Nordroute des Jakobswegs in Nordspanien (Camino del Norte)
Kapitel 2: Von Bilbao nach Llanes

Autor: Rudolf Fischer
Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer bei Esperanto.de
Zurück zum Ablauf der Pilgerfahrt 2001

Zur Übersichtsseite aller Pilgerberichte


28.07.2001, Samstag: Von Portugalete nach Castro Urdiales, 29,5 km (215,5 km)

An diesem Tag verließen wir das Baskenland. Zugleich überschritten wir die 200-km-Grenze. Doch vorher gab es noch viel zu sehen - und zu "leiden".

Der Wecker reißt uns um 6:30 Uhr aus den Träumen. Nur zögernd verlassen wir dieses schöne Quartier, aber wir haben wieder eine längere Etappe vor uns. Schon 7:50 Uhr treten wir aus der Tür des Hostales - und gleich wieder zurück: wie üblich fisselt es draußen, also die Regenkleidung über. Dann mache ich (als Verantwortlicher für Planung und Wegefinden) gleich mehrere ganz dumme Fehler, wie ein Anfänger. Ein wenig ist Michael Kasper mit Schuld: "Von der Hängebrücke geht es im rechten Winkel vom Fluss weg", schreibt er. Wir also zur Anlegestelle zurück, suchen die im Handbuch angegebene Straße "im rechten Winkel". Die heißt aber anders. Bevor mir Idiot (ich muss wohl noch sehr müde sein) die Übersichtskarte einfällt, lenken uns zwei alkoholisierte Jugendliche mit Hunden ab, sprechen uns an, lallen uns voll. Um ihnen zu entfliehen, entscheide ich, dass wir die Straße vor uns hochgehen; vielleicht heißt sie im weiteren Verlauf wie im Handbuch angegeben (das kommt schon mal vor). Sie knickt aber bald nach Norden ab, stößt auf eine größere Straße, die in die allgemein richtige Richtung führt, die Küste entlang. Etwa 2 km später kommen wir durch Santurce, das ist von der allgemeinen Richtung her (immer parallel die Küste entlang) nicht grundsätzlich falsch. Plötzlich überrragt aber ein hoher Berg die Häuser vor uns. Ich erschrecke. Wenn wir nun falsch herum laufen...? Ich bleibe stehen und gebe zu, dass ich völlig blind vorangestürmt bin. Ich ärgere mich furchtbar. Meine Frau behauptet, die richtige Straße in Portugalete gestern Abend gesehen zu haben (sie hat Recht, wie sich herausstellen wird). Ein Blick auf den Stadtplan von Getxo (!): Er zeigt doch glatt noch den benachbarten Teil von Portugalete und gibt ausgerechnet die beiden richtigen, im Handbuch genannten Straßen mit Namen an. Warum konnte ich das nicht eher herausfinden? Die richtige Straße geht zwar nicht, wie man das Handbuch verstehen muss, direkt von der Pendelbrücke ab, sondern 100 m versetzt links: Wir sind am Morgen als erstes daran vorbeigelaufen. Also (mit heftigen Selbstvorwürfen meinerseits) fast den ganzen Weg zurück, eine Stunde im Regen vergeudet, wie meine Frau richtig bemerkt, und keinen café con leche.


Durch Anklicken vergrößern Die Stimmung hebt sich bald, als wir Wegekennzeichen des Handbuchs wiedererkennen. In einem Kreisverkehr kommt von links auch der Jakobsweg wieder hinzu. Gelbe Pfeile verweisen auf einen bequemen, mit großem Aufwand gebauten Fuß- und Radweg (mit getrennten Spuren!), der uns schnell aus Portugalete herausführt und schöne Rastplätze bietet. Er hat sogar einen Namen: Bidegorri. Bald lässt auch, immer "wie üblich", der Nieselregen nach. Rechts liegt der Berg, der mich so erschreckt hat. Wir laufen in einem weiten Linksbogen ins Inland um ihn herum.
Auf dem Fuß- und Radweg Bidegorri

Hinter einer Ortschaft (keine Bar) steht eine sehr alte Frau am Weg und schaut uns entgegen. Wie immer grüßen wir höflich. Da sagt sie zu mir: "Bete für mich!" Ich bin überrascht, gerührt: Sie hat uns als Pilger erkannt und gibt uns nach alter Tradition einen Betauftrag mit auf den Weg. "Seguramente, señora", ich mache fast eine Verbeugung vor ihr. Sie freut sich. (Diesen Auftrag habe ich nicht vergessen und treulich erfüllt.) - Kurz darauf kurvt der Sportweg unter einem riesigen Autobahnkreuz her. Einige Kilometer weiter erreichen wir bei La Arena wieder die Küste.

La Arena besteht fast nur aus Hochhäusern (mit Ferienwohnungen?). Endlich bekommen wir unseren morgendlichen café con leche. Danach geht es an den Strand. Wie fast jeden Tag, kommt gegen 11 Uhr die Sonne raus. 1 Stunde Strandpause auf unseren Isomatten. Wir sind zwar nicht im Badeurlaub, aber das muss drinsitzen! - Wie gewohnt, müssen wir am Ende der Bucht die angrenzende Höhe gewinnen, diesmal aber nur halbhoch, und wir gelangen auf einen herrlichen Panoramaweg, der weite Blicke in beide Richtungen die Küste entlang erlaubt. Das genießen wir so richtig. In der Ferne liegt schon Castro Urdiales, unser heutiges Etappenziel; aber es ist noch weit bis dahin. - Am Weg stehen auch einige Ruinen mit Hinweistafeln. Hier gab es mal eine Algengewinnungsanlage. Voraus sogar ein Brunnen, und - wir lachen laut - eine kluge Kuh betätigt mit dem Kopf den Druckknopf und besorgt sich Wasser; das wird gleich als Foto festgehalten.

Am letzten Dorf des Baskenlandes vorbei geht es wieder auf eine Piste, die Küste entlang, einmal durch einen malerischen Tunnel. Voraus liegt eine hässliche Fabrik (für Fluorprodukte): ungeniert ergießt sich ein Strom Abwasser von der Höhe ins Meer. Dann schwenkt die Piste ins Inland auf Ontón, die erste Ortschaft von Kantabrien, zu. Recht abenteuerlich muss man unter einer Autobahnbrücke steil hinabklettern, bis man einen Weg erreicht, der direkt in den Ort führt. Hier soll eine Pilgerunterkunft sein, wie man im Internet liest. Das Handbuch enthält aber keinen Hinweis dazu. Wir machen Essenspause direkt neben der Kirche. Es kommen einige Einheimische vorbei, sehen uns, aber niemand weist uns auf ein Refugio hin. Nun, wir wollen da ja auch nicht bleiben.

In Ontón wendet sich der Jakobsweg ins Landesinnere. Das bringt nichts. Ich empfehle, weiter dem Handbuch zu folgen, wie wir es auch taten. Danach müssen wir zunächst ein langes Stück die N-634 entlang. In einer Bucht liegt weit unten der traumhafte kleine Strand von Mioño: grünblaues Wasser, herrlicher Sand, kaum Leute, weit abseits der Fernstraße. Wegen unserer Pause in La Arena verzichten wir schweren Herzens. Das Handbuch empfiehlt einen Abstieg am Strand vorbei und einen Aufstieg gegenüber. Wir meinen, uns das schlimmste Auf und Ab sparen zu können, indem wir auf der Straße bleiben und den "kleinen" Bogen durch Mioño machen. Das war falsch, der Empfehlung von Michael Kasper sollte man unbedingt folgen. Denn erstens senkte sich auch die Straße viel mehr, als wir dachten; zweitens war der Bogen viel größer als angenommen, und drittens gab es in dem ziemlich vergammelten Ort nichts zu sehen. (Ich schaute nach einer Unterkunft aus, mich lockte immer noch der Strand, aber kein einziger Hinweis.) - Meine Frau geht vor mir wie meistens; wir laufen auf dem Begrenzungsstreifen der Nationalstraße. Urplötzlich, viel schneller, als ich reagieren kann, schießt ein Kettenhund auf meine Frau zu, die Kiefer schnappen knapp vor ihrem Bein zusammen, dann reißt ihn die Kette zurück. Ohrenbetäubendes Gebell, auch von einem zweiten Hund. Hier wollte ein Bauer wohl demonstrieren, wie weit sein Eigentum genau reicht. Wenn meine Frau nur 20-30 cm weiter rechts gegangen wäre, hätte sie der Hund erwischt. Diese und ähnliche Erlebnisse mit Hunden zerrten immer wieder an unseren Nerven. Schuld sind natürlich die Besitzer, nicht die Tiere... Dann ist die Höhe zu überwinden, wo von rechts der Pfad hochkommt, der im Handbuch beschrieben ist. Kurz darauf ist endlich der Stadtrand von Castro Urdiales erreicht.

Was jetzt folgt, ist die häufige "Last der letzten Kilometer": Man denkt, man hat es geschafft und lässt sich etwas hängen, und dann muss man doch noch einen Kilometer weiter, und noch einen, und noch einen... Zur Begrüßung ein Schild: "Information 500 m" samt Jakobsmuschel. Oha, Kantabrien begrüßt seine Pilger. - 500 m weiter: Absolut nichts zu sehen, wo man sich informieren könnte. Wir brauchen dringend eine Stadtplanübersicht, um das Touristenbüro zu finden. Vielleicht ist ja gleich um die Ecke der städtische Campingplatz, und wir laufen dran vorbei... Nichts. Rechts ab 1 km zum Anfang des langen Stadtstrandes. Die Promenade endlos entlang, wieder werden wir angegafft und sind jedem mit unseren sperrigen Rucksäcken im Wege. Kurz vor der Altstadt endlich das Touristenbüro. Naja, Dienstleistungen wie üblich: Stadtplan, etwas genervt-hilflos "Nein, nichts Geeignetes für Pilger", einige Hostales angekreuzt, am besten zum Campingplatz, "nur" noch 2 km geradeaus... Es waren natürlich noch gut 3 km, aber so sind sie uns los. Meine Frau schleppt mich etwas durch Altstadt (sie hat ja Recht, dass wir sicher nicht nochmal hierhin zurückkommen); da, eine Pension - und umherirrende Touristen (Wo ist der Eingang?) davor. Ich will doch auch lieber zum Campingplatz. Also bis an den Stadtrand, dann links bis zur Autobahn. Immer noch kein Ende. Ein schmaler Weg (Autos bedrängen uns) schlängelt sich endlos (habe ich den Eindruck) hoch. Schließlich sind wir weit über der Stadt - und der Autobahn (Lärm). Ich bin mit meinen Kräften am Ende.

Der Campingplatzleiter nimmt uns freundlich auf.
Camping de Castro, E-39700 Castro Urdiales, Tel. 942 867 432 . Preis: 600 P. pro Person, 700 P. Zelt + IVA. Es gibt, wie bei anderen Campingplätzen auch, Hütten zu mieten, aber die sind überall teurer als Pensionen.

Unser Standplatz ist nicht schlecht, nahe dem Empfangskiosk (Überdachung und - halb kaputte - Bank => Zufluchtsort!) und den zentralen Einrichtungen. Nachts stellt sich das als Nachteil heraus, da der Nachtwächter am Tor laut mit anderen Nachtwandlern schwatzt. - Es gibt sogar ein Schwimmbad, aber bis wir die üblichen Aufgaben hinter uns haben, schließt es. - Fürs Abendessen suche ich das auf dem Schild vor dem Gelände genannte Restaurant. Der Campingplatzleiter gibt auf direkte Nachfrage zu: Das gibt es gar nicht (s. meinen Exkurs über Hinweise auf Schildern in Spanien). :-( Meine Frau schlägt ganz kühn vor: Dann gehen wir noch einmal in die Stadt zu dem schönen Fischrestaurant, das wir unterwegs gesehen haben. Ich meine, das sind wenigstens je 2 km hin und her; sie behauptet noch heute, dass es weniger waren. Wir sind jedenfalls losgezogen und haben sehr gut gegessen. Erst im Dunkeln waren wir zurück.


29.07.2001, Sonntag: Von Castro Urdiales nach Laredo, 26,5 km (242 km)

Der Morgen ist trübe, unsere Stimmung auch. Zwar hat es nachts nicht geregnet, aber pünktlich zum Aufstehen setzt Nieselregen (oder ist es Tau?) ein. Wir beziehen unseren schon gestern ausgeguckten "Zufluchtsort", die halb kaputte Bank vor dem Empfangskiosk, wo wir ein karges Frühstück auf den Knien zubereiten. Nebenan in der Bar gibt's Kaffee, aber nur für Angestellte. Auf einmal kommt der Campingplatzleiter heraus und schenkt uns zwei in Alufolie eingewickelte Croissants. Auf seinem Gesicht lese ich (freundliches) Mitleid. (Zwickt ihn auch noch sein Gewissen wegen dem fehlenden Restaurant?) Auf seine Frage hin antworten wir, dass wir die Croissants sehr gern mögen. Da rennt er zurück und kommt noch mit sechs kleinen süßen Teilchen wieder, die die Spanier zum Frühstück essen. Also, das ist ja wirklich rührend!

Mit hastig eingepacktem Zelt und noch nasser Wäsche ziehen wir los, dicken Regenwolken entgegen. Und sowas nennt sich "Sonn"tag! Pfiffig (wie wir manchmal sind) haben wir am Vortag irgendwo gelbe Pfeile ausgemacht und finden diese auch gleich unterhalb des Campingplatzes wieder. Wir brauchen also nicht in die Stadt zurück, von wo aus das Handbuch einen anderen Weg beschreibt. In Kantabrien ist der Jakobsweg doch schon durchgehend ganz gut markiert. Kurz darauf kommen wir an einer Hecke vorbei. Dahinter liegt eine Wiese, von der aus uns 5 Huskies wütend anbellen. Die Wiese liegt höher als unser Weg. Ein kleiner Satz des Leithundes, und wir hätten die Meute am Hals. Ich habe Angst. Aber es geht wieder einmal gut. Im nächsten Dorf wieder Hunde-Spektakel. Voraus die Autobahn mit einem Straßentunnel: Ich erkenne ihn laut Handbuch; hier kommt der Weg von Michael Kasper wieder herein. Etwas weiter das Dorf Cérdigo. Meine Frau ist hinter Büschen verschwunden; ich sitze neben der Kirche und kontrolliere meinen rechten Fußballen.

Schon lange habe ich links einen Zeh, der mir immer Ärger macht, und den Ballen mit dem "Wunderpflaster" verklebt; den Ballen aber nur vorbeugend, sobald er anfing zu brennen. Jetzt ist es auch rechts soweit. Noch keine Blase, aber bald, wenn ich nichts darüberklebe. - Dieser Schutz hat sehr gut geholfen. Einmal nach ein paar Tagen erneuert, und gut anderthalb Wochen später brauchte ich den Schutz nicht mehr. Auch der lädierte Zeh heilte am Ende gut ab. - Nein, mit Blasen hatten wir in diesem Jahr keine Probleme.

Hinter Cérdigo erreicht man wieder die N-634. Jetzt folgt nach dem Handbuch ein Wegestück parallel zur Straße, in Tuchfühlung mit der Küste, das zunächst über schöne Pfade geht, dann aber immer wirrer durch Felsgeröll und Heidekraut. Viele gelbe Pfeile wiesen den Weg, der aus Ziegenpfaden besteht, bis zu einem "seltsamen Turm aus Stahl und Beton" (Handbuch). Den haben wir noch gefunden, aber den Rest laut Handbuchbeschreibung nicht mehr. - Nun liegt aber der Ort Islares schon sichtbar geradeaus vor einem. Wir durchquerten ein halbes Dutzend Gatter, mit Stricken verschlossen, die meine Frau auffummelte; manchmal mussten wir auch die Rucksäcke absetzen. Hinter einem Gatter ein Hund, angebunden, vor zwei leeren Schüsseln: er freute sich wie närrisch, uns zu sehen. Schade, ich hatte doch Bedenken, mich in seine Reichweite zu wagen. Wenigstens hätten wir ihm den Inhalt einer unserer Feldflaschen dalassen sollen. Wer bindet nur seinen Hund so in der Einsamkeit an? Zu bewachen gab es doch nichts. Der Hund bellte uns Fremde nicht einmal an. - Am Ende gelangten wir, immer schnurgeradeaus, auf eine Wiesenzufahrt, eine Piste usw. direkt nach Islares herein.

Es ist zu überlegen, ob sich dieses mühsame Stück hinter Cérdigo lohnt. Tolle Ausblicke auf die Küste bietet es nicht und kostet viel Kraft und Zeit. Die Alternative ist, bis Islares auf der N-634 zu bleiben, dann aber in Richtung Kirche im Ort rechts abzubiegen. Vor der Kirche links sieht man dann wieder gelbe Pfeile.

Die Route laut Handbuch berührt vor Islares auch noch einmal die N-634, schwenkt aber gleich wieder rechts ab direkt auf den Ort zu. Das ist sicher die beste Möglichkeit, wenn man diese Abzweigung findet. Die einzige(?) Bar liegt auf jeden Fall an der Hauptstraße. -

Es war 11 Uhr, als wir in Islares die Kirche erreichten, 11:30 Uhr sollte eine Messe sein. Das passte doch wieder wie bestellt. Schnell noch eben zur Hauptstraße und der einzigen Bar für einen café con leche. Inzwischen läuteten die Glocken. Danach setzte zu unserem ungläubigen Staunen dröhnende Lautsprechermusik mit frommen Gesängen ein. Da musste auch ein tauber Heide aus dem Bett fallen. Wir fanden diese akustische Umweltbeeinträchtigung nicht gut. - In der Kirche gab es noch einen heiteren Zwischenfall: ein französischer Tourist neben mir reichte einen 2000-P-Schein in Richtung Klingelkörbchen. Ich half ihm flink, nahm den Schein und warf ihn in den Korb, der gleich weiterging. Einige Minuten später fiel mir ein, dass er wohl wesentlich weniger (100 P. gelten schon als gut) geben wollte und erwartet hatte, dass ich ihm den Korb zum Wechseln gab. Tja, diese interkulturellen Missverständnisse. Jedenfalls machte er gute Miene zum bösen Spiel; auch als der Korb links von ihm wieder in Reichweite kam, ergriff er nicht die Chance, sein Wechselgeld doch noch zu bekommen.

Nach der Messe wünschten uns einige Leute, darunter der Pfarrer und der Küster "Buen camino". Der Küster interessierte sich auch noch für das Woher und Wohin. Dann zogen wir wieder weiter, erreichten einen Campingplatz am Strand von Las Arenillas und wieder die N-634.

Der markierte Jakobsweg weicht ein wenig weiter wieder umständlich ins Inland aus. Wir folgten deshalb dem Handbuch, d.h. blieben auf der N-634. Man überquert den Fluss Agüera und sieht erfreut Biotope und weiter hinten den verlockenden Strand von Oriñón. Dann kommt eine Wahnsinnssteigung auf der Straße. Ich sorge wieder für ein "Belohnungsversprechen" in Form von eisgekühlten Getränken aus einem Automaten. Im Rucksack bleiben sie erstaunlich lange kalt. Wir stapfen hoch. Radfahrer überholen uns und feuern uns an. "Ánimo! Ánimo!" (Mut! Mut!) Das finde ich nett. Oben auf der Höhe wähnt man sich in den Alpen: rings gigantische Bergmassive, die von der Nationalstraße und der Autobahn leider zerschnitten werden. Im Straßengraben, im Schatten, machen wir Pause, trinken unsere "Belohnung" und essen was. Mancher Autofahrer winkt uns zu. Wir schwitzen, aber wir sind gut zufrieden. Dann folgen wir der N-634 durch die Bergwelt, überqueren die Autobahn auf einer hohen Brücke. Kurz vor Liendo ist ein Aussichtspunkt ausgeschildert. Wir machen den kleinen Abstecher (dessen Aussicht sich eigentlich nicht lohnt) und treffen auf ein junges Paar aus Parchim. Sie fragen uns interessiert aus und spendieren Coca Cola. Hmm! - Dann neigt sich die Straße dem Tal und der Ortschaft Liendo entgegen.

Hier hat ein Pilgerfreund, den wir zwei Wochen später treffen, in einer Herberge im Pfarrzentrum übernachtet, wie er berichtet. Wie immer gab es aber an der Straße keinerlei Hinweis. Auch das Handbuch schweigt sich aus. - Gleich hinter Liendo führt einen das Handbuch wieder eine Alternative über Stock und Stein über die Berge. Diesmal lohnt es sich aber wirklich. Diese nahezu alpine Landschaft muss man genießen. Es ist außerdem das letzte Mal, dass man (vor Oviedo) durch eine solche Bergwelt direkt an Meer entlangpilgert. Hinter Laredo ist es an der Küste flacher, und höhere Berge gibt es allenfalls als Kulisse links von einem im Inland...

Dieser Tag hat es in sich. Die wievielte Kraxeltour einen Berg hinauf ist das bereits? Von der kleinen Asphaltstraße, der wir folgen, kann man noch zusätzlich einen Abstecher zu einer Kapellenruine machen. Klar, auch das schaffen wir noch. - Die Ruine besteht nur aus überwucherten Resten, beeindruckt mich nicht sehr. Die Sonne brennt. Es geht noch ein Stückchen hoch auf eine Wiese. - Diese Wiese ist auch von der kleinen Asphaltstraße aus zu erreichen, indem man zunächst auf ihr bleibt, dann aber an der Stelle, wo es steil rechts runter zum Strand von San Julián geht, scharf rechts 200 m einen Feldweg läuft.


Im Bergland bei Liendo Durch Anklicken vergrößern Wir kommen hingegen von der Kapellenruine her und laufen am Rand der Wiese, zum Meer hin entlang. Denn dort hat man eine sagenhafte Sicht auf das Meer und den Strand unter sich, mit Bergen links und rechts als wieder mal unglaublich schöne Kulisse. Ich kann den Abstecher zu dieser Wiese nur empfehlen.

Von der genannten Wegkreuzung aus, wo die kleine Asphaltstraße hochkommt und wo es zum Strand hinuntergeht (was wir uns verkneifen), geht es geradeaus in Richtung zweier verlassener Häuser. Dann links hoch, denn noch weiter kommt schon die Abbruchkante.


Der Weg biegt nach einer Weile mit roten Pfeilen nach links, aber der Handbuchautor hat eine stressige Abkürzung ausfindig gemacht. Ein Zaun muss überwunden werden (gut, dass wir zu zweit sind und uns gegenseitig helfen können); dann folgt man undeutlichen rot-weißen Markierungen auf Ziegenpfaden durch ein Heidegebiet, parallel zur Abbruchkante nach Westen. Hier soll man sich an einer Hausruine orientieren, die laut Handbuch (S. 101) "schon von weitem erkennbar ist". - Denkste! Die Markierungen sind weg, und keine Ruine zu sehen. Meine Frau deutet nach links (Nein, das ist keine Ruine, sondern ein neuer Rohbau, weit weg), etwas näher (Nein, das ist kein Haus, eher ein Brunnen). Wir suchen herum, finden rechts zur Abbruchkante hin einen Pfad, der durch ein Gebüsch führt, und folgen ihm aufs Geratewohl. Immer noch nichts zu sehen. Meine Frau geht links den nächsten grasbewachsenen Huckel hinauf und ruft: "Ich sehe die Ruine!" Gottseilob! Also doch weiter links. Die Ruine ist groß und unverkennbar - und bietet einen tollen Blick auf Laredo unter uns. (Klar, dass sie von Laredo aus deshalb ein "Orientierungspunkt" ist, wie das Handbuch schreibt, aber nicht vom Osten her.) Von der Ruine aus war der weitere Weg ohne Schwierigkeiten zu finden. Allerdings ging es noch etliche Kilometer steil bergab, teils einen alten Hohlweg, danach an Klostermauern entlang. Vorher kamen wieder rote Pfeile von links: Ob es nicht doch eine einfachere Verbindung, den roten Pfeilen nach, gibt, die etwas weiter sein mag? (Sicher, die Aussicht von der Ruine aus hat man dann nicht.)

Laredo begrüßt einen mit seiner sehenswerten Altstadt. Das Handbuch nennt eine Herberge zum Guten Hirten für 1.500 P. (und noch eine weitere); für Santoña, am Sund gegenüber gelegen, ist nichts vermerkt. Also beschließen wir zu versuchen, in Laredo unterzukommen. Nach einer kurzen Pause bleibt meine Frau mit dem Gepäck zurück. Ich mache mich auf die Suche nach dem Touristenbüro; im Handbuch ist der Weg beschrieben, kein Problem. Mit einem Stadtplan komme ich zurück. Die Herbergen sind nicht weit. Oha, Gemeinschaft der Franziskaner! Klingt ja alles sehr kirchlich, da müssten wir willkommen sein. Wiedermal denkste! In der Tür erscheint eine resolute Frau (eine Nonne?), die auf unseren Spruch "Wir sind Pilger und möchten hier unterkommen" gleich einen Wortschwall loslässt, dem ich nur entnehme, dass das hier eine "Privatunterkunft" ist und wir uns nach Santoña trollen sollen. Ich protestiere: Wieso privat? Habe doch die Adresse vom Touristenbüro (vom Handbuch abgesehen)? Wieder schwallt sie, und dann fällt ein Wort, das uns aufhorchen lässt: "gratuito" Ach so, sie glaubt, dass wir hier kostenlos nächtigen wollen. Und zum ersten Mal sage ich den Zaubersatz: "Pagamos como turistas normales!" (Wir zahlen wie normale Touristen) Hui, da kommt auf ihrem Gesicht die Sonne raus, und die Tür geht ganz weit auf. Na, so eine Freude, Pilger (die zahlen)! Ein Zimmer mit Bad gefällig zu 6.000 P.? - Hupps, geht's nicht etwas billiger? - Na gut, ohne Bad, 5.000 P. Wir akzeptieren. Sie gibt uns dann ein Zimmer, bei dem das Etagenbad direkt nebenan ist. Da wir kaum andere Gäste sehen (und es noch weitere Duschen und Toiletten zum Treppenhaus hin gibt), haben wir es praktisch für uns allein. - Sie fragt noch etwas verlegen, ob wir verheiratet seien (wegen dem Doppelzimmer). Da können wir beruhigen: Mehr als 30 Jahre. - Na, so eine Freude!


Ergänzung von Sept. 2002: Gewarnt durch die obigen Zeilen, probierten es einige Pilger mit der zweiten Unterkunft "Trinidad", um ähnlich enttäuscht zu werden. Sie war mit einer (deutschen) Jugendgruppe voll belegt, deshalb wollte man die Pilger gar nicht aufnehmen. Am Ende dann doch noch für 10 EUR pro Kopf. Ein fragwürdiges Vergnügen bei dem Krach, siehe unsere Erlebnisse in Llanes. Fazit: Unterkunft in Laredo bleibt problematisch.


Wir entwischen bald ihrer Neugier, besichtigen die Stadt, suchen ein Geschäft, das auch am Sonntag geöffnet hat - und finden das einzige der Stadt. Der Ladeninhaber spricht stolz gutes Deutsch; besonders deutsche Camper scheuen keinen Weg, um bei ihm zu kaufen, sagt er. Im Hafen suchen wir nach der Abfahrtsstelle der Fähre. Wir sehen zwar Reklameschilder eines Ausflugsbootes, das ohnehin vom Handbuch empfohlen wird, aber sonst nichts Genaues. Nun, morgen wird man sehen. Wir feuchten noch den Magen an, essen auf dem Zimmer und schlafen. Es war ein langer, anstrengender, aber sehr erlebnisreicher Tag.


30.07.2001, Montag: Von Laredo nach Isla, 15 km (257 km)

Erst am andern Morgen bemerke ich meinen Planungsfehler: Wir sind zwar um 9 Uhr am Hafen, aber es gibt gar keine Fähre. Nur das Ausflugsboot, und das fährt erst um 11 Uhr. Steht auch dick und fett im Handbuch. Wir hätten auf jeden Fall schon tags zuvor nach Santoña übersetzen müssen, Übernachtungsmöglichkeit hin oder her. Da ausnahmsweise schon morgens die Sonne lacht, lache ich etwas gequält mit. Also haben wir den Strand besucht und auf einer Bank der Promenade ein Sonnenbad genommen. Kurz vor 11 Uhr dann zum Hafen, kein Ausflugsboot zu sehen. Fischkutter fahren an der Kaimauer vor, rüsten sich für die nächste Ausfahrt. Ich suche nach einem Fallreep, einer Brücke, die von der Kaimauer aus zu einem Boot runtergelassen werden könnte: nichts. Meine Frau deutet auf zwei Schiffe ganz am Ende der Hafenausfahrt. Das eine davon müsste nach den Abbildungen das Ausflugsboot sein. Ich bin skeptisch. Was macht es dann soweit weg? Laufen irgendwo hastig Touristen rum (es ist jetzt 11 Uhr)? Nein, auch das nicht. Fahren die etwa montags nicht? Steht nirgendwo. Ich fluche in mich hinein; das kann uns den ganzen Tag kosten.

Da es nichts schadet, gehen wir die ganze Kaimauer entlang bis zu dem "verdächtigen" Schiff. Das spritzt ein Mann gerade gemütlich ab. Eine Touristenfamilie schaut zu. "Ist das das Boot nach Santoña?" Sie nicken. Richtig, wir sind ja in Spanien! Da gibt's keine Hetze. 11:10 Uhr dürfen wir aufs Boot (es geht einfach die Kaimauerstufen runter). Wir sind nur 5 Passagiere. Die Fahrt lohnt doch gar nicht. Es fährt auch tatsächlich nicht los. Ein älterer Mann der dreiköpfigen Besatzung schimpft etwas rum. Also, ich hatte mir die Überfahrtsmöglichkeit ganz anders vorgestellt. Endlich, um 11:20 Uhr legen wir ab. Da wir nur bis Santoña wollen, zahlen wir nur pro Person 500 P. (anstatt 800 P.). Überraschend wenig. Die Fahrt macht einen großen Bogen an dem Felsmassiv vorbei, das nördlich von Santoña liegt. Wir genießen den herrlichen Anblick. An der Anlegestelle in Santoña warten sehr viele Passagiere (und wir haben ja 20 Minuten Verspätung); wenigstens ist also die Rückfahrt für das Boot profitabel. -

Das Handbuch empfiehlt einen Umweg von 5 km durch das Felsmassiv des Buciero (über 300 m hoch!), den wir vom Boot aus gesehen haben. Zu Hause dachte ich: Klar, zu den 18 km nach Isla dazu ist das kein Problem. - Inzwischen sind wir schlauer; wir wissen, was 5 km Felsmassiv an Anstrengung bedeuten (und der halbe Tag ist wegen meines Planungsfehlers auch schon rum), und haben den Berg gesehen; vergiss es! - Lieber also direkt zum Strand von Berria. Nach dem üblichen café con leche in der Innenstadt tippeln wir los und nehmen die rechte der beiden parallelen Ausfallstraßen nach Berria. Unterwegs gibt es Biotope - und den ausgedehnten Gefängniskomplex El Dueso. (Auf einigen Karten ist nur dieser verzeichnet, Berria aber nicht.)

Wir versuchen, am Strand von Berria einen parallelen Weg durch die Dünen zu finden, geben aber nach einigem Rumgestolpere auf und ziehen hinter den Häusern her. Am Ende der Bucht ein Berg, wie immer. Er trennt laut Handbuch Berria von weiteren Stränden, darunter den von Noja, wo wir 1998 gewesen sind. Also, diesen Berg wollen wir nicht auslassen. Gelbe Pfeile weisen hoch. Ich besorge wieder "Belohnungen" (kalte Getränke).


Der Weg ist steil, mühsam, aber gut mit gelben Pfeilen markiert. Sie führen einen über die Spitze, während andere Leute einen Pfad um sie herum laufen. Aber oben ist die Aussicht in beide Richtungen zugleich mal wieder so toll, dass man es nicht gebührend zu würdigen weiß. Das hat sich gelohnt! - Es wird noch besser. Nach steilem Abstieg kommen wir zum Strand von Trengandín, das reinste Paradies. Durch Anklicken vergrößern

Da er so weit von Noja entfernt liegt und nur schwer erreichbar ist, sind hier nur wenige Sonnenhungrige. Ich liege bald im Schatten unter Tamariskenzweigen und gebe mich der Illusion hin, wir seien hier ganz allein, weil die Nachbarn rechts und links von dem Grün verdeckt werden. (Obwohl es Jugendliche sind, hält sich der Lärm in Grenzen.) Ich gehe sogar kurz ins Wasser, die ideale Temperatur: erfrischend, aber nicht kalt und auch nicht zu warm. Meine Frau versucht auch zu schwimmen, was bei der Brandung nicht so leicht ist. Hiermit erkläre ich Trengandín für den schönsten Strand der Nordküste!

Um 16 Uhr, nach gut anderthalb Stunden, heißt es leider wieder "weiter". Den Strand entlang, auf Noja zu. Wir erkennen ihn nur zum Teil wieder. Dort habe ich mich damals nach Campingplätzen erkundigt. Die liegen aber am Nachbarstrand von Ris, und der war es, den wir in Erinnerung haben. Im Zentrum von Noja suchen wir vergeblich nach Läden, die sind erst an der Ausfallstraße. Wegen des fortgeschrittenen Nachmittags kürzen wir abermals die Route des Handbuchs (um etwa 3 km) und marschieren laut unserer Karte die kleinen Landstraßen direkt auf Isla, unser Tagesziel, zu. Auf einmal ragt vor uns wieder ein Berg auf, aber die Sträßchen kurven um ihn herum. Einige, im schnellen Tempo zurückgelegte Kilometer weiter, geht es geradeaus zu den Stränden von Isla; wir müssen aber links ab in den Ort.


Mit Manuel und Esther Durch Anklicken vergrößern Das Handbuch führt drei Unterkunftsmöglichkeiten auf. Wir wollen sie einfach der Reihe nach ansteuern. (Strand und Campingplatz, weiter weg, nur im Notfall.) Als erstes kommt das Hostal Casa Manuel, ich schelle forsch. Es stehen schon ziemlich viele Autos auf dem Parkplatz. Ein Mädchen holt eine zierliche junge Frau, die sich als Esther vorstellt. Pilger? Und wollen ein Zimmer? Moment, dann (strahlend): Ja, da haben wir noch genau eins frei, wie schön! - Manuel, der dazukommt, und Esther sind selbst Pilger gewesen; sofort sind wir dicke Freunde. Wir bekommen ein luxuriöses Zimmer mit eigenem Bad, für den Pilgersonderpreis von 5.000 P., statt 7.000 P., einschließlich Frühstück. Da strahlen alle.

Später besuchen wir den Ortskern, noch 500 m entfernt, hauptsächlich die Kirche. In der Bar La Chata lauern wir, bis der Speisesaal geöffnet wird. Ich bekomme ein Tellergericht: Pommes, Fischfilet und merkwürdige überbackene Stangen, meine Frau hat eine Portion Sardinen bestellt. Als alles auf dem Tisch steht, lachen wir los: Bei mir ist alles bestens, aber ihre Sardinen sind ein halbes Dutzend winziger Fische auf einem kleinen Tellerchen, genug für einen hohlen Zahn. Wieder was gelernt; Sardinen sind sehr teuer. Kein Problem, wir teilen alles geschwisterlich. Was sind bloß diese Stangen? Schmecken gut, etwa wie Tintenfisch. Aber in Stangenform? - Es war tatsächlich Tintenfisch, wie wir später klären können. - Im "Casa Manuel" warteten noch Esther und Manuel auf uns, weil wir gesagt hatten, wir wollten vor dem Schlafengehen noch etwas trinken. So plaudern wir noch etwas. Leider ist die Verständigung mühsam: Esther spricht etwas Englisch, aber kaum verständlich; aber auch das Spanisch der beiden macht mir große Mühe. Schade! Esther ist Reiki-Meisterin (was auch immer das genau ist); deshalb ihre Körperhaltung, kerzengerade wie die einer Balletttänzerin.


31.07.2001, Dienstag: Von Isla nach Santander, 23 km (280 km)

Nach dem Frühstück machten wir noch ein Erinnerungsfoto mit unseren neugewonnenen Freunden Manuel und Esther. Dann zogen wir auf der im Handbuch beschriebenen Route los, bis wir die Landstraße SP-4141 erreicht hatten. Unterwegs hatten uns wieder Hunde an Bauernhöfen genervt, mein Bedarf war für heute gedeckt. Also blieben wir auf der Straße, die zum Teil wieder von einem ausgebauten Radweg (wie hinter Portugalete) begleitet wurde. Das hatte den Vorteil, dass wir auch in den Genuss einiger Rastplätze mit Brunnen kamen. Einmal gab es eine unglaublich langgestreckte Steigung, die uns in der Sonne sehr zu schaffen machte. In Galizano war auch unseren Karten nach eine Abzweigung nach Loredo, die wir aber aus einem Grunde, den ich nicht mehr weiß, unbeachtet ließen. Dabei war diese, sowie auch die im Handbuch beschriebene Alternative, heute nur unwesentlich länger als die Straße.

Vor uns tauchten drei Personen mit Rucksack, aber ohne Muscheln, auf. Ob es Pilger waren, konnten wir also nicht erkennen. - Bislang hatten wir auf dem Marsch seit Irún nicht einen einzigen Mitpilger getroffen.

Am Abzweig nach Loredo verließen wir dann doch die Straße, weil wir wenigstens die letzten Strände noch "mitnehmen" wollten. An der Kirche (geschlossen) vorbei erreichten wir eine Dünenkette; dahinter in beiden Richtungen endloser Strand. Felsen gaben mir Schatten; ich döste gleich ein. Meine Frau trieb es wieder ins Wasser.- Kurz darauf weiter den Strand entlang bis Somo. Der kleine Hafen, von dem die Fähre ausgeht, ist leicht zu übersehen. Zum Glück laufen dort die wenigen parallelen Straßen alle, vor der Brücke nach Pedreña, zusammen. Nach meiner schlechten Erfahrung mit dem Ausflugsboot in Santoña war ich diesmal überrascht, dass es sogar einen Kiosk gab, in dem man Karten für die Fähre kaufen konnte (225 P.). Diese fuhr dauernd hin und her, legte unterwegs noch in Pedreña an; alles kein Problem.

Da waren wir also in Santander. Die ganze Stadt war eine Baustelle. Überhaupt wurde in den Städten und Ferienzentren in Spanien wie wahnsinnig gebaut. Ich frage mich nur, wer da alles wohnen soll. Schließlich kann nur ein Teil der Wohnungen als Feriendomizil dienen. - Dagegen fand man im Inland auf dem Land sehr viele Ruinen.

Unweit der Anlegestelle ist auch das Touristenbüro, wo wir uns einen Stadtplan holen. Die Campingplätze sind sehr weit weg, leider auch vom Jakobsweg.


Nun, wir wollen sowieso in das private Refugio, das es hier laut Handbuch gibt. Die Beschreibung ist gut, bald sind wir, an der Kathedrale vorbei, angekommen. Zwei Pilger sitzen auf der Treppe, Engländer. Sie sind auf der Rückreise, vorher den Camino Francés gegangen und jetzt von León hierher, um eine Fähre nach Hause zu nehmen. Durch Anklicken vergrößern Pilger mit vollem Marschgepäck vor dem Refugio von Santander

Den Mann kann ich sehr schlecht verstehen, er nuschelt so. Es ist mir furchtbar peinlich ("Alle Deutschen können doch so gut Englisch"). Sein Spanisch ist aber besser als meines. Er ruft eine aushängende Kontaktadresse an. Inzwischen melde ich mich bei unserem Esperanto-Freund Miguel, den wir 1999 beim Spanischen Esperanto-Kongress in Castellón de la Plana kennen gelernt haben. Es ist etwa 17:30 Uhr, gegen 19 Uhr wären wir wohl soweit, sage ich. Er lacht, warum es nicht früher ginge. Nun, noch weiß ich es nicht, es ist einfach eine unbestimmte Erfahrung auf dem Camino, dass alles etwas länger dauert, als man gemeinhin denkt.

Ich behalte Recht. Gegen 18 Uhr kommt jemand und schließt die Herberge auf, geht aber gleich wieder. Die drei Spanier, die wir unterwegs gesehen haben, sind auch da und organisieren das Eintragen. Es gibt einen großen Schlafraum mit einem kleinen Vorraum (2 Betten). Die Frauentoiletten und -duschen sind durch einen zweiten Ausgang aus dem Schlafraum zu erreichen. Alles soweit prima. Es kommen noch: ein schwedisch-englisches Paar und eine junge blonde bildhübsche Österreicherin, das Rosenresli aus dem Bilderbuch. Diese letzteren drei Pilger gehen den Camino del Norte von Westen nach Osten, also im Vergleich zu uns in entgegengesetzter Richtung. Die Österreicherin hat aber die Nase voll, will hier das Pilgern beenden, da hier an der Küste alles anders ist als auf dem Camino Francés, insbesondere keine Refugios mehr (von Westen gesehen) und keine Pilgerfreunde (können wir bestätigen), und überall wird sie von Machos angemacht (kann ich verstehen, äh, ich meine, dass sie darüber sauer ist ;-). - Ob die drei Spanier "echte" Pilger sind, finden wir nicht heraus. Sie gehen ja wie wir nach Westen, aber wir haben sie nicht wiedergesehen.

Kurz vor 19 Uhr kommt der "Refugioleiter": es ist der Anwalt, dem die ganze Herberge gehört, ein alter, jovialer, aber ganz freundlicher Mann. Er kassiert von jedem 500 P., das ist bestimmt nicht zu viel, und stempelt unsere Ausweise. Problem: 3 Schlüssel, aber 5 verschiedene Gruppen, die im Prinzip alle in die Stadt wollen, und um 22 Uhr schließt er ab (länger kann man von ihm nicht verlangen, ist ja noch alles ehrenamtlich dazu). - Als Miguel kommt, kläre ich ihn schnell auf, und er schmeichelt ihm einen Schlüssel ab. Dann fahren wir drei Stunden lang durch die Stadt und besichtigen diese am Abend. Santander ist keine sehr schöne Stadt, aber sie hat doch auch reizvolle Ecken, z.B. am Leuchtturm, an einem kleinen Stadtstrand, in einem Park mit einigen Tieren. Wir nutzen die Zeit auch, um Esperanto-Informationen auszutauschen, denn Miguel ist sozusagen mein spanischer "Kollege": er ist wie ich der Redakteur der Mitgliederzeitung des nationalen Esperanto-Verbandes. Ich seufze einige Male innerlich, weil mir bewusst ist, wie zwischen uns der Gedankenaustausch nur so sprudelt, während ich mich in allen anderen Fremdsprachen mehr oder minder behindert erlebe, so sehr ich Sprachen liebe. Auch kann endlich meine Frau als Gleichberechtigte an der Konversation teilnehmen, während sie beim Spanischen fast ganz passiv bleiben muss...

Gegen 23 Uhr sind wir zurück und haben uns von Miguel verabschiedet. Wir essen noch leise etwas in der Küche. Dann kommt mir eine blendende Idee: Ich ziehe über Nacht in den bislang leeren Vorraum. Da störe ich die anderen nicht so mit meinem Schnarchen. (Auch gehen nur wenige hier durch, da die Frauen ja ihren zweiten Ausgang hinten im Schlafsaal haben.) So schlafe ich allein, gut und zufrieden. -

Das Refugio in Santander ist uneingeschränkt zu empfehlen.


01.08.2001, Mittwoch: Von Santander nach Santillana del Mar, 31 km (311 km)

Ich sag's lieber gleich, damit sich niemand vertut: Die vorstehende Kilometerangabe ist das, was wir gelaufen sind, aber nicht die wirkliche Entfernung, weil wir ca. 10 km mit dem Zug gefahren sind. (Das Handbuch gibt 37 km für die gesamte Strecke an.) Doch alles der Reihe nach.

Aus einer großen Stadt herauszupilgern, ist nie toll, ebenso wie hinein, was wir uns ja durch die Fähre erspart haben. Der im Handbuch beschriebene Weg ist aber erträglich und gut zu finden. In Bezana gibt es inzwischen eine große Neubausiedlung und deshalb auch einen neuen Supermarkt (Im Handbuch fehlt noch ein entsprechender Hinweis bei diesem Ort.).

Hinter Mompía sind meine Frau und ich beide auf einmal erschöpft. Die Sonne brennt wie oft, aber dazu geht nicht das kleinste Lüftchen. Der Schweiß läuft uns in Strömen herunter. Wir legen uns auf eine Wiese, leider kein Schatten. Dann kommt zaghaft eine Brise auf, und wir ziehen weiter. Als der Wind auffrischt, sind die alten Kräfte wieder da. (Abends hören wir im Fernsehen, dass der Tag der Region eine Rekordhitze von ca. 40° beschert hat. Wir glauben es!) -

Hinter Poo de Piélagos kam eine Stelle, die uns verwirrte. Man geht direkt hinter dem Ort über eine Eisenbahnbrücke, dann eine Piste rechts ab, ca. 300 m abwärts, parallel zur Bahnstrecke. Dann weist ein gelber Pfeil geradeaus, während das Handbuch die Pilger nach rechts durch einen Tunnel unter der Eisenbahnstrecke her leitet. Dieses Abweichen der Route vom markierten Jakobsweg ist im Handbuch nicht erwähnt. Uns machte das unsicher. Wir suchten herum, entschieden uns dann aber für den Tunnel. Das war richtig. Die nächsten Abzweigungen entsprachen genau der Beschreibung im Handbuch. Etwas sorglos überquerten wir wieder die Gleise. Unmittelbar danach rauschte ein Zug heran (Richtung Santander); oh, oh, wenn der etwas früher gekommen wäre... Ich winke fröhlich dem Lokomotivführer zu, er reagiert gar nicht, guckt nur. 200 m weiter an den Gleisen entlang folgt eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Pas. Ich erstarre: Da müssen wir rüber, obwohl es keine abgetrennte Fußgängerspur gibt wie bei Straßenbrücken. Stattdessen dicke Verbotsschilder! - Ein Blick umher zeigt, dass der markierte Jakobsweg offensichtlich in sehr weitem Bogen um die Flussniederung herumführt. Die Brücke kürzt erheblich ab. Und sind wir nicht in Spanien? ;-) Also geht's im Pilgertrab (denn ich soeben erfunden habe) über die Brücke. Es ist wirklich gefährlich. Ein Zug würde uns zwar nicht direkt erfassen, aber mit seinem Sog vielleicht umherschleudern. Doch es geht natürlich gut. -

So erreichen wir illegal den Bahnhof Mogro. Unser Etappenziel ist der Campingplatz. In glühender Sonne stolpern wir durch Baustellen zum Ort hoch bis zur Kirche. Hier geht der markierte Jakobsweg, der irgendwo am Bahnhof von links wieder auf unsere Route stieß, links ab; rechts soll der Campingplatz liegen. Kein Hinweis darauf, aber, wegen der Baustellen nur provisorisch, ein Pappschild "Zum Strand". Mit meinem gewohnten Pessimismus schwant mir Übles. Um es kurz zu machen: Nachdem wir fast 2 km später den Strand erreichen, sehen wir den Platz, wo nach unserem Prospekt der Campingplatz ist, nein: war, denn er ist leer, ein geschlossenes Restaurant ("Zu vermieten") daneben. Die Enttäuschung ist groß. Wer kommt denn auf die Idee, dass man morgens bei seinem Etappenziel anrufen muss, ob es noch existiert? - Hier hat sich mit dem Bau eines großen Neubaugebietes wohl alles geändert. Statt einem popligen Campingplatz gibt es jetzt ein Vier-Sterne-Hotel. - Die Wasserspender am Strand, die uns erfrischen könnten, sind allerdings defekt...

Meine Frau erkundet das Gelände näher. Ich lege mich zu einem Schläfchen an den Strand, damit sich die Nerven regenerieren. Es ist schon ca. 16 Uhr. Meine Frau, ohne neue Erkenntnisse zurück, befürchtet, dass ich jetzt trotzig das Kinn nach vorne schiebe und sage: "Gut, dann geht es eben nach Santillana del Mar weiter." Laut Handbuch gibt es nämlich auf den 17 km bis dahin keinerlei (bezahlbare) Unterkünfte.

Ich schiebe trotzig das Kinn nach vorne und sage: "Gut, dann geht es eben nach Santillana del Mar weiter - aber erst, nachdem wir hier alles versucht haben. Und wenn das nichts bringt, fahren wir ein Stück mit dem Zug!" Ich kann meiner Frau die Erleichterung am Gesicht ablesen. - Also versuchen wir erst "alles": Ich frage an der Strandbar: Nichts! Evtl. einfach wild campen auf dem leeren Platz? Wir gehen nochmal hin. Unvermutet schießt um die Ecke ein Hund auf meine Frau zu, ist aber doch angekettet. Eine Frau erscheint mit zwei weiteren wild bellenden Hunden und ruft "No Camping!" Der Platz muss erst ein paar Wochen oder weniger geschlossen sein. Die letzten Infoplakate am Empfang wirken noch ziemlich neu. - Wir laufen die 2 km zum Ort zurück.

Ein Bauer ruft uns zu "Berri ott". Ich verstehe nichts. Er gestikuliert, wischt sich den Schweiß vom Gesicht. Ach so: "Si, si, mucho calor!" rufe ich zurück. (Ja, ja, sehr heiß!) Immer diese Ausländer! :-) Er meinte "Very hot" ("Alle Ausländer können Englisch"). Ich probiere noch: "Gibt's hier irgendwo Betten?" Leider nein.

Zur Kirche: Da ist gerade eine noble Feier. Ein Türsteher im Anzug wehrt uns schon mit Blicken ab. In die größte Bar am Ort: Dort ist man freundlich, aber: Keine Privatzimmer bekannt. Ja, das gibt es doch nicht! (Ich meine sogar, dass gerade zwei Spanier gekommen sind und wegen Zimmern nach hinten zum Hof hin verwiesen wurden. Aber vielleicht habe ich mich getäuscht.) Wieder zum Bahnhof. Davor das kleine Hotel "El Desierto". Doppelzimmer 8.800 P. Geht's für Pilger nicht billiger? - Nein. - Na, dann nicht. Es ist 17:55 Uhr. Wir haben Stunden wegen dem nicht existenten Campingplatz vergeudet. Santillana del Mar ist zeit- und kräftemäßig heute nicht mehr zu erreichen.

"Wir fahren mit dem Zug bis Barreda", schlage ich vor, "von dort tippeln wir bis Santillana." Meine Frau ist sehr einverstanden, ausnahmsweise bin ich mal vernünftig. :-) -

Glück im Unglück: 4 Stunden ist kein Zug mehr nach Westen gefahren, jetzt kommt sofort einer, um 18:04 Uhr, und sogar pünktlich. Barreda ist knapp 10 km entfernt, liegt ziemlich weit im Inland, trotzdem aber am markierten Jakobsweg wegen eines der häufigen Meeresarme und wegen der sperrigen Rohrleitung eines Chemiekonzerns. Wir finden gleich die richtige Straße, berühren noch den Südteil des Industriegebietes und sind schon in der nächsten Ortschaft Viveda. Da, ein großes Schild: "Campingplätze: Altamira 2,5 km, Santillana del Mar 5 km". Da kommt Freude auf, das machen wir ja mit links. - Nun, die Angaben stimmten nicht, es war jeweils 3 km weiter. :-(

Hinter uns zieht ein Unwetter mit tintenschwarzen Wolken auf, kommt aber nur sehr langsam näher. Der auffrischende Wind treibt uns zusätzlich. Wenigstens ist die Schwüle weg. Ich schaue nur nach vorn, wo es hell ist, verdränge, dass nun auch links Wolken sind. Am Anfang von Quevada platscht was auf die Straße. Autsch, es knallt wie ein Steinchen auf meinen Hut bis auf den Kopf: murmelgroße Hagelkörner buchstäblich aus heiterem Himmel! Glück im Unglück: Ein Haus ist nahe - und ist sogar eine Bar! Die Leute treten unter die Tür und sehen staunend zu, wie der Hagel auf die Autos trommelt. Es gibt aber keinen Schaden. Minuten später ist es vorbei.

Nach einem café con leche also weiter. Nach 3 km der Campingplatz "Altamira", aber wir wollen nach dem von Santillana del Mar, weil dieser laut Handbuch Pilger aufnimmt. Endlich ist der Ort erreicht, mit malerischen alten Bauten, weshalb er auch "das Rothenburg Spaniens" genannt wird. Natürlich wimmelt es von Touristen. "Zum Campingplatz?" "Immer geradeaus." Na, wenigstens gibt es ihn! Er liegt aber noch 800 m hinter der jenseitigen Ortsgrenze. Damit haben wir an diesem Tag (die Bahnfahrt natürlich nicht gerechnet) über 30 km zurückgelegt.

Ich will ausprobieren, was auf dem Campingplatz für Pilger getan wird, erwähne also nicht gleich unser Zelt. "Wir sind Pilger und möchten gern für eine Nacht hier unterkommen." Die junge Dame hinter ihrem schicken Computer am Empfang zieht genervt die Augenbrauen hoch. Wir haben ihr gerade noch gefehlt. "Da müsst ihr warten." Sie wendet sich dem nächsten Kunden zu. "Äh, wir haben ein kleines Zelt dabei." "So?" sie schaut mich prüfend an. "Kostet aber 2.365 P. plus IVA!" So viel traut sie uns Bettelleuten nicht zu. Ich zucke mit den Schultern und sage (wie üblich): "In Ordnung. Und wir möchten sofort zahlen." (Weil wir dann morgens unabhängig sind und den Personalausweis gar nicht abzugeben brauchen.) Das geht nun aber wirklich nicht, sie sind ein ordentlicher Campingplatz.


Camping Santillana del Mar (800 m vom Ort entfernt, an der Straße Richtung Comillas), E-39330 Santillana del Mar, Tel. 942 818 250, Fax 942 840 183
Netzpostadresse: campingsantillana@ceoecant.es
Preis: 795 P. pro Person + 775 P. fürs Zelt + IVA = 2.531 P.


Dieser Campingplatz war der teuerste unserer Pilgerfahrt, eingestuft in die höchste Gütekategorie. Das konnten wir nicht nachvollziehen. Die allgemeinen Einrichtungen waren für die meisten Zeltler weit weg. Das Restaurant und der Laden zeichneten sich auch nur durch ihre hohen Preise aus. - Dazu der einzige Campingplatz, auf dem man uns nicht freundlich empfing, auch nicht, nachdem wir normal gezahlt hatten. Wir können diesen Platz nicht empfehlen.

Im Nachbarzelt hauste ein nettes junges englisches Ehepaar. Die Frau konnte sehr gut Spanisch (hatte mehrere Jahre in Südamerika verbracht.) Sie waren mit dem Fahrrad unterwegs, wollten als nächstes in die Berge. - Abends in dem teuren Restaurant ergab ein Blick nach draußen, dass das Unwetter weiter drohte. In der Ferne blitzte und donnerte es, und der Wind war wieder stärker geworden. Wir ließen es uns erst einmal schmecken. Als es kurz darauf dunkelte, hatte sich das Unwetter verzogen, ohne Santillana erreicht zu haben. Erleichtert machten wir uns für die Nacht fertig.


02.08.2001, Donnerstag: Von Santillana del Mar nach Comillas, 24 km (335 km)

Wegen der Pleite in Mogro hatten wir am Vortag gleich zwei geplante Etappen geschafft und waren nun wieder in unserem alten Zeitplan, d.h. wir hatten einen Tag in Reserve, den wir nach Gutdünken verwenden konnten. Heute waren es laut Wegweiser zwar nur 17 km nach Comillas, unserem Etappenziel, aber das Handbuch gibt wegen Umwegen 25 km an. Einen Kilometer davon konnten wir abziehen, denn der Pilgerweg ging hinter unserem Campingplatz her.

Nichtsdestoweniger liefen wir diesen Kilometer (ohne das in der Statistik zu berechnen) sogar noch zwei Mal zusätzlich, weil wir am Morgen erst einmal nach Santillana zurückgingen, um noch ein wenig von der Stadt zu sehen. Dort wurde auch gefrühstückt; wir wären gar nicht auf den teuren Laden am Campingplatz angewiesen gewesen. Erst gegen 10 Uhr liefen wir wieder an der Mauer des Campingplatzes entlang.


Die Umwege haben sich gelohnt. Hinter Oreña bot die renovierte Kirche San Pedro eine schöne Aussicht und Tisch und Bänke zum Rasten. Über Cigüenza kommt man zur Kirche San Martín. Diese war geöffnet und konnte für eine Spende von 200 P. besichtigt werden. Der Tag war sonnig, uns ging es gut. Dankbar sangen wir aus unseren Texten deutsche und spanische Pilgerlieder. Als wir uns umdrehten, stand hinter uns ein Wachhabender und begrüßte uns freundlich als Pilger. In einfachem und klarem Spanisch erzählte er uns einiges zu der Kirche. Als wir uns bedankten und die Geldbörse zückten, hielt er uns zurück: Pilger brauchten nichts zu spenden! - Es war mir nicht um den bescheidenen Betrag zu tun, aber ich genoss es dankbar, hier als Pilger willkommen und anerkannt zu sein. - Also, diesen Umweg nicht versäumen! Hier spürt man mal die ersehnte Atmosphäre der Pilgerschaft. Durch Anklicken vergrößern Die Kirche San Martín mitten im grünen Land

Dann folgte als weitere Sehenswürdigkeit Novales, das Dorf der Zitronenbäume. Wir haben häufiger an der Nordküste Palmen, Feigen-, Orangen- und Zitronenbäume bewundert, aber in Novales sind sie dorftypisch. In der Bar bestellte ich statt café con leche oder Coca Cola zweimal Zitrone natur mit Wasser. Schmeckte prima, war aber auch nicht billig: 500 P. - Dann wandte sich die Route wieder in Richtung Comillas. Im nächsten Dörfchen tobte wieder direkt neben dem Weg ein gefährlich aussehender Hund und riss an seiner Kette. Ich musste wieder die albtraumhafte Vorstellung unterdrücken, dass auch jede Kette einmal reißt...

Später kam die rot-weiße Kirche von Cobréces in Sicht. Über die Route durch dieses Städtchen ist einiges zu sagen. Sie führt zunächst von der Straße ab weit hinunter, nur um einen alten Pilgerbrunnen zu erreichen, der in einem recht armseligen Zustand ist. Dann wieder steil hoch zur Kirche (Kläffer verfolgen mich). - Man sollte lieber versuchen, auf der Höhe zu bleiben und die Kirche direkt zu erreichen.

Dunkle Regenwolken ziehen wieder auf, aber noch regnet es nicht. An der Kirchentür entdecken wir einen Anschlag (s. Näheres im Abschnitt "Allgemeines" auf der Hauptseite). Danach gibt es keinerlei Pilgerunterkunft im Ort, obwohl das in einigen Informationen über die Nordroute im Internet (nicht im Handbuch) vermerkt ist. Trotz dieser negativen Atmosphäre machen wir neben der Kirche auf den Stufen vor einer Marienstatue Mittag. (Das wird man doch noch dürfen!) Immer noch fällt kein Regen, es bleibt nur bedeckt.

Hinter der Kirche geht der markierte Jakobsweg weiter. Aber Vorsicht: ein gelber Pfeil mit ein paar Zusatzhaken weist kurz darauf einen Pfad hoch, das ist Unsinn. Man bleibt auf der Asphaltstraße, folgt dieser, auch an einer größeren Abzweigung nach rechts vorbei, geradeaus zwischen Häusern hindurch. - Evtl. sollte man aber doch der Abzweigung zur Hauptstraße (? Das vermute ich nur) und später zur Fernstraße folgen. Denn jetzt folgt ein Stück, bei dem man sich mindestens 3 km Umweg einhandelt. Erst einen kotigen Weg steil hinunter, dann sehr lange zwischen Hecken wieder hinauf (rechts grüßt in der Ferne immer die Fernstraße), endlich auf einer kleinen Landstraße in einem Riesenhalbkreis, bis man in etwa 2 km Entfernung Cóbreces wieder vor sich sieht! 500 m vor dieser Stelle zeigt ein verblasster Pfeil in die richtige Richtung links von der Landstraße ab in einen kleinen Eukalyptuswald: Tja, die Richtung stimmt, aber da geht's nicht weiter, laut Handbuch! - Rechts hat man nun einen weiten Blick auf das Gebüsch- und Heckengelände, durch das sich der - zugegeben landschaftlich sehr schöne - Weg geschlängelt hat. Erst jetzt - an einem Pferdehof - wendet sich die Landstraße nach links, immer mehr in die richtige Richtung, von Cóbreces weg, und erreicht nach einigen ermüdenden Kilometern endlich die Fernstraße. Hier geht der markierte Jakobsweg links, die Route des Handbuchs rechts von der Straße ab. Wir verzichteten auf beides und blieben auf der Fernstraße.

Der Campingplatz in Comillas lag gleich am Stadtrand, nachdem wir eine gefährlich schmale Brücke überquert hatten. Nun war das Wetter immer noch zweifelhaft. Also suchten wir lieber ein festes Quartier. Die Pension "Tuco" lag laut Handbuch am Wege, äußerlich nur nach der Hausnummer zu finden: es gab sie gar nicht mehr, wie man mir an der Tür sagte. Also blieb meine Frau wieder beim Gepäck, und ich zog - ohne Pilgerinsignien - zur Quartiermache los. Das Touristenbüro liegt auch nicht mehr in der Calle La Aldea, sondern in der Calle de Maria de Pielago. Nun ist die Altstadt klein, und daher gibt es keine weiten Wege. Mit dem Unterkunftsverzeichnis zum ersten Hostal: Belegt! (Man empfiehlt mir etwas anderes, aber ich verstehe die Beschreibung nicht.) Zur zweiten: Belegt! Die Dame kennt aber eine Zimmerwirtin (schwarz natürlich) in der Nachbarschaft. Dort kommen wir für 5.000 P. unter, ähnlich wie in San Sebastián, nur dass die Etagendusche hier funktioniert. Kaum sind wir "unter Dach und Fach", fängt es an zu regnen; das hält aber nicht an. - Die Wirtin ist sehr freundlich. Wir dürfen unsere Wäsche auf dem Balkon zum Trocknen aufhängen.

Comillas ist ein Touristenort, was ich nicht wusste. Deshalb ist bei den Billigunterkünften großer Andrang. Zum Glück haben wir die Stadt relativ früh am Tag erreicht. Unser Zimmer liegt in einem Wohnblock hinter der Calle Marqués de Comillas, einige 100 m vor der Altstadt. Gegenüber ragen Schloss und Sobrellano-Palast auf. Ein Supermarkt und ein Restaurant, beide ganz in der Nähe unseres Quartiers an der o.g. Straße, machen uns "wunschlos glücklich".


Nach einem weiteren Rundgang durch die Altstadt landen wir in dem schon vorher ausgemachten Restaurant und sind (so früh?) die einzigen Gäste. Der junge Kellner serviert zwei ausgezeichnete Menüs und schwatzt interessiert mit uns Pilgern. Wir fühlen uns mal wieder sehr wohl. Es war ein weiterer erlebnisreicher und angenehmer Tag. Durch Anklicken vergrößern Schlemmender Pilger in einem Restaurant von Comillas.

Mein zweiter linker Zeh sieht übel aus. Ich probiere es jetzt mit normalem Heftpflaster, damit an ihn mehr Luft kommt. (Das wirkte sich sehr gut aus.) Unter meinem rechten Fuß hat sich das "Wunderpflaster" leider verschoben und durch die entstandene Falte den Ansatz einer Blase verursacht. Ich verpflastere den Fuß sorgfältig neu. (Danach gab's keine Probleme mehr.)


03.08.2001, Freitag: Von Comillas zur Playa de Oyambre, 7 km (342 km)

Heute ist quasi ein Ruhetag. Schon zu Hause bei der Planung hatten mir Beschreibung und Bilder der Playa de Oyambre derart ins Auge gestochen, dass ich hier eine Strandpause vorsah. Damit war noch nicht einmal der Reservetag verbraucht.

Morgens wollten wir uns aber erst noch einmal die berühmte ehemalige päpstliche Universität von Comillas ansehen. Trotz der wenigen Straßen finden wir nicht gleich den Zugang, zumal wir sie anfangs mit dem Schloss verwechseln. Die Universität liegt aber zum Meer hin. Es gelingt mir aber nebenbei, eine Wanderkarte vom Gebiet der Picos de Europa zu bekommen, die auch den Küstenabschnitt von Unquera bis Ribadesella wiedergibt. 1:80.000, 625 P. -

Das Handbuch führt uns richtig, die Universität ist aber nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Dann geht es einen wunderbaren Weg an der Küste entlang. In dem Dorf Trasvía gibt es abseits ein kleines Hotel mit Bar, oberhalb des Meeresarmes, mit schöner Aussicht. Wegen Ebbe sehen wir aber nur schlammige Flussbänke. Der Weg geht weiter an der Kirche vorbei zur Fernstraße. Dann folgt ein gefährlicher Abschnitt auf dieser, bis man die Brücke über den Meeresarm ein Stück hinter sich gelassen hat. Hier zweigt der markierte Jakobsweg nach links ab; wir folgten wieder dem Handbuch und liefen eine ungleich schönere Route nach rechts über einen Damm entlang, durch ein Naturschutzgebiet (Moor) zum Dünenkamm vor der Playa de Oyambre. Nach links über einen Moorweg, am Eingang des Golfplatzes vorbei, und schon sahen wir zwei Campingplätze vor uns: einer mehr oben und vom Strand entfernt; einen direkt oberhalb des Strandes, zu beiden Seiten einer kleinen Küstenstraße. Wir nahmen natürlich letzteren und erreichten die Anmeldung bereits um 12:15 Uhr. Es war übrigens das letzte Mal, dass wir unser Zelt einsetzten, aber das wussten wir da noch nicht.

Der Empfang war wieder herzlich und persönlich. (Preis: nur 500 P. pro Person, 600 P. fürs Zelt) Wir konnten uns einen Platz aussuchen und wählten einen Standplatz ganz oben an der Kante, direkt oberhalb des Strandes. Etwas später kam eine Aufsicht und wollte uns da vertreiben, weil das Auto des Nachbarzeltes dann nicht mehr neben, sondern nur hinter dem Zelt Platz fand (die Besitzer, ein junges spanisches Paar war gerade nicht anwesend). Ich sah das nicht ein. Warum sollte der beste Platz mit einem Auto besetzt werden, und außerdem war auch auf der anderen Zeltseite reichlich Platz (wenn auch mit allen möglichen Badeutensilien belegt). Wie viel Platz wollten die denn in Anspruch nehmen? - Der Kontrolleur sah das auch ein und ließ uns gewähren, zumal es nur für eine Nacht war. - Am andern Morgen kam er gleich wieder, fragte noch einmal, ob wir wirklich abrückten und sperrte dann gleich unseren Platz ab. -


Spätnachmittag in den Dünen von Oyambre Durch Anklicken vergrößern In schönem Sonnenschein genossen wir einen der herrlichsten Strände der Nordküste (nur den von Trengandín bei Noja fand ich wegen der Tamarisken noch schöner), wobei wir auch eine Wanderung zum Meeresarm und in die Dünen unternahmen, bis es dunkelte.

Dann besuchten wir das Restaurant des Campingplatzes - und erlebten wieder Loriotreifes! - Draußen zwei Schilder: "Wir haben eine Speisekarte" und "Tagesmenü". Wir also hinein, sind die einzigen Gäste. "Zweimal das Tagesmenü, bitte" - "Haben wir nicht" (Holt das Schild herein) - "Dann bitte die Speisekarte" - "Haben wir auch nicht" (Holt das zweite Schild herein) "Wir haben..." und dann rasselt der junge Mann einiges runter. - Nein, so geht's nicht. "Wir hätten auch gern einige Preisangaben." - Da geht er weg, diskutiert in der Küche rum und kommt mit einem handgeschriebenen Zettel wieder. Na also, zweimal gemischten Salat, zweimal Forelle, bitte, und ein Glas Wein und ein großes Bier." - "Eine Flasche Wein sicher doch?" - "Nein, ein Glas." Er rümpft etwas die Nase, zeigt dann auf einen Riesenkrug (etwa 1 Liter): Ob das als "großes" Bier reiche? Ich winke ab, bekomme 0,33 l wie üblich. Dann bringt er den Salat und die Getränke, stellt die Forellen im Hintergrund ab - und wird draußen von Bekannten mit dem Auto abgeholt.

Nun erscheint ein älterer Mann, der Chef. Er brummelt (aber eher gutmütig), dass wir ungünstig säßen, im Dunkeln. Auch weiß er nicht, wie weit wir sind, was wir als nächstes bekommen. Nach einer Weile deute ich auf die Forellen, die im Hintergrund erkalten. Da bringt er sie, klappert mit Besteck, deckt dann aber ein Messer und ein Fischmesser, legt den Kopf schief, bis er herausfindet, was nicht stimmt und tauscht die Messer brummelnd gegen Gabeln aus. :-) Es schmeckt sehr gut, wir sind zufrieden.

Nach dem Dessert greift die etwa 18-jährige Enkelin, die selbst schon wieder ein Baby hat, wie wir am Nachmittag gesehen haben, in die Kämpfe ein. (Immerhin sind drei weitere Gäste erschienen.) Nein, wir möchten keinen Kaffee, sondern die Rechnung. (Diese Ausländer!) Ich bin gespannt. Der Zettel, den der Kellner uns gezeigt hat, ist weg. Auch in der Küche nicht mehr zu finden, wie das aufkommende Gemurmel von dort zeigt. Die junge Frau kommt endlich mit dem Tellerchen, auf dem immer die Rechnung gebracht wird, und dreht gleich wieder ab. Ein Blick: die Forellen sind 50% teurer geworden! "Señora!" Ich erkläre die Sachlage. "Oh, perdón" Ratsch, ist die Rechnung weg und bald wieder da: der Einzelpreis ist korrigiert, die Endsumme nicht. :-) - Innerlich kopfschüttelnd, es aber von der heiteren Seite nehmend, lasse ich die korrekte Summe samt einem kleinen Trinkgeld zurück. Draußen regnet es heftig. Ach du Sch...!

Die ersten Stunden können wir im Zelt kein Auge zutun. Es ist nicht nur der Regen, es pfeift auch ein Wind, dass unsere Zeltbahnen heftig flappen. Ich bilde mir ein, jeden Moment nackt und bloß in Regen und Wind draußen zu liegen. Innerlich fluche ich, dass wir das Zelt auf einer so exponierten Stelle aufbauen mussten. Gegen 2:30 Uhr mache ich einen entschlossenen Ausfall zur Toilette, es regnet gerade weniger heftig. Und siehe da: Der "Sturm" erweist sich zum großen Teil als Einbildung! Es windet zwar, recht frisch sogar, aber draußen merkt man, dass dem das Zelt mit seinen Abspannungen ohne weiteres gewachsen ist. Auch ringsum keine Aufregung, obwohl manches Vorzelt den Wind dazu einlädt, richtig darunterzupacken. Wir hatten einfach nachts noch keinen richtigen Wind gehabt und deshalb die Geräusche von drinnen ganz falsch eingeschätzt. - Erleichtert krabbele ich wieder in unsere "Höhle" und falle bald in späten Schlaf.


04.08.2001, Samstag: Von der Playa de Oyambre nach Unquera, 23 km (365 km)

Gegen Morgen regnet es noch immer, aber das Zelt ist dicht geblieben. Wir bleiben einfach bis 9 Uhr liegen, dann wird es besser. Als ich vom Waschen zurückkomme, werfe ich gekonnt meinen Hut ins Zelt und lasse mich dann hintenüber hineinfallen, damit die nassen Schuhe draußen bleiben. Au, mein Po, und außerdem ist etwas knirschend zerbrochen. Meine schöne kleine Jakobsmuschel vorn am Hut hat es erwischt! Ein großes Stück ist rausgebrochen. Ich bin richtig geknickt. Wäre ich abergläubisch, hätte ich das als ein Signal angesehen, die Pilgertour abzubrechen. Aber das kommt ja gar nicht in Frage. Leichte Verluste müssen hingenommen werden.

Als wir um 10 Uhr aufbrechen, klart es schon wieder auf. Ein niederländisches Mädchen rennt auf uns zu. Ich habe der Familie gestern zwei Mal einen Gruß auf Niederländisch zugerufen. Jetzt glaubt sie, wir sind auch Niederländer, fragt uns über das Pilgern aus. Ich antworte in einfachen Sätzen. Sie findet so zu pilgern toll.

Später erreichen wir Gerra. Hier könnte man laut Handbuch schon zum Strand runter. Ich verzichte, da ich die Hunde des erwähnten Bauernhofes fürchte. Zwei Kilometer weiter senkt sich die Straße, so dass man zum Strand hinunter kann. Er ist ein Zwilling der Playa de Oyambre, nur an der anderen Seite einer ins Meer vorspringenden Felsnase.

Zwei junge Leute winken, kommen dann gezielt auf uns zu. Es sind zwei deutsche Touristen, die sich schon öfter gefragt haben, was das für merkwürdige Gestalten sind, die man manchmal sieht. Wegen unserer Abzeichen mit den deutschen Farben wissen sie, dass das nun geklärt werden kann, ohne die übliche Sprachbarriere. So, so, Pilger, das sei ja interessant. -

Kurz vor San Vicente de la Barquera verlassen wir den Strand und gehen an einem Campingplatz entlang. Beides, Stadt und Campingplatz machen einen hervorragenden Eindruck. Restaurant, Läden, alles vorhanden. In der zugehörigen Bar gibt's den morgendlichen café con leche, alles empfehlenswert. Man sollte diese Stadt bei seiner Planung doch als Etappe vorsehen, zumal uns später ein Pilgerfreund erzählte, er sei auch im casa parroquial als Pilger gut untergekommen.

Diesmal sind es sogar zwei Meeresarme, die einen zwingen, einen weiten Bogen ins Inland zu gehen, aber das lohnt sich auch. Blendet man optisch-selektiv die Autobahnbaustellen aus, hat man herrliche Rückblicke von den Höhen, auf die Stadt und auf die Meeresarme. Die Inlandberge rücken ebenfalls näher und zeigen zum Teil schroffe Klippen. Der Weg geht natürlich auch einiges rauf und runter, ist aber landschaftlich ebenfalls hervorragend.

Auf einer Kuhweide fallen uns 15 weiße Reiher mit kurzen Hälsen auf, die ich bislang nur in einem Biotop hinter Santoña gesehen hatte. Das macht mir bewusst, wie wenige Wildtiere man - außer Vögeln und Eidechsen - in Nordspanien sieht. Auf dem Camino Francés war mir das auch schon aufgefallen. Kein einziger Hase, kein Kaninchen, geschweige denn ein Reh oder ein Fuchs. Zwei Mal im Baskenland eine totgefahrene Schlange auf der Straße. Ein Mal glaube ich, aufgewühlte Erde auf einer Lichtung in den Bergen als von Wildschweinen verursacht deuten zu dürfen. Aber kein Schwanz zu sehen, die ganze Pilgerfahrt hindurch. Schade! -

Die Route geht über kleine Sträßchen und Dörfer, sehr beschaulich. Hinter einer Burgruine kommt eine Pension, und hier ist es, wo ein größerer Hund die Grundstückseinfriedung überwindet und uns auf der Straße anbellt. Zum Glück nur kurz; da wir einfach weitergehen, wendet er sich wieder ab. - Als die Sonne durchkommt, rasten wir an einer Wiese und trocknen das klatschnass eingepackte Zelt, außerdem den Rest der Wäsche. (Das Zelt werden wir nicht mehr benötigen.) Noch einmal treffen wir auf einen Meeresarm, dann liegt Unquera, die letzte Stadt Kantabriens vor uns.

Schon vor den Toren liegt das Touristenbüro. Es ist fast lächerlich: Erst hier bekomme ich das offizielle Unterkunftsverzeichnis für ganz Kantabrien. Das hätten wir schon eher gut gebrauchen können. Das im Handbuch aufgeführte Hostal Ríomar gibt es nicht mehr. Wir finden aber an der (nahezu einzigen) Straße die Pension La Granja, sie gehört nämlich zur gleichnamigen Bar (und offiziellen Haltestelle für den Überlandbus). Im Hinterhaus gibt es drei gut eingerichtete neue Doppelzimmer mit eigenem Bad für ganze 4.000 P. Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis unserer Fahrt! - Abends finden wir in einer Seitenstraße das Restaurant Casa Samuel. Sehr gute Tellergerichte und Menüs. (Der Kellner ist computerbegeistert, hat alle Tische mit ihren Bestellungen gespeichert und serviert die Rechnung ausgedruckt. Das macht ihm sichtlich Spaß. Ich lobe ihn, wie modern und korrekt es zugeht, damit er auch eine positive Rückmeldung hat.) - In Unquera gibt es überall Corbatas. (Zufällig heißt das auf Esperanto: "Herz schlägt".) Erst wissen wir nicht, was das ist, bis wir diese Kuchen, deren Form an Krawatten erinnert (daher der Name), in den Auslagen entdecken. Unquera ist wohl für sie berühmt. Die Stadt hat sonst nichts zu bieten, außer dem Flussufer. Der Fluss ist zugleich die Grenze nach Asturien.

Inzwischen war die Entscheidung, ob wir den großen Abstecher in die Berge, parallel zur Küste, machen oder weiter an der Küste entlangziehen (34 km kürzer), längst gefallen: Immer hatten wir die Inlandberge fast den ganzen Tag über in Regenwolken gesehen. Das junge englische Radfahrerpaar hatte uns zwar erzählt, dass es hinter der ersten Bergkette viel Sonnenschein gebe, aber da blieb ich skeptisch. Als Fußgänger kann man nicht riskieren, dass sich das als Tourismusparole herausstellt. Ich war zwar etwas enttäuscht, Covadonga, das Nationalheiligtum Spaniens nicht zu sehen, aber dafür werden wir die asturischen Refugios inspizieren können; für die Leser dieses Berichtes sicher die interessantere Alternative. - Ich sollte noch erfahren, dass es auch für mich das reinste Glück war, diese Entscheidung so getroffen zu haben.


05.08.2001, Sonntag: Von Unquera nach Llanes, 23,5 km (388,5 km)

Bei so einem schönen Quartier schläft man gern noch länger. Ich habe aber zusätzlich einen Trumpf im Ärmel: Um 10 Uhr führe ich mein erstes Telefongespräch auf Spanisch und lasse in der privaten Herberge von Llanes für uns zwei Betten reservieren. Dabei hoffe ich, dass wir evtl. zu dieser frühen Stunde noch ein Zwei-Bett-Zimmer abbekommen. Wie dem auch sei, die Reservierung klappt, und wir sehen dem Tag deshalb heiter entgegen.

Fast hätten wir direkt hinter der Brücke die Muschelkachel übersehen, die einen Pfad von der Straße ab steil hoch hinaufweist. - In Asturien ist die Markierung des Pilgerweges sehr gut, mit Pfeilen und mit Muschelkacheln, letztere häufig in separaten, gesetzten Wegesteinen (Michael Kasper spricht von "Monolithen"), wie man das vom Camino Francés auch streckenweise gewohnt ist. - Der Pfad bietet wieder herrliche Ausblicke nach beiden Seiten. Bald erreicht man Colombres, ein Schickimicki-Dorf, in dem sich viele Spanier, die in Amerika ihr Glück gemacht haben, eine repräsentative Villa, unverzichtbar mit Palmen davor, hingesetzt haben.

Später ragt vor einem ein in Marschrichtung langgestreckter Bergzug auf. Die Route führt rechts um ihn herum und leider auch viele Kilometer auf der N-634 an ihm entlang. Aber die existierenden Wanderwege wären ohnehin zu stressig. Hinter Buelna war ein neuer Küstenweg angelegt, der sich sicher gelohnt hätte. Er war (dafür ist er zu neu) nicht im Handbuch verzeichnet, und wir erfuhren von ihm leider erst, als wir an seinem Ende auf einem Dorfplatz mit Brunnen Mittag machten und eine Übersichtstafel entdeckten. Wegen des Sonntags kontrollierten wir die Kirchen am Wege, aber alle waren geschlossen, keine Messe.

In San Roque de Acebal verlässt man die N-634, überquert sie und geht an einem Bauernhaus vorbei. Hinter diesem gabelte sich der Weg: schräg rechts geradeaus weiter an Apfelbäumen vorbei, links hingegen eine fast zugewachsene Fahrspur. Letztere, ich konnte es fast nicht glauben, war die richtige Alternative. Dann kam ein schöner Hohlweg und an dessem Ende oben die Kapelle zum Cristo del Camino. Nach einer Gebetspause ging's zur anderen Seite wieder hinunter, und dann kam auch schon Llanes, unser Ziel in Sicht. An die "Last der letzten Kilometer", mit gaffenden Touristen usw. waren wir schon gewöhnt. Heute waren wir etwas sicherer, da das Quartier ja schon bestellt war. Am Ortseingang passierten wir zwei große Campingplätze. In der Nähe des Hafens wurde ich unsicher; die Beschreibung des Handbuchs war mir zu allgemein. Was die "Hauptstraße" war, schien mir nicht eindeutig. (Es ist doch die Straße, die man kommt, einfach geradeaus, den Hafen rechts lassend und die Altstadt hindurch.) Wir durchstreiften rechts der Hauptstraße die Altstadt, um das Touristenbüro zu finden, fanden die Kirche und einen Käsemarkt und ließen uns von einer deutsch-spanischen Touristengruppe noch einmal den Weg zeigen.

Zum Touristenbüro und zur Playa del Sablón: an der Hauptstraße fällt am Ende der Altstadt auf der rechten Straßenseite ein großes, prächtiges Gebäude auf; es ist das Casino. Man geht dann rechts eine Gasse, links am Casino vorbei, auf die alte Stadtmauer und einen Turm zu. Im Turm ist das Touristenbüro, das aber am Sonntagnachmittag geschlossen hatte. Weiter an der Mauer entlang stößt man links auf den Strand. Es ist nur einer von mehreren, die es in Llanes gibt.

Hinter Hafen und Altstadt erreichten wir rechts einen Park. Hier sollte "auf der linken Straßenseite" laut Handbuch die Herberge sein. Das stimmte nun wirklich nicht. Man muss am Ende des Parks links gegenüber in eine Seitenstraße hinein und dem Schild "RENFE stación" folgen. 150 m geradeaus liegt dann der Bahnhof; das rechts angrenzende Gebäude ist die Herberge, das ehemalige Bahnhofsgebäude.

Diese Unterkunft hat uns überhaupt nicht gefallen. Erst war ein Vier-Bett-Zimmer vorgesehen, man fand aber den Schlüssel nicht. Dann landeten wir in einem sehr engen Acht-Bett-Zimmer. Die Tür hatte ein kaputtes Schloss und quietschte nachts vom Wind so entsetzlich, dass das einzige Fenster geschlossen werden musste. "Alles zusammen" sollte 1.900 P. kosten, sagte die junge Angestellte. Beim Bezahlen stellte sich heraus, dass sie doch "pro Person" meinte. Ich war sauer. Tja, Llanes sei voll mit Touristen, was anderes bekämen wir sowieso nicht mehr. Ich wäre in meiner Wut am liebsten zu einem der Campingplätze zurückgegangen, aber meine Frau bremste mich. Also blieben wir. Ein Frühstück bestellten wir nicht, lohnte auch nicht. In unserem Zimmer schliefen Rucksackwanderer, aber wir waren doch die ersten im Bett und die ersten auf. An Schlafen war kaum zu denken, denn um 22 Uhr zogen Jugendliche, die die übrigen Zimmer bevölkerten, in die Disco und kamen gegen 1:30 Uhr zurück. Bis 4 Uhr wurde dann noch rumgelärmt. Erst um 5 Uhr legten sich die letzten unserer Zimmergenossen schlafen. -

Diese Unterkunft ist für Pilger absolut ungeeignet (und auch relativ teuer). Es soll folgende Alternative geben: "La Sirena", Guillermo (Herbergsleiter?), Plaza Parres Sobrino. - Nicht auf die Idee kommen, weiter nach Poo zu gehen: die dortige Herberge ist geschlossen!

Abends gelang es uns, auf die Schnelle noch Tortillas zu essen und dann noch die Messe um 21 Uhr zu besuchen. Das tat gut!



Zum nächsten Kapitel: Von Llanes nach Oviedo

Zurück zum vorigen Kapitel: Von Irún nach Bilbao
Zurück zum Anfang des Berichtes von 2001
Zur Übersichtsseite aller Pilgerberichte


Letzte Änderung: 16.02.2020