Im Jahre 2005 als Pilger auf dem Mozarabischen Weg über Ourense nach Santiago de Compostela


Herkunftspfad: Übersichtsseite meiner Pilgerberichte >> Von Gibraltar nach Santiago (Einleitung) >> Mozarabischer Weg (von Granja de Moreruela nach Santiago)
Autor: Rudolf Fischer
Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer@Esperanto.de

Über den Mozarabischen Weg siehe auch meine neueren Berichte von 2007 und von 2015
Allgemeines: 16 Etappen (ab Riego del Camino), 399 km

22. Mai 2005, Sonntag: Von Riego del Camino nach Tábara, 34 km (652 km)

2. Teil: Von Granja de Moreruela nach Tábara

So liefen wir also in Granja de Moreruela von der N630 an der Kirche vorbei und folgten den gelben Pfeilen. Ein wenig weiter kam die Verzweigung: nach rechts geht es die Via de la Plata weiter in Richtung Astorga, geradeaus beginnt nun der Nordteil des Mozarabischen Wegs in Richtung Ourense. In Richtung Ourense sollte die Bar Peregrino liegen, die wir suchten, hatten uns die Pilgerradfahrer erzählt. Ja, aber dafür darf man die Via de la Plata nicht hier schon hier verlassen, sondern muss erst noch rechts weiter in Richtung Astorga laufen, wo viel später eine weitere Abzweigung nach Ourense folgt. Insofern war die Auskunft der Radfahrer irreführend.

Kürzerer Weg über die Bar Peregrino

Tipp (2015 hinzugefügt): Wer ca. 1,5 km abkürzen und/oder die Bar Peregrino besuchen will, gehe zunächst in Richtung Astorga weiter. Das empfehlenswerte Programm Iberpix zeigt, dass man hinter dem Ort nach Ourense auf eine Piste halblinks (Nordwesten) Richtung Flussbrücke einbiegt, während die Via de la Plata Richtung Benavente/Astorga etwas nach rechts versetzt in der ursprünglichen Richtung (Norden) weiterführt. Auf der Piste nach Nordwesten stößt nach ca. 2,5 km die im Handbuch beschriebene Strecke von links dazu. Eigentlich unverständlich, dass der Mozarabische Weg anders ausgezeichnet ist, zumal man auch noch die Überquerung eines Höhenzugs spart.


Wir wussten von dieser Orientierungsfalle nichts und folgten leider an der ersten Abzweigung schon der Richtung Ourense. Nach wenigen hundert Metern erreichten wir den Ortsrand und schauten blöd umher, keine Bar zu sehen. "Da machen sie extra vor dem Ort dick Reklame", schimpfte ich, "und dann kommt kein einziges Schild mehr. Wenig geschäftstüchtig!" - Obwohl wir alle Kaffeedurst hatten und Hans sogar noch nüchtern war, gingen wir nicht zurück, um zu suchen. Typisch Pilger, der Druck, vorwärts zu kommen, war zu groß. Und über die heutige Etappe hatte es geheißen: "Schwer zu finden und schwer zu laufen". Naja, bislang war der Weg wohl etwas eintönig, aber nicht allzu schwer gewesen, und um die 30 km waren zurzeit jeden Tag angesagt ...

Der Weg führte aus dem Orts heraus in eine Wiesenlandschaft. Nach einiger Zeit ging es halbrechts. (Im Handbuch geht es erst weiter geradeaus, dann rechts und danach erst links auf diese Piste, die man mit dem früheren Abbiegen halbrechts gleich erreichen kann.) Dann lange geradeaus in eine schönere Umgebung mit vielen Büschen und sogar Bäumen. Die nächste Abzweigung nach rechts ist auch kaum zu verfehlen, da gut gekennzeichnet. Es ging nun auch bergauf und bergab, und da wir fast die drei Seiten eines Rechtecks liefen, kann ich mir gut vorstellen, dass man das abkürzen kann. Das Handbuch erwähnt, dass man vor dem Rechtsbogen, mit dem man die Landstraße erreicht, auf eine Piste stößt, die von rechts kommt und der man nach links folgt. Das ist die Abkürzung, die von der Bar Peregrino kommt.

Ein schwieriges, aber wunderschönes Stück

Wir kamen jedenfalls an der ZA-123 raus, hatten von oben aber schon einen verheißungsvollen Blick in ein tolles Tal geworfen, das durch einen Stausee gefüllt war. Endlich mal wieder richtige Natur und sogar Felsklippen. Der Fluss ist der Rio Esla, den ich schon in Mansilla de las Mulas vor León für seine Größe bewundert hatte. Fast andächtig folgten wir der Landstraße und gingen über die Brücke, nicht ohne ausführliche Blicke nach allen Seiten. Am linken Ufer sollte die Ruine der ehemaligen Pilgerbrücke sein. Nun, entweder war der Wasserstand zu hoch, oder man brauchte sehr viel Fantasie. Hans behauptete jedenfalls, vor drei Jahren sei der Brückenkopf noch sichtbar gewesen.

Hinter der Brücke kam eine Verzweigung des Pilgerweges: Radfahrer geradeaus, und wir natürlich nach links am nördlichen Hochufer des Stausees entlang. Das war wohl der angekündigte schwierige Teil. Wir machten erst einmal Pause und genossen den Rundumblick. Später kletterten wir durch den felsigen Hang zum Ufer hinunter. Im Wasser lag der aufgedunsene Kadaver eines großen Tieres, Reh oder Ziege (schluck), das ist eben auch Natur. Der folgende Kilometer war wirklich nicht einfach. Der Fußpfad, manchmal kaum zu erkennen, schlängelt sich mit Verzweigungen mal nahe, mal weiter weg vom Ufer. Dabei muss man einige Wassereinläufe überwinden. Verlaufen kann man sich nicht. Man kommt langsam höher, bleibt aber parallel zum Ufer, bis ein großer, in den Fluss abfallender Felsen einfach dazu zwingt, nun endgültig steil nach oben zu stapfen. Hans führte die ganze Zeit souverän. Damit war schon das Schlimmste geschafft. Für uns kam erschwerend hinzu, dass die Sonne inzwischen ganz schön knallte. Durch Anklicken vergrößern Am Stausee des Rio Esla


Oben folgten wir den Wegezeichen, die im Handbuch beschrieben waren, und fanden auch alles ganz gut. Es kam wieder ein schütterer Eichenwald, und es ging auf Pisten über die Gebiete eines Landguts. Man sah später, dass die Bäume (Esskastanien, wenn ich mich richtig erinnere) systematisch gepflanzt waren. Dann kamen wir aus dem Wald- und Parkgebiet wieder heraus und liefen auf einen Höhenzug mit Windrädern zu. Bevor man ihn erreicht, geht es nach links, und man hat plötzlich von oben einen weiten Ausblick in ein Tal mit Bergen dahinter. Unten liegen zwei Dörfer hintereinander, und wir rieten schon richtig, welche das waren. Wieder saßen auf einmal Schacki und Dakshina in den Büschen am Wege, wir hatten sie ja auch schon vermisst. Danach liefen wir im Eilschritt durch Felder steil bergab bis zum Dorf Faramontanos de Tábara, das wir 13h40 erreichten. Mittagspause in einer Bar vor der Kirche. Meine Notiz "Lebensmittel" bedeutet wohl, dass man sich dort auch verpflegen konnte. Aber dieser kurze Aufenthalt und die letzten Kilometer lassen sich nicht mehr in meinem Gedächtnis aufrufen.

Wo man den Schlüssel bekommt und weitere Informationen

An dem lange schon vorher sichtbaren Kloster vor Tábara geht der Jakobsweg rechts weiter. Wir wollten aber hier ja übernachten, gingen deshalb einen kleinen Linksbogen und erreichten gegen 16h30 die Plaza Mayor, wie üblich der zentrale Platz. Den Schlüssel zur Herberge gab es nicht mehr in dem Tabacos-Laden rechts, sondern in der Bar Scriptorium gegenüber. Freundlich rückt ihn der junge Mann raus, stempelt unsere Ausweise. Ich frage nach Ingrid und Renate ("dos señoras austríacas"), hat er angeblich nicht gesehen. Dann jedoch besteht er darauf, uns einen anderen Weg zur Herberge zu weisen, als im Handbuch angegeben ist. An der Plaza Mayor geht die N631 vorbei, unsere neue "Fernstraßenliebe". Von unserer Ankunftsrichtung her gesehen kommt sie links aus dem Süden; es ist zugleich die Abkürzung, wenn man nicht wie wir über Granja de Moreruela läuft. Links, aber gut 1 km entfernt, liegt auch ein Hostal, in dem man gut essen und unterkommen kann. Der Wirt des "Scriptorium" schickte uns nun rechts die N631 weiter. Bei einem Schild "Rio Frio" biegt man links ab und läuft dann auf ein großes Bauwerk, wohl ein Speicher, zu. Aber noch bevor man ihn erreicht, liegt links, etwas von der Straße ab, die recht neue Herberge, davor ein großer Waschplatz. Später sind wir von der Herberge aus nicht diesen Weg in den Ort zurückgegangen, sondern direkt unterhalb der Herberge auf das Ende einer betonierten breiten Straße zu, über die man (Richtung halblinks) durch den Ortskern zur Plaza Mayor kommen kann. Unterwegs passiert man einige Bares, in denen es zumindest pinchos und tapas gibt. Insgesamt sind es laut Handbuch vom Platz bis zur Herberge ca. 750 m. Das ist kürzer als der Weg, den der Wirt uns gezeigt hatte, aber wesentlich schwerer zu finden, wenn man ankommt.

Die Herberge in Tábara

Doch zurück zur Herberge. Links ein Schlafsaal mit 8 Doppelstockbetten (also 16 Betten), rechts eine große Küche und Aufenthaltsraum, leider zum Teil mit alten Bettgestellen an der Wand nicht sehr einladend. Gute Toiletten und (kleine) Waschräume. 4 Radfahrer sind schon da, haben angeblich auch einen Schlüssel. Später kommen noch zwei, außerdem Schacki und Dakshina. Ich hatte leicht damit gerechnet, hier Ingrid und Renate einzuholen, da das ihrem Etappenplan entsprochen hätte, aber das war wohl nichts.

Abendessen und Knatsch mit Radfahrern

Abendessen in einer der erwähnten Bares, nämlich El Encuentro, Calle Sol. Ich esse u.a. eine Portion "muros" (aus dem Gedächtnis), das sind geschnetzelte Schweineschnäuzchen. Naja, haute mich nicht um, sättigte aber angenehm. Niedrige Preise, reelle Abrechnung, viele Einheimische.

Gegen 22h00 kommen wir schwatzend in den Schlafsaal, da blaffen uns die beiden zuletzt eingetroffenen Radfahrer an, liegen schon im Bett. Einiges später kommen die übrigen vier und bekommen genauso Schelte. Was war mit den beiden los? Später erzählt Schacki: Er und seine Frau hatten sich wie üblich mit zwei Matratzen absentiert, schlugen ihr Lager in dem anderen Raum (Küche/Aufenthaltsraum) auf. Zu ihrem Ärger sahen sie, dass die Radfahrer dort ihre heiligen Räder abgestellt hatten. Das wäre ja noch durchgegangen, aber als die beiden schon in den Federn sind, kurz vor 22h00, kommen die beiden genannten Radfahrer rein, machen Licht und fangen seelenruhig an, an ihren Rädern herumzuschrauben, wie das Radfahrer eben abends machen. Da ist Schacki laut geworden und hat sie rausgeschmissen. Deshalb waren die so stinkig.


23. Mai 2005, Montag: Tábara - Santa Croya de Tera, 24 km (676 km)

Der Pilgerweg ist hinter Tábara nicht verlegt worden

Nachts wurden wir um 4h22 durch einen Alarm geweckt. 6h45 aufgestanden, mäßiges Gedränge an den Einrichtungen, denn die Radfahrer schlafen ja gern länger. 7h40 los; wie gewohnt habe nur ich gefrühstückt, obwohl ich den Kaffee jetzt auch auslasse, weil wir ohnehin als erstes eine Bar aufsuchen wollen. Am Rathausplatz im Ort finden wir auch eine, die geöffnet hat.

Wegen der weiteren Streckenführung waren wir gespannt. Ich hatte die Information bekommen, dass der Pilgerweg verlegt sei, jetzt über Litos und Villanueva de la Peras und nicht mehr über Bercianos de Valverde führe, das ist absoluter Unsinn! Man sollte bei Klagen, dass der neue Weg schlecht ausgezeichnet sei, gleich den Verdacht haben, dass sich der Berichterstatter schlicht verlaufen hat. Aber wo? Wir hatten heute keine Probleme, dem Pilgerweg zu folgen.

Zunächst geht man durch den Ort ein Stück zurück bis zum Kloster, wo der Pilgerweg jetzt links abzweigt. Eine Piste geradeaus, dann links, wobei man eine Landstraße, die ZA-121, überquert. Tábara lag immer noch sehr nahe linker Hand. Das war ein ganz schöner Umweg.


Tipp: Eine mögliche Abkürzung

Man hätte wohl 1 km wie folgt sparen können: Die Straße oberhalb der Herberge bis zur N-631. Dort muss, evtl. gleich gegenüber oder unweit davon, die ZA-121 abzweigen und geradeaus weiterführen. Nach gut 1 km kommt der Pilgerweg von rechts, und man biegt links von der Landstraße ab, um ihm wieder zu folgen. Aber das alles nur, wenn man nicht erst im Ort frühstücken will.

Wie man die Bar in Bercianos de Valverde findet

Jetzt wurde die Landschaft wieder sehr schön. Es ging die gestern schon gesichteten Berge hoch, aber nicht zu steil. Außerdem hatten wir mal wieder bestes Wetter: Sonne mit ein paar Wolken. Dann ließen wir die Hügel hinter uns und kamen in eine sehr flache Gegend, liefen durch Weinkulturen. Der Ort Bercianos de Valverde kam nach 2/3 der Tagesetappe für eine Pause sehr gelegen. Und so findet man die Bar: Wo man im Ort links abbiegen soll und schon den nahen Ortsrand ahnt, geht man statt dessen rechtsab zu einem Haus auf der rechten Seite, bei dem nur ein kleines Schild mit einer Eisreklame anzeigt, dass es sich um eine Bar handelt. Die Tür war verschlossen, aber ein Mann kam uns zu Hilfe und böllerte an ein Tor ein paar Meter weiter. Darauf schloss uns eine alte Frau, die sehr verhärmt aussah, die Tür auf. Schacki und Dakshina hatten wir auch gerade vorher getroffen. So bekamen wir alle unseren Kaffee.

Zur gemütlichsten Herberge des ganzen Weges

Der weitere Weg führte im Zickzack durch Felder, dann über einen Höhenrücken (Steigung machbar) und danach nochmal durch einen Steineichenwald, wenig spektakulär, aber ohne Schwierigkeiten. Schließlich erreichten wir den Ortsrand von Santa Croya de Tera, waren aber noch lange nicht am Ziel. Man folgt der Hauptstraße in einem langgestreckten Rechtsbogen, links taucht der Fluss Tera mit schönen Grünanlagen auf. Man passiert Lebensmittelläden, die man sich schon merken kann. Auf einmal huschte vor uns eine riesengroße grüne Eidechse über die Straße, etwas größer als ein Gecko, fast ein kleiner Waran. Es war eine Perleidechse, stellte ich später zu Hause fest. Diese Tiere sollten wir noch öfter sehen, leider die meisten plattgefahren auf der Straße. Die 800 m durch den Ort kommen einem jedenfalls ganz schön lang vor.

Endlich läuft man genau auf ein zweistöckiges Haus zu, in dem sich die Herberge im Erdgeschoss befindet. Links ist schon der Ortsrand mit einer großen Brücke über den Fluss. Domingo, der Gastgeber dieser viel gelobten Unterkunft, empfing uns herzlich wie alte Bekannte. Es gibt 2 Schlafsäle: einen rechts mit 8 Doppelstockbetten (also 16) und einem sehr guten Badezimmer (2 Duschen, 2 Toiletten), einen weiteren hinten rechts im Hof mit 14 Betten, meist einzelnen, und einem weiteren Badezimmer mit Dusche und Toilette. Bei so viel Platz und Luxus wurden wir wählerisch. Hans verschwand gleich im rechten Schlafsaal, ich wollte lieber ein Einzelbett. Am Ende schliefen Manfred und ich im hinteren Schlafzimmer, Hans, Schacki und Dakshina im vorderen. Weitere Pilger kamen auch gar nicht mehr. Wir waren wohl allen früheren Mitpilgern davongelaufen.

Wein gratis

Der Tag war noch jung. Hinten vor der Küche gab es Pappkanister mit selbst geerntetem Wein, zur kostenlosen Selbstbedienung! Domingo machte es gern vor, nicht ganz zur Freude seiner Frau Anita, nach der die Herberge benannt ist.

Nachmittags hatten wir viel Zeit. Wir Dämel suchten lange nach der Kirche, um die uralte Jakobsskulptur (siehe im Bericht zur nächsten Etappe) zu sehen. Ich hatte völlig vergessen, dass die Beschriftung der Abbildung im Handbuch von 2004 den Fehler enthielt, die Kirche von Santa Croya anstatt die von Santa Marta de Tera zu nennen (im Text stand es richtig; im Handbuch von 2005 ist die Abbildung weggefallen). Na, wenigstens konnte man gut einkaufen. Sonst gab es nichts zu sehen. Um so gemütlicher war es in der Herberge, weil unser Gastgeber Pilgerwegaktivist war und gern mit uns fachsimpelte. Er wusste auch von dem Umweg hinter Tábara; man überlegt, das evtl. anders auszuweisen, vor allem, weil sich das durch die Lage der neuen Herberge in Tábara als sinnvoll ergeben hat.

Begegnung mit Raimund Joos

Gegen 16h00 höre ich noch eine neue Stimme und schaue neugierig, ob ein weiterer Pilger gekommen ist. Ein (aus meiner Sicht) jüngerer Mann, der mich sieht und auf Deutsch sagt: "Das muss der Rudolf sein." Es war Raimund Joos, leibhaftig, den kannte ich aus dem Netz schon gut. Er war mit dem Fahrrad unterwegs, um alle Änderungen für die 2. Auflage des Handbuchs (die Ausgabe 2005, die ich hier jetzt eingearbeitet habe), zu notieren. So eine Freude, ihn hier persönlich kennen zu lernen. Dann hörten wir mit großer Betroffenheit, dass das Pilgergerücht, Michael Kasper sei gestorben, Wahrheit war. Leider musste Raimund schon bald weiterfahren. Ich hätte gern noch mit ihm gefachsimpelt.

Eine Unterkunft wie im Urlaub

Domingo ludt uns vor dem Abendessen in sein Auto und zeigte uns noch seine kleine Bodega. Natürlich gab es da ebenfalls etwas zu verkosten. Unsere Wäsche war bei dem guten Wetter auf den Leinen im Hof schnell trocken geworden. In dieser Unterkunft ließ es sich leben. Für mich die gastlichste und gemütlichste der ganzen Tour, und echte Pilgeratmosphäre wie beim Pfarrer Blas in Fuenterroble de la Tierra. Ich wünsche nur, dass Anita und Domingo das Ganze finanziell halten können. Als Pilger sollte man dazu gern sein Scherflein beitragen. Sorgen macht den beiden eine private Herberge, nur ca. 700 m weiter, die unlängst eröffnet wurde. Da machen sich zwei kleine Nachbargemeinden Konkurrenz, die Pilger abzuwerben. Das Handbuch nennt deshalb wohl solidarisch die Herberge von Santa Marta de Tera eine Art Notunterkunft, obwohl sie nach Pilgerberichten inzwischen wesentlich verbesert sein soll (Liegen und Sitzgruppen). - Ich selbst werde beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder bei Anita und Domingo einkehren.

Die Preise sind wie folgt: 8 EUR für die Unterkunft, 7 EUR für das Menü am Abend, 2 EUR fürs Frühstück (Brot, Butter, Marmelade, Kaffee). 20h45 Abendessen: Spaghetti (hatte ich lang vermisst), Forelle bzw. Gulasch, Salat, Apfelsine/Apfel. In der Nacht schlief ich herrlich und selig wie schon lange nicht mehr. Zu zweit in einem fast leeren Schlafsaal, das war ja wie im Urlaub.


24. Mai 2005, Dienstag: Santa Croya de Tera - Mombuey, 38 km (714 km)

Ein opulentes Frühstück

Toll geschlafen und gut gefrühstückt. Es gibt endlich wieder knuspriges, dunkles Brot, Galicien rückt näher! Da ich nicht so ein Marmeladefreund bin, legte ich mir Käse auf die leckeren Schnitten. Unsere Gastgeber schliefen wohl noch. Das ist ja in privaten Herbergen normal (siehe Calzada de Béjar). Auch hier konnten wir uns den Kaffee nach Belieben in der Mikrowelle heiß machen und Milch aus dem Kühlschrank holen. Sogar Wein, wenn es denn jemanden gelüstet hätte. Aber wir hatten ja eine Hammeretappe vor uns und nahmen das sehr ernst.

Manfred bleibt uns auf den Fersen

Manfred, der sich jeden Tag neu entschließen konnte, ob er mit uns wieder eine Strecke über 30 km "weghauen" oder uns lieber ziehen lassen wollte, war zwar abends zunächst kaputt, aber morgens wieder voller Optimismus. Ihm lag doch sehr daran, mit zwei guten Pilgerkameraden und nicht allein zu laufen. Das konnte ich gut verstehen.

Durch eine Flussebene

7h55 nahmen wir von Schacki und Dakshina Abschied. Evtl. entgültig, denn bis Mombuey war es ihnen heute auf jeden Fall zu weit. Wir schritten über die Brücke des Tera und kamen nach Santa Marta de Tera.


Die berühmte Skulptur (Bild: mit und von Ingrid) Durch Anklicken vergrößern Das Konkurrenzrefugio habe ich nicht gesehen. Aber hinter der Kirche fanden wir die gesuchte Jakobsskulptur, wirklich sehenswert. Dann ging es wieder bei optimalem Wetter (Sonne, etwas Wind und Wolkenstreifen) im Zickzack durch eine grüne Landschaft, später lange in der Nähe des Flusses Tera. Einmal teilte sich die Piste (kein Zeichen), die beiden Stränge liefen aber kurz darauf wieder zusammen. Campingplatz, Brücke, und danach links am Fluss entlang, immer abenteuerlicher durch Wäldchen, über Felder und Bewässerungskanäle. Man muss hier sehr aufpassen; ohne Handbuch hätten wir den Weg nicht gefunden. Dann noch ein Stück Landstraße und von ihr ab, an einem Brunnen vorbei, bis zum Ortsrand von Calzadilla de Tera.


Neues Refugio in Calzadilla de Tera

Gleich an den ersten Häusern aufgepasst: Der Pilgerweg geht geradeaus, links biegt ein Feldweg ab, auf dem man ein auffälliges gelbes Haus 200 m links erreichen kann. Es ist eine ganz neue Herberge mit 6 Betten. Wir konnten nicht hineinschauen, aber davor standen Einheimische, die uns am liebsten gleich dabehalten hätten. So könnte man die große Etappe verkürzen, aber 11,4 km (von der Casa Anita) sind doch arg wenig für eine Tagesetappe.

In der 2. Auflage des Handbuchs wird diese Herberge bereits erwähnt, aber nach der Beschreibung erkenne ich die Lage nicht wieder. Ich werde voraussichtlich im Herbst 2007 Klarheit schaffen, wenn ich dort wieder vorbeikomme.

Von der Herberge aus gingen wir einfach auf die dichte Bebauung des Ortskerns zu und auf gut Glück geradeaus bis zu einer Dreifachverzweigung. Hier gingen wir instinktiv richtig (oder Hans hatte den Weg wiedererkannt), nämlich die mittlere Straße, bis rechts eine Bar auftauchte, kenntlich am Frigo-Schild, mit einem großen Balkon zur Straße. Dieses Haus ließ in Hans einiges an Erinnerungen hochkommen. Hierhin war er vor drei Jahren gebracht worden, nachdem man ihn halbtot auf dem Pilgerweg aufgesammelt hatte. Mein Notizbuch sagt "Essen", also muss was im Angebot sein, aber auch: "Kaffee 1,50 EUR", also unverschämt teuer.

Gleich mehrfach aufpassen hinter Olleros de Tera

Nach einer kurzen Pause gingen wir die Straße weiter, hielten uns rechts, bis wir den Ortsrand und eine Brücke über einen großen Kanal erreichten. Der Pilgerweg geht am jenseitigen Rande dieses Kanals nach links weiter, und man folgt dem Wasserlauf sogar bis zum nächsten Dorf Olleros de Tera. Dieser Ort hat es in sich. Hier verzweigt sich nämlich der Weg, aber Domingo hatte uns ausdrücklich davor gewarnt, den Weg für die Fußpilger zu nehmen, der sei wegen sumpfigem Gelände unpassierbar. Das Handbuch erwähnt nur eine oft überschwemmte Stelle. Aber eben auf jenem Fußweg hatte sich Hans vor drei Jahren verlaufen und war stundenlang in der Hitze umhergeirrt. Die übermannshohen Büsche machen die Orientierung so schwer; das war Hans zum Verhängnis geworden ...

Diesmal gab es deshalb keine Diskussion, wir gingen die Alternative für die viel geschmähten Radfahrer. Am Ortsrand aufpassen: man muss sich links halten, an einem Haus vorbeilaufen, obwohl rechts ein einladendes neues Asphaltstück ist. Weiter rechts sieht man etwas unterhalb die Wallfahrtskirche von Agavanzal, an der der erwähnte Fußweg vorbeiführt. Wir hatten nun die richtige Piste, die immer geradeaus führte, aber schon nach wenigen hundert Metern gab's die nächsten Zweifel. An einem Mast zeigte ein undeutlicher Pfeil nach links auf eine abzweigende Piste. Wir hatten uns schon gerade geteilt und wollten beide Richtungen überprüfen, als weit vorn ein Mann, der am Waldrand arbeitete, uns heftig winkte, dass "geradeaus" richtig sei. Er hatte Recht, kaum 100 m weiter kam der nächste klare gelbe Pfeil; den undeutlichen nach links muss man also ignorieren. Der Mann gab uns den guten Tipp: Immer den Telefonmasten folgen, bis zum Stausee. Das half tatsächlich über manche zweifelhafte Stelle hinweg.

Tipp: Übernachten und zelten am Stausee

Die Landschaft wurde immer schöner, zugleich brannte aber auch die Sonne. Zur Stauseebrücke rechts hinunter, dann überquerten wir sie und gingen am jenseitigen linken Ufer kilometerlang auf einem kleinen Asphaltsträßchen, das sich durch die Gegend schlängelte. Hier hätte man an mehreren flachen und felsigen Stellen wunderbar bleiben und sogar schwimmen können. Warum nicht auch übernachten, denn überall gab es Büsche, die ein kleines Zelt gut verbergen konnten. Mich sollte es nicht wundern, wenn Schacki und seine Frau, die ja ein Zelt dabeihatten, hier geblieben sind. Ich hätte das an ihrer Stelle sicher gemacht.

Eine der schönsten Wegeabschnitte überhaupt

Endlich kamen wir zum Dorf Villar de Farfón. Manfred, der auch einen hohen Wasserverbrauch hatte, fragte ein Hausbesitzerehepaar, die im Garten werkelten. Der Man winkte seiner Frau, Wasser zu holen, sie wollte sich aber nicht scheuchen lassen, und für ihn als Pascha kam es schon gar nicht in Frage. War richtig peinlich. Ich glaube, Manfred hat lieber verzichtet. Etwas weiter flüchteten wir in den Schatten einiger scheinbar verlassener Häuser und erholten uns etwas. Auf einmal schaut gegenüber doch noch ein Mann aus der Tür, wer sich da vor seinem Anwesen herumtreibt.

Hinter diesem Dorf kam nun ein Abschnitt, der für mich der schönste vom ganzen Pilgerweg war. Da hielt nur noch die Bergetappe zwischen Ubrique und Grazalema mit. Eine einmalige Heidelandschaft in Hochlage von etwa 1.000 m, mit eingestreuten Felsen, viele Naturgrundstücke mit Zeilen von Felssteinen eingefasst (siehe das doppelseitige Foto auf der inneren Titelseite im Handbuch). Und keine Menschenseele, kein Haus, keine Hütte. Ich erwartete, jeden Moment einen Hirsch oder einen Wolf aus den Büschen hervortreten zu sehen. Mein Herz sang im Einklang mit der Natur, und ich freute mich, meine beiden Pilgerkameraden hinter mir zu haben. Diesen Weg müsstest du auch einmal mit deiner Frau gehen, dachte ich mehrmals (wurde 2007 Wirklichkeit).

Neues Refugio in Ríonegro del Puente

Bald kam der nächste Ort Ríonegro del Puente "unten", immerhin noch in 800 m Höhe, in Sicht. Wie der Name schon sagt, gab es hier eine große alte Brücke. Oben im Ortskern stießen wir an der Hauptstraße auf ein ehemaliges Pilgerhospital, das gerade sehr aufwändig zu einer Pilgerherberge umgebaut wurde. In ca. 1 Jahr wäre das ein geeignetes Etappenziel.


Die neue Herberge war Juni 2006 in Betrieb. Angeblich 26 Betten. 6 EUR. Schlüssel im Laden an der Landstraße, direkt neben der Herberge. - Wieder eine sehr lange Etappe durch zwei neue Unterkunftsmöglichkeiten entschärft. Die Abstände sind leider nicht sehr glücklich, so dass man die 33 km von Mombuey nach Puebla de Sanabria nicht mit entschärfen kann. Aber wer sich 44 km zutraut, könnte von Ríonegro del Puente aus das nicht sehr erfreuliche Mombuey überschlagen.

Wir machten noch einen kleinen Abstecher nach links zur Bar Central, in der ein gewisser Eusebio sich um Pilger kümmern sollte. Der Wirt tat aber keinen freudigen Aufschrei, als er uns sah, kredenzte uns dann aber einen halben Liter Bier für ganze 1,60 EUR, auch eine Wohltat.

Das Ende trägt die Last

Die letzten 11 Kilometer fielen schwer. Die Landschaft war nun nicht mehr so schön, erst ein Stück, das sich um die Autobahn schlängelte, dann eine sumpfige Hochebene. Manfred fiel immer mehr zurück, aber Hans blieb bei ihm. Wir machten nach 5 km lieber nochmal eine Pause. Endlich kam vor uns unten im Tal Mombuey in Sicht. Wir sammelten unsere letzten Kräfte. Am Ortsrand ging Manfred zu einer Fernfahrerraststätte, um sich Cola zu besorgen, die er dringend benötigte, um Kalorien nachzutanken. Hans und ich liefen schon vor, es waren immer noch gut 1 km bis zum Ortszentrum und zur Herberge.

Orientierungspunkt ist der zentrale Platz mit dem wahnsinnig langen Namen Plazuela de Don Baldomero Gullón López. Etwas weiter rechts ist das Hostal Rapina.


Vorsicht: Pilgerfalle! Man soll sich dort ja den Schlüssel zur Herberge holen, aber wer in der Bar einfach nur sagt, dass er zur Herberge will, den schickt der Wirt (und Bürgermeister) einfach mit seiner Frau die Treppe hoch und vermietet ihm ein Zimmer (allerdings preiswert: 15 EUR für ein Einzelzimmer), tut also so, als ob das Hostal die Herberge sei. So war es Manfred vor zwei Jahren gegangen.

Eine kleine, einfache Herberge

Nun, wir waren gewarnt. Wir schauten also erst einmal nach, ob nicht schon jemand den Schlüssel geholt hatte. Zur Herberge geht es von dem erwähnten Platz aus in Richtung Kirche links ab. Nach knapp 100 m liegt rechts ein einstöckiges, nicht weiter gekennzeichnetes Haus; hinter Haus Nr. 10, mit vergitterten Fenstern. Das ist die Herberge. Ein einziger Raum mit 4 Betten, 3 Matratzen. Ein sehr einfaches Badezimmer, ein weiteres daneben dauerverschlossen.

Wir lernen Engracia und Jean-Pierre kennen

Vor der Tür stieß ich auf eine kleine Frau, die gerade der Lieblingsbeschäftigung der Spanier frönte: rauchen und telefonieren. Drinnen waren einige Betten belegt, aber wohl auch noch etwas frei, aber reichte das für drei? Ich sprach einen Mann auf einem Bett auf Spanisch an, er verstand mich nicht. Später stellte sich heraus, dass es ein niederländischer Radpilger war. Ein weiterer, sehr großer Mann sagte aber sofort, dass die Betten rechts frei seien. Es war der Ehemann der Frau draußen. Soeben hatten wir nämlich das schweizer-spanische Ehepaar Jean-Pierre und Engracia kennen gelernt, aber es dauerte etwas, bis wir gute Freunde wurden. Die beiden hatten bisher in Vier-Sterne-Hotels übernachtet, waren das aber endgültig Leid. Also wollten sie jetzt das richtige Pilgerleben kennen lernen und waren entschlossen in dieses Refugio gezogen. Jean-Pierre erzählte Tage später lachend, dass sie sich an diesem Tage noch nicht getraut hatten zu duschen. Man sah den beiden auch noch sofort die Hotelgäste an: alles an ihnen war sauber und ordentlich, während Hans und ich daneben wie die Strauchdiebe ausschauten, besonders ich mit meinem wilden Bart und der am rechten Knie zerlöcherten Hose. Tatsächlich gab es aber überhaupt keine Probleme zwischen uns.

Jean-Pierre wies also auf die beiden freien Betten rechts. Hm, wo sollte Manfred hin? Aber rechts vorne und links vorne waren ja noch Matratzenstapel. An einem lehnte doch glatt ein Fahrrad. Ich wirkte sicher sehr unhöflich, aber hier ging mir einiges gegen den Strich.

Hans und ich belegten die zwei Betten, sagten den beiden Männern, die untereinander Deutsch sprachen, dass unser dritter Kamerad noch eintreffen würde. Dann kam Manfred tatsächlich, winkte aber gleich ab, da er von sich aus lieber ins Hostal wollte. Nun ja, warum nicht?

Schnellmesse auf spanische Art

Am letzten Samstag gab es in Riego del Camino keine Messe, am Sonntag in Tábara keine Abendmesse. Hier sollte 20h15 eine sein, die Kirche, mit einem bemerkenswerten antiken Turm, war nur 200 m entfernt. Leider wussten die Einwohner mal wieder nicht richtig Bescheid, es fing zu 20h00 an zu läuten. Bevor ich Hans aus der Telefonzelle an der Hauptstraße geholt hatte, war es schon einige Minuten nach 20h00. "Na, die werden wohl schon beim Evangelium sein, wie ich die spanischen Priester mit ihren Schnellmessen kenne", dachte ich. Ganz falsch! Als wir alle drei um 20h08 in der Bank Platz nahmen, waren sie schon bei der Opferung. :-)) Auch der Rest wurde so heruntergerasselt, dass bei mir keine Andacht aufkommen wollte, bei den anderen auch nicht. Diese Messe hätten wir uns schenken können.

Ausklang im Dunkeln

Abendessen in der Bar Rapina: Nudelsuppe, Forelle/Lomo/Churrasco (alternativ), Flan, Kaffee (9 EUR). An der Theke nehmen wir danach noch einen Schlummertrunk. Der Wirt guckt giftig, dass wir nicht in seine Hostal-Falle gegangen sind. Wie viele denn im Refugio seien, will er wissen. Aber eine gute Nachricht: Er hat endlich mal Ingrid und Renate gesehen, sie sind noch einen Tag voraus. Kichernd stolpern wir gegen 23h00 ins Bett. Es ist alles stockfinster, und es gibt keine Decken. Und im Badezimmer kein funktionierendes Licht, merken wir erst jetzt. Wie noch oft, lege ich die Taschenlampe zwischen Hans und mich auf den Boden, dass wir sie beide bei unseren nächtlichen Ausflügen erreichen können. Immerhin war die Dusche warm, denke ich noch, dann wirkt der Schlummertrunk.


Im Handbuch steht auf Seite 187 ein Höhenprofil, auf dem doch glatt der zweite Pass auf der Grenze nach Galicien (hinter Lubián, vor Vilavella) fehlt, und der ist lockere 1.260 m hoch!

25. Mai 2005, Mittwoch: Mombuey - Puebla de Sanabria, 33 km (747 km)

Lange Suche nach einer offenen Bar

Um 6h00 springen Jean-Pierre und Engracia aus den Betten, 6h45 ziehen sie davon, während Hans und ich gemütlich aus dem Bett rollen. Der niederländische Radfahrer schläft sowieso noch. Er hat gestern die Augen aufgerissen, als wir erzählten, dass wir 38 km gelaufen sind. Er schaffe ja mit dem Rad auch nicht viel mehr. 7h50 ziehen wir los, Manfred ist pünktlich aus dem Hostal dazugestoßen.

Heute geht es zum einen in Schlängeln um die Autobahn herum, zum andern durchqueren wir nicht weniger als 9 Dörfer, da bleibt kaum etwas im Gedächtnis haften. Unsere neue "Fernstraßenliebe" heißt N525, und an der geht es zunächst links entlang. Nachdem man in einem Linksschwenk zum ersten Mal die Autobahn überquert hat, kündigt das Handbuch eine Rechtsabzweigung an, die meiner Erinnerung nach nicht gekennzeichnet war; wir gingen einfach die erste Piste scharfrechts. Bald kamen wir in Valdemerilla an, aber hier gab es ja keine Bar. 9h30 rücken wir ins nächste Dorf, Cernadilla, ein.


2007 gab es hier eine kleine Herberge, 2015 leider nicht mehr, aber im nächsten Ort, San Salvador de Palazuelo, unweit der Kirche.
Dort ist eine Bar, aber geschlossen. Hans ist in Verlegenheit, hat ja wie üblich nicht gefrühstückt. Ich suche nach einer Alternative herum. Ein älteres Ehepaar spricht mich an. Ja, die Bar wird erst um 10h00 geöffnet, aber ich könnte Milch bekommen. "Wir sind aber drei" meine ich etwas verlegen. Doch, sie bieten die Milch auch für drei an, und tostadas. Ich laufe zu Hans und Manfred zurück, aber Hans lehnt gleich ab. Also bedanke ich mich bei den freundlichen Alten mit einem bedauernden Schulterzucken.

Ein aussichtsreicher Kirchturm

Vor dem nächsten Ort, San Salvador de Palazuelo, stehen einige Dolmen und auch ein Mast für ein Storchennest, aber leer. Hier oben im Norden haben wir keine Störche mehr gesehen. In den südlicheren Städten, besonders in der Gegend von Cáceres hat es nur noch so von ihnen gewimmelt. Die Santiago-Kirche weist eine Besonderheit auf: Man kann eine abgewetzte Steintreppe außern hochklettern und vom Turm aus schön in alle Richtungen schauen. Das machen wir natürlich, gesundheitlich gut zurecht wie wir sind. Man sieht einen großen Stausee links, es ist wohl noch derselbe wie gestern.

Hilfe, Hirtenhunde!

Hinter Entrepeñas muss es gewesen sein, als wir nahe an einer Schafherde vorbei müssen. Zwei Hirten schauen zu, wie ihre vier großen Hunde sich mit einem Wahnsinnsgebell über die Wiese hinweg auf uns stürzen. Zwei versperren mir den Weg, die beiden anderen versuchen, Hans und Manfred von hinten einzuheizen. Wenn ich jetzt allein gewesen wäre, hätte ich furchtbare Angst gehabt. Hans sagt ruhig: "Einfach weitergehen", und so rücke ich auf die Hunde zu; tatsächlich, sie weichen.

Ein selten mürrischer Wirt

Kurz darauf überqueren wir mal wieder die Autobahn und gelangen bald nach Asturianos. Manfred kündigt lebhaft an, dass es hier eine Bar gibt, mit einem ausnehmend mürrischen und unfreundlichen Wirt. Er hatte sich vor zwei Jahren einen Rüffel zugezogen, als er kein Glas zur Bierflasche haben wollte. Das sei hier keine Spelunke, hatte der Wirt empört gebrummt. - Die Bar liegt an der N525, etwa 150 m rechts. Wir lassen lieber die Rucksäcke draußen. Da schaut der Wirt schon raus; Junge, der guckt wirklich mürrisch. Immerhin kann Hans jetzt frühstücken und langt auch tapfer zu. Auch Manfred und ich verzehren einiges, aber der Wirt lässt uns merken, dass er lieber vornehme Touristenkundschaft hat und dass es eine Zumutung für ihn ist, seine gastronomischen Fähigkeiten hier an hergelaufene Pilger verschwenden zu müssen. Seine Frau versucht ein wenig Freundlichkeit rüberzubringen. Als er einige Minuten verschwunden ist, will sie für uns ein Bier zapfen, wird aber böse von ihm verscheucht. Also, so einen miesen Spanier habe ich selten gesehen. Manfred lacht sich kaputt, dass seine Voraussage so präzise eingetroffen ist.

Eine schwer zu findende Abzweigung

Hinter Asturianos geht man etwas auf der N525, bis eine Landstraße halbrechts abzweigt. Von dieser soll man einen "breiten Weg" nach 300 m halblinks abgehen. Das haben wir erst nicht gefunden, da es keine Kennzeichnung gab. An der nächsten Kurve der Landstraße kehrten wir um, bis wir auf gut Glück einen Abzweig versuchten. Das stellte sich als richtig heraus. Es ging einen Weg hinunter in ein weites Wald- und Buschgelände. Man muss hier gut aufpassen, da die Auszeichnung nicht besonders ist, aber die Beschreibung des Handbuchs hilft sehr. Teils ist der Weg sumpfig. Mein Notizbuch vermerkt, dass wir 4 km später endlich mal einen Pirol sehen. Er saß in einem isolierten Baum und konnte nicht vermeiden, beim Wegfliegen gesehen zu werden, anstatt wie üblich durch die Büsche zu huschen.

Unterkunftsmöglichkeit in Palacios de Sanabria

Es ist heute brüllheiß, und wir steuern jede Bar an, die wir antreffen, haben ja auch Zeit genug. Von der Kirche in Palacios de Sanabria machen wir einen Abstecher zur N525 hinunter, wo wir gegen 14h00 nochmal Pause machen.
Unterkunftsmöglichkeit! Dazu schreibt Pilgerfreund U.V. von Juni 2006: "Dort Übernachtung ganz allein in einer privaten Herberge. Die Frau kocht extra für mich. Die private Herberge ist schräg vis à vis des Schulhauses, neben einer neuen Villa. Nicht angeschrieben! Besitzerin sehr nett."

Danach gibt's bis zum Ziel nichts mehr zu trinken. Von dem folgenden Abschnitt habe ich noch eine Brücke mit darauf folgender alter Pflasterung in Erinnerung, aber nicht das Dorf Remesal de Sanabria. Hier vermerkt das Handbuch irreführende Pfeile auf der Straße ins Zentrum. Etwas weiter ein schöner Eichenwald, bis man die Autobahn erreicht.

Neue Streckenführung vor Otero de Sanabria

Vor Otero de Sanabria muss man wieder sehr aufpassen. Hier gibt es eine neue Streckenführung, die Otero links liegen lässt; sie ist im Handbuch inzwischen korrekt beschrieben. Nachdem man nämlich die Autobahn ein weiteres Mal überquert hat, geht es nach 100 m scharf rechts auf eine Piste, die in ihrem Verlauf links an der Autobahn entlangführt. Man überwindet etwas mühsam (steile Böschungen!) den ersten Zubringer und bleibt in Richtung "geradeaus", beim zweiten geht man aber links in Richtung Otero, bis man eine Landstraße erreicht.
Das Handbuch enthält noch den Hinweis auf das Höllenrelief an der Kirche von Otero de Sanabria. Keine Angst, dorthin kommt man gar nicht mehr. Nach Otero, meine ich ;-)

Ein nerviger Umweg

Dort geht es rechts weiter, von links kommt die alte Richtung von Otero her hinzu. Man läuft nun stur auf dieser Landstraße weiter, muss alle Abzweigungen ignorieren (einmal ein durchgestrichener Pfeil), sieht bald das Ziel Puebla de Sanabria geradeaus vor sich und kann es deshalb nicht fassen, dass man noch einen kilometerlangen riesigen Linksbogen laufen muss, steil runter, unter der Autobahn her, und dann wieder steil hoch zum Ort Triufé. Warum einem das nicht erspart bleibt und warum es keinen Pfad links der Autobahn durch das niedrige Strauchwerk über die Höhen gibt, weiß der liebe Himmel. Wegen Manfred, der ziemlich fertig ist, machen wir noch eine Trinkpause unter der Autobahnbrücke.

Triufé überrascht einen am Ende mit einem großen Ortsteil, in dem alles außer der Kirche in Ruinen da liegt. Kurz darauf kann man wieder nach links über die Autobahn und endgültig auf Puebla de Sanabria zulaufen.

Endspurt auf der Treppe

Aber man ist noch längst nicht da. Auf der N525 nähert man sich dem Ort nur langsam, dann kommt der Abzweig, viel befahren und nicht ungefährlich. Rechts oben liegt die Altstadt, scheinbar sehr nah, und das täuscht fürchterlich, denn man muss noch einen großen Rechtsbogen laufen, um zu verstehen, dass man links von einem Höhenrücken war, hinter dem einen noch der Fluss von der Altstadt trennt. Dann aber geht man über die Brücke, und vor einem erhebt sich die Altstadt auf einem Bergkegel, schwindelerregend hoch und steil. Aber eine Treppe führt im Zickzack hoch.

Hans und Manfred streikten und gingen in einem Linksbogen den Berg an, ich stapfte 17h05 munter die 228 Stufen hoch, hatte einen schönen Blick zurück, und fühlte mich super. Die folgenden Verwirrungen, um das Notlager im Rathaus zu finden, kürze ich ab.


Das Notlager im Rathaus ist inzwischen geschlossen. Neuste Meldungen (Juni 2006) empfehlen als Unterkunft das im Handbuch erwähnte ehemalige Internat Colegio Amor de Dios. Tel. 980 620 016. Am besten immer im Touristenbüro am Rathaus fragen.

Das Mini-Refugio im Rathaus

Die Unterkunft ist im ersten Zimmer links, wenn man das Rathaus betritt. Es war sogar unverschlossen. 2 Doppelstockbetten (also 4 Betten), dazu einige Schaumstoffmatratzen. Dusche (warm) und Toilette waren in Ordnung, man muss nur den Boiler einschalten. Das Deckenlicht war defekt, aber die Lampe am Spiegel ließ sich einschalten. Im Schlafraum lagen schon zwei Rucksäcke auf dem Boden. Den Schlüssel gibt es eigentlich im Oficina de Turismo zwei Häuser die Straße hinunter, aber das war zunächst geschlossen. Wir lernten nun die zwei anderen Pilger kennen, ein jüngeres belgisches Ehepaar, das hier erst den Pilgerweg begann. Sie waren ganz nett, belegten ein Doppelstockbett und überließen Hans und mir das andere. Manfred war mit zwei Schaumstoffmatratzen zufrieden, wären weicher gewesen als eine Matratze, sagte er nachher. Endlich kam eine junge Dame vom Oficina de Turismo, die uns einwies und uns dann mitnahm, um unsere Ausweise zu stempeln. Offen blieb, warum wir keinen Schlüssel bekamen, obwohl wir die große Rathaustür schließen sollten. Wir ließen sie heimlich doch offen, damit man abends, wenn jemand zurückkam, überhaupt das Gebäude betreten konnte.

Abendessen und Alternativen zum Übernachten

In der Unterstadt kaufte ich u.a. ein neues Notizbuch, weil das erste so gut wie voll war. Abendessen im Hostal Carlos V, wo auch Jean-Pierre und Engracia untergekommen waren. Hähnchenbrust 6 EUR, 1/2 Liter Bier 2,50 EUR, reiche Auswahl. Leider liegt das Carlos V reichlich weit vom Rathaus entfernt (in der Unterstadt einfach die Hauptstraße rechts). Ein Pilger schreibt: Doppelzimmer 25 EUR, das ist ja human.

Schacki und Dakshina haben in einem "Nonnenkloster", beim Rathaus "gleich um die Ecke" (ich habe es nicht bewusst gesehen) übernachtet. Dort kommt man für 6 EUR unter; alle äußerten sich zufrieden. Einige hatten im Nonnenkloster Schwierigkeiten, weil der Schlafsaal gerade gestrichen wurde; so "die drei Musketiere", die vor uns da waren. Merkwürdigerweise findet sich von diesem "Nonnenkloster" (so sagen alle Pilger) nichts im Handbuch. Ist es etwa mit dem Colegio Amor de Dios identisch? Das scheint noch die einleuchtendste Lösung des Rätsels zu sein. (Es stimmte. 2007 haben wir dort übernachtet.)

26. Mai 2005, Donnerstag: Puebla de Sanabria - Lubián, 31 km (778 km)

Wieder eine Doppeletappe

Heute hatten wir wieder eine Doppeletappe auf dem Plan, weil wir keine Lust hatten, schon nach 12 km in der Herberge von Requejo zu bleiben. Damit waren wir dann 4 Tage unserem Plan voraus. Danach sollte es aber auch gut sein. Auf dem Rest bis Santiago konnte es wieder etwas geruhsamer zugehen. Dort lagen die Herbergen auch in günstigeren Entfernungen als auf den letzten 200 km. Ich war gespannt, ob wir heute Ingrid und Renate einholen würden. Ja, wenn sie in Requejo übernachtet hatten, dann konnte das klappen.

Der Linksschwenker am Fluss Castro entlang

7h50 verließen wir das Rathaus, nachdem ich gut gefrühstückt hatte. Man steigt zunächst sehr steil den Bergkegel hinunter und läuft dann einen großen Linksbogen. Von links kommen auch Straßen aus der Unterstadt dazu, da kann man vom Hostal Carlos V sicher abkürzen. Ein-zwei Kilometer weiter hat man die N525 wieder erreicht. Nach links geht es ca. 3 km auf ihr weiter. Weit vorn sahen wir andere Pilger, entweder die Belgier oder Jean-Pierre und Engracia. An der Abzweigung muss man sich entscheiden: Halblinks auf die Piste oder stur die N525 weiter. Manfred, der seinen rechten Fuß schonen wollte, blieb auf der Fernstraße. Hans und ich probierten die Alternative. Naja, schön grün ist der Weg ja, entweder Wiese oder links Flussaue, für eine längere Rast wie geschaffen: flaches Wasser perlt über Kieselsteine, überall Büsche und Bäume, zwischend denen man ungestört Siesta machen könnte. Aber um das alles zu erreichen, stolpert man doch ganz schön herum und sucht die Pfade, die es weitergehen soll. Von einem Weg kann nicht die Rede sein.

Ein Refugio für Angler

Etwa auf halber Strecke erreicht man fast wieder die N525. Den Rest kann man sich schenken, wenn man nicht sogar übernachten will. Denn man kann sofort links durch eine betonierte Furt auf einem breiten Weg zu einer Hütte gehen, die mit Refugio de Pescadores beschriftet war, also eine Notunterkunft für Angler. Sie war leer und relativ sauber. Man hätte wenigstens ein Dach über dem Kopf, müsste natürlich auf dem Boden schlafen und hätte selbstredend kein Wasser usw. Im Sommer mag hier auch viel los sein, jetzt trafen wir keinen Menschen. Den übrigen Abschnitt geht die Strecke rechts am Fluss entlang, durch eine saftig-grüne Parklandschaft, wie wir sie aus dem Münsterland kennen. Am Ende gingen wir etwas querbeet, da wir den richtigen Pfad laut Handbuch nicht mehr fanden, und schlugen uns zur N525 durch. Manfred stand weit sichtbar längst am vereinbarten Treffpunkt, der endgültigen Abzweigung von der Fernstraße nach rechts, kurz hinter dem Schild mit Kilometer 91. Er hatte einige hundert Meter weniger zu laufen gehabt und natürlich viel bequemer als wir.

Ein schöner Hohlweg

Man biegt nun wie gesagt von der N525 rechts ab und läuft dann ein landschaftlich sehr schönes Stück bis Requejo. Aber eigentlich ist das eine Illusion. Denn man hält sich nur in einem schmalen Korridor zwischen Fernstraße links und Autobahn rechts auf. In dem Dörfchen Terroso winkte uns jemand, vielleicht war da eine Bar. Aber wir bogen rechts ab und überquerten die Autobahn. Jetzt geht es durch dichten Wald, und man muss sehr aufpassen, die Abzweigungen zu finden. Man bleibt aber in der Nähe der Autobahn. Ganz plötzlich findet man sich in einem sagenhaft schönen Hohlweg, der der Rest einer alten Straße sein muss. Das kann man richtig genießen, bevor es wieder nach links über die Autobahn zurückgeht.

Bar und Refugio in Requejo

Wir blieben einen Moment hinter der Autobahnbrücke stehen, und ich las aus dem Handbuch vor, dass wir 600 m vom zentralen Platz des Teiletappenzieles Requejo entfernt waren. Das war kaum zu glauben, denn vor uns war links und rechts nur grüne Natur. Es stimmte aber natürlich, denn kaum hatten wir uns nach rechts gewandt, kam der versteckte Ort, der ziemlich tief liegt, gleich vor uns in Sicht. In Requejo wollten wir unsere übliche Pause zum zweiten Frühstück machen. 12 km waren bewältigt, 19 km noch vor uns.

Zunächst also gegenüber dem Rathaus in eine Bar, wo uns die Wirtin freundlich empfing. Sie war offensichtlich ganz auf Pilger eingestellt und pries ihre Bocadillos an. Bei ihr bekommt man auch den Schlüssel zum Refugio.


Ingrid schreibt zu der Herberge aus eigenem Erleben:
"Die Herberge in Requejo ist total heruntergekommen, die Türe ließ sich nicht schließen, die Dusche ist eine Zumutung: beim Duschen rinnt das Wasser nicht ab. Die Liegen sind so derangiert, dass man beim Daraufsetzen schon auf den Eisenfedern sitzt, es ist keine Polsterung über dem Eisengestell. Gegenüber ist ein Hotel, das verlangt für ein Doppelzimmer 25 EUR, sauber mit großer Badewanne."
Nun, wir wollten ja nicht ins Refugio, sondern stärkten uns nur in der Bar. Hans langte wie immer ordentlich zu, und ich ließ mir den Kaffee schmecken. Ich fragte die Wirtin natürlich nach den "zwei Frauen", aber sie hatte sie nicht gesehen. Schade, damit wurde es wohl nichts damit, sie heute einzuholen. Hatten sie auch eine Doppeletappe gemacht?

Vorübergehende Trennung

Hans schwelgte in Erinnerungen. In diesem Ort hatte er mehrere Tage in einem Hostal oben an der Fernstraße gelegen, weil er vor Schmerzen nicht mehr weiterlaufen konnte. Er hatte damals sein Zelt und einiges andere nach Hause geschickt. Nun brannte er darauf, diesen historischen Ort wiederzusehen, um das damalige Erlebnis zu bewältigen. Das hieß aber, zunächst 5,5 km die Fernstraße zu laufen, wozu ich keinen Drang verspürte. Alternativ gibt es den ausgewiesenen Weg, der auch nur 1,3 km länger ist. Den traute ich mir schon zu. Wir verabredeten daher Folgendes: Da Manfred wieder seine Füße schonen wollte, ging er mit Hans die Fernstraße. Ich wollte allein den Talweg gehen. Oben an den Gebäuden des Steinbruchs, am Rand der alten Fernstraße, wollten wir uns nach 5,5 km bzw. 6,8 km wieder treffen.

Die Fußgängerstrecke

Inzwischen waren Jean-Pierre und Engracia eingetroffen und machten ebenfalls Pause. Ich winkte ihnen zu und lief schon mal los. Die ersten zwei Kilometer ließen sich gut an. Über breite Pisten lief ich durch eine herrliche Landschaft, zunächst bergab bis zu einer Brücke, dann bergauf. Im meinem Handbuch von 2004 stand: "Dann geht es aber wieder auf dem angenehmen Pfad durch den Wald allmählich bergauf immer geradeaus." Wohl las man im Satz davor was von 100 m, "die bei Regen zum Sturzbach werden können". Sonst keine Warnung, auf was ich mich da einlassen würde. Das Handbuch von 2005 ist da viel deutlicher und kündigt überschwemmte Stellen und Kletterei über die Böschung an. Nun ja, hätte ich das gelesen, wäre ich vielleicht nicht allein losgezogen. Aber warum kam ich nicht auf die Idee, mich einfach Jean-Pierre und Engracia anzuschließen?

Anstrengend, schwierig und unsicher

Und so habe ich die folgende Strecke bis zum Steinbruch erfahren: Der Weg wurde immer unebener und matschiger, später auch schmaler. An mehreren Stellen war er gar nicht mehr passierbar, da führten Trampelwege zum Ausweichen durchs Gebüsch. Ich hatte immer etwas Angst, mich zu verlaufen. Der Weg geriet ja mehrfach außer Sicht: Gehörte die Böschung, die ich jetzt in einen Hohlweg hinunterkletterte, tatsächlich zu demselben Weg oder zu einem Seitenpfad, der mich in die Irre führen würde? Zudem ging es immer steiler bergauf. Ich verstand: Ich lief ein Tal hinauf, das oben am Pass endete. Mein Weg war wahrscheinlich die uralte Strecke, bevor die Fernstraße gebaut wurde. Aber mit Fahrzeugen kam man hier nicht mehr durch, dafür reichte die Breite nicht. Der Bach, der oben vom Pass kam und immer wieder den Weg und seine Umgebung unter Wasser setzte, blieb einem treu. Auch bot er manch lauschiges Wiesenplätzchen an seinem Rand, einmal zeigt ein gelber Pfeil nach links auf so einen guten Rastplatz (nicht als Wegekennzeichen missdeuten!).

Die Zeit verstrich. Ich strengte meine Kräfte an und lief, hüpfte, kletterte, stapfte. Wenn ich hier mit einem verstauchten Fuß liegen bleiben würde, fände mich keiner. (Ich wusste nicht, dass Jean-Pierre und Engracia denselben Weg gewählt hatten und hinter mir waren. Sie liefen nämlich inzwischen auch zu großer Form auf.) Nach einer Ewigkeit, so schien es mir, kamen vor mir das Talende und die angekündigte Eisenbahntrasse in Sicht. Hier musste ich scharfrechts steil hoch, und dann in einem riesigen Linksbogen um die Höhe, bis nach einiger Zeit die Steinbruchsgebäude vor mir auftauchten. Ich war mächtig erleichtert. Nie mehr allein durch die schöne wilde Natur, schwor ich mir. Diesen Schwur musste ich noch am selben Tag brechen.

Vergebliches Warten

Es war gegen 12h45. Die anderen mussten längst hier sein, waren aber nicht zu sehen. Ich lief zur Vorsicht etwa 500 m ein gerades Stück der alten Fernstraße entlang (oben verlief die neue N525), aber niemand zu sehen. Mir schwante langsam Übles. Waren die etwa einfach ohne mich ... ? Das konnte ja wohl nicht sein, wir waren doch klar hier verabredet. Manfred hatte doch auch das Handbuch mit, sie konnten sich doch nicht verlaufen haben. Keine Zettel, wie Pilger sie anderen hinterlassen, keine Zeichen auf der Straße. Ich suchte mir in der glühenden Sonne ein Schattenplätzchen bei einem nach Teer stinkenden Unterstand und fasste mich in Geduld und wartete und wartete ...

13h45 kommen Jean-Pierre und Engracia. Sie sind ziemlich erschöpft, kein Wunder, bei dem Aufstieg auf dem Weg, den ich gekommen bin. Sie machen Pause und erzählen, dass Hans und Manfred längst hier durchgekommen sein müssten, sie hätten sie pünktlich aufbrechen sehen. Na toll! Ich erzähle, dass ich Angst vor Hunden habe und immerhin noch zwei Dörfer vor dem heutigen Ziel zu durchqueren seien. Sie bieten mir an, mit ihnen zu gehen, aber erstens wollen sie über die alte Passstraße (das sind mehr als 3 km Umweg laut Handbuch von 2004, die im Handbuch von 2005 auf 1 km wundersam geschrumpft sind), und zweitens wollen sie nicht bis Lubián. Ich warte noch bis 14h00, dann reicht´s, ich werde jetzt abrücken. Ich will die Abkürzung durch den Tunnel nehmen, entgegen der "Pilgerehre", wie Raimund Joos meint. Naja, vielleicht nehme ich beim nächsten Mal (das könnte schon 2007 sein) die Passstraße und stelle damit meine Ehre wieder her ... :-) Immerhin gibt es im Handbuch von 2005 auch die entsprechende Wegebeschreibung, die bislang fehlte (ein weiterer Grund, warum ich die Abkürzung ging).

Der unbekümmerte Landschaftsverbrauch in Spanien

Mit einem mulmigen Gefühl, nun ganz auf mich allein gestellt, ziehe ich los, lege die Handbuchkopie nicht aus der Hand, schaue dauernd prüfend umher, um den Weg zu finden. An der im Handbuch erwähnten Stelle verlasse ich die alte Passstraße und klettere zur (neuen) N525 hoch und erreiche die Brücke, die als gefährlich beschrieben wird. Naja, ein Teil des Geländers ist verrostet und ein-zwei Abschnitte liegen schon unten im Abgrund, wo der Bach hinabrauscht.


Am Padornelo-Pass
(Bild: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern An diesem Tag erreichte man mit dem Padornelo-Pass (1.250 m) einen der höchsten Punkte zwischen Sevilla und Santiago de Compostela, nur der folgende Pass von A Canda, die Grenze nach Galicien, ist mit 1.260 m noch geringfügig höher.


Die Spanier haben sich hier ein Paradebeispiel von Landschaftsverschwendung geleistet: Es ist gibt die alte Passstraße (die alte N525) ohne Tunnel, die neue Fernstraße (die neue N525) mit Tunnel und die ganz neue Autobahn mit Tunnel, alles nebeneinander, nichts wurde wiederverwendet oder zurückgebaut. Da die "neue" N525 kaum mehr befahren ist, bleibt sie genauso liegen wie die alte Straße; es wird anscheinend nichts mehr repariert, siehe die Brücke. Noch kann man ohne Gefahr durch den älteren Tunnel gehen. Es gibt einen Bürgersteig, von dem man aber durch tropfendes Wasser auf die Fahrbahn gescheucht wird. Sind das die ersten Zerfallserscheinungen? Wann wird dieser Tunnel gesperrt werden müssen? Einige Pilger warnen vor diesem Tunnel. Nun, man sollte sich nicht weit vom Rand des schmalen Gehwegs entfernen, denn es könnte theoretisch ein Fahrzeug auftauchen.

Ich selbst sah allerdings bis hinter dem Pass nur ein einsames Straßenwachtfahrzeug, sonst keinerlei Verkehr. Nun hatte ich den Pass hinter mir. Überall Straßen und Fahrbahnen, die sich verwirrend kreuzten. Ich folge dem Handbuch und den gelben Pfeilen. Auf einmal kommen Jean-Pierre und Engracia wieder daher; wegen ihrer längeren Strecke habe ich sie eingeholt. Ich überhole sie, kehre dann im nächsten Ort Padornelo in eine Bar ein. Hunde gibt es hier nicht, die Bar liegt an einer breiten Straße (wohl die alte N525). Auch hier weiß man nichts von Ingrid und Renate; die Wirtin sagt aber auch, dass sie oft nicht anwesend war. Als Jean-Pierre und Engracia eintreffen, ziehe ich weiter. Die beiden wollen hier im Ort übernachten.

Der skandalöse Wegabschnitt vor Aciberos

Bald war ich bei der Abzweigung der kleinen Landstraße nach Lubián, der man ein Stück folgen muss. Es geht bergauf, und man sieht links klar die dunklen Dächer zweier Dörfer auf dem dicht bewaldeten Steilhang hervorragen: Aciberos und dahinter Lubián. Das Handbuch preist die folgenden Wege als die schönsten des ganzen Weges und dankt der Gemeinde Lubián, dass sie die Wege freigelegt hat und betreut. Pilgerfreund Hanns H. lässt in seinem Bericht von 2005 seinen Gefühlen freien Lauf, was den folgenden Abschnitt betrifft, und den Teil hinter Lubián kann man in die Kritik gleich mit einbeziehen.

Man zweigt von der Landstraße scharflinks ab und kommt danach scharfrechts auf eine Piste.


Nach 400 m soll man halblinks abbiegen, wobei das Handbuch selbst vor einem Abschnitt warnt, der "meist aber eher ein Bach zu sein scheint". Diese Abzweigung sollte man sich verkneifen, aber ich weiß natürlich nicht, ob die Piste weiter geradeaus auch nach Aciberos führt. Wer im Zweifel ist, bleibe auf der Landstraße. Auch von ihr müsste ja irgendwann links ein Abzweig nach Aciberos sein, von wo man den Pilgerweg dann wieder aufnehmen kann.

Da hilft nur noch "Sankt Christophorus"

Ich selbst dachte, dass ich das nächste Stück auch wohl ohne allzu große Mühe schaffen würde. Schließlich hatte ich auch an diesem Tag schon manche sumpfige Stelle überwunden. Damit lag ich falsch. Auf dem folgenden Wegeabschnitt war trockenen Fußes kein Durchkommen. Hans behauptet zwar, sich mit seinen Bergschuhen heil hindurchgerettet zu haben, aber meine Halbschuhe hatten keine Chance. In dieser Not wandte ich endlich die Methode an, die ich schon lange für so eine Situation geplant hatte: Schuhe und Strümpfe aus (Gottseilob gab es eine Mauer, auf die ich mich setzen konnte) und meine Plastiksandalen angezogen, ganz fest bis zum Anschlag der Riemen um die Füße geschnürt. Dann ging es in das mehr als knöcheltiefe Wasser. Schuhe und Strümpfe am Rucksack, watete ich wie Sankt Christophorus durch die schlammigen Fluten, und war stolz, dass das wunderbar klappte und die Sandalen sich zum ersten Mal wie vorausgesehen bewährten. Ein Ausweichen auf Flächen jenseits der Wegemauer war übrigens nicht möglich, entweder auch sumpfig oder sonst kein Durchkommen. Wohl dem, der in einer solchen Situation einen kräftigen Pilgerstock dabei hat!

Unsicherheiten in und hinter Aciberos

Einige hundert Meter weiter erreichte ich den Ortsrand. Das Sträßchen von rechts konnte von der Landstraße herunterkommen. Wieder eine bequeme Mauer, auf der ich mich niederlassen konnte. Entferntes Blaffen, aber kein Hund erschien. Es gelang mir ohne Schwierigkeiten, Schuhe und Strümpfe wieder anzuziehen und nun die Sandalen zum Trocknen an den Rucksack zu hängen. Dann schritt ich mit neuem Mut dem Ortskern entgegen.

Ungenauigkeit im Handbuch: Ich wusste nicht, was mit dem "kleinen Platz" gemeint war. Der hinter der Kirche mit dem einzelnen Baum? Unsicher ging ich nach rechts durch den Ort, was im Handbuch als "geradeaus" bezeichnet wird. Dann kommt erst der kleine Platz. Keinerlei Pfeile die ganze Zeit! Immer noch auf gut Glück ging ich halblinks aus dem Ort und kam an eine kleine Betonbrücke. War das schon die Brücke über den Bach Pedro? Wieder Unsicherheit. In einem großen Rechtsbogen weiter. Bin ich nicht schon längst 800 m gelaufen? Wo ist die Brücke? Habe ich die Abzweigung verpasst?

Das waren die Unsicherheiten auf dem Rest des Weges bis Lubián. Denn die Wege sind tatsächlich wunderschön, im Zickzack den Steilhang des Tales hinauf und hinunter, aber man muss doch sehr, sehr aufpassen, die spärlichen Pfeile zu finden. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich an eine wirklich alte Brücke kam, die offenbar die angekündigte war. Dahinter hatte ich keine wesentlichen Schwierigkeiten mehr. Bald kletterte ich den letzten steilen Wegabschnitt nach Lubián hoch, oben grüßte schon die neue Herberge.

Doch Ingrid und Renate eingeholt

Als ich um die Ecke biege, kommt mir eine Frau entgegen und sagt: "Du bist der Rudolf, stimmt's?" Ich schalte gleich: "Ingrid, bist du's?" Ich kenne sie ja nur aus dem Netz. Haben wir Renate und sie doch eingeholt, wie ich es gehofft hatte. Meine Kalkulation stimmte genau: Sie waren ja 1 Tag vor uns gewesen, hatten diesen Vorsprung verloren, weil sie in Requejo übernachtet hatten. Da kam Freude auf.

Jetzt kommen tolle Herbergen

Die Herberge von Lubián ist die erste von einer ganzen Kette neuer und sehr guter Unterkünfte bis Santiago, mit den Notquartieren ist es vorbei, jetzt kommt der Luxus. Renate und Ingrid hatten wie ich angedacht, zu fünft gemeinsam bis Ourense zu gehen, das sind etwa sechs Etappen, wobei es noch offen war, ob man in Campobecerros unterkommen konnte. Das ging aber, wie sich später herausstellte. Wir konnten nun auch klären, warum die Wirtin in Requejo nichts von den beiden señoras gesehen hatte: Ingrid war im Hostal abgestiegen, weil ihr die Herberge zu dreckig war. Renate hatte alles geputzt und allein im Refugio übernachtet. Daher hatte die Wirtin die beiden wohl nicht als zusammengehörig erkannt. Im Nachhinein war ich also ganz froh, dass uns die Herberge in Requejo erspart geblieben war.

Die Herberge von Lubián

Die Herberge in Lubián hat 4 Doppelstockbetten (8 Betten) im Obergeschoss, unten im Aufenthaltsraum, mit Kochecke, ist aber noch Platz auf dem Fußboden. Sonst alle Einrichtungen bestens und in Ordnung. Hans und Manfred sagten nur kurz, dass sie an den Steinbruchsgebäuden nicht auf mich gewartet hätten. Hatte ich bemerkt. Von den beiden Frauen bekam ich noch ein Abendessen, da sie zu viel gekocht hatten. Hans und Manfred gingen ins Dorf hoch, wo das Zentrum aber erst nach gut 500 m kommt. Dort kann man auch einkaufen. Auf halbem Wege liegt das Haus der Betreuer. Wir ließen dort die Pässe stempeln und bezahlten 3 EUR für die Übernachtung. An der Casa de Irene, nur ca. 150 m von der Herberge die Dorfstraße hoch, tat sich nicht viel. Ich sah dort später junge Leute herumlaufen, aber niemand schien an uns Pilgern interessiert zu sein. (Juni 2006: Pilger beschweren sich über zu teures Essen.) Na, wir hatten ja auch alles; Bier hatte ich mir besorgt und mit den Frauen geteilt.

Der Tag fand so seinen geruhsamen Abschluss. Es gab viel zu erzählen, aber wie immer lagen wir trotzdem alle pünktlich in den Federn. Es kam auch kein weiterer Pilger zu uns Fünfen hinzu. Im Nachhinein war ich ganz zufrieden, die Schwierigkeiten heute allein gemeistert zu haben. In den letzten 7 Tagen hatten wir 226 km zurückgelegt; von so einer Leistung hatte ich zu Hause nicht zu träumen gewagt. Meine Frau hatte am Telefon schon vorausgesagt, wofür wir die vier gewonnenen Tage ausgeben würden, nämlich um noch nach Finisterre zu laufen. Da war ich mir auch jetzt schon fast sicher. Aber jetzt kamen erst einmal ein paar ruhigere Tage, in froher Erwartung schlief ich ein.


27. Mai 2005, Freitag: Lubián - A Gudiña, 25 km (803 km)

Das Luxusleben beginnt

6h57 ziehe ich mit Ingrid und Renate los. Hans und Manfred wollten etwas später nachkommen. Wir waren jetzt eine lockere Fünfergruppe, wie das unter Pilgern, die parallel laufen, ja oft vorkommt. Die nächsten Tage waren schon fast gemütlich und das bei atemberaubend schöner Natur, das konnte man schon genießen. Und jeden Abend eine Luxusherberge, wie gesagt, fast schon kein echtes Pilgerleben mehr.


Vorsicht: schlimme Falle am Santuario La Tuiza

Aber zu Beginn diesen Tages kam ein Paukenschlag, was die Wegstrecke anging, denn wir liefen zu dritt in die schönste Wegefalle der ganzen Tour. Bis zum Heiligtum La Tuiza war alles noch kein Problem, aber dann aufgepasst:

Direkt hinter dieser Kirche zweigt ein Weg nach links ab. Auf der Mauer zeigt ein gelber Pfeil diesen Weg hinunter. Das ist falsch! Man muss geradeaus weiter.

Durch Anklicken vergrößern Heiligtum von La Tuiza
(Bild: Ingrid)


So erging es uns aber: Wir registrierten wohl etwas irritiert, dass an der linken Mauer ein weiterer Pfeil uns entgegenzeigte, aber das Handbuch (von 2004!) sagte auch: "Da hinunter!" (Im Handbuch von 2005 ist das korrigiert.) 100 m weiter sind wir mitten in der Wildnis, überqueren einen angekündigten Bach, aber wo ist "gegenüber" der angekündigte "schmale Pfad"? Ingrid klettert forsch durch Gebüsch hoch, überall sind Karnickelpfade, ein Zweig durchbohrt meine Isomatte und reißt sie mir vom Rucksack, Minuten später sitzen wir alle fest: keine Ahnung, wie es weitergeht. Zurück zum Bach. Da führen sogar Fahrradreifenspuren hinüber, das muss Raimund Joos gewesen sein. Also ist das hier richtig. Aber die Beschreibung im Handbuch passt auf nichts, wo man sich durchschlagen könnte.

Wir verloren fast eine Stunde mit großflächigem Herumsuchen, probierten mehrere Richtungen aus, kletterten über Mauern, Zäune, zweimal sackte ich bis über die Knöchel in Schlamm und Wasser, nichts. So eine Situation hatte ich die bisherigen gut 1.000 km noch nicht erlebt. Es nützte nichts, zurück zur Kirche. Dort ging ich auch noch einmal in einem großen Bogen herum: kein Weg weit und breit.

"Geradeaus" ist richtig

Renate kramte einen zweiten Führer heraus, der zwar keine detaillierte Beschreibung enthielt, aber die Skizze war doch ziemlich eindeutig: Man musste an der Kirche einfach geradeaus. Also gingen wir das kleine Betonsträßchen weiter hoch, und siehe da, kaum 100 m weiter ein dicker fetter gelber Pfeil. So eine Sauerei, uns da unten in den Dreck zu schicken. Und wie zum Hohn wiederholte das Handbuch von 2004 genau an dieser Stelle das Lob für die Gemeinde Lubián, die die Wege in Ordnung hält, dass nichts überwuchert wird. Ja, Pustekuchen! Keine Stunde war ich unterwegs und schon dreckig und nass!

Grüne Pfeile

Wir erreichten den Zaun der Autobahn, es ging weiter geradeaus. In einer Senke wiesen nun grüne Pfeile nach links. Was sollte das denn jetzt schon wieder? Wir beschlossen aber, mangels anderer Pfeile, ihnen vorsichtig zu folgen. Etwas weiter eine T-Kreuzung, grüne Pfeile nach rechts. Ich vermutete, dass hier von links die ursprüngliche Pilgerwegroute dazukam. (Das war wohl richtig.) Wo wir vorhin hinter der Kirche rumgesucht hatten, mussten Gestrüpp und Abfallholz am Bach den nicht gefundenen Pfad bis zur Unkenntlichkeit verdeckt und gesperrt haben. Da kommt man nicht mehr durch! Und die Fahrradspuren? Ja, da war jemand wohl mit dem Fahrrad über den Bach geklettert, aber auch wieder zurück, und ich bin ja kein Indianer, dass ich das aus den Spuren hätte herauslesen können :-))

Mit etwas unsicherem Gefühl folgten wir den grünen Pfeilen an der T-Kreuzung nach rechts. Hurra, bald kamen gelbe Tupfer auf den Steinen des Bergweges, und es begann, steil hochzugehen. Das musste der richtige Weg zum Pass sein. (Jawohl, das stimmte.) Ich war mir jetzt ganz sicher, und bald kam auch wieder ein gelber Pfeil. Renate fragte mich, warum die Pfeile vorhin grün waren. "Weißt du," erklärte ich ernsthaft, "das sollten eigentlich blaue werden, und da ist ihnen der blaue Pinsel in den Farbtopf mit der gelben Farbe gefallen ..." Ich musste dann doch machen, dass ich weiterkam, denn Renate ist zwar herzensgut, aber hier drohte ein Fußtritt wegen offensichtlicher Veräppelung. Die beiden Frauen merkten so langsam, welchen Schalk sie sich da aufgehalst hatten.

Falsche Entfernungsangabe

Auf geschätzt halber Höhe machten wir Pause in den Büschen am Pfadrand. Gar nicht lange, da tauchten auch schon Hans und Manfred auf. Sie hatten an der Kirche nicht ganz so lange herumgesucht wie wir. Gemeinsam ging es nun weiter. Nach einiger anstrengender Kletterei waren wir oben am Pass von A Canda (1.260 m) und schauten nach Galicien hinein: ein wildes Bergland. Am Pass ein Muschelstein mit der Entfernung nach Santiago: 246 km. Das war absoluter Unsinn, an die 15 km zu viel! Wir hatten nur noch schlappe 231 km vor uns.


Immer noch durch herrliche Natur
(Bild: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern Von dem weiteren Weg habe ich nur noch Bruchstücke in Erinnerung. Die Dörfer sehen alle gleich aus, halb verlassen, viele Ruinen. Die Landschaft blieb toll, ich liebe Felsen. Bei einer Rast brachen Hans und Manfred früher auf und gingen voraus. Es war aber nicht mehr weit bis A Gudiña.


Ich suchte um 15h50 am Haus des Roten Kreuzes herum, ob irgendjemand einen Schlüssel rausrücken konnte. Niemand zu finden. (Auch ein anderer Pilger gibt den Rat, lieber gleich zur Herberge zu gehen und von dort aus den Betreuer anzurufen.) Also einfach auf Verdacht weiter in die Stadt. Große breite Straßen, die N525 ging mitten durch den Ort. Hans kommt uns kurz vor der Herberge entgegen und sagt, dass ein Betreuer gerade anwesend ist. Zur Herberge muss man von der Hauptstraße im Ortskern rechts abzweigen, dann liegt sie hinter einer Unterführung rechts, etwas abseits.

Strenges Reglement: Ohne Anruf kein Eintritt

Da haben wir Glück gehabt, dass der Cerberus anwesend war, denn der war sehr galicisch streng. Ich habe immer gesagt, dass die Galicier die Preußen unter den Spaniern sind. Also: Man muss ihn vorher anrufen, sonst darf man die Herberge nicht betreten. Jeder bekommt einen Schlüssel, darf aber niemanden in die Herberge einlassen. Da ich als erster Spanisch verstand, hielt er mir die ganze Predigt, ich musste für die anderen übersetzen. Auch bekamen wir in dem großen Schlafsaal alle die Betten links, damit der rechte Teil frei blieb und nicht geputzt werden musste. - In Ordnung, sowas sehe ich ja ein. Dann erwischt er uns, wie wir Vorräte auspacken. Nichts da, dazu sind unten Tische und Bänke. Junge, Junge, ist der streng! Ansonsten ist die Herberge super. Sogar Tassen und Teller in der Küche.

Erwischt!

Abendessen in der Bar Oscar (an der Hauptstraße, etwas zurück). Menü 10 EUR (nicht gerade billig): Nudelsuppe, Rindfleisch/Pommes, Eis. Wenig Auswahl und 08/15. Inzwischen haben wir auch Jean-Pierre und Engracia wiedergetroffen. Mit ihnen vereinbaren wir, wann wir das Licht aus- und anmachen. Das ist schon mal sehr angenehm. Es sind noch einige weitere Pilger gekommen, nicht nur Radfahrer, auch Fußpilger (woher bloß?). So wird die rechte Hälfte des Schlafsaales doch noch belegt, aber voll wird es nicht. Um 2h00 nachts fällt mir ein, dass ich meine "Schlaftablette" (die übliche Dose Bier) gar nicht genommen habe. Die brauche ich bei dieser Ruhe auch gar nicht. Da ich sie aber morgen nicht schleppen will, setze ich mich auf die Bettkante und kippe sie mir rein. Au wei, da geht gerade jemand zur Toilette und sieht mich da heimlich trinken. Es war Renate, wie sich anderntags herausstellte. Ich konnte aber glaubwürdig versichern, trotzdem kein Alkoholiker zu sein.


28. Mai 2005, Samstag: A Gudiña - Campobecerros, 20 km (823 km)

Hinweis auf die Casa Nuñez

6h30 geht mein Wecker. Ich husche gern als erster noch im Dunkeln zum Waschraum. 6h45 wird verabredungsgemäß das Licht angemacht. Gemütliches Frühstück unten zu siebt, mit Jean-Pierre und Engracia. Die beiden tauen immer mehr auf. Da sie untereinander französisch sprechen, habe ich lange gebraucht, um rauszufinden, dass Engracia Spanierin ist. Vorher hatte ich sie immer um ihr gutes Spanisch beneidet ... Am Schwarzen Brett hängt ein Aushang, in dem eine Casa Nuñez in Campobecerros Reklame macht (Tel. 988 305 421). Das ist genau das, was ich gesucht habe. Damit steht das heutige Etappenziel fest, alle sind einverstanden. Ich bitte Jean-Pierre vorsichtig, ob Engracia dort anrufen und feststellen kann, ob dort für sieben Leute Platz ist. Hatte mich schon selbst auf ein Telefonat engestellt, wozu ich mich immer noch sehr überwinden muss. Sie sagen gleich zu, bekommen aber so früh noch niemanden an die Strippe. - Es gibt heißes Wasser aus einem Topf auf dem Herd, so ist das Kaffeemachen schnell und einfach. 7h37 rücken Hans, Manfred und ich ab. Jean-Pierre und Engracia sind schon weg, aber noch nicht lange, Ingrid und Renate folgen kurz hinter uns.

Nicht nach Süden abschwenken

Der folgende Abschnitt des Pilgerweges bis kurz vor Ourense ist weiter einmalig schön. Autobahn und Fernstraße schwenken nach Süden ab. Es gibt eine Variante des Pilgerweges, die ihnen folgt, aber die ist nicht zu empfehlen, da es zu wenige Herbergen gibt. Die Verzweigung ist gleich am Ortsrand von A Gudiña. Zu meiner Freude an diesem Tag und den nächsten läuft man meist sehr, sehr hoch, Höhenwege in ca. 1.000 m Höhe, mit Blick in alle Richtungen, immer noch hinter einem die Pässe, die man gekommen ist. Die Wege sind überwiegend kleine Asphaltstraßen. Sicher gibt es hin und wieder auch noch ziemliche Steigungen zu überwinden, aber die nahm ich gar nicht mehr ernst.

Episode mit Hund

Heute war es anfangs schneidend kalt, und ich Dummkopf hatte meinen Pullover nicht angezogen. Es pfiff nämlich ein starker Wind über die Höhen, so dass die übliche Sonne lange nichts ausrichtete. Ich hängte mir zunächst den Hut über die rechte Schulter, aber nach 2 km musste ich doch den Pullover aus dem Rucksack kramen. Inzwischen hatten Hans und Manfred einen Vorsprung, aber dafür kamen hinter mir die Frauen in Sicht, und so hatte ich nicht das Gefühl, allein zu sein. Wegen möglicher Hunde holte ich dann aber die beiden Männer vor mir im Sturmschritt vor dem nächsten Dorf wieder ein. Den Schlenker durch Venda do Espiño ersparten wir uns. Direkt hinter Venda Teresa gab es einen der gelegentlichen Zwischenfälle mit einem Hirtenhund. Er war eigentlich nur am Rand einer Weide zurückgeblieben, die Besitzer kamen uns entgegen, als wir unversehens in seine Richtung einbogen. Er sah sich abgeschnitten und bellte abwehrend, hatte sicher auch Angst vor uns (wir liefen gerade zu fünft). Tja, aber wir mussten weiter. Da riefen die Leute von hinten ihn zur Ordnung, und so quetschte er sich auf der Piste an uns vorbei, wollte aber - mit der Sicherheit der Rückzugsmöglichkeit hinter sich - uns nun erst recht von hinten angehen. Nun, es blieb bei halben Versuchen, weil auch die Besitzer erneut eingriffen. Allein hätte ich wieder einmal ganz schöne Angst gehabt.

Unterkunft gesichert

Nun kam ein Höhenweg mit dem Blick auf einen großen verzweigten Stausee ganz weit unten. Die kahlen Hänge hatten bizarre Rillen, ein denkwürdiger Anblick. Wir sahen nun auch öfter auf eine Eisenbahnlinie herab, die aus einem Tunnel heraus gleich in dem nächsten wieder verschwand. Einmal lag rechts unten ein Bahnhof, neben uns stand eine merkwürdige Zeile von Reihenhausruinen, evtl. sollten hier mal Bahnarbeiter angesiedelt werden. Am Wege saßen auf einmal Jean-Pierre und Engracia. Sie hatten in Campobecerros angerufen, wir konnten alle unterkommen. Super!


Hinter Bolaño gibt es an einem Schild, das einen zum Fotografieren animiert, eine Abzweigung nach links, steil hoch. Wir wussten nicht, dass man auf der Straße bleiben kann, denn bei einer ähnlichen Abzweigung vorher war man durchaus nicht auf dieselbe kleine Landstraße zurückgekommen. Hier aber steigt man gewaltig hoch, hat oben einen schönen Rundumblick (den hatte man aber den ganzen Tag) und sieht dann ganz tief unten Campobecerros liegen. Durch Anklicken vergrößern Renate vor einem der vielen Bergdörfer
(Bild: Ingrid)


Der Abstieg über Schieferbruch und glatte Steinplatten, in einem nicht enden wollenden Zickzack, raubte sogar mir den letzten Nerv. Manfred litt furchtbar und blieb mit Hans weit zurück. Zum Schluss schwenkte der Weg sogar noch vom Ort weg, um die Landstraße zu erreichen. Hier wartete ich, aber es kam nur Manfred; Hans war den Steilabhang im letzten Teil querbeet hinuntergeklettert und war so auf einmal vor uns. Man sagte uns später, Frühjahrsregengüsse hätten den Weg ins Dorf hinunter zerstört, so dass er jetzt voller Geröll war.
Ich kann jedenfalls diesen Umweg nicht empfehlen und rate, einfach auf der Landstraße zu bleiben.

Zur Orientierung in Campobecerros

Im Ort sprach uns gleich wieder ein alter Mann in gebrochenem Deutsch an, einer der vielen Rentner, die in Deutschland gearbeitet haben. Hinter der Kirche macht der Pilgerweg einen Linksschwenk durch den Ort, wobei man durch ein paar alte Gassen läuft und auch an einer Bar vorbeikommt, aber direkt hinter der Casa Nuñez wieder die ursprüngliche Straße erreicht. Man kann ebensogut gleich auf ihr bleiben, die 300 m durch den Ort sind auf dieser Hauptstraße nur nicht so schön wie die Gassen.

"Urlaub" in der Casa Nuñez

In der Casa Nuñez wurden wir schon erwartet. In dieser großen Bar mit Garten, Terrasse usw. gibt es 4 Doppelzimmer, gerade ausreichend für uns. Hans und ich zahlten 24 EUR zusammen, Manfred im Einzelzimmer 18 EUR, Frühstück jeweils inklusive. 13h10 waren wir eingetroffen. Ingrid und Renate kamen etwas später, dann auch Jean-Pierre und Engracia. So langsam wuchsen wir zu einer Siebenergruppe zusammen. Ein Bäckermädchen lieferte gerade eine Riesenplatte empanada, bei der mir das Wasser im Mund zusammenlief. Die alte Frau ermunterte uns, in den Esssaal hinüberzugehen und sich an der empanada gütlich zu tun. Leichtsinnig gingen wir auf dieses Ansinnen ein. Ich aß allein wohl 4 Stück, schön überbackene Teile mit Curry und Gehacktem drinnen. Nun, dazu brachte man einen kräftigen Schluck Bier, und dann meinten die Wirtsleute noch, wir könnten es doch nicht bei dieser Vorspeise lassen. Also wurde noch ein Topf Guiso Gallego serviert, und dann noch Früchte, und Kaffee und Rotwein ... kurz, es wurde ein halbes Gelage, bei dem wir sieben sehr lange und sehr fröhlich zusammensaßen. Am Ende gab's wie in Spanien üblich eine Gesamtrechnung; ich überschlug meinen Anteil und trug 10 EUR bei. Die waren gut angelegt. Danach gingen wir zur Siesta auf die Terrasse, legten die Beine hoch und ließen uns von der Sonne verwöhnen; die geschäftstüchtigen Wirtsleute versorgten uns weiter mit Getränken. Das war wieder einmal ein Pilgerleben! Ich brachte nur nicht heraus, wann morgen Mittag Messe war. Die einen schworen "Um 12h00", die anderen "Um 13h00". Nun, das würde sich finden, die Kirche war ja nicht weit entfernt. Jean-Pierre erzählte nun die Geschichte, wie Engracia und er zuerst in den 4-Sterne-Hotels übernachtet haben und wie sie dann doch "richtige" Pilger werden wollten, was sie inzwischen wirklich waren. Jean-Pierre war ein meisterhafter Erzähler, ein geborener Schauspieler und Clown, der schon allein durch seine Gestik und Mimik sein Publikum zu Heiterkeitsstürmen hingerissen hätte. Es war herzerfrischend mitzuerleben, wie seine muntere Natur hier auf dem Pilgerweg zum Vorschein kam und sehr zum Wohlfühlen unserer Gemeinschaft beitrug.


Dann ging es endlich zum Abendessen :-)) obwohl wir eigentlich für heute längst genug gegessen und getrunken hatten, aber nein: Nudelsuppe, Forelle bis zum Abwinken aus eigener Zucht, Früchte (9 EUR). Ich glaube, Getränke extra, dann war es nicht ganz billig. Aber das war mir alles egal, so gut gefiel es mir hier. Die Zimmer hatten einen Balkon auf die Berge hinaus und waren auch sonst erstklassig (eigene Dusche und Toilette meiner Erinnerung nach). Also, diese Unterkunft kann man jedem Pilger empfehlen, der es sich leisten kann, mal einen Tag lang quasi Urlaub zu machen. Durch Anklicken vergrößern Schlemmen in der Casa Nuñez


29. Mai 2005, Sonntag: Campobecerros - Laza, 16 km (839 km)

Neue Pilger haben uns eingeholt

8h45 raus, gemütlich gepackt. 9h30 Frühstück zu fünft. Dann brechen Jean-Pierre, Engracia und Ingrid schon auf. Hans, Manfred, Renate und ich wollten bis zur Messe hierbleiben, anschließend kam ja eine Kurzetappe. Es war noch genügend Zeit "zu schnüffeln", also u.a. zur nahen Kirche. Dort pflegte eine Frau die Blumen und wusste nun endgültig, wann die Messe begann: um 12h00. Gut. Dann probierten wir den Schlenker des Pilgerwegs links durch den Ort aus. Oha, in der erwähnten Bar saßen vier Pilger. Einen Deutschen erkannte Manfred wieder. Da hatten uns einige eingeholt. Machte aber nichts, denn die nächsten Herbergen waren alle groß genug.

Wieder ein Briefpartner aus dem Netz

Nach der Messe zogen wir dann los, hatten bisher nichts verpasst, denn das Tal war in Nebel gehüllt. Wie wir kaum unterwegs sind, löst er sich auf. Von dem weiteren Weg ist mir fast nichts mehr in Erinnerung. Wir waren so in Gespräche vertieft, dass die Umgebung kaum einen Eindruck hinterließ. Nur einmal trafen wir an einem Kreuz kurz andere Pilger, verloren sie aber gleich wieder aus den Augen. Dann holte uns von hinten ein Radfahrer ein und sagte: "Hallo, du musst Rudolf sein." Es war ein Schweizer Pilgerbruder, der mir zu Hause im Netz schon geschrieben hatte, dass er mich irgendwo vor Ourense einholen werde. Hatte länger gedauert, als er dachte, da wir ja unserem Zeitplan vier Tage voraus waren.

Bar Blanco Conde und Schlüssel

Schon nach ca. 2 1/2 Stunden waren wir am Ortsrand von Laza. Wo man rechts von der Landstraße in den Ort abzweigt, liegt links die Bar Blanco Conde, in der wir abends gegessen haben. Kurz darauf kommt man an das Gebäude der Protección Civil, der Straßenwacht. Ein uniformiertes Mädchen händigte uns fast mit militärischer Präzision einen Schlüssel aus. Dann lud man uns ein, vor der Tür in ein Straßenwachtfahrzeug zu steigen. Man wollte uns zur Herberge transportieren ... Nein? Wollten wir nicht? Aber doch sicher wenigstens unsere Rucksäcke? - Nein, wollten wir auch nicht. Was müssen die hier für Pilger gewöhnt sein!

Ein unverhofftes Wiedersehen

Zur Herberge ging es erst rechts weiter, wobei die Kirche links liegen bleibt. Dann noch ein großer Linksbogen, und man geht auf ein einzelnes großes einstöckiges Gebäude zu, das unschwer als Pilgerherberge zu erkennen ist. Mehrere 8-Betten-Zimmer (je 4 Doppelstock). Ingrid und Renate zogen mit uns zusammen. Zu fünft in einem Zimmer mit 8 Betten, da hatten wir viel Platz. Es waren inzwischen doch sehr viele andere Pilger da, aber kein Gewühl. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wir haben hier auch das belgische Ehepaar wiedergetroffen, mit denen wir in Puebla de Sanabria zusammen untergekommen waren. Wer klettert da auf einmal vor der Herberge aus einem Fahrzeug der Straßenwacht? Schacki und Dakshina, die lange vermissten! Seit Santa Croya de Tera hatten wir sie nicht mehr gesehen. Hatten sie uns also endlich wieder eingeholt.

Wer hat seinen Schlüssel nicht zurückgegeben?

Engracia sagt, der Cerberus von A Gudiña telefoniere hinter den Pilgern von vorgestern her, weil ein Schlüssel fehle. Wir drei erinnern uns sehr genau, jeweils unseren an das Schlüsselbrett neben der Tür zurückgehängt zu haben. Später kommt Entwarnung: Eine andere Pilgerin hat den Schlüssel in ihren Taschen entdeckt.

Routine des Pilgeralltags

Wäsche waschen, ausruhen. Ingrid und Renate kochen was in der Küche, ich bekomme wieder etwas ab. "Schnüffeln" im Ort. Dabei machen wir mühsam ein öffentliches Telefon (in einer Bar im Ortskern) und die schon erwähnte Möglichkeit zum Abendessen ausfindig. Abends in der Bar Blanco Conde sind nur Hans, Manfred und ich; unsere übrigen vier hatten einen anderen Tipp bekommen, was uns aber zu weit war. Menü 8 EUR: Nudelsuppe, Fisch (eine Art Scholle), Eis, Rotwein.

30. Mai 2005, Montag: Laza - Vilar de Barrio, 20 km (859 km)

Eine berühmte Bar

6h50 raus, gemütliches Frühstück, wie ich es liebe. 7h50 zu fünft los. Erst an der Straßenwacht vorbei; man wirft den Schlüssel durch ein angelehntes Fenster. Zunächst bedeckter Himmel, aber nicht kalt, später Sonne. Nach etwas Landstraße kommen schöne schmale Wege, mit Höhenrücken und Aussichten, es ist wieder eine Wonne. Wir erzählen sehr viel untereinander, genießen alles zusammen. Laut Handbuch gibt es auch steile Aufstiege. Ich habe sie gar nicht bemerkt. Da kann man mal sehen, dass man sich nur ablenken muss (wie hier durch Plaudern und Erzählen), und schon nimmt man Strapazen viel weniger wahr.


Zu siebt vor der Bar in Albergaría (Bild: Renate) Durch Anklicken vergrößern In der Bar von Albergaría, die im Handbuch von 2004 noch gar nicht erwähnt war, wimmelt es von Pilgern, die alle hier Pause machen. Die Bar ist inzwischen ziemlich berühmt, denn der pfiffige Wirt verkauft Muscheln, die mit Namen versehen, an die Decke gehängt werden. Wir sahen auch die von Michael Kasper. Auch sonst hatte der Wirt alle Hände voll zu tun, lebt wohl ganz von den Pilgern und ist dementsprechend freundlich. Die Stimmung hier war ganz pilgermäßig, Manfred sprach auch mit dem deutschen Pilger, mit dem er früher schon zusammengetroffen war.


Zur Orientierung in Vilar de Barrio

Langsam ist der Pilgerweg von Westen auf Nordwesten umgeschwenkt. Links taucht jetzt unten eine sehr breite Ebene auf. Es ist das Tal des Limia, das schon auf Ourense zuführt. 13h30 sind wir schon wieder am Ziel, in Vilar de Barrio. Im Ort gibt es einen kleinen Linksschwenk zu einer Tankstelle an der Hauptstraße, wo wir Schlüssel und Stempel bekommen. Geradeaus liegt ein großer Platz, an dem links ein Lebensmittelladen liegt. Dort kaufte ich später ein. Der Ladenbesitzer rollte fast den roten Teppich aus, so sehr ist er auf die Nebeneinnahme durch die Pilger angewiesen. Die Herberge liegt (von der Herkunftsrichtung aus gesehen) rechts an der Hauptstraße, auf der linken Seite. Sie ist etwas merkwürdig an einen Hang gebaut. Man muss eine Treppe hoch, um oben hineinzukommen. Innen gibt es eine Treppe nach unten zur Küche. Als wir eintrafen, waren nur Jean-Pierre und Engracia da, alle anderen waren weitergezogen, da es ja noch früh am Tag war. Noch vor einer Woche hätten wir ja die schlappen 14 km nach Xunqueira de Ambía auch noch locker drangehängt. Aber jetzt wollten wir mit den anderen zusammenbleiben, und mehr als 4 Tage früher brauchten wir in Santiago auch nicht anzukommen.

Immer mehr Pilger

Renate und Ingrid bezogen einen Schlafplatz auf einer Empore. Wir anderen lagen auf untere Etagenbetten verteilt. Neben mir richteten sich die beiden Belgier ein, dahinter lagen Jan-Pierre und Engracia, Hans und Manfred im Zimmer nebenan, aber doch vor meinem Fußende, da es dort eine offene Verbindung zwischen beiden Schlafräumen gab. Nach und nach kamen weitere Pilger, alles bekannte Gesichter. Schacki und Dakshina zogen in das Behindertenzimmer im Erdgeschoss neben der Küche. Ich zählte zum Schluss 16 Leute.


Ingrid und Renate machten am frühen Nachmittag für uns in der Küche Palatschinken. Wir ließen es uns wieder wohl sein. Irgendwer hatte immer eine Flasche Rotwein beizusteuern. Da die Frauen das Essen gestiftet hatten, machten wir Männer den Abwasch. Danach war wieder Siesta angesagt.

Am Abend hatten wir schon wieder Hunger. Hans meinte, heute genug gegessen zu haben, aber Manfred und ich probierten noch einen Tipp aus, den ich bekommen hatte.

Durch Anklicken vergrößern In der Herberge von Vilar de Barrio
(Bild: Ingrid)


Schwelgerei in der Bar gegenüber

Zum Abendessen direkt gegenüber, ein paar Stufen von der Straße zu einer unscheinbaren Bar hinunter, wieder einmal nur an einem Frigo-Schild zu erkennen. Wir scheuchten ein einsames altes Muttchen hoch, das ganz allein in der sehr spartanisch eingerichteten Bar saß, Fernsehen guckte und strickte. Zu essen, aber ja doch! Sie wuselte herum, brachte fürs Warten erst einmal zwei Lagen Bier und eine Wurstplatte. Dann mit einer Flasche Rotwein einen riesigen Topf caldo gallego. Also, ich kann ja fast beliebig viel essen, aber der war zu zweit nicht zu schaffen. Wir hatten unvorsichtigerweise aufgezählt, was wir "zum Beispiel" gern essen würden. Wir wollten ja das nehmen, was sie hatte. Jetzt brachte die alte Dame uns alles, was wir erwähnt hatten: Nach den ersten zwei Gängen kamen nun große Stücke Fleisch, dazu Pommes und ein paar Spiegeleier drüber. Daneben stellte sie eine Schüssel mit Ensalada mixta. Das Ganze hätte für vier Leute gelangt. Die Flasche Wein war noch nicht halb leer (ich hatte doch schon die Bierchen fürs Magenanfeuchten vorher gehabt), da stellt sie eine zweite daneben. So passierte es mir das erste und einzige Mal in meinem Pilgerleben, dass ich eine Flasche Rotwein noch voll zurückgab. Wir taten unser Bestes und schlangen für drei Tage im Voraus, aber hier war nichts zu machen. Wäre Hans uns doch nur zu Hilfe gekommen!

Was für "Nöte"! Ich hatte ja schon in diesem Bericht angekündigt, dass der Rest bis Santiago manchmal zur Schwelgerei ausartete. Und die Tafelei nahm kein Ende. Die Wirtin freute sich so, dass wir so herzhaft zulangten und immer wieder "Ah" und "Oh" riefen, dass sie immer mehr herbeischleppte. Erst einmal einen Kaffe, und dann einen Eichelschnaps, selbst hergestellt. Als wir den mit Behagen kippten, gleich noch einen. Und schon sauste sie wieder weg und kam mit selbst gebackenem Kuchen wieder. Wir riefen, dass wir nicht nicht mehr könnten. Da packt sie ihn uns in Alufolie ein, "fürs Frühstück". Nach vielen Lobes- und Dankesbezeugungen frage ich, was wir denn schuldig sind. Jeder ganze 8 EUR samt allen Getränken, auch denen vor dem Essen, nicht zu fassen. Was für ein Unterschied im Vergleich zu der Abzockebar in Aldeanueva del Camino! Wir schleppten uns nur noch so nach gegenüber zur Herberge. Dort lag schon fast alles im Schlummer. Trotz des vollen Bauchs habe ich prima geschlafen.


31. Mai 2005, Dienstag: Vilar de Barrio - Xunqueira de Ambía, 14 km (873 km)


Blick aufs Limiatal
(Bild: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern

Durchs Limia-Tal

7h13 wach geworden, in Ruhe aufgestanden. Gegen 8h00 ziehe ich mit Ingrid und Renate los, da Hans und Manfred erst eine offene Bar suchen wollen. Wir gehen jetzt durch flacheres Gebiet, denn wir laufen inzwischen durch das Limia-Tal auf Ourense zu. Die Dörfer sehen alle gleich aus und die Pisten auch, nichts Besonderes ist haften geblieben. Das Wetter ist etwas schlechter geworden. Statt Sonne gab's heute viele Wolken, zeitweise war es bedeckt, aber kein Regen.


Teure Bar in Bobadela

In Bobadela suchen wir nach der Bar, die es hier laut Handbuch gibt. Es ist Haus Nr. 34, mit einer Bank davor. Äußerlich keinerlei Kennzeichen. Eine alte Frau ruft uns herein, es ist die Wirtin. Kurz darauf treffen auch Hans und Manfred ein, ebenso Schacki und Dakshina. Als wir bezahlen, ist alles sehr teuer: Kaffee 1,50 EUR, Bier 1,50 EUR. Ich notierte mir das, um vor dieser Bar zu warnen. Schacki erzählte später, er habe sich geweigert, diese hohen Preise zu zahlen, die sicher höher waren als für die Dorfbewohner. Das ist in Spanien nicht erlaubt, aber die vorgeschriebene Liste mit den Preisen hing hier (wie oft auch anderswo) hinter der Theke oben an der Wand, da kam kein Kunde dran.


Danach liefen wir zu fünft weiter. Die Wege waren sehr schön und führten durch üppige Natur, sagt mein Notizbuch. Aber leider keine Berge mehr und nur noch selten die schöne Fernsicht der letzten Tage. Durch Anklicken vergrößern Wir drei Männer auf dem Marsch
(Bild: Ingrid)


Wo man die Stempel bekommt

Schon 13h30 erreichen wir die Herberge, noch vor dem Ort oben am Waldrand gelegen, eine Sportanlage ganz in der Nähe. Engracia hat für die Damen einen eigenen Schlafraum reserviert, wohl ein 4-Bett-Zimmer. Wir grinsen und ziehen mit Jean-Pierre nach nebenan, wo einer von zwei weiteren großen Schlafsälen ist. Wir haben wahnsinnig viel Zeit, können ausgiebig "schnüffeln" im Ort. Den Stempel zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Man läuft bergab zur Landstraße und folgt dieser einige 100 m weit bis zum Ortsrand. Dort muss man rechts ab und einen Linksbogen laufen, praktisch dem Pilgerweg folgen. Man gelangt so an die Calle Alfonso Meno und findet im Haus Nr. 11 die Bar Retiro, wo man dann endlich den Stempel bekommt. Von der Bar zum Ortszentrum sind es nur 200 m, aber es ist alles ganz schön verwinkelt.

Schnüffeln im Ortskern

Wir schleichen um die Sehenswürdigkeiten des Ortskerns, Plaza de San Rosendo. Es soll ein schöner Klosterhof da sein, aber der ist hinter der Kirche versteckt und nur bei geführten Besichtigungen zugänglich. Ein deutscher Pilger schlendert vorbei. Er geht nur in Hostales, ist etwas vornehmer. Es ist der, den wir seit Campobecerros schon einige Male gesehen haben, der Bekannte von Manfred. Endlich macht der Lebensmittelladen gegenüber der Kirche auf. Sie haben kein Brot. Draußen kommt eine deutsche Pilgerin mit Hund, die wir schon vorher gesehen haben, sie heißt Ursel. Ihr Mann begleitet sie mit einem Wohnwagen, aber das bekommen wir erst nach und nach mit. Es war lustig, sie viele Tage später auf dem Weg nach Finisterre wiederzutreffen... Jetzt gibt sie uns den Tipp, wo noch eine Bäckerei ist, die Brot verkauft. Sehr nett, im Laden haben sie natürlich dazu eisern geschwiegen.

Massage von Renate

Zurück in die Herberge. Weitere Pilger treffen ein, zwei Spanier und dann eine junge Schweizerin: Cornelia. Sie läuft allein, ist ganz lustig und redet sehr viel. Da wir nichts zu tun haben, bietet Renate eine sanfte Massage im "Herrenschlafsaal" an. Ich weiß nicht genau, worum es geht, lerne aber immer gern dazu. Hans hofft, seine Schulterschmerzen loszuwerden. Ich liege auf Geheiß bäuchlings auf meinem Bett und soll mich entspannen, rechts von mir hat Renate gerade Jean-Pierre in der Mangel. Sein Gesicht spricht Bände: Auf den Bauch? Wie macht man das? Ich platze fast vor Lachen über Jean-Pierre, diesen Clown, aber ich darf nur in mich hineinglucksen, denn erstens störe ich sonst, und zweitens will ich nicht, dass Renate denkt, ich mache mich über ihre Bemühungen lustig. - Also, Hans wurde seine Schmerzen los, zumindestens vorübergehend. Bei mir traten durch die sanfte Massage (ich glaube, eine Lymphmassage an Hals und Schulter) keine besonderen Wirkungen ein. Ich bin sicher ein schwerer Fall, aber mir tat ja auch nichts weh, sondern ich fühlte mich ja schon seit Wochen pudelwohl.

Abendliche Runde zu siebt

Abends tragen wir Lebensmittel für ein Gelage zusammen. Ingrid und Renate haben eine leckere Suppe gekocht. Ich notiere später, dass ich 5 Teller davon gegessen habe. Heute mal kein Menü in einer Bar, und doch haben wir durch die nette Gesellschaft zu siebt nichts vermisst.

01. Juni 2005, Mittwoch: Xunqueira de Ambía - Ourense, 23 km (896 km)

Unnötiger Schlenker

6h30 starteten wir zu siebt, heute zum ersten (und letzten) Mal eine große geschlossene Gruppe. In Ourense wollten ja Ingrid und Renate zurückbleiben. Die frühe Tageszeit hatten wir festgelegt, damit wir in Ourense viel Zeit hatten. Der Weg war wie in den letzten Tagen einfach zu finden. Zu Anfang liefen wir gemäß der Empfehlung des Handbuches nicht den unnötigen Linksbogen an der Bar Retiro vorbei, sondern blieben auf der Hauptstraße. Engracia machte heute den Anführer, wie sie das sonst auch gewohnt war. Schon innerhalb geschlossener Bebauung vor Ourense, nämlich in Reboredo, zweigte man noch einmal halblinks auf eine Piste ab. Im Grünen am Wegesrand machten wir Pause. Kurz darauf kamen wir nach Seixalbo.

Hinter diesem Ort konnte ich nicht mehr der Beschreibung im Handbuch (von 2004) folgen. Es kann die Einmündung an der alten N525 gewesen sein, wo ich aber kein Ortsschild sah (im Handbuch 2005 auch nicht mehr erwähnt). Jedenfalls kamen wir im spitzen Winkel von rechts auf eine Fernstraße heraus. Hier war kein Zeichen. Im neuen Handbuch ist die Beschreibung modifiziert. Man soll jedenfalls auf der Fernstraße am Ortsrand nicht mehr links, sondern "weiter" die Straße (halbrechts) hinauf. Das ist wohl die entscheidende Verbesserung.


Wir fanden jedenfalls durch Zufall eine viel bessere Alternative. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite der alten N525 wies nämlich ein Schild auf einen Fußweg, der rechts an einem Flüsschen entlang in die erwünschte Richtung wies. Wir erlagen gern der Versuchung, der Bebauung zu entfliehen und die etwas tiefer gelegene Flusspromenade entlangzulaufen. Das war doch viel angenehmer, als durch einen hässlichen Vorort zu ziehen. So gingen wir am Ende einfach den Fluss entlang, ein wunderbarer Weg nach Ourense hinein.

Über lange Zeit blieben wir dem Flüsschen treu. Was uns so sicher machte, weiß ich nicht mehr, evtl. gelegentlich doch ein gelber Pfeil. Oder es war einfach das Vertrauen in Engracia, die eine gute Führerin war. Oder es war mir auch egal, mich im Kreise meiner lieben Pilgergeschwister zu verlaufen ...

Das Oficina de Turismo auf dem Silbertablett

Tatsächlich ist dieser Weg wohl der Geheimtipp, wenn man möglichst angenehm, nämlich im Grünen, bis ins Herz von Ourense vordringen will. Die Skizze im Handbuch erlaubte eine ungefähre Orientierung. Irgendwo rechts lag immer die N525, die ins Stadzentrum führte. Um 12h00 beteten wir alle gemeinsam den Engel des Herrn, mitten in der Großstadt. Dann war der Weg vor einer Brücke zu Ende. Wir stiegen zur Straße hoch, hielten uns nach rechts (spätestens hier folgten wir wieder Pfeilen) und bogen dann unter einer Hochstraße her wieder nach links, kurz darauf noch einmal nach rechts - und wir waren am linken Ufer eines Flüsschens. Es konnte dies der Knick sein, der sich in der Handbuchskizze nördlich der Xardins do Posto befindet; wir hatten ihn wohl abgekürzt. Noch einmal Straßen parallel links am Flüsschen entlang bis zu einer großen Brücke. Ein gelber Pfeil wies geradeaus, aber mein Instinkt sagte mir: "Hier rechts ab."

Ich vermute, dass der ausgewiesene Pilgerweg nur ein wenig später rechts abbog, und dann direkt zur Kathedrale hin. Hier jedenfalls war es besser für uns, denn von der Brücke aus liefen wir geradeaus auf einen Platz zu, an dem ich links das Oficina de Turismo entdeckte (siehe Handbuchskizze). Ja, das war ja wie auf dem Silbertablett!

Kein Bus und kein Touristenbähnchen zu den Thermen

Ich eilte gleich hinein, während die anderen langsam weiterzogen, dann aber warteten. Im Touristenbüro ein kompetenter junger Mann, der mich ratzfatz bediente. Stadtplan her, dann eine Frage: Wo fährt der Bus zu den Thermen ab? - Gut, dass ich gefragt habe: Da es so früh im Jahr war, gab es keinen, auch nicht das Touristenbähnchen, das in der Hochsaison fährt.

Ein Missgeschick in der Herberge

Hoch befriedigt, dass ich jetzt alles Wichtige wusste, eilte ich zu den anderen. Wir gingen kurz nach links, um die Kathedrale zu besuchen, zogen aber gleich weiter zur Herberge. Hans wusste noch den Weg. 12h30 hatten wir die Herberge erreicht. Drinnen empfing uns eine nette Hospitalera. Später erfuhren wir, dass es eine Freiwillige aus Kanada war. Dafür sprach sie gut Spanisch. Die Herberge war wieder Luxus pur. Wie belegten einen Schlafsaal, lagen aber fast nur in unteren Betten. Ich hatte leichtsinnigerweise eine Flasche Rotwein auf den Fußboden gestellt, und als ich den umkippenden Rucksack auffangen wollte, stieß ich die Flasche um, die gleich zerbarst. So eine Schweinerei! Ich stand wie üblich bei kleinen Katastrophen, die ich in meiner Tollpatschigkeit anrichte, dumm und wie gelähmt rum, als Renate schon ein Wischtuch organisierte und wir gemeinsam den Boden säuberten, vor allem von kleinen Scherben. Die Hospitalera hatte etwas gemerkt und machte uns Vorhaltungen: In den Zimmern dürfte nichts gegessen werden. (Naja, es ging ja auch ums Trinken!) Ich machte aber nicht meine üblichen Witze, sondern entschuldigte mich. Der Wein sei - und das stimmte auch - nicht zum Trinken im Schlafzimmer gewesen, sondern für heute Abend für die Abschiedsrunde mit Ingrid und Renate.

Fußausflug zu den Thermen

Nachmittags gingen Hans, Renate und ich zu den Thermen. Ein sehr weiter Weg von fast 3 km. Aber man sah so automatisch einen großen Teil der Stadt samt dem Anfang des Pilgerweges bis zur Römerbrücke. Die Thermen bestanden aus zwei Abteilungen: Oben war ein japanischer Pavillon mit geschlossenem Garten, in dem sich einige Tauchbecken usw. befanden. Man musste Badelatschen mitbringen oder sie sich leihen. Den Eintrittspreis habe ich nicht notiert, war nicht allzu hoch. An diesem Frühnachmittag waren fast nur Frauen in dem Garten, die meisten sahen nach Geld aus und machten einen sehr gelangweilten Eindruck. Ich fühlte mich in dieser Umgebung nicht sehr wohl. Ich versuchte, die zig Regeln zu beachten, und trotzdem beging ich ein Fauxpas, als ich mich mit dem Badetuch auf den kurzgeschnittenen Rasen setzte. Dafür seien die Liegestühle da, sagte mir der Bademeister mit hochgezogenen Augenbrauen.

Der zweite Teil besteht aus einfachen Becken am Flussufer. In diesen Becken quillt sehr heißes Wasser, bis über 60 Grad, aus dem Boden. Der Zugang war frei, die Sonnenhungrigen bevölkerten dicht an dicht den abschüssigen Rasen. Auch hier fühlte ich mich nicht sehr wohl, da ringsherum überwiegend junge Mädchen mit fast nichts an lagen, so dass ich mir voll bekleidet unfreiwillig wie ein Spanner vorkam. Dabei musste ich mich nur vor der Sonne schützen, hier gab's keine Bäume. Also zog ich mich nochmal bis auf die Badehose aus, aber das war auch dumm, denn binnen 20 Minuten hatte ich meinen Sonnenbrand weg: ein krebsroter Opa mit Schlapphut und Vollbart, ich zog manche, bestenfalls amüsierte Blicke auf mich. Am Ende war ich froh, als sich Hans und Renate von den übel nach Schwefel riechenden Becken trennen konnten und wir uns oben in einem Biergarten noch gemütlich niederließen. Hier saßen wir noch eine ganze Zeitlang in lebhaftem Gespräch, und das Bier schmeckte (im Schatten!) wunderbar.

Abendessen und Abschied von Ingrid und Renate

Auf dem Rückweg zerstreuten wir uns zum Einkaufen. Ich machte unweit der Herberge eine Bar mit Menü für 6,95 EUR aus, verdächtig billig. Wir versuchten es am Abend zu sechst trotzdem. Der Wirt lehnte erst ab, nein, kein Menü; der übliche Betrug, die Leute hereinzulocken und dann einen Grund zu erfinden, warum es kein Menü gibt. Dann sah er, dass wir 6 Leute waren, und das änderte die Sachlage schlagartig. Nach Rückfrage bei seiner Frau war es dann amtlich. Also 6,95 EUR: Ensalada mixta, Hühnerbrust, Eis. Aber Getränke nicht inbegriffen; stand auch nicht auf der Tafel, die ich gesehen hatte, deshalb überraschte mich das nicht. Insgesamt für eine Großstadt in Ordnung, obwohl das Bier so viel kostete wie in Deutschland.

Abends Abschiedsrunde im Erdgeschoss, wo auch der Empfang ist. Wir leerten etwas trübsinnig zwei Flaschen Wein und gingen dann sehr diszipliniert, pünktlich und ohne Lärm, schlafen. Schacki und Dakshina waren auch noch da, schliefen aber in einem anderen Raum wie üblich.

Hinweis auf Unterkunft in Castro Dozón

Die Pilgerfreunde U. und B. R. teilen mit, dass sie in der Herberge von Ourense einen Hinweis auf eine Unterkunft in Castro Dozón gesehen haben. Näheres folgt unter der entsprechenden Etappe.


02. Juni 2005, Donnerstag: Ourense - Cea, 24 km (920 km)

Besuch in der Kathedrale

6h45 stehen Hans, Manfred und ich auf. Aber auch Ingrid und Renate lassen es sich nicht nehmen, zum Abschied mit uns zu frühstücken. Wir verabreden uns für nächsten Freitag in Santiago. Ich habe ihnen die Adresse der Bar gegeben, wo ich gewöhnlich übernachte, und ich soll auch für die beiden reservieren. Dann ziehen wir los, klettern eine Treppe zur Innenstadt hinunter, laufen auf die Kathedrale zu. 8h00 haben wir sie erreicht, sie ist geöffnet. Also noch ein Gebet. Es ist bereits 16 Grad, eine Hitzewelle nach der ganzen Kälte in den Bergen. Zur Römerbrücke finden wir, ohne den Stadtplan zu konsultieren oder nach Pfeilen Ausschau halten zu müssen. Aber die spätere Abzweigung von der N525 an der Tankstelle darf man nicht verpassen. Hier treffen wir auf einen anderen Pilger; es ist ein Schweizer, der sehr gut Spanisch spricht, wie wir am Abend merken.
Zur Wegstrecke: Gemäß einer Empfehlung des Handbuchs laufen wir anfangs die östliche der beiden Streckenvarianten, planen aber, nach wenigen Kilometern eine Querverbindung zur westlichen zu nutzen und diese dann weiterzugehen. Das war eine sehr guter Tipp, wieder einmal herzlichen Dank an Michael Kasper. Ich lasse die Beschreibung jetzt folgen.

Steiler Aufstieg wie in den Bergen

Das Ganze beginnt mit einem Paukenschlag: Noch am Stadrand geht es steil hoch; wir müssen ja aus dem breiten Tal von Ourense wieder heraus. Ich war aber doch überrascht, wie lange es sehr steil nach oben ging. In Höhe einer Kapelle klomm ich zu dieser empor, um einen Blick auf die Stadt unten zu haben. Lohnt nicht: Bäume versperren den größten Teil der Sicht, und weiter oben auf dem Sträßchen ist der Blick derselbe (nur etwas weiter weg). Endlich ist dann doch die Höhe erreicht.
Nun kommt ein Punkt, wo man gut aufpassen muss. Links sieht man etwa 1 km entfernt ein Kloster liegen. Urplötzlich weist ein gelber Pfeil nach links, in Richtung des Klosters. Diesen Pfeil unbedingt ignorieren. Jean-Pierre und Engracia sind ihm gefolgt und haben sich furchtbar verlaufen.

Nun steht nämlich in roter Farbe rechts an der Mauer auch das Wort "Santiago", und (soweit ich mich erinnere) ein roter Pfeil weist geradeaus. Das ist richtig. Wenig später, vor Sartedigos, knickt der Pilgerweg vor einer Gartenmauer nach rechts ab. 100 m weiter machten wir im Schatten unter Bäumen Rast. Es war inzwischen sehr heiß. Weitere 50 m weiter kommt man auf eine kleine Landstraße. Hier geht der östliche Weg halbrechts abknickend auf einer Piste weiter. Ein Taxi fuhr gerade dort hinein. Minuten später klang Jean-Pierres Stimme laut singend aus dem Gebüsch: "Arrividerci, Hans!". Er hatte uns auf der Landstraße entdeckt. Engracia und er wollten wohl den östlichen Weg weiterlaufen.

Die Querverbindung

Wer aber wie wir die Querverbindung zum westlichen Weg gehen will, bleibt ganz einfach auf der Landstraße, die zuerst nach Cabeanca, in diesem Ort rechts abknickend nach Liñares führt. Wer saß in Cabeanca grinsend im Gebüsch und machte Pause? Man müsste es eigentlich nicht mehr sagen, aber es waren natürlich Schacki und Dakshina, unsere ewigen Schatten. Auch sie waren dem Handbuchtipp gefolgt ... Schon vor Liñares kam von links spitzwinklig die westliche Route dazu. Im Handbuch muss man jetzt zur Seite 222 zurückblättern, um in der Beschreibung der westlichen Streckenführung fortzufahren.

Bar und Lebensmittelladen in Mandrás

Hinter Liñares kamen vor uns zwei Pilger in Sicht. Es waren die beiden Belgier. So trifft man sich immer wieder. Sie zogen uns aber zunächst wieder davon. Dann folgte wieder ein landschaftlich ganz bezauberndes Stück, Einsamkeit und Wald wie in den Bergen. Manfred machte die Hitze zu schaffen. Am Waldrand, an einer Steinmauer, kurze Rast, dann aber weiter nach Ponte Mandrás hinunter und gleich steil wieder nach Mandrás hoch. Oben an der Kreuzung saß das belgische Ehepaar auf einer Bank. Rechts ging es zu der gesuchten Bar, wo wir Mittagspause machen wollten. Hm, davor ein mittelgroßer Hund, laut bellend. Ich ging mutig auf ihn zu und brüllte ihn mit "Venga!" an. Das saß, er zuckte zusammen und zog den Schwanz ein. Das Wort kannte er offenbar. Für Deutschsprachige ist es merkwürdig, dass "venga" (komm) auch "zieh Leine" heißen kann.

Da fuhr der Besitzer im Lieferwagen vor, zog ein Rolltor hoch; dahinter war ein kleiner Lebensmittelladen. Aber wir brauchten nichts, gingen statt dessen links in die Bar, deren Tür er ebenfalls aufschloss. Ich winkte den Belgiern, dass geöffnet sei. Hier konnten wir uns nun erfrischen, aber die Preise waren hoch. 1/3 l Flasche Bier 1,20 EUR.

Bar in Casasnovas

Wegen der Hitze schauten wir gut 6 km weiter in Casasnovas noch einmal nach einer Bar. Ich schnüffelte rechts ab in Richtung Kirche: Treffer, links an der Ecke war eine Bar. Hans und Manfred folgten mir schon. Kurz darauf, unvermeidlich, Schacki und Dakshina. Die fanden uns sogar da, wo wir gar nicht sein konnten (nämlich abseits des Pilgerweges). Eine festlich gekleidete Menge strömte in die Bar, es war irgendein Fest. Ein Frau sprach uns auf Deutsch an. Uns interessierte mehr die kalte Cola (1 EUR).
Hinter Casasnovas, jenseits der N525, wo von rechts die östliche Strecke hinzukommt, habe ich ein Schild "Pan de Cea" in Erinnerung. Schacki erzählte später, sie hätten diesen Umweg von ca. 50 m gemacht und ganz herzhaftes Brot erwerben können.

Aufteilung der Herberge in Cea

Nun war es nicht mehr weit bis Cea. Man kommt kurz vor dem Ort an einem Restaurant vorbei (es ist das, wo wir am selben Abend gegessen haben). Über eine Brücke in den Ort, links ab und wieder rechts, dann ist die Herberge erreicht. Ein toll renoviertes Haus. Vor der Tür führt eine Steintreppe zur Terrasse hoch, auf der die Wäscheleinen hängen. Im Erdgeschoss Küche und sehr viel Platz. Aber auch der dörfliche Kindergarten ist hier untergebracht. Geradeaus die Toiletten- und Waschanlagen, alles prima. Im Obergeschoss ein einziger großer Schlafraum mit Tür auf die Terrasse hinaus (Frischluft!).

Wer sich hier alles einfand

Ich habe notiert, wer sich hier alles einfand: das belgische Ehepaar, der einzelgängerische Deutsche, der Schweizer, den wir unterwegs getroffen hatten, Jean-Pierre und Engracia, Schacki und Dakshina, Manfred, Hans und ich. Später kam noch ein Trupp von 5 Radfahrern.

Tipps, wie man was im Ort findet

Schnüffeln im Ort. Ein Stück die Straße hoch links eine Bar. Noch etwas weiter rechts ein kleiner Platz. Von hier kann man am einfachsten rechts zum Rathausplatz hoch, von wo man in Richtung Kloster Oseira geht. Statt dessen, von der Herberge aus gesehen geradeaus gehend, erreicht man die Fernstraße. Rechts ein Laden, der aber hauptsächlich mit Käse gut sortiert ist. Besser die Straße überqueren; das ist übrigens der richtige Weg, um nach Castro Dozón zu gelangen, ohne den Umweg über das Kloster zu machen. Etwas weiter liegt links ein guter Lebensmittelladen. So muss man alles erschnüffeln. Das Restaurant hatten wir uns ja schon auf dem Weg ins Dorf gemerkt. Alternativen dazu gab es auch nicht.

Vorher nach Preisen fragen!

Abendessen in dem genannten Restaurant, lockere 800 m den Pilgerweg zurück. Hatten wir hier mittags nicht ein Schild "Menü 7 EUR" gesehen? Jetzt gab es keines, nur Essen a la carte, ohne Preisangabe. 1 Tagesteller + 1/2 Liter Bier kostete am Ende 8 EUR. Es ist dringend anzuraten, sich vorher nach den Preisen zu erkundigen, was man sonst allgemein auf dem Land nicht machen soll, aber hier ist es angebracht. Ich hatte schwer den Eindruck, dass die Preise recht spontan nach Einschätzen der Kundschaft festgelegt wurden. Schacki war ebenso mit den Preisen unzufrieden. (Wie das Restaurant hier überhaupt überleben sollte, weitab von allen größeren Straßen, war mir sowieso schleierhaft. Vielleicht waren die Preise auch die blanke Not.)

Eine feuchtfröhliche Männerrunde

Zum Trost haben Jean-Pierre, Schacki und ich uns in der Herberge zu dritt noch kräftig einen aus der Rotweinflasche genehmigt. Sehr gemütlich. Dann wollten alle ins Bett und schlafen, aber wie zum Henker bekam man das Licht aus? Es stellte sich Folgendes heraus:

Der Unsinn mit der automatischen Beleuchtung

Wie auch in anderen modernen Herbergen traut man den Pilgern weder zu, das Licht auszumachen, noch die richtige Zeit dafür zu wissen. Also ist alles automatisch und mit Sensoren. Das bedeutete hier, dass der Bewegungsmelder bei jedem, der in der Dunkelheit die Treppe hinunterging, die Beleuchtung einschaltete. Das grelle Licht der Treppenbeleuchtung schien mir genau ins Gesicht. Wer mehr hinten im Schlafraum liegt, bekommt nicht ganz so viel ab. Manfred konnte sich an diesen Blödsinn erinnern, denn als er vor zwei Jahren hier gewesen war, schlief hier ausgerechnet eine ganze Schulklasse, von der nachts jede Viertelstunde einer auf die Toilette die Treppe hinunter musste. Nachdem wir auch nicht herausgebracht hatten, wie das Licht überhaupt im Haus auszuschalten war, schwärmten wir aus, bis wir den Sicherungskasten gefunden hatten. Nun musste Hans als Sachkundigster ran, und ihm gelang es, alle Lampen auszuschalten. Das Dumme war jetzt natürlich, dass auf den Toiletten auch kein Schalter mehr reagierte, und im Dunkeln auf den Klo gehen ist sehr gewöhnungsbedürftig. Wieder einmal war meine Taschenlampe Trumpf!

Nachts war es ziemlich unruhig, da die Radfahrer kamen und gingen. Es fuhr sogar ein Begleitfahrzeug vor, das sie versorgte. Ich war trotzdem hundemüde und habe ganz gut geschlafen.


03. Juni 2005, Freitag: Cea - (Lalín-Bendoiro-)Laxe, 39 km (959 km)

Eine scheinbar notwendige Doppeletappe

Der Hospitalero, der uns gestern empfangen hatte, konnte auch das Problem nicht lösen, wie man in Castro Dozón am andern Tag unterkommen konnte. Dort gab es definitiv nichts mehr, auch die Notunterkunft am Schwimmbad nicht, wie er sagte. (Das ist nach neusten Informationen nicht richtig. Siehe unten.) Er empfahl, ein Stück mit dem Bus zu fahren. Die Belgier hatten einen Tipp, dass es in Outeiro eine neue private Albergue turístico gäbe. Dazu ist später noch etwas zu sagen.


Es gibt entgegen allen anderslautenden Informationen doch eine Unterkunft in Castro Dozón; aber vielleicht ist sie nur zeitweilig geöffnet . Die Pilgerfreunde U. und B. R. schrieben mir aus eigener Erfahrung von Ende August 2005 Folgendes: "In Castro Dozon haben wir im Sportheim am Schwimmbad für 20 Euro / Doppelzimmer übernachtet und dort auch ein Pilgermenü für 6,50 Euro erhalten. Die Telefonnummer der Unterkunft im Sportheim ist 625 044 361."

Vielen Dank für diesen Hinweis! Laut Handbuch war die Unterkunft im Mai 2005 noch geschlossen gewesen. - Pilgerfreund U.V. kann die Angaben bestätigen, er hat dort im Juni 2006 übernachtet. Es handelt sich offensichtlich um dasselbe Hostal, das in früheren Handbüchern beschrieben wird. Anscheinend nehmen sie wieder Pilger auf, auch wenn das Hostal offiziell geschlossen ist. Man findet es wie folgt: Von der Nationalstraße biegt man bei einem Schild "Schwimmbad" links ab. Nach ca. 200 liegt links, noch vor dem Schwimmbad, ein großes weißes Haus. Keine äußerlichen besonderen Kennzeichen. Eine vorherige Reservierung ist natürlich sehr zu empfehlen.


In Unkenntnis der vorstehenden Information beschlossen wir Folgendes: Hans und ich würden den Umweg über das Kloster Oseira machen. Was wir da wollten, war nicht ganz klar. Zeit für eine Besichtigung hatten wir sowieso nicht. Jedenfalls kam keine Übernachtung in Frage. Erstens hatte man da sehr Unterschiedliches gehört. (Pilgerfreund Hanns H. erlebte sogar, dass man ihm am Telefon nicht sagen wollte, ob man ihn aufnehmen werde. Man tat es dann aber doch.) Zweitens hatten wir keinen zusätzlichen Tag mehr Zeit, wenn wir Freitag schon wieder aus Finisterre in Santiago zurück sein wollten. Wir hatten nämlich in Campobecerros einen Zusatztag verbraucht, den wir heute durch eine Doppeltetappe wieder herausholen mussten, um damit im Vergleich zu unserer ursprünglichen Planung vier Tage zu früh in Santiago zu sein und so Zeit genug zu haben, nach Finisterre zu laufen.

Kürzere Wege nach Castro Dozón

Manfred, der ja gestern schwer gelitten hatte und das Kloster schon kannte, wollte lieber die kürzere Pilgerstrecke laufen und 5 km sparen; dafür konnte er sich Jean-Pierre und Engracia anschließen. Wir verabredeten uns für 12h00 an der Kreuzung in Castro Dozón, wo auch eine Bar sein musste. Da die letzten 7 km bis dahin aber sehr anstrengend (aber landschaftlich schön sind), ist Manfred auf der N525 geblieben, während Jean-Pierre und Engracia die ausgewiesene Strecke liefen.

Über Oseira nach Castro Dozón: Warnung für Radfahrer

Das Handbuch schickt auch Radfahrer über Oseira: "Besonders der erste Teil über Oseira ist sehr angenehm." Das ist noch aus dem Handbuch von 2004 übernommen, sollte aber schleunigst relativiert werden. Man lese nur, wie es Hans und mir bei einem völlig überschwemmten Wegestück unterwegs gegangen ist.

Das Handbuch hat mit seinen Höhenprofilen nicht viel Glück; auch die auf Seite 221 ist schönfärberisch, was das Hinauf und Hinunter angeht: Der Abstieg ins Tal vor Oseira mag ja noch angehen, aber hinter dem Kloster geht es steil bergauf; später sind zwei weitere Höhenrücken zu überwinden; alles nicht im Profil verzeichnet. Für Fußgänger alles keine große Schwierigkeit, aber Radfahrer müssen sich hier auf etwas gefasst machen.

Eine landschaftlich sehr zu empfehlende Strecke

7h00 rückten wir ab. Das war ja wie "in alten Zeiten", dass Hans und ich allein um die Wette die Hufe schwangen. (Ja, die Zeit vor Zamora lag in der Erinnerung Ewigkeiten zurück.) In Cea nicht den gelben Pfeilen durchs Gassengewirr folgen, sondern von der Herberge aus die Straße hoch bis zu einem kleinen Platz, dann rechts ab bis zum Rathausplatz. Dort kommt der Pilgerweg von rechts. Dann links ab, die Fernstraße überqueren und weiter den Pfeilen folgen. Es kam noch einmal eine Traumstrecke, wenn auch ohne Berge, aber Wald, Wald, Wald, in dem sicher auch Wölfe hausten, in völliger Einsamkeit.

Der Trick mit dem Mauersteig

Dann, nach zwei Kilometern, ist wieder einmal "Land unter!" Manfred hatte sich erinnert, an einer Stelle über eine Mauer balanciert zu sein. Das war sicher hier. Anstatt es links von der Mauer zu versuchen, neben der auch der blanke Sumpf war, gingen wir lieber rechts ins Gebüsch, wo ein Trampelpfad eine Umgehungsmöglichkeit andeutete. Das war ganz falsch. Ich machte den Minenhund und ging voraus, hüpfte bald von Grasbüschel zu Grasbüschel und saß endlich zwischen den trügerischen Grashalmen richtig tief in Schlamm und Wasser. Hans blieb auf meinen Warnschrei zurück und kehrte um. Da ich nicht mehr nasser und dreckiger werden konnte, stapfte ich weiter, bis ich hinter dem Wassermeer auf dem Weg herauskam.

Inzwischen hatte Hans eine Entdeckung gemacht. Manfred, der Knecht, war gar nicht über die Mauer balanciert, da ging ein richtiger Steig drüber, am Anfang kaum zu sehen. Etwas unterhalb der Maueroberkante war eine Verbreiterung, die man wie eine schmale Brücke übers Wasser benutzen konnte. Manfred sagte später zu seiner Verteidigung: als er da gewesen sei, habe dieser Steig auch unter Wasser gestanden. Ist ja möglich. Auf jeden Fall zeigt diese Konstruktion, dass wir nicht etwa zufälliges Pech hatten, sondern hier muss immer mit einer Überschwemmung gerechnet werden. Und Manfred hatte zwei Jahre zuvor das Wasser noch viel tiefer erlebt. Radfahrer müssten hier wohl ihr Stahlross tragen und werden dabei dreckig und nass, wie ich es wurde.

Am Kloster

Abgesehen von diesem Zwischenfall, der uns aufgehalten hatte, kamen wir aber gut vorwärts und fanden alles ohne Mühe. Im Tal, in dem das Kloster liegt, legten wir auf der Landstraße ein Rekordtempo vor, sicher 6 km/h. 9h00 am Kloster. Ein riesiger, aber sonst kaum beeindruckender Bau. Am Tor ein Schild: Keine Störungen vor 10h00. Hm, wir wollten nur einen Stempel, wagten jetzt aber nicht zu klopfen. (Man hört allgemein, dass die Mönche dort nur ungern Pilger aufnehmen.) Ab in die Bar gegenüber. Die alte Dame kredenzt uns gern einen café con leche, obwohl wir die einzigen Gäste sind und nicht die nobelsten: meine Hose sieht schlimm aus, ganz schlammverkrustet. Die Wirtin stempelt auch unsere Ausweise. Na bitte!

Keine Albergue in Outeiro

9h30 müssen wir weiter, haben noch einiges vor uns. Gleich hinterm Kloster geht es sehr steil hoch. Mir macht das Spaß. Man hat wieder schöne Ausblicke. Auch danach sind noch zwei Höhenrücken zu bewältigen, dazwischen kleine Dörfer. In einem trennen wir eine Schäferhündin von ihren Welpen, ohne es zu bemerken. Erst als sie so aggressiv reagiert, sehe ich, was los ist. Wir bleiben ganz ruhig stehen, bis die Welpen zu hier rübergelaufen sind.

In Outeiro frage ich eine Bäuerin nach der neuen Albergue turístico. Kennt sie nicht, das nächste Refugio sei am Freibad von Castro Dozón. Wir danken, wissen es aber besser. - Oder? Schließlich verlassen wir uns auch nur auf den Herbergsvater in Cea. - Man kann den Einheimischen nicht recht trauen, was die Auskünfte angeht, denn sie kommen selbst kaum herum und kennen nur das, was immer gesagt wurde. Trotzdem hatte die Bäuerin diesmal Recht, zumindest gibt es am Freibad wenn auch kein Refugio, aber eine Unterkunft, und wir hatten ja nach einer albergue gefragt.

Später hörte ich, dass es bei "Outeiro" wohl um eine Verwechslung gehe, weil es noch einen anderen Ort gleichen Namens gäbe. Ich hatte mich auch mit den Belgiern gestritten, ob es nun vor oder nach Castro Dozón lag. Ihre Entfernungsangaben deckten sich nämlich überhaupt nicht mit denen, die ich hatte.

Rast in Castro Dozón

Hinter Vidueiros noch ein Schwätzchen mit einem Schäfer. Dann erreichten wir die N525 mit einer kleinen Passhöhe. Ein-zwei Kilometer weiter (aber auf der Fernstraße kommt einem das lang vor) schon Castro Dozón.

12h01 sehen wir Manfred vor einer Bar an der Straße stehen. Jawohl, wir sind so zuverlässig, dass er dafür blind seinen Kaffee verlassen konnte. Er ist, wie schon erwähnt, heute einfach die N525 entlanggelaufen, auch die letzten 7 km, die nicht mehr zum ausgewiesenen Pilgerweg gehörten, da ihm diese zu anstrengend waren. Jean-Pierre und Engracia sind schon vor einer Stunde weitergezogen. Nach einer langen Mittagspause gehen wir 13h00 weiter, haben 20 km hinter uns, aber noch 19 km vor uns. Auf dem folgenden Stück neben der N525 her geht man einmal ein kurzes Stück über altes Pflaster. Von dem Rest der Strecke mit seinen vielen Dörfchen und dem ganzen Zickzack habe ich praktisch nichts mehr in Erinnerung, es muss wohl einfach zu finden und zu laufen gewesen sein.

An einer Verzweigung aufpassen

Erst kurz vor dem Ziel, nachdem ein sehr schöner Bach überquert wurde, gab es ein Problem. Ca. 100 m hinter dem Bach kam eine Verzweigung, keinerlei Zeichen, auch im Handbuch kein Hinweis. Wir gingen rechts, aber links war richtig. Nun landet man in jedem Fall oben am Zaun der Autobahn, nur war unser Weg weiter, da man oben links abbiegt. Vor uns tauchte ein Straßen- und Brückengewirr auf, obwohl die Herberge ganz nah sein musste. Eine geschäftstüchtige Bar ("100 m") lud Pilger zum Essen ein. Etwas weiter musste man die Fernstraße überqueren. Dann links zur Herberge. Wieder ein Schild: "Bar 100 m". Ich kapierte langsam, dass es "spanische " 100 m waren. Ankunftszeit 17h15.

Die Herberge in Laxe

Die Herberge wieder supermodern, ein Steinhaus in tradioneller Bauart, innen ziemlich unübersichtlich. Der Haupteingang ist eigentlich rechts. Wir kamen aber vorn durch eine unverschlossene Tür. Außer einem Mädchen, das am Computer saß und mit uns nichts zu tun haben wollte, war niemand da. Oben zwei Schlafräume, links für Frauen (16 Betten), rechts für Männer (8 Betten). Die hatten wohl einen an der Mütze! Im rechten Schlafsaal waren zwei spanische Pilger. Wir bezogen den linken, den "Frauenschlafsaal". Später kamen Schacki und Dakshina, hatten einen Teil der Strecke als Anhalter zurückgelegt. Sie zogen zu den Spaniern.

Im Erdgeschoss ein langgezogener Aufenthaltsraum, eine Küche mit modernstem Herd. Vor der Hintertür noch ein Wäschewaschraum, Leinen oben im Hof. Außerdem finde ich unten noch zwei große kahle Räume, in denen man notfalls auf dem Boden schlafen kann. Nach einiger Zeit erscheint die junge Hospitalera und ist ganz verschnupft, dass wir uns im Empfang, zu dem man durch die Seitentür kommt, schon selbst bedient haben: die Stempel lagen dort, auch habe ich uns alle fein säuberlich ins Refugiobuch eingetragen und sogar die Statistikformulare ausgefüllt. Sie muss doch etwas schmunzeln.

Die geschäftstüchtige Bar Ma. José

Abends zu fünft den Pilgerweg weiter entlang zu der Bar Ma. José, die so viel Reklame macht. Nach 300 m erreichen wir die N525, es geht weiter an ihr entlang bis zu einer kleinen Anhöhe am Ortsrand, insgesamt ca. 600 m. Ja von wegen "100 m"! Menü 8 EUR (nur je 2 Alternativen): Empanada, Rippchen, Apfelsine, Wein und Brot. Bier 1,20 EUR für 0,25 Liter. Der Wirt will morgen früh um 8h00 Früstück anbieten.

Eine Unterkunftsalternative

Jean-Pierre und Engracia kommen nicht. Sie sind vom Pilgerweg abgewichen und haben in Estación Lalín für (insgesamt) 25 EUR übernachtet.

04. Juni 2005, Samstag: Laxe - Bandeira, 20 km (979 km)

Ein wortbrüchiger Wirt

7h00 aufgestanden. Hans und Manfred gehen zur Bar Ma. José, um dort zu frühstücken. Ich mache es mir in der Küche unten gemütlich Wasser heiß und frühstücke aus meinen Vorräten nach Herzenslust. 8h15 soll ich oben an der Bar sein. Als ich mich dem Treffpunkt nähere, stehen dort vier Gestalten: Manfred, Hans, Jean-Pierre und Engracia. Der Wirt hat sein Wort nicht gehalten und ist nicht gekommen. Vielleicht, weil Samstag ist, woran er nicht gedacht hat. Da feiern die Spanier ja immer, und da hatte er keine Lust, so früh aufzustehen. Also müssen Hans und Manfred mal wieder nüchtern losziehen.

Pilgern mit Engracia und Jean-Pierre

Der Himmel ist bedeckt, aber es bleibt trocken, gutes Wanderwetter. Der Weg schlängelt sich heute um die N525 und ist stellenweise sehr matschig, aber nie so überschwemmt, dass man wirkliche Probleme bekäme. Im nächsten Ort Prado fragen wir nach einer Bar. Nein, alles geschlossen. Unterwegs haben wir oben an der N525 ein Hostal gesehen. Manfred und Hans wollen zurücklaufen, um dort zu frühstücken. Na, da konnte ich schon mit Jean-Pierre und Engracia weiterziehen. Wie ich schon mal schrieb, ist Engracia die Führerin von den beiden. Sie ging voran, und Jean-Pierre lief glücklich hinterher, genoss die Freiheit des Pilgerns und sang und lachte. Ich fühlte mich sehr wohl bei den beiden, nur dass ich Hemmungen hatte, mit Engracia mein Brocken-Spanisch zu reden. Nun spricht sie auch gut Deutsch, aber das wollte ich ihr nicht dauernd zumuten. Schließlich waren wir in Spanien.


Durch Anklicken vergrößern
Römerbrücke und antikes Pflaster vor Taboada
(Bilder: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern

Ein lohnender, aber anstrengender Umweg

In Prado verlässt man die N525 nach links und läuft in einem großen Bogen, bis man bei Taboada wieder die N525 erreicht. Dieser Umweg lohnt aber, da man unterwegs nicht nur an einer sehenswerten Eisenbahnbrücke vorbeikommt, sondern auch noch eine Römerbrücke überquert und anschließend auf einem sehr alten Wegestück mit wohl noch römischem Pflaster hochsteigt. Das begeistert mich immer wieder.

Hans und Manfred, die das alles schon kannten, blieben auf der Fernstraße, um Zeit zu sparen, allerdings auch einige Höhenmeter, denn die Brücke liegt unten in einer regelrechten Schlucht.


In Silleda

Bei Taboada verlässt man die Fernstraße gleich wieder. Bald tauchte Silleda in der Ferne auf. Es dauerte aber noch etwas, bis wir die Stadt erreichten. Unweit der Kirche kehren wir in die nächste Bar ein. Ich lasse nach Pilgerbrauch meinen Rucksack draußen stehen, damit nachfolgende Kameraden wissen, dass ich drinnen sitze bzw. die Bar geöffnet ist. Bald kommen Schacki und Dakshina zur Tür herein.

Tittenkäse

Wir haben unterwegs gesehen, dass sie einem Mann in eine Art Fabrik gefolgt sind, wahrscheinlich um Wasser zu bekommen. O nein, weit gefehlt! Die beiden waren an einem abgestellten BMW vorbeigekommen, als sie sahen, dass sich dieser sehr langsam selbstständig machte. Sie alarmierten daraufhin den Besitzer der Molkerei (es war nämlich keine Fabrik), der sofort zu seinem Auto schoss und die Handbremse anzog. Er war natürlich außer sich vor Dankbarkeit, denn die beiden hatten sein Auto gerettet. Er nahm sie dann mit in die Molkerei, genau in dem Moment, wo wir vorüberzogen. Drinnen erhielten sie 2 Kilo von dem berühmten "Tittenkäse" geschenkt. - Schacki zeigt ihn uns und lacht, als ich "Tittenkäse" sage, weil er denkt, ich hätte etwas Ordinäres gesagt. Tage später kam er ganz erstaunt an und sagte: "Du, der heißt ja wirklich Tittenkäse!" (nämlich "tetilla")
Das Handbuch nennt weiterhin die Notunterkunft in der Sporthalle von Bandeira. Nach Auskunft eines anderen Pilgers soll sie geschlossen sein, seit es die Unterkunft auf dem Campingplatz gibt (wird im Folgenden beschrieben). Falls die Sporthalle noch zugänglich ist, müsste man sich den Schlüssel bei der Straßenwacht (protección civil) in Silleda holen.

Die Verzweigung vor Bandeira

Ein paar Kilometer hinter Silleda kommen wir um 12h27 an ein Schild, das rechts ab zu der neuen Herberge von Bandeira verweist. Darauf war ich schon gefasst. Der Ort scheint schon zum Greifen nah. Die neue Herberge liegt etwa 2 km abseits, laut jüngsten Pilgerberichten.

Etwas Verwirrung im Handbuch

Die Beschreibung des restlichen Weges geradeaus nach Bandeira, wenn man nicht in der neuen Unterkunft übernachten will, findet sich im Handbuch abrupt, hinter der Beschreibung der Herberge am Campingplatz, auf S. 235 oben. - Wer jedoch wie wir zum Campingplatz weitergeht, sollte am anderen Morgen nicht etwa dieser Beschreibung folgen, das wäre ganz falsch. Es geht aber auch nicht den ganzen Weg bis zur Verzweigung zurück, wie im Handbuch angegeben. Ich schildere unten die Abkürzung; man spart etwa 1 km.

Der Weg zur neuen Pilgerunterkunft in Bandeira

Jean-Pierre ruft mit seinem Mobiltelefon bei der Straßenwacht in Silleda an, ob die Herberge geöffnet ist. Sei sie, hieß es. Na gut.

Wir biegen also nach rechts vom Pilgerweg ab und laufen jetzt im rechten Winkel zur ursprünglichen Richtung, überqueren die N525, es geht immer weiter geradeaus. Langsam bleibt Bandeira links zurück. Keine Herberge zu sehen. 2 km sind nach meiner Uhr 25 Minuten, die sind längst um. Eine Kreuzung von kleinen Landstraßen, links kommt ein Bauer auf dem Trecker. Dort müsste es nach Bandeira schräg zurückgehen. Nein, die Herberge ist noch über 1 km geradeaus, sagt der Bauer. - Ja, spinnen die denn hier? Das ist ja total weitab vom Pilgerweg. Gut, ich hatte schon den wütenden Protest eines Pilgers gelesen, aber sooo weit weg überraschte mich doch. Zu finden ist es jedenfalls einfach: Man läuft so weit geradeaus, bis es an einer T-Kreuzung nicht mehr weitergeht. Dort ist endlich auch wieder ein Schild: Nach rechts! Oben rechts sah ich am Hang zwischen Büschen ein riesiges Gebäude, aber Jean-Pierre glaubte nicht, dass das die Herberge sein konnte, ich eigentlich auch nicht. Sie war es aber doch!

Man lief also rechts auf der Landstraße weiter, an einigen Häusern vorbei, nach einer scharfen Linkskurve über einen kleinen Wasserlauf, dann steil hoch. Links kam ein Tor mit Schild "Medelo - Jacobeo 1993", das einen ehemaligen Campingplatz auswies. Hier musste die Herberge sein. 13h10, alles geschlossen. Die Wegewacht hatte Jean-Pierre wohl falsch verstanden. Oder sie meinten, dass die Herberge in Betrieb sei; dieses Missverständnis von "offen" hatte ich schon früher erlebt.

Ohne Mobiltelefon aufgeschmissen

Wir umrundeten das große Gebäude: ein abgedecktes Schwimmbad, hinter spinnwebenverklebten Fenstern eine ehemalige Großküche, usw. Pfeile weisen zu einem Nebengebäude: Toiletten, abgeschlossene Schlafräume. War es hier richtig? (Später hören wir, dass dieses Haus tatsächlich vorübergehend als Pilgerherberge verwendet worden ist.) An der Tür des Haupthauses klebt ein Zettel: Cristina 699 454 975 anrufen. - Ja toll, und was macht man, wenn man kein Mobiltelefon hat? Laut Pilgerfreunden B. und U. R. gibt es außen am Eingang ein Telefon. Nach meiner Erinnerung funktionierte es aber nicht.

Jean-Pierre ruft an. Eine halbe Stunde später fährt ein Auto vor. Die Hospitalera samt Mann und Kleinkind begrüßen uns wie alte Freunde. Sie schließt auf, freut sich über Pilger. Alles hier steht uns zur Verfügung: große Aufenthaltsräume, in denen sich die Bodenplatten schon gelöst haben ("Mangelnde Dehnungsfuge", sagt Hans fachmännisch). Im Obergeschoss gehen uns die Augen über: Alles Doppelzimmer mit eigenem Bad. Und kein Mensch kontrolliert hier, wer wo unterkommt, um die Putzkosten in Grenzen zu halten. Auf der Treppe steht ein Riesenpaket mit Toilettenpapier. Und das Ganze für 0 EUR, denn wir sind ja in Galicien, und das hier ist die städtische Pilgerunterkunft.

Durch das große Panoramaflurfenster kann ich von oben verfolgen, wie weit, weit entfernt zwei Punkte in Sicht kommen: Schacki und Dakshina. Man kann sogar sehen, wie die beiden an jeder Wegekreuzung stehen bleiben und nach einem Hinweis suchen, dass man abbiegen muss. Später mit Hans und Manfred dasselbe. Keiner sieht mich mit dem Stock aus dem Fenster winken. Dabei ist das Gebäude ja genauso aus der Ferne schon von weitem zu sehen.

Im Pilgerparadies

Am Nachmittag liegen wir alle in der Sonne auf Isomatten und faulenzen. Das ist wieder Urlaub pur hier. Wieder mal kein echtes Pilgerleben, voll von Entbehrungen. Ja, notfalls kann ich auch ohne ;-) Dieser bankrotte Campingplatz ist als Pilgerunterkunft natürlich verschwendet. Das kann auch finanziell einfach nicht so bleiben. Ich denke, dass diese Einrichtung ein Provisorium ist, bis die Stadt eine Pilgerherberge im Ortskern eingerichtet hat. Bandeira ist übrigens 2,7 km entfernt; die Herberge liegt 43 Minuten (3,5 km) von der Abzweigung am Pilgerweg.

Wie man einkaufen kann

Einkaufen? Ganz einfach: an der Wand hängt ein Hinweis mit einer Taxinummer. (Denn selbst ich lege keinen Wert darauf, die 2,7 km, die ich morgen sowieso gehen werde, nur wegen des Einkaufs zu Fuß hin- und zurückzulaufen.) Jean-Pierre ruft also das Taxi an, es kommt sehr schnell. Der Fahrer freut sich über die Nebeneinnahme, und die Fuhre kostet ganze 2,50 EUR (wir geben 3,00 EUR) pro Weg, geteilt durch 4 Mitfahrer bleiben 1,50 EUR pro Kopf hin und zurück. Wir kaufen reichlich ein (ja, auch Bier :-)), denn es gibt ja keine abendliche Einkehr wie üblich. Auch eine Radfahrergruppe, die noch einfällt, kann uns nicht mehr aus der Ruhe bringen. Hier ist Platz für tausend Mann. Fast packte mich die Versuchung, hier einen Tag zu verlängern. Ich glaube nicht, dass es jemanden interessiert hätte. Selbst die Stempel lagen zur Selbstbedienung herum.

05. Juni 2005, Sonntag: Bandeira - (Vedra-Susana-)Santiaguiño, 21 km (1.000 km)

7h00 raus. Manfred hatte ein Zimmer für sich gehabt. Gemeinsames gemütliches Frühstück. 8h15 ziehen wir los. Jean-Pierre und Engracia sind wohl schon weg. Das Wetter ist wieder Spitze: Sonne, aber nicht zu warm. Damit haben wir sehr viel Glück gehabt.

Vom Campingplatz nach Bandeira

Zunächst den Weg, den wir schon vom Taxi her kennen, nach Bandeira: Also vom Campingplatz aus ca. 800 m den Weg von gestern zurück, bis man an die T-Kreuzung kommt, auf die man den Tag vorher von links stieß. Hier geht es jetzt einfach geradeaus. Die Landstraße mündet später in eine etwas größere, auf der man sich nach links wendet und bald den Ortsrand erreicht hat.

Wir stoßen im Ort auf die Radfahrer, die wohl eine geöffnete Bar suchen. Auf dem weiteren Weg gibt es heute wieder einige landschaftliche sehr schöne Abschnitte, denn die Gegend bleibt ja hügelig, und ab und zu gibt es überraschende Schluchten oder Bergkegel.

Big Ben in Spanien

9h57 erreichen wir San Martín de Dornelas. Wie's der liebe Gott will, kommen wir an die Kirche, als die Leute gerade zur Messe hineingehen. Ich freue mich riesig. Obwohl wir ja nun wirklich auffallen, nimmt niemand Notiz von uns. Ich will nicht bestaunt werden, aber man freut sich doch über ein "Willkommen" unter christlichen Geschwistern. Auch der Pfarrer tat wieder so, als er ob er uns nicht gesehen habe. Macht nichts, der liebe Gott war für uns da, und ich konnte ihm für manches danken.

Eine Kuriosität fiel mir auf: In ganz Spanien hatte uns der elektronische Glockenschlag der Kirchen genervt, der den von Big Ben in London imitiert. (Da muss die spanische Bischofskonferenz mal bei einem Wahnsinnssonderangebot en gros zugeschlagen haben.) Irgendwie passt das wie Olé-Rufe in Bayern. In dieser Kirche ging die Uhr total falsch, und dennoch, sogar mitten bei der Wandlung, dingdongte sie immer dazwischen, wenn man gar nicht darauf gefasst war. Am liebsten hätte ich sie mit dem Pilgerstock vom Haken gehauen. Die Spanier hingegen schaffen es ja meisterhaft, alle störenden Geräusche auszublenden, und so zuckte keiner mit der Wimper. Eine so wunderbare Kirche, mit einer schön geschnitzten Holzdecke, und dann so ein elektronisches Monstrum dazwischen!

Eine empfehlenswerte Bar

11h25 verweist uns auf einem Waldweg vor Carballeira ein Schild auf die Bar América (mittwochs geschlossen), "100 m" entfernt. Na, mal sehen, wie weit das wirklich ist. Aber wenn die Leute schon die Pilger einladen, kann man auf freundlichen Empfang hoffen. Nun, es sind tatsächlich nur 150 m links zur N525. Drinnen sieht alles gediegen und vornehm aus. Sind wir hier richtig? Der Wirt zieht schon mal nicht die Augenbrauen hoch, als wir uns am Tresen niederlassen. Oha, rechts im Schaukasten ist ausgestellt, was es hier zu knuspern gibt. Kann sich sehen lassen: Kochschinken, geräucherter Schinken, Braten, ... An der Wand riesengroß die Preise. Ja, die Fernfahrer lassen sich nicht so leicht über den Tisch ziehen. Die Preise sind unglaublich niedrig: Café con leche 0,75 EUR, bocadillo 1,05 - 1,50 EUR, ... Wir bestellen reichlich, und die Wirtin macht's gleich nebenan fertig. Sehr gute Portionen. Das kann man hier sehr empfehlen.


Eisenbahnbrücke vor Ponte Ulla
(Bild: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern

Rast in Ponte Ulla

Inzwischen ist es auch wieder heiß geworden. Wir steigen in ein enges Tal hinab, unten liegt Ponte Ulla, nur 100 m über dem Meerespiegel. Ringsum eine imposante Landschaft, gigantische Brückenbauten. Wir lassen das Restaurant Ríos rechts liegen und gehen etwas weiter in eine Bar links, die Manfred in angenehmer Erinnerung hat. Wir sitzen allein im lauschigen Garten und zischen ein paar Runden (ein "großes" Bier 1,20 EUR, aber ich weiß nie, ob man nun 0,25 Liter, 0,3 oder gar 0,4 bekommen hat; das gibt es alles). Unser Ziel, die Herberge in Santiaguiño, soll nämlich einsam liegen, und da muss man sich eindecken :-)


In der Herberge von Santiaguiño

Es sind nur noch wenige Kilometer bis zu unserem Ziel, eine funkelnagelneue Herberge in alter Bauweise mitten in einer gottverlassenen Bauerschaft. Wieder eine moderne Küche, Wäscheleinen im sonnendurchglühten Hof, so dass die Wäsche im Nu trocken ist, ein schöner Aufenthaltsraum, Waschräume und Schlafräume (je 16 Betten = 8 Doppelstock) nach Geschlechtern getrennt. Cola-Automat.

Hier treffen wir Cornelia, die mitteilungsfreudige Schweizerin wieder. Außerdem ist ein deutscher Radfahrer eingetroffen, der immer wieder zu seiner "Rechtfertigung" erzählt, er leide noch mehr als die Fußpilger, weil er jeden Meter auf dem Originalpilgerweg zurücklegt, und der ist für Radfahrer allerdings zuweilen sehr heftig. Und er schaffe auch nicht mehr Kilometer am Tag als wir ...

Ein weniger empfehlenswertes Restaurant

Jean-Pierre und Engracia, die lange vor uns eingetroffen sind, empfehlen ein Restaurant O Agra unten an der N525. Ein Schild an der Herberge macht dafür Reklame. Man muss ein Stück den Pilgerweg zurück, ca. 300 m, dann an Bauernhöfen rechts hinunter (von der Herberge aus gesehen) und sich unten ebenfalls weiter rechts halten. Halb aus Langeweile gehen Hans, Manfred und ich doch noch dorthin, obwohl auch die zu bewältigenden Höhenmeter noch einige sind. Insgesamt pro Weg 1,5 km, die sich kaum lohnen. Ab 20h00 Abendessen, Dienstagsnachmittags geschlossen. Ich bestelle pescados, weil ich damit schon gute Erfahrungen gemacht habe (siehe Cañaveral), erhalte aber abgeschnittene Ränder von der Scholle, praktisch nur gebratene Gräten. Das schlechteste Essen der ganzen Tour. Die anderen haben aber Besseres.

Wie Schacki und ich nachts alle umlegten

Vor dem Schlafengehen noch eine kuriose Szene. Diese Herberge gehört zu den modernen, in denen es keine Lichtschalter gibt. Am nervigsten sind dabei Bewegungsmelder, die zum Beispiel, wenn man gerade ganz ruhig auf der Brille sitzt, mittendrin in der Toilette das Licht ausschalten. Abends hingegen liegt man im Bett und wartet darauf, dass die Lampen ausgehen. Vielleicht gibt es ja eine Zeitschaltung. In dieser Herberge nun tat sich an diesem Abend nichts, das Licht brannte munter weiter. Also sandte mich mein Schlafsaal gegen 22h30 aus, um für das gebotene Dunkel zu sorgen. Mit einer Taschenlampe für den Rückweg gerüstet, sondiere ich in Richtung Empfangsbüro, das tagsüber so gut wie nicht besetzt gewesen war. Da schleicht doch noch jemand herum. Es ist Schacki, den der zweite Schlafsaal ausgeschickt hat. Wir grinsen uns zu. Neben dem Empfangsbüro entdecken wir einen Wandschrank. Ja, da sind viele kleine Schalter. Die legen wir jetzt alle um ;-)

Bald ertönt aus den Schlafsälen freudiges Geschrei, dass wir Erfolg hatten. Ja, wenn man jetzt noch lange rumprobieren könnte, dann würden wenigstens die Bewegungsmelder auf den Toiletten noch eingeschaltet sein, aber dafür fehlen Zeit und Lust. Die Knistertüten würden morgens Probleme haben ...


06. Juni 2005, Montag: Santiaguiño - Santiago de Compostela, 17 km (1.017 km)

Knistertüten waren wir an diesem Morgen eigentlich selbst, denn schon um 5h00 ging mein Wecker. Wir wollten rekordmäßig früh in Santiago eintreffen, um zuverlässig noch die Pilgermesse um 12h00 zu erreichen. Also erst einmal die Sicherungen alle wieder einschalten. Als erstes zieht Cornelia noch im Dunkeln los. Wir anderen frühstücken gemütlich bis um 6h45. Dann machen wir uns zu fünft (mit Jean-Pierre und Engracia) auf den Weg. Zuerst noch die Höhe entlang, durch einen Eukalyptuswald. Unten, parallel im Tal, läuft die Fernstraße. Dann erreichen wir selbst eine dichter besiedelte Gegend, die Nähe der großen Stadt macht sich schon bemerkbar. (dieselbe Strecke 2007 ausführlicher)
Nach ca. 4 km zeigen (vor Rubial) an einer kleinen Kreuzung Pfeile geradeaus (das sagt auch das Handbuch), ein Muschelstein verweist aber nach rechts ab in eine kleine Asphaltstraße. Jean-Pierre fragt einen Einheimischen, der meint, geradeaus käme ein schlechtes Wegestück, matschig und steil bergab. Also gingen wir nach rechts weiter. Die Asphaltstraße beschrieb einen Linksbogen und führte uns auf Rubial zu.

Das Wetter war wieder sonnig, und bald wurde es auch heiß. Im Ort Susana mussten wir uns ein Stück an einem Stau vorbeischlängeln, denn an der Kreuzung mit der N525 staute sich der Verkehr. Auch der Pilgerweg machte hier einige Kapriolen, was die Richtung anging, wohl um die verkehrsreichsten Straßen zu meiden. Ein Wegekundiger könnte hier sicher abkürzen.

Der letzte Höhenrücken

Etwas später zogen wir eine Höhe hinauf und sahen in ein breites Tal vor uns hinab. Es wurde von einem letzten Hügelrücken abgeschlossen, auf dem links oben Reihenhäuser zu sehen waren. "Das wird schon Santiago sein", meinte ich. Engracia war skeptisch und hatte Recht. Santiago liegt mehr rechts. Mit Hilfe des Handbuchs fanden wir den weiteren Weg ohne Probleme. An der Kapelle Santa Luzía holten wir Cornelia ein, die dort rastete. Hans und Jean-Pierre blieben stehen, um mit ihr zu plaudern, aber uns andere drei zog es vorwärts.

Engracia bestimmte wie üblich das Tempo, aber auch Manfred war heute nicht zu bremsen, so dass es an mir war, ab und zu zurückzuschauen, ob Jean-Pierre und Hans nicht außer Sicht gerieten. Vor dem Aufstieg zur letzten Höhe hoch, wieder auf einem alten camino real, mussten wir dann doch warten, bis die beiden aufgeschlossen hatten. Danach ging es unter der Autobahn her. Hier hatte jemand, evtl. Zigeuner, mitten im Freien die Vorräte eines Altwarenhandels aufgehäuft. So etwas hatte ich schon öfter gesehen.

Im nächsten Ort Angrois war die im Handbuch angekündigte Bar geschlossen. Wir hatten nun schon eine geschlossene Bebauung erreicht, der Stadtkern von Santiago lag vor uns unten zwischen Höhenzügen.

Eine der vielen kleinen "Zufälligkeiten"

10h00. Auf Kopfsteinpflaster ging es steil hinab. Hans ließ sich wieder etwas merkwürdig zurückfallen. Ich schaute nach ihm: er humpelte, denn von einem seiner schweren Schuhe hatte sich die Sohle gelöst und schlappte hörbar bei jedem Schritt. "Finisterre können wir vergessen" meinte er etwas ärgerlich und bekümmert zu mir. Oh, das passte mir aber gar nicht. Blitzschnell gingen mir Pläne durch den Kopf, was man machen könnte. Die Schuhe reparieren? Oder neue kaufen?

An einer schon breiten Straße erst einmal in eine Bar und einen Kaffee getrunken. Da sagt doch Jean-Pierre ganz harmlos: "Ich glaube, ich habe eben einen Schuhladen gesehen." Hans und ich rucken hoch. Minuten später laufen wir die Straße zurück. Tatsächlich, links ein kleiner Laden, gar kein Schuhladen, sondern noch viel besser: eine Schuhschnellreparatur!

Hat der Mensch Töne? Wie viele mag es davon in Santiago geben? Zwei oder gar drei? Und hier lag eine davon genau dann an unserem Weg, als wir sie dringend brauchten. Vielleicht war der Meister ja in der Lage, die Schuhe bis morgen zu reparieren. Ich legte mir schon Sätze zurecht, die die Dringlichkeit unterstreichen sollten. Im Laden ging alles ganz schnell. Der Inhaber schaute uns Pilger freundlich an, nahm sich den Schuh und ging wortlos zu einer Maschine. Hans und ich drückten uns den Daumen. Fünf Minuten später bekamen wir den Schuh zurück, maschinell neu geklebt und fix und fertig. 2 EUR wollte der gute Mann haben. Wir führten fast einen Freudentanz auf. Hans gab ihm 3 EUR; ich erklärte, dass er sich bleibende Verdienste um zwei arme Pilger erworben habe. Er sei wirklich ein Meister seines Faches. Solche Schmeicheleien hören die Spanier gern. Jetzt strahlte er mit uns um die Wette.

Der Weg zum Seminario Menor

Die anderen staunten Bauklötze, als Hans frisch besohlt nach so kurzer Zeit durch die Tür in die Bar stapfte. Ich sandte ein dankbares Stoßgebet zum Himmel. Froh zogen wir dann alle weiter, kamen bald in die Rúa do Ponte do Sar, wo links die Kirche Colexiata de Santa María do Sar liegt, die durch ihren schiefen Turm bekannt ist. Inzwischen wusste ich schon, wo wir mir bekanntes Stadtgebiet erreichen würden und hatte meinen Stadtplan griffbereit. Wie erwartet, führte unsere Straße, rechts vom Hauptbahnhof, in einem Tunnel unter dem großen Ring, der Avenida de Lugo her. Trotzdem machte ich noch einen Fehler.

Wir wollten nicht gleich zur Altstadt und zur Kathedrale, sondern statt dessen zum Seminario Menor, unserem vorgesehenen Schlafquartier. Das lag aber ganz nah, so dass es sich empfahl, erst dorthin zu gehen. Leider ließ ich mich hinter dem Tunnel von den anderen mitziehen, weil die Richtung ja auch so schön stimmte. Man muss aber, statt der Rúa de Sar in Richtung Altstadt zu folgen, den rechts, zunächst parallel verlaufenden, benachbarten Camino da Ameixaga hoch, und es gibt merkwürdigerweise keine Querverbindung. Dazwischen liegt ein Bachtal, das auch das Seminario Menor von der Altstadt trennt. Um diese richtige Straße rechts zu erreichen, muss man erst zur Avenida de Lugo hoch, und das ist gar nicht so einfach. Dazu hat man erst ca. 100 m doch zunächst die Rúa de Sar geradeaus zu gehen, muss dann aber spitzwinklig rechts zurück und eine Treppe zum Ring hoch. Wir waren im Nu schon viel zu weit die Rúa de Sar hoch und mussten umkehren, nachdem ich auf die Karte geschaut hatte.

Von der Avenida aus war es dann ganz einfach: die nächste Straße links einbiegen, das Straßenschild "Camino da Ameixada" gab uns Gewissheit. Schon vor dem Tunnel hatten wir den Gebäudekomplex des Seminario rechts oben liegen sehen. Kurz vor 11h00 erreichten wir die Pforte, genau zu dem Zeitpunkt, wo aufgeschlossen wurde. Das hatte doch prima geklappt. Und überhaupt: Wir waren angekommen!

Im Seminario Menor

Ich hatte mich zu dieser Übernachtung im Seminario Menor breitschlagen lassen, weil ich mit den anderen zusammenbleiben wollte. Normalerweise hätte ich wie üblich in der Bar "La Campana" geschlafen. So kann ich aber jetzt mal aus eigener Erfahrung über diese Unterkunft in Santiago berichten.

Sie kostete 5 EUR pro Nase und Nacht, man bekommt keinen Stempel in den Pilgerausweis. Die Schlafräume liegen im 3. Stock, im Treppenhaus ist ein Getränkeautomat. Es gibt keinen Aufenthaltsraum, und in dem großen, L-förmigen Schlafsaal ist alles außer Schlafen und Wassertrinken verboten. Wir nahmen gleich die ersten fünf Betten rechts. Zu jeder Liege gehörte ein kleiner Schrank, der aber nicht abschließbar war. Hans wollte eigentlich noch um die Ecke in den anderen Teil des Saales, sagte aber nicht warum. Später wurde uns klar: Unsere Betten lagen nicht ideal. Vor ihnen lief alles her, was zum Bad und zu den Duschen wollte, und bis spät in die Nacht hinein war es ein unablässiges Kommen und Gehen. Zudem klapperten nachts auch noch die Fensterläden.

Die Duschen (keine Geschlechtertrennung) waren viel zu heiß gestellt und ließen sich nicht regulieren. Dauernd brüllte wieder jemand auf und flüchtete halb nackt aus der Kabine. Die Toiletten im hinteren Teil des vorderen Waschraumes (ebenfalls nicht nach Geschlechtern getrennt) waren sehr heruntergekommen. Kein Platz zum Wäscheaufhängen.

Die Lage besserte sich sehr, als Hans uns den Tipp gab, dass man vom hinteren Teil des Schlafsaales aus (um die Ecke herum) einen weiteren Flur erreichen konnte, in dem es drei große Zimmer mit Waschbecken, Toiletten und Duschen gab, und das alles vom feinsten! Die Duschen hatten sogar einen kleinen Vorraum und Vorhänge. Damit reichten die Einrichtungen wohl für die ca. 70 Betten. Auch das zu heiße Wasser wurde nach Reklamation zentral niedriger eingestellt. - Wegen den vielen Geräuschen, dem Gelaufe und Geklapper der Fensterrahmen habe ich nachts nicht gut geschlafen. Aber alles in allem ist diese Unterkunft besser als ihr Ruf. Man muss nur von den guten Sanitäreinrichtungen hinter dem Schlafsaal wissen.


Im September 2005 habe ich ein zweites Mal im Seminario Menor übernachtet. Dabei wurden uns die Betten zugeteilt und die rückwärtige Schlafsaaltür erst nach meiner heftigen Reklamation aufgeschlossen.

Besuch in der Bar "La Campana"

11h30 schauen wir vor der Pilgermesse noch bei "meiner Bar" herein. Diesmal erkennt mich die Wirtin und umarmt mich mit Geschrei: "Der Deutsche ist wieder da, der uns so viele Kunden schickt." Sie schleift uns durch alle Zimmer, obwohl Jean-Pierre und Engracia das gar nicht wollen, aber Widerstand ist zwecklos. Ich reserviere für mich ein Einzelzimmer nach unserer Rückkehr von Finisterre, außerdem ein Doppelzimmer für Ingrid und Renate, die ja am Freitag eintreffen wollen.


Das Problem mit dem fehlenden Angekommensein-Gefühl

12h00 Pilgermesse. Wir sitzen mit einem deutschen Pilger, den wir mehrmals getroffen hatten, zusammen in einer Bank. Kein Botafumeiro. Ansonsten bin ich noch wie betäubt. Sicher habe ich die größte Pilgertour meines Lebens hinter mir, aber ich freue mich schon darauf, gleich morgen den Weg wieder unter die Füße zu nehmen. Ich bete für alle zu Hause und für die, die mir einen Pilgerauftrag mitgaben, z.B. Carlota aus Cortes de la Fronteira. Mein Gott, das muss Jahre her sein!
Durch Anklicken vergrößern Erinnerungsfoto vor der Kathedrale


Pilgerroutine in Santiago de Compostela

Nach der Messe ins Pilgerbüro. Zu Fuß von Gibraltar? Der junge Mann reißt die Augen auf. Das hatten sie noch nicht. Jean-Pierre und Encarna ziehen stolz mit der Compostela ab. 13h30 pünktlich ins Casa Manolo. Dort gibt es für 6,50 EUR (1 Fl. Wein 5 EUR extra) riesige Portionen. Fischsuppe, Seezunge (meine Leibspeise dort), Eis. Später zum Busbahnhof, um die Fahrkarten für den Nachtbus nach Bilbao zu besorgen. Weiter die übliche Routine. Eine Kopie der Compostela in der Rúa do Vilar. Im Haus Nr. 30 ist ein neues Informationszentrum "Xacobeo" speziell für den Camino Fisterra. Sie haben nur die mir schon bekannte wertlose Liste von Ortschaften, und das bessere Faltblatt aller drei Wege (Santiago-Fisterra, Santiago-Muxía, Fisterra-Muxía) habe ich leider zu Hause gelassen. Na, die Wegeauszeichnung und mein Gedächtnis werden schon ausreichen.

Noch einmal im "Reyes Catolicos"

Kurz nach 18h00 stellten Hans und ich uns an der grünen Garagentür des Paradors Reyes Catolicos an, um dort kostenlos zu Abend zu essen. (Näheres dazu habe ich in meinen früheren Berichten erzählt.) Das Frühstück und das Mittagessen hatte ich dort schon probiert, und Hans wollte diesen Spaß auch unbedingt einmal mitmachen. Dafür hatten wir uns eine Kopie unserer neusten Compostela geholt. Bald trafen Pilger aus mehreren Ländern ein, einige auch ohne Kopie. Zwei gingen dann, wenigstens ihre Compostela zu holen, obwohl ihre Kameraden mutmaßten, "dass es sicher nicht so genau auf die Zahl 10 ankäme". Da vermutete ich aber anderes und behielt Recht. Während die zwei (Nr. 9 und 10) weg waren, gesellte sich eine blonde Belgierin zu uns und war so Nr. 9. Als die beiden Italiener zurückkamen, waren sie Nr. 10 und 11. Der wie immer etwas herablassende Garagenwärter, der den Gutschein für die Essen ausstellt, wurde bei seinem Erscheinen (recht pünktlich um 19h00) sofort von der Belgierin auf Englisch angesprochen, mit Erklärungen, warum wir elf waren. Ihm war alles egal, er schrieb trotzdem 10 und drückte dann ausgerechnet ihr den Gutschein in die Hand. Das lief aber falsch!

Im Hotel stiegen wir zu elft in das Kellergeschoss, wo es das Essen gab. Die Köchin nahm den Gutschein - und gab genau 10 Teller raus, keinen mehr. Da zogen die beiden Italiener traurig ab. Besser wären sie doch geblieben, denn aus den 10 Portionen hätte man mühelos 11 machen können, und Teller standen überall rum. Es gab ein Tellergericht mit Spiegeleiern, Schinkenscheiben und Pommes. Dazu Salat, etwas angegammeltes Obst, Brot, Wasser und zwei Flaschen Wein. Insgesamt nicht berauschend, aber für Pilgerverhältnisse sehr gut und zudem ja kostenlos.

Abschied

Abends waren wir in der "La Campana" mit Jean-Pierre und Engracia verabredet. Noch im Hellen bogen wir um die Ecke - und wer saß da vor der Bar: natürlich Schacki und Dakshina, unsere ewigen Schatten. Erstaunen und Gelächter! "Sag bloß, das hier ist die Bar, von der du immer erzählt hast?" rief Schacki. "Hier habe doch auch bei meinem ersten Aufenthalt übernachtet!" - Es gibt schon Zufälle!

Dann kamen auch schon Jean-Pierre und Engracia. Es wurde kein rauschendes Fest, denn Abschied fällt immer schwer. Der eigentliche war aber erst am nächsten Morgen, da wir ja zu fünft im Seminario übernachteten. Die weiteren Ereignisse auf unserem Pilgerweg zum Kap Finisterre finden sich im nächsten Kapitel.


Zum nächsten Kapitel: Von Santiago de Compostela nach Finisterre
Zurück zur Einleitung

Letzte Änderungen: 05.07.2022