkommen und alle gleich erst einmal auf die Toilette rennen) und ganz entzückt, wenn sogar Ausländer etwas Spanisch können (siehe "Sprache und Verständigung"). Auch gibt es in den Bars das etwas festere Grundnahrungsmittel "Bocadillo", ein großes belegtes Brötchen, das den Pilgern als Mittagessen dient (200-450 Peseten, je nach Belegung). Sonst gibt es noch "tostadas" (belegte Röstbrotschnitten), "tortillas" (Pasteten), Croissants, "tapas" (Happen) und andere Backwaren. Warmes Essen gibt es nur in Restaurants, die aber fast ausnahmslos erst abends öffnen (meist ab 20 Uhr).

Manchmal ist eine Bar in ein Restaurant integriert. Das hilft einem aber nichts, da warmes Essen trotzdem nur abends ausgegeben wird. Sehr ärgerlich ist, dass die Abendessenszeiten nirgendwo angezeigt werden (die Spanier wollen sich wohl die Freiheit lassen, wann sie die Küche denn genau öffnen) und dass diese, dem Tagesablauf der Spanier folgend, so spät liegen, 20 oder gar 21 Uhr, für Pilger eigentlich fast untragbar. Zur fehlenden Nachtruhe hat oft auch der volle Magen beigetragen... Wenn ein Refugio zudem schon um 22 Uhr eisern geschlossen wurde, war ein Abendessen auch zeitlich kaum zu schaffen.

Sprache und Verständigung

Nichts ist an Vorbereitung mehr zu empfehlen, als ein paar Brocken Spanisch zu lernen. So schwer ist es ja nicht: man hat im wesentlichen nur einige wenige Sprechsituationen: Anmeldung im Refugio, Mieten eines Privatzimmers, Bestellen im Restaurant und in der Bar, nach dem Weg fragen und Wegbeschreibungen verstehen.
Dazu noch ein kleiner Blitzschnellkurs ;-):
Wird man mit etwas angesprochen, was wie eine Frage klingt, hilft meistens schon ein etwas zögerndes "si". Klingt's nicht wie eine Frage, immer unbestimmt mit dem Kopf nicken und "asi, asi" (so so) sagen. :-)
Von wegen "mit Englisch kommt man überall durch"! Der Durchschnittsspanier spricht keine Fremdsprache. Jüngere können etwas Englisch und/oder Französisch. Französisch ist überhaupt noch die Fremdsprache, die am ehesten verstanden wird, Deutsch fast nie. Unter den Pilgern gab es besonders Franzosen und Engländer, die kein Wort Spanisch sprachen. Für sie mussten gewöhnlich andere dolmetschen.

Mit wenigen Ausnahmen gaben die Hospitaleros ihre Erläuterungen nur in Spanisch (dazu noch sehr schnell) ab. Gleich in Roncesvalles musste ich das, was ich verstanden hatte (etwa 3/4), auf Niederländisch an ein Ehepaar weitergeben, das neben mir stand und gar nichts mitbekommen hatte. Dabei brauchte man einige Informationen, z.B., wann das Refugio abends schließt, wirklich dringend.

Ich hatte ein Spanisch-Wörterbuch dabei, das praktisch pausenlos in Gebrauch war. So machte mein rudimentäres Spanisch auch wortschatzmäßig gute Fortschritte, und ich handelte mir sogar ein paar Mal ein Lob ein: "Ja, die Deutschen, die können gut Fremdsprachen!" Einmal fragte man mich, ob ich denn Spanisch in der Schule gelernt habe ("Nein, selbst beigebracht aus einem Buch." "Unglaublich!") Nun ja, das Geheimnis jedes Erfolgs ist oft einfach der gewitzte Einsatz sehr beschränkter Mittel, wobei diese dann ein breites Wissen vortäuschen. Kennt man aus jeder erfolgreichen Examensprüfung! :-)

Die Einheimischen atmeten immer sichtlich auf, wenn man sich für sie verständlich äußerte. Es galt dabei die Regel: Je besser einer Spanisch konnte, um so mehr erreichte er, vor allem in Konfliktfällen. (Eine Pilgerfreundin schaffte es sogar, dass sie privat bei einem Bauern unterkam, als das benachbarte Refugio wieder hoffnungslos überfüllt war. Ein anderes Mal kutschierte man sie im Privatauto zu einer 16 km entfernten Kirche; ebenso, als sie einige Kilometer zurück ihren Fotoapparat hatte liegen lassen.)

In Einrichtungen des Tourismus versuchte man manchmal, uns gleich auf Englisch anzusprechen. Nachdem ich dann auf Spanisch antwortete, schaltete man sofort um. (Das Englisch war sowieso meistens von der Aussprache her fast unverständlich.)

Unter den verschiedensprachigen Pilgern diente in der Regel Englisch als Verständigungspidgin. Dabei merkte man dann, wie wenig man kann, wenn man es nicht regelmäßig verwendet. Insgesamt blieb die Sprachbarriere fühlbar: die Pilger tun sich in den Refugios meist nach Sprachgruppen zusammen. Konflikte zwischen Verschiedensprachigen können nicht geklärt werden; es fehlt ferner die Möglichkeit, manches sprachlich diplomatisch abzufedern. Gesten reichen dazu nicht aus. Man liest oft etwas anderes, aber das ist Quatsch und resultiert aus Wunschdenken. Es gibt kein Verständnis, ohne dass die Verständigung gewährleistet ist. Auf dem Camino ist mir wieder einmal aufgegangen, wie ganz anders es unter Esperantosprechenden zugeht und wie schwer Englisch gegenüber Esperanto ist.

Nordspanien: Land und Leute

Nordspanien ist weitgehend bergig, mit viel Grün, Wasser, Wald oder Feldern. Der Fortschritt hat gute Straßen und viel Zerstörung gebracht. Erst in letzter Zeit merken die Spanier wieder, dass Betonbauten unvergleichlich hässlicher sind als die schönen Steinbauten mit ihrem unverfugten Mauerwerk. Trotz einem sichtbaren Aufschwung sind doch noch allenthalben Ruinen (die in Deutschland zumindest abgerissen würden) zu sehen, ist sehr viel kaputt, dreckig und vor allem vermüllt. Wer da empfindlich ist, sollte nicht nach Spanien reisen. Verkehrsmittel wie Bus und Bahn sind billig und zuverlässig. Der Tourismus wird gut bedient, man vermisst nichts. Auch Privatzimmer sind sauber und ordentlich. Das Wasser kam mir nicht mehr an so vielen Orten im Freien trinkbar vor wie vor 2 Jahren. Die chlorverseuchte Brühe aus den Kränen der Städte sowieso nicht. Doch gibt es in jedem Kramladen 1,5 l Trinkwasser für ein paar Pfennige. Das ist so billig, dass die Plastikflaschen überall auf dem Camino herumlagen. Pilger trugen kräftig zur Umweltverschmutzung bei: an manchem Pilgerrastplatz sah man deutlich, dass dort eine Gruppe ihr Mittagessen eingenommen hatte. Wohl gibt es inzwischen überall Abfalleimer. Sie werden bloß zu selten geleert (manche dem Anschein nach überhaupt nicht, so auf dem Aussichtsberg oberhalb von Cebreiro).

Die Spanier sind ein fröhliches und freundliches Volk. Den Fremden betrachten sie mit Abstand, bis sie merken, der kann etwas Spanisch. Dann fragen sie einen gleich aus, und der Bann ist gebrochen. Hilfsbereitschaft wird groß geschrieben. Versteht man die Ortsbeschreibung nicht, führt einen einer am Ärmel hin. Fragen (und damit etwas Spanisch können) lohnt sehr, nirgends wird man mürrisch abgewiesen.

Ausnahme: In einer (vollen) Fernfahrerbar in Portela vor Ambasmestas sahen die Angestellten durch uns hindurch und bedienten uns einfach nicht. In einem anderen Pilgerbericht las ich, dass der Autor auch genau in dieser Gegend eine ausnahmsweise mangelnde Freundlichkeit hervorhob. Er führte es darauf zurück, dass die Menschen durch den Autobahnbau verstört sind, denn die Autobahn wird ihnen die meiste Kundschaft wegnehmen. Ich halte das als Erklärung für sehr glaubwürdig.

Pilger sind - zumindest auf dem Hauptweg (Camino Francés) - bekannt und als solche ausgewiesen. Viele schauten neugierig auf, wenn wir zwei abenteuerlichen Gestalten uns näherten. Wir grüßten auf dem Land immer, in den Städten oft. Dann ging ein Lächeln über die Gesichter, und man wurde freundlich zurückgegrüßt. Besonders bei alten Leuten, die vor dem Haus saßen, fiel mir auf, wie sehr sie es brauchten, gesehen und beachtet zu werden. Von ihnen wurde uns auch oft ein "gute Reise", "viel Glück auf dem Camino", usw. nachgerufen. Einige saßen den ganzen Tag an einer etwas unübersichtlichen Abzweigung und "lauerten" darauf, dass man als Pilger Miene machte, den falschen Weg zu gehen. Dann kam Leben in sie, dann hatten sie eine Aufgabe: Sie winkten und riefen: "Nein, hier entlang!" Oft (aber nicht immer!) hatte ich es selbst gerade schon bemerkt, aber wir bedankten uns immer sehr. Das gab ein gutes Caminogefühl auf beiden Seiten!


Ein Phänomen unter den Wartenden am Camino ist Doña Elisa. Inzwischen kennt man sie schon aus Fernseh- und Zeitungsberichten, aber diesmal sollten wir sie persönlich kennen lernen. Ich hatte ganz vergessen, vor welcher Stadt sie wartet: es war Logroño. Wir hatten die Umgehungsstraßen schon hinter uns und stapften durch ein ärmliches Hüttenviertel vor der Stadt. Ein kleiner Hund, angebunden, kläffte und kläffte. Wir wussten nicht, dass er ein Alarmsignal für eine kleine, sehr alte Frau war, die eilig an zwei Tische vor ihrer Hütte humpelte. Da war sie: Doña Elisa in Person und lachte uns herzlich mit zahnlosem Mund entgegen. Ich grüßte höflich und fragte: "Sind Sie die berühmte Doña Elisa, die wir in Deutschland im Fernsehen gesehen haben und über die in deutschen Zeitungen berichtet wurde?" "Ja, klar" lachte sie und fuchtelte mit den Armen, und dann ergoss sich ein Redeschwall über uns, von dem ich nur Bruchstücke verstand. 50 Jahre (so glaubte ich zu verstehen) säße sie nun schon hier, hätte den Bau von manchen Refugios in Gang gebracht, wo die zuständigen Priester immer nur geredet hätten. Damit überreichte sie uns zwei Faltblätter mit Informationen zu allen Refugios im Rioja, der kleinen, berühmten Weinprovinz, wozu Logroño gehört. Wir legten bewundernd zwei 100-Peseten-Stücke in die Sammelschale, die sie uns unaufdringlich zuschob. Die Bewunderung war echt. Da hat ein Mensch seinen Platz und seine Aufgabe gefunden, setzt sich für andere ein und strahlt auch im hohen Alter trotz offensichtlicher Armut Lebensfreude und Freundlichkeit aus. Wer von uns hat es weiter gebracht? Ausnahmsweise ließen wir uns von ihr unseren Pilgerausweis stempeln, was wir sonst oft verwehrt haben. Wir wollten grundsätzlich nur Stempel von den Orten, an denen wir übernachteten. Kurz darauf ärgerten wir uns sehr, dass wir vor aller Rührung vergessen hatten, von ihr ein Foto zu machen. Sie ist eine der Personen des Camino, die man nicht vergisst.

Eine verbreitete "Unsitte" (aus unserer Sicht) ist die Neigung der Spanier, "so laut" zu sein. Tatsächlich gibt es hier gewaltige interkulturelle Unterschiede. In den Bars dröhnt pausenlos der Fernseher, auch wenn keiner hinguckt. Eine normale Unterhaltung wird in einer Lautstärke geführt, die bei uns nur ein Streit sein könnte. Das nervt in den Refugios, in denen man Ruhe sucht, sehr. In Pedrouzo wurde abends im dunklen Schlafsaal mehrmals um Ruhe gebeten, da zwei Spanier sich in benachbarten Betten unterhielten, als müssten sie eine Straße überschreien. Sie machten weiter, flüstern kannten sie nicht. In Villadangos del Páramo kam zur Pilgerschlafenszeit von 22 Uhr eine ganze Familie in den Schlafraum und begrüßte lautstark eine andere, ihr bekannte Familie, die auch schon im Bett lag. Das Licht wurde angeknipst, und dann nahm ein Familientreffen seinen lautstarken Verlauf. Das war dann doch auch den anwesenden Spaniern zu viel, und sie protestierten energisch gegen diese Ruhestörung, bis sich die Besucherfamilie, keineswegs hastig, zurückzog. Die Erklärung für diesen Vorfall liegt darin, dass wir aus der Sicht der Besucherfamilie "am hellichten Tag" im Bett lagen, nämlich um 22 Uhr, wenn die Spanier erst richtig munter werden. In mancher Stadt habe ich es erlebt, dass es 9 Uhr zum Essen, 11 Uhr zum Trinken und 1 Uhr zum Feiern ging. In Mansilla de las Mulas fuhr ich um 3 Uhr hoch und wollte gerade wütend nachsehen, wer denn da im Erdgeschoss betrunken rumgrölte, bis ich merkte, dass der Lärm von unten von der Straße her durch die geöffneten Fenster kam. Zugespitzt gab es nachts deshalb oft die Alternative: Ersticken oder Ertauben.

Wegen dieses Tagesablaufs auch unsere zeitlichen Schwierigkeiten mit den Restaurants. Auch viele Bars machten zu unserem Leidwesen erst um 8 Uhr oder noch später auf, wenn wir längst unterwegs waren und nach einem Café con leche lechzten.

Weitere spanische Untugenden sind das starke Rauchen (zuweilen auch verbotenerweise im Refugio) und die Mobiltelefonitis. Einmal konnte ich an einer Aufschnitttheke nicht bedient werden, weil die Verkäuferin sich nicht von ihrem Mobiltelefon lösen konnte. Eine aufmerksame Kassiererin musste herüberkommen und aushelfen. Nachts piepten manchmal nicht abgeschaltete Geräte; an frei zugänglichen Steckdosen wurde Strom nachgetankt. Man muss allerdings zugeben, dass ein Mobiltelefon gerade für einen Pilger, der auf dem Marsch in Not gerät, sehr wichtig sein kann.

Wetter, Ausrüstung

Das Wetter kann in Nordspanien, besonders in den Bergen und in Galicien, sehr feucht und kalt sein. Es war reine Glücksache, dass wir nicht einen einzigen Regentag hatten (hinter Logroño habe ich das einzige Mal etwa 10 Minuten die Regenjacke gebraucht, drei Mal gab es abends einen Schauer, nämlich in León, Molinaseca und Cebreiro; in Hontanas sogar einen Gewitterplatzregen). Pilger, die vor und hinter uns gewesen waren, berichteten aber von tagelangem Regen, hatten in den Pyrenäen nichts gesehen und Kap Finisterre nur im Nebel erlebt. Tatsächlich war die Wettervorhersage oft "bedeckt mit Schauern". Einmal sahen wir in allen Richtungen Regen, nur über uns gaben die Wolken nichts her. Der Morgen begann oft mit Nebel, durch den die Sonne zwischen 10 und 11 Uhr durchdrang. Bis dahin war es kühl bis kalt. Oft zog ich erst meinen Pullover an; aber nach den ersten Kilometern und der ersten Steigung fing ich derart an zu schwitzen, dass ich ihn schon wieder auszog. Zusätzlich hatten wir das Glück, dass bei Sonnenschein oft ein frischer Wind durch die Berge strich oder dass es zeitweilig Wolken oder Dunst gab, der die Sonnenstrahlung abmilderte. Wohl deshalb haben wir über die angeblichen "Schrecken" der Meseta nur gelacht. Der Sonnenhöchststand war gegen 14 Uhr. Ohne Wolken war es zwischen 11.30 Uhr und 17 Uhr unerträglich heiß. Wir sahen dann zu, schon zwischen 12 und 13 Uhr unser Ziel zu erreichen. Das geht nur mit kurzen Etappen (20 - 22 km).

Die Spanier waren sehr kälteempfindlich. Sie trugen aber oft auch nur hauchdünne T-Hemden und kurze Hosen und hatten zum Teil nur Leinenschlafsäcke dabei. Ich hatte immer nur ein langärmeliges Hemd (Sonnenschutz) auf dem Oberkörper; dazu eine lange Hose, die mir bei zugewachsenen Pfaden sehr zustatten kam und auch verhinderte, dass Steinchen in die Wanderstiefel gerieten.. Auch unsere Schlafsäcke waren ziemlich dick und schwer. Da die Spanier im Refugio darauf bestanden, sämtliche Fenster im Schlafsaal zu schließen, wurde es nachts anfangs sehr heiß, und die Luft war morgens zum Schneiden. Ich habe deshalb schlimme Nächte gehabt; bin ich es doch gewohnt, in möglichst kaltem Schlafzimmer zu schlafen. Daher lag ich (und anderen ging es genauso) fast immer, nur mit Unterhose bekleidet, nachts auf dem Schlafsack. Nur wenn es morgens manchmal abkühlte, kroch ich doch noch hinein. Zwei Mal haben wir in Zelten geschlafen (Villafranca Montes de Oca, Molinaseca), und das war herrlich. In kleineren Zimmern konnte man auch verabreden, ein Fenster geöffnet zu lassen; zuweilen habe ich "vergessen", die Tür zu schließen.

Fazit zum Wetter: In jeder Jahreszeit ist mit Regen zu rechnen. Pullover, Regenmantel und wärmender Schlafsack sind notwendig.


Die folgenden Bemerkungen, die zum Teil überholt sind, beziehen sich auf die damalige Packliste. Inzwischen gibt es eine aktuelle Packliste, die sich aus den Erfahrungen der Folgejahre entwickelt hat. Sehr viel hat sich aber nicht geändert.
Unsere Ausrüstung laut (damaliger) Packliste erwies sich sich als sehr gut. Nicht gebraucht haben wir Teller und Löffel. Die Wäscheleine brauchten wir ein Mal. Statt einem Waschmittel in der Tube würde ich Kernseife mitnehmen, da die Waschbecken in der Regel keinen Stopfen hatten. Klopapier war immens wichtig, da es auch in den Bars zuweilen fehlte. 1 Rolle als Vorrat reichte.

Unsere großen Hüte waren oft hinderlich. Zumindest zum Einkaufen usw. hätte ich mir eine einfache Sonnenschutzkappe gewünscht. Anderereits schützten die Hüte das ganze Gesicht, und bei Regen wären sie unentbehrlich gewesen.

Was uns schmerzhaft fehlte, war eine kleine Taschenlampe. Wer hätte gedacht, dass sich das Refugioleben i.w. in der Dunkelheit abspielt (weil man nie Licht machen darf, um Schläfer nicht zu stören)? Einige Male habe ich so die Lichtschalter auf der Toilette nicht gefunden und wäre fast einige Stufen hinuntergefallen. Es war ein Segen, wenn Straßenlaternen durch die Fenster wenigstens für etwas Licht sorgten oder wenn es eine Notbeleuchtung gab.

Zum Thema "Taschenlampen" kann man köstliche Anekdoten erzählen: Die morgendlichen Hektiker, die im Dunkeln packten, benutzten kleine Punkttaschenlampen, um sich wenigstens etwas zu helfen. Wie packt man aber mit einer Hand, während die andere die Taschenlampe hält? Nun, man hatte Taschenlampen, die sich aufhängen ließen, oder, noch besser, solche, die an einem Kopfring getragen wurden, wie bei den Bergleuten am Helm! :-) Wenn man dann anschließend, noch im Dunkeln, losrannte, musste einer voran und mit der Taschenlampe die gelben Pfeile suchen, die den Jakobsweg markieren. (Einmal kamen zwei kleinlaut zurück, weil sie den Weg trotzdem nicht gefunden hatten.) Verrückt!

Unsere Teleskop-Wanderstöcke erwiesen sich als Trumpf! Sobald es mal in dem einen oder anderen Knie- oder Hüftgelenk zwickte, habe ich den Stock an die betreffende Seite gewechselt. Minuten später waren die Beschwerden verschwunden. Wir haben keine Kniebandagen, die man bei anderen Wanderern, überwiegend solchen ohne Wanderstab, häufig sah, gebraucht. Zudem waren die Stöcke immer das "dritte Bein", in Felsgeröll und bei einer Flussdurchquerung unverzichtbar. Ein einziges Mal bin ich trotzdem gestürzt, als gleichzeitig Stock und ein Bein ausglitten. Die Teleskopstöcke ließen sich mit einem Handgriff bei Runtersteigen verlängern; mit ihnen fühlte ich dann vor; beim Raufsteigen wurden sie verkürzt. Einfach praktisch!

Wir hatten ja dicke Bergschuhe mit, die die Knöchel bedeckten. Andere, die den Jakobsweg nur ein Stück gingen, glaubten, mit festen Sandalen, die die Ferse frei ließen, auskommen zu können. Ergebnis: der hintere Riemen rieb den Fuß oberhalb der Ferse bis aufs Fleisch durch. Wir haben entsetzliche Fälle gesehen. Unsere Schuhe gaben auch festen Halt, was bei den überwiegenden Schotter- und Geröllpisten einfach notwendig war. Wie oft bin ich (aus Müdigkeit) über einen Stein gestolpert, einige Male umgeknickt. Die robusten Schuhe fingen alles ab.

Mit den Isomatten ist es sicher so wie mit dem Regenschutz: Man braucht sie nur dann dringend, wenn man sie nicht mitgenommen hat. Wir haben unsere Isomatten tatsächlich nur ein Mal (in Larrasoaña) zum Schlafen gebraucht; sie waren aber mehrfach sehr nützlich, um sich in Parks, am Wegesrand oder am Strand auszuruhen.

Blasen, Blasen, Blasen...

vergrößern Ein schmerzhaftes Thema! Wir haben niemanden getroffen, der sich keine Blasen gelaufen hätte. Zwar wäre alles sicher noch viel schlimmer gewesen, hätten wir unsere Füße nicht vor jedem Marsch mit den Hirschtalgstiften und nach dem Marsch mit Arnikacreme sorgfältig eingerieben, aber ein vollständiger Schutz war das auch nicht. Spätestens bei langen Etappen (um die 30 km), die im Wettlauf fast ohne Pause über Geröll führten, gingen die Füße kaputt. Schon nach der Pyrenäenetappe hatten viele riesige Blasen. Zur Drainage zogen sich die Spanier Wollfäden dadurch. Einige hatten die Enden überall aus dem Fuß gucken.

(Links) So sah mein linker Fuß aus, als die Riesenblase unterm Ballen schon wieder verheilt war. Von der Blase auf der Ferse blieb kaum mehr als ein Umriss.

Unsere persönliche Leidensgeschichte sah so aus: Blasen ab der 3. Etappe, die mit Compeed-Pflaster verklebt wurden. Nach dem Gewaltmarsch hinter Estella kamen bei mir neue Blasen unter dem Pflaster hervor. Compeed-Pflaster, das war einhellige Erfahrung der Pilger, helfen nur bei kleinen Blasen; bei größeren verschlimmern sie die Schäden! Statt dessen gab es ein neuartiges, äußerst dehnbares Wunderpflaster (siehe das Kapitel "von Pamplona nach Burgos"), das man von einer breiten Rolle abschnitt und großflächig über den betroffenen Fußteil klebte, nachdem man vorher die Blase aufschnitt und alle Flüssigkeit rausgedrückt hatte. Danach tat es erst sehr weh, aber irgendwann (bei mir erst nach drei Stunden!) verklang der Schmerz, um nie mehr wiederzukommen. Ab dem nächsten Tag konnte man völlig normal, ohne Schmerzen, auftreten, und sobald das Pflaster von selbst abfiel, hatte sich neue Haut gebildet. Das Wunderpflaster hat uns gerettet. Wir hätten sonst die Pilgerfahrt hinter Burgos abbrechen müssen.

Nachtrag:
Durch die tatkräftige Mithilfe meiner Apotheke zu Hause ist das "Wunderpflaster" inzwischen identifiziert. Es ist eigentlich kein Pflaster, sondern eine "elastische Klebebinde", die Fuß oder Bein besseren Halt geben soll. Sie hieß bis 2007 "Elastoplast", jetzt "Optiplaste-C".
2,50 m (die sich zu 4,00 m dehnen lassen) kosteten im Jahre 2013 14,95 €, nicht eben wenig.


Nachtrag von 2013: Details und eine Abbildung sind im Netz beim Hersteller Beiersdorf (BSNmedical) zu finden: Optiplaste®-C
In Spanien habe ich sie früher in Blaugrün statt in Braun gesehen, aber in den vergangenen Jahren habe ich in spanischen Apotheken vergebens danach gefragt.

Die Hauptstrecke des Jakobswegs in Nordspanien (Camino Francés)

Wir sind die Hauptstrecke des Jakobswegs in Nordspanien, auch "Camino Francés" genannt, gegangen, und zwar bis Puente la Reina vom Ibañeta-Pass aus (im Gegensatz zum Somportpass). Der eigentliche mittelalterliche Weg besteht heute überwiegend aus mehr oder minder großen Fernstraßen. Für die Pilger haben die regionalen Jakobsbruderschaften Alternativrouten (kleine Feldwege und Pisten) erkundet, die sich um die Straßen herumschlängeln und diese immer wieder kreuzen. Das hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört: die Entfernung nach Santiago verlängert sich dadurch um schätzungsweise 20-30 km. Oft wird ein 2 km entferntes Dorf "mitgenommen" und dann zur Straße zurückgekehrt. Viele Pilger sehen das voraus und laufen deshalb doch die Straße entlang. Ferner geht es häufiger und heftiger auf und ab. Es ist schon manchmal etwas nervig, wenn man wieder parallel zur Straße einen steilen Hang hochzieht und schon die Fortsetzung übersehen kann, die sich einige Kilometer voraus genauso steil wieder zur Straße absenkt. Auch überquert man oft vorgeschobene Hügelzungen, die die Fernstraße umgeht und so ohne Steigungen bleibt (dann ist der Pilgerweg allerdings auch mal kürzer als die Straße). Diesen Nachteilen stehen erhebliche Vorteile gegenüber: Besonders wenn die Straße keinen Seitenstreifen hat, ist es ungemein gefährlich, an ihr entlangzulaufen. In jeder Kurve, bei jeder Bodenwelle muss man darauf gefasst sein, dass einen die entgegenkommenden Autos (darunter schwere Lastwagen) zu spät sehen und nicht mehr ausweichen können. Wer einmal mehrere Kilometer so gelaufen ist, immer die Ohren gespitzt, ob zugleich von vorn und von hinten sich Fahrzeuge nähern, und immer darauf gefasst, in den Graben zu springen, der setzt alles daran, eine Alternative gehen zu können. Ferner nimmt der ausgewiesene Pilgerweg manche Sehenswürdigkeit (z.B. jede schöne Brücke) mit, die man nur ungern verpassen würde. Schließlich führt der Weg oft durch die unverfälschte Natur, abseits der Straße oder doch so von ihr getrennt, dass man sie nur hört, aber nicht sieht. So hat man wenigstens die Illusion der Einsamkeit und Naturverbundenheit. Wir haben klar die letztere Alternative vorgezogen und sind keine Abkürzungen gegangen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die vielen unbekannten Helfer, die den Weg ausgekundschaftet und ausgezeichnet haben.

Wegekennzeichnungen, Handbücher

Die Wegekennzeichnungen mit gelben Pfeilen, Kilometersteinen, Muschelkacheln in Hauswänden und Mauern sowie gelben Plastikstreifen in den Büschen waren durchweg so gut, dass man die Handbücher nicht konsultieren musste. Hinter Santiago war es manchmal schwieriger.
vergrößern Kreuz an der Straße über den Rabanalpass. Das Bild zeigt gleich mehrere Arten von Wegweisern gleichzeitig: Ein Kreuz (mit Pilgermuschel), einen der berühmten "gelben Pfeile" des Jakobswegs und auffällige "Steinsetzungen" (hier auf dem Querbalken des Kreuzes). Pilger türmen gern Steine und Steinchen aufeinander. Sie zeigen den Weg und signalisieren gleichzeitig: Vor dir waren schon viele hier. Die größte Steinsetzung ist am Cruz de Hierro. Andernorts findet man aber auch Versammlungen von neckischen Steinmännchen, die davon zeugen, dass die Pilger nicht immer nur bierernst daherziehen.

Die Kilometersteine waren ebenfalls mit Muschelkacheln verziert, aber o weh: Souvenirjäger haben einen Großteil der Kacheln herausgeschlagen, wobei sehr viele zerbrochen sind. Ab der Grenze von Galicien sind die Kilometersteine bekanntlich mit Entfernungsangaben bis Santiago versehen, was ich mehr positiv als negativ empfand. Es gab nur eine merkwürdige, feste Differenz von etwa 2 Kilometern im Vergleich zum Outdoor-Handbuch, die am Flughafen vor Labacolla wohl ihre Erklärung fand: Ab dort standen nämlich neuere Steine mit Entfernungsangaben auf den Meter genau - und mit einem Sprung von rund 2 km!

Hinter Santiago wurde es vollends lustig: Regelmäßig sprangen die Angaben (wieder mit Meterangaben) um rund 2 km hin und her. Das Rätsel lösten wir erst zwei Tage später an einer Verzweigung: Es waren abwechselnd die Entfernungen zum Leuchtturm nach Finsterre und nach Muxía, dem Wallfahrtsort "unserer lieben Frau vom Schiff" wiedergegeben worden. Wir hatten uns vorher den Zusatz "Muxía" nicht erklären können.

Unser Outdoor-Handbuch "Kasper, Michael: Spanien: Jakobsweg" (1999), im Folgenden kurz "Outdoor-Handbuch" genannt, war trotz der guten Wegauszeichnung sehr nützlich. Es lieferte z.B. zusammenfassende Beschreibungen von Wegalternativen, was eine gute Vorabplanung ermöglichte; dann verstand man, an der Abzweigung angekommen, auch die aufgemalten Hinweise besser.


Nachtrag 2007: Die Handbücher der "Outdoor-Serie" aus dem Conrad-Stein-Verlag sind weiter hin zu empfehlen. (Auf der Startseite den Menüpunkt "Programm" anklicken und dann "Süd-, West- und Mitteleuropa" auswählen.) Von dem o.e. Handbuch ist die 10. Auflage angekündigt.

Als immer aktuelles Nachschlagewerk für Unterkünfte aller Art (einschließlich Pilgerberhergen) auf dem Camino Francés sowie den Camino Aragonés (die Somport-Variante) empfehle ich nachdrücklich den Führer von Jochen Schmidtke. In diesem werden u.a. auch meine Hinweise laufend verarbeitet.


Auch die Landkartenkopien waren insgesamt sehr nützlich. Die Kopien stammten von den Karten Michelin 441 mit Galicien, Asturien und León sowie 442 mit dem Baskenland, Navarra und Kastilien. Ihr Maßstab ist 1:400.000, d.h. 1 cm Karte = 4 km Natur.

Als Handbücher hatten wir außer dem oben erwähnten noch folgendes mit: Wegner, Ulrich: "Wandern auf dem Spanischen Jakobsweg", 1999, Verlag DuMont. Es diente mit seinen Karten und einigen Informationen als Ergänzung und Kontrolle, ist aber nur für Orientierungsbedürftige (wie mich) von unverzichtbarem Wert. (Was bei ihm stört, ist, dass der Jakobsweg auf den Karten von rechts nach links verläuft, auf den Abbildungen der Höhenprofile aber von links nach rechts.) Die Karten mit allen Erhebungen und Wasserläufen helfen sehr bei der Orientierung, wie weit man ist. Leider ist manche neue Autobahn nicht eingezeichnet, von Santiago nur ein Kern dargestellt: die Bebauungsgrenze hat längst San Lazaro im Osten erreicht. Das verwirrt. Unsere Outdoor-Ausgabe war die von 1999, damit Sommer 2000 die neuste und trotzdem in sehr vielen Angaben schon wieder überholt; einige neue Refugios waren gar nicht vermerkt. Was aber äußerst hilfreich war, waren die Angaben über die Bettenzahl der Refugios, ob es Einkaufsmöglichkeiten am Ort gab oder wenigstens eine Bar. Bars schießen immer noch wie Pilze aus dem Boden; die Angaben dazu müssten dringend ergänzt werden. Leider bleibt das Risiko, dass die Bar geschlossen ist, weil sich die Spanier nicht gern auf feste Öffnungszeiten festlegen. Die Refugios in Galicien haben neuerdings (fast) einheitlich ab 13 Uhr geöffnet und schließen um 23 Uhr. (Nur Finisterre scherte aus.) Die Landkartenkopien halfen bei der Planung der Etappen; hinter Santiago waren sie das einzige Kartenmaterial, da die Strecke bis zum Kap nicht in den Handbüchern abgebildet war. Sehr viele Pilger hatten das bekannte Handbuch von Millán Bravo Lozano (mit Ringheftung) dabei; vor dessen Karten ist zu warnen, da sie nicht maßstabsgerecht sind und zu Fehlplanungen verleiten.

Hunde und andere Gefahren

Der Jakobsweg als solcher ist nicht gefährlich, er führt nicht an Abgründen vorbei oder durch Schluchten. Natürlich kann man sich überall ein Bein brechen oder einen Herzanfall haben. Der Pilger ist selten wirklich allein. Da alle, die in einem Refugio übernachten, innerhalb von etwa drei Stunden nach und nach aufbrechen, trifft man sich unterwegs immer wieder, vor allem bei Pausen und in Bars. Lediglich auf der Strecke hinter Santiago und bei der einen oder anderen wenig begangenen Alternative muss man damit rechnen, im Notfall niemanden um Hilfe bitten zu können.

Alle Pilger waren untereinander trotz mancher Konflikte im Hintergrund im allgemeinen sehr friedlich und hilfsbereit. Ich habe auch nie beobachtet, dass Frauen "angemacht" wurden. Abgesehen von dem Wettrennen um die Betten konnte man sehr zufrieden sein. Es wurde nur von einem Fall berichtet, dass sich zwei Pilger um das letzte Bett in Puente la Reina geprügelt hätten.

Wie ich schon unter "Nordspanien: Land und Leute" berichtet habe, haben Pilger auch nichts von Nichtpilgern zu befürchten, mit der genannten Ausnahme auf der Strecke hinter Santiago. Etwas anders sieht es bei Diebstählen aus: In Burgos wurde davor gewarnt, etwas unter den Fenstern liegen zu lassen, und in Santiago kamen im Refugio (das ohne Aufsicht allen offen stand) massive Diebstähle vor. Sonst konnte man seine Sachen (natürlich nicht seine Wertsachen) überall unbesorgt rumstehen lassen, auch auf der Straße vor dem Refugio. Pilger bestehlen einander also wohl nicht. Im Gegenteil: ich verlor 50 DM auf dem Marsch und erhielt sie Minuten später von einer nachfolgenden französischen Pilgergruppe zurück. Eine Pilgerin, die ihren Fotoapparat auf dem Platz vor einem Refugio hatte liegen lassen, brauchte später nur die Hospitalera zu fragen: bei der war er schon abgegeben worden.

Eine ganz andere Gefahr sind zuweilen die Stockbetten. Wenn die oberen Betten kein seitliches Gitter haben, kann man rausfallen. Extrem: in Viana gab es 3-Stock-Betten, mit glatten Matratzen und ohne Gitter (siehe das Kapitel "Von Pamplona nach Burgos"). Man sollte es auf jeden Fall ablehnen, auf dem obersten Bett zu schlafen. Statt dessen einfach die Matratze nehmen und irgendwo auf den Boden legen. In Viana kam es nämlich, wenige Tage nach unserem Aufenthalt dort, zu einem hässlichen Unfall: Augenzeugen bestätigten uns, dass dort eine Frau samt Schlafsack vom obersten Bett herabgefallen war und in ihrem Blute lag. Es ist nicht klar, ob sie überlebt hat. Dreistockbetten sollten grundsätzlich nicht zulässig sein!

Ähnliches muss man zu manchen Duschanlagen sagen, die der reinste Mordanschlag sind: rutschige Kacheln, in Ordnung, das kennt man, aber auch noch extrem abschüssig zur Duschwanne hin (damit das Spritzwasser besser zurückfließt)?! Wenn man wie ich ohne Brille keine Perspektivsicht mehr hat, sieht man weder Stufen noch Gefälle, die gleichgekachelt sind wie ihre Umgebung und nicht gekennzeichnet. Trotz aller Vorsicht bin ich so in den Duschanlagen des Refugios auf dem Cebreiropass in Rutschen gekommen und konnte mich nur noch dadurch vor einem Sturz bewahren, indem ich die Wasserhähne umklammerte. Eine ähnliche Gefahr gibt es häufig an Spaniens Straßen: Stufen und senkrechte Abstürze, bis zu zwei Metern hoch, an Straßenrändern und Bürgersteigen, ohne jegliches Gitter oder Absperrung. Wer da nicht darauf achtet, wohin er seine Füße setzt, kann böse abstürzen.

Eine andere, viel beschriebene Gefahr sind Hunde. Wir haben zwar keine wirklich gefährliche Situation erlebt, aber oft Angst geschwitzt, wenn nur einen Meter von uns entfernt, durch ein leicht überspringbares Gitter von uns getrennt, ein Dobermann oder ein Schäferhund tobten. Wie leicht konnte so ein Tier einmal aus Versehen frei sein und Pilger anfallen! Die Hunde, die auf dem Weg lagen, waren durchweg zu faul, um uns anzubellen. Bis Santiago waren sie offensichtlich die unentwegt vorbeiziehenden Pilger gewohnt. Hinter Santiago sah es wieder einmal anders aus. Hier musste ich schon mal mit dem Stock drohen oder Kampfbereitschaft signalisieren. Bei größeren Hunden sollte man auch das unterlassen, um sie nicht noch mehr zu reizen: Ohne sie anzusehen, stur geradeausschauen und mit festem Schritt weitergehen, evtl. sich dabei im Plauderton unterhalten. Kamen Hirtenhunde in Sicht, haben wir immer den Schäfer schon von weitem laut gegrüßt. Er grüßte dann natürlich mit normaler Stimme zurück, was seinen Hunden signaliserte, dass wir nicht potenzielle Angreifer waren. Das hat immer gut funktioniert. Das einzige Mal, als uns zwei Hirtenhunde graulend und knurrend den Weg verstellten, waren wir gerade drei Zweiergruppen hintereinander, und vor dieser Übermacht wichen auch die Hunde. Der Wanderstab hilft wohl eher symbolisch, als Signal für den Hund, dass er einen "Hirten" vor sich hat, und einem selbst als moralische Stütze, obwohl man sich vom Verstand her sagt, dass so ein Stock in der Hand eines Ungeübten keine wirksame Waffe ist.

Fazit zu der Gefahr, die von Hunden ausgeht: Es wurde kein Fall bekannt, dass jemand von einem Hund gebissen wurde. Aber oftmals musste man doch unangenehme Momente durchstehen.


Nachtrag von 2003:
Inzwischen hörte ich von zwei Fällen, in denen Pilger gebissen wurden, in einem davon ernsthaft. Die Gefahr besteht also weiterhin. Ich empfehle eine Pfefferspritze zur Abwehr (siehe meinen Bericht von 2003).

Des Pilgers Tagesablauf: Von Läufern und Radfahrern

Sprachlich ist es interessant, wie eine bestimmte Umgebung gleich zu speziellen Neubegriffen führt: So entwickelten Harald und ich unter uns bald ein Klassifikationssystem für Pilger, je nach derem Tagesablauf. Die Hektiker, die aus unerfindlichen Gründen in aller Herrgottsfrühe packten, waren die Knistertüten. Wir selbst verhielten uns nach ein paar Tagen wie folgt: Nachdem die "Knistertüten" uns geweckt hatten (zwischen 4.30 Uhr und 5.30 Uhr) blieben wir erst einmal bis gegen 6.30 Uhr liegen. Die Knistertüten wuschen sich nicht oder kaum und ließen auch das Frühstück ausfallen. Kaum hatte der Hospitalero schlaftrunken aufgeschlossen, stürzten sie davon. Nach ihrem Wegzug war schon mehr Platz im Schlafsaal. Harald und ich wuschen uns dann, zogen uns provisorisch an (d.h. noch ohne Wanderstiefel), nahmen anschließend unsere Frühstücksbeutel und gingen nach draußen zum Frühstücken. "Draußen" konnte ein beliebiger Refugioraum sein, in dem mal keine Pilger auf dem Boden lagen, oder auch eine Mauer oder eine Bank vor dem Refugio im Lampenschein. Gegen 7 Uhr kamen wir dann in den Schlafsaal zurück. Hier mussten nun eigentlich alle wach sein, denn meistens schmiss das Refugio die Leute um 8 Uhr aus dem Haus! Also durfte man das Licht anmachen, sich in Ruhe die Füße einschmieren, packen und sich abmarschfertig machen. Inzwischen waren die meisten Pilger (ohne Frühstück) abgerückt; nur einige Langschläfer (meist Radfahrer) blieben einfach liegen, bis sie durch die Hospitaleros oder das Putzkommando rausgeschmissen wurden. Harald und ich verließen also die Refugios nach den meisten anderen, holten diese aber unterwegs oder in der nächsten Bar wieder ein, denn irgendwann muss jeder ja doch mal frühstücken.

Unterwegs wurden wir nur von wenigen Schnellläufern überholt, weil wir selbst dazu gehörten. Ansonsten waren wir Kurzläufer, denn die meisten unserer Etappen waren nicht länger als 25 km, während Langläufer am Tag bis zu 40 km und mehr liefen. (Einige hatten beide Füße bis zur halben Unterschenkelhöhe verbunden.) Sie trafen dann als Spätläufer mit anderen, die den ganzen Tag rumgebummelt hatten, erst abends ab 18 Uhr im nächstbesten Refugio ein, das in der Nähe lag und landeten dann regelmäßig auf dem Fußboden. Die Spätläufer waren oft die Verzweiflung der Hospitaleros: weiterschicken ging wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr, auch wenn das Refugio schon bis zum letzten Matratzenplatz voll war. Daher lagen sie dann im Frühstücks- und im Aufenthaltsraum, in der Küche, in sämtlichen Fluren und unter den Treppen, mit dem Resultat, dass abends und morgens nichts mehr davon benutzt werden konnte, ja nicht einmal Licht gemacht werden durfte. Es war schon nervig. Manches Refugio, das um 16 Uhr noch eine Oase der Stille und des Platzes war, verwandelte sich bis 22 Uhr in die übliche Sardinenbüchse. Fußpilger sollten eigentlich spätestens um 16 Uhr im Refugio eingetroffen sein; sonst sind ihre Etappen zu lang oder sie haben zu sehr gebummelt.

Harald und ich waren meist zur Öffnungszeit oder kurz danach, d.h. zwischen 12 und 14 Uhr an unserem Zielrefugio. Nach dem Belegen der Betten gingen alle Pilger zum Duschen, danach wird die Wäsche gewaschen (weil sie noch bis zum Abend trocken sein muss). Hat man diese Pflichten erfüllt, ist Siesta angesagt. Ich ruhte (schlafen konnte man in der Regel nicht) meist nur 1 Stunde, Harald länger. Bis 18 Uhr war Zeit für evtl. Besichtigungen, dann wurde eingekauft (für das Frühstück und das "Mittagessen" des kommenden Marschtages). Danach stand eigentlich nur noch das warme Abendessen in einem nahen Restaurant auf dem Plan. Bevor wir ins Bett gingen, holten wir noch die Wäsche rein und bereiteten unsere Frühstücksbeutel vor. Um 22 Uhr sollte Bettruhe sein, aber nicht ausgelastete Pilger lärmten manchmal noch bis 24 Uhr.

Das Problem der Refugios

Das Problem der Refugios ging schon zum großen Teil aus der Schilderung des Tagesablaufs hervor. Es war wie im Spiel "die Reise nach Jerusalem" (das man vielleicht "die Pilgerfahrt nach Santiago" umtaufen sollte :-)): morgens mussten alle das Refugio verlassen, denn mehr als 1 Tag durfte man nicht am gleichen Ort bleiben. Dann ging das Gerenne um die Betten in den nächsten Refugios los. Mit wenigen Ausnahmen haben wir die Refugios als völlig überbelegt erlebt. Außer allen, die behaupteten, Fußpilger zu sein, wurden regelmäßig auch noch Radfahrergruppen und manchmal sogar motorisierte Reisende aufgenommen. (Einmal haben wir zwei Pilger auf Pferden getroffen; sonst fiel uns noch ein einbeiniger Radfahrer auf, und vor Melide kam uns sogar ein Rollstuhlfahrer entgegen.) Die Überbelegung überlastete nicht nur sämtliche Einrichtungen (einmal 33 Personen bei einem einzigen Toilettenraum mit 1 Dusche und 1 Toilette), sie führte auch zu chronischer Hektik bei allem, was man machte (immer warteten hinter einem schon die nächsten und sei es nur darauf, sich vorbeiquetschen zu können), und damit zu einem völligen Gegenteil der für müde Pilger angestrebten Ruhe. Ein besonders krasser Fall geschah in Triacastela: gerade hatten wir uns freudestrahlend in einem 4-Bett-Zimmer (welch Luxus!) eingerichtet, als direkt vor unserer Tür eine Jugendgruppe auf dem Boden untergebracht wurde. Nun bestand unsere "Tür" aus zwei Pendelhälften wie bei einer Bar im Wilden Westen. Das heißt, wir hatten nicht nur den Lärm praktisch im Zimmer selbst, sondern die neu Eingetroffenen schauten auch noch über und unter unserer Tür her, unterhielten sich kichernd über uns und bliesen Zigarettenrauch ins Zimmer. Dort wollte ich keinen Moment länger bleiben! Harald ließ sich von mir bewegen, zu packen und unter Protest bei der Herbergsleitung auszuziehen. Wir sind dann in ein Privatquartier in die Stadt gezogen. Die Jugendgruppe haben wir noch einige Male wiedergesehen; sie haben sich dann besser benommen.

Die übermäßige Nutzung führt bei den Refugios natürlich zu einer schnellen und starken Abnutzung. Refugios, die im Outdoor-Handbuch noch als "schön" beschrieben werden, sind inzwischen nur noch als "heruntergekommen" zu bezeichnen. Sehr vieles ist kaputt und wird nicht repariert. In Ribadiso war die Herrenwaschanlage "vorübergehend" wegen Defekt gesperrt; vor zwei Jahren war sie es auch schon. Bei jeder Toilette muss man zuerst ausprobieren, ob sie funktioniert. Fenster und Türen sind verzogen und quietschen bei jeder Bewegung laut (nachts!). An vielen Toilettenkabinen fehlt das Schloss, oder es ist defekt (also pfeifen, solange man auf der Brille sitzt, oder einen Schuh unter der Tür hervorstrecken). Jede zweite Lampe funktioniert nicht usw. Das Chaos wird dadurch vergrößert, dass die Pilger in jeder Dusche unglaubliche Überschwemmungen verursachen (trotz zuweilen existierenden Duschvorhangs), die auf die Toiletten und in einem Fall sogar auf den Schlafsaal übergriffen. Mich fragte jemand kurz vor Santiago: "Na, wo möchtest du denn einmal gern Freizeithospitalero sein?" Spontan sagte ich: "Nirgends! Ich würde mich doch über die allgemeine Disziplinslosigkeit und Gleichgültigkeit den Einrichtungen gegenüber tot ärgern."

An dieser Misere ist m.E. nach das System der Refugios selbst mit schuld. Gedacht als Unterschlupf für arme Pilger, sind die Refugios so gut wie kostenlos (manchmal 3 EUR, meistens werden nur Spenden erwartet). Das lockt zum einen alle an, denen es nur um einen billigen Urlaub geht. Zum andern gilt etwas nichts, wenn es nichts kostet, und dann wird es auch nicht aufgepasst. Verstärkt wird dieser unselige Hang dadurch, dass einige Refugios praktisch ohne Aufsicht sind, so dass man nicht einmal mehr das Feigenblatt "Pilgerausweis" braucht, um sich dort einzuquartieren. (Der Stempel liegt irgendwo zur Selbstbedienung.) Das hat zur Folge, dass kein Geld da ist, um Refugios zu reparieren oder zu renovieren, und so geht es steil bergab. Das einstmals schöne Refugio von Cebreiro hat jetzt überall Wasserschäden und wird in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbar sein.

Was wäre zu tun? - Alle Refugios sollten von jedem 6 EUR für eine Übernachtung verlangen. Dann bliebe der größte Teil der Schmarotzer weg, und man hätte Geld in der Kasse. Die privaten Refugios machen das auch so und können offenbar damit wirtschaftlich über die Runden kommen. Wer nicht einmal 6 EUR bezahlen kann, der sollte mir erklären, ob er auch im Übrigen unterwegs von Wasser und Steinen lebt. Ganz ohne Geldmittel geht das Pilgern nun mal nicht. Ferner sollten die Refugios Privatquartiere für diejenigen vermitteln, die auf die Schlafsaalatmosphäre gern verzichten und etwas mehr bezahlen wollen (wurde in León schon gemacht). Auch das würde zu einer Entlastung führen. Endlich ist in jedem Refugio eine straffe Kontrolle notwendig. Dass das nicht stören muss, zeigen die guten Beispiele von Frómista, Mansilla de las Mulas und Palas de Rey. (Ich rufe hier also nicht nach "deutscher" Zucht und Ordnung: die spanischen Hospitaleros in den genannten Orten haben das fröhlich, aber kompetent und konsequent gehandhabt; ich habe mich dort wohlgefühlt.)

Es ist völlig überflüssig, neue Refugios zu bauen. Mit den vorgeschlagenen Änderungen käme mindestens so viel Geld in die Region, und die vorhandenen Refugios könnten saniert werden.



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Letzte Änderung: 02.03.2017