Im Jahre 2009 auf dem Camino Primitivo (ab Villaviciosa über Oviedo)

Mit Variante Lugo - Querspange zum Camino del Norte über Friol und Sobrado dos Monxes - Santa Irene


Herkunftspfad: Übersichtsseite meiner Pilgerberichte >> Villaviciosa, Verzweigung der Nordwege, bis Oviedo und Camino Primitivo (Oviedo - Santiago)
Autor: Rudolf Fischer
Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer@Esperanto.de

Siehe auch meine älteren Berichte vom Camino Primitivo:
aus dem Jahr 2001: Von Villaviciosa nach Oviedo,
aus dem Jahr 2002: Von Oviedo nach Palas de Rei und
aus dem Jahr 2006: Von Oviedo nach Arzúa (mit Nordvariante über Friol)

Einleitung

Lange habe ich überlegt, ob ich mich noch einmal auf den Pilgerweg begehen sollte. 2008 hatte ich schon eine Pause eingelegt, zumal meine Frau das Pilgern leid ist. Dann ergriff mich doch wieder das Fieber, und ich überlegte, welchen Pilgerweg ich in Spanien noch gehen könnte. Zuerst habe ich an den ersten Teil des Mozarabischen Weges (von Granada nach Mérida) gedacht, aber das entsprechende Handbuch schreckt ab: Es gibt kaum Infrastruktur, der Weg ist hart, und der Verfasser hat nur in Hostales übernachtet.

Da traf ich meinen Pilgerfreund Hans, mit dem ich 1998 und 2005 schon unterwegs war, und der sagte mir, dass er noch nie den Camino Primitivo gegangen sei. Wenn das kein Fingerzeig war! Schon im Dezember 2008 wurden wieder die Flüge gebucht.

Da wir außer dem üblichen Reservetag noch zwei Überhangtage Zeit hatten, begannen wir schon in Villaviciosa, dort, wo sich die Nordroute verzweigt und der Zubringer zum Camino Primitivo beginnt. Das kostete nur zwei Tage und passte damit haargenau.

Seit Mitte Dezember 2008 gibt es ein spezielles Pilgerforum von Raimund Joos zum Camino Primitivo. Ende Februar 2009 ist sein neues Handbuch erschienen.


Joos, Raimund und Michael Kasper: Nordspanien: Jakobsweg. Camino Primitivo.
Outdoor-Handbuch, Band 141. 3. Aufl. 2009. 176 S.
ISBN 978-3-86686-264-7, Preis: 14,90 Euro
Conrad-Stein-Verlag

Im Folgenden ist mit "Handbuch" immer dieses Handbuch gemeint.


Herzlichen Dank an Hans, der für alle Bilder in diesem Bericht gesorgt hat.

Allgemeines

17 Etappen, 373 km, also durchschnittlich 22 km pro Tag.

Wir liefen zwei Abschnitte:

  • Zubringer ab Villaviciosa bis Oviedo:
    3 Etappen, 43 km
  • Camino Primitivo: Oviedo - Santiago de Compostela
    14 Etappen, 330 km.
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Der Verfasser
beim Dokumentieren

Entfernungen

Die Entfernungen im neuen Handbuch sind im Vergleich zu früher um 5-10% wunderlich geschrumpft. Für die Strecke Borres - Berducedo (über Hospitales) gab Michael Kasper vor einigen Jahren 26,7 km an, jetzt sind's noch 24,9 km. Ich hatte diese alten Entfernungsangaben noch bei der Planung zugrunde gelegt, richte mich hier aber nach den neuen. Es soll ja inzwischen alles besser ausgemessen sein. Als ich einmal kontrollierte (von Cadavo nach Lugo), zeigten die Monolithen tatsächlich nur 29,8 km an, statt 34 km, wie im alten Handbuch angegeben, ein ganz schöner Unterschied!

Wege und Wegeauszeichung

Die Wege waren weitgehend abermals verbessert. Man hat sich sehr bemüht, große Landstraßen zu vermeiden, und wo es nicht ging, hat man eine parallele Piste für die Pilger angelegt, teils sogar mit Holzgeländer. Hans hat allerdings über den Belag geschimpft, spitzkantige kleine Steinchen, die ihm dauernd in die Schuhe gerieten.

Wie bekannt, wird die Landschaft entlang der Hauptroute durch riesige Autobahnbaustellen beeinträchtigt. Ich verzichte hier auf das angebrachte Lamento des Naturliebhabers. Während man in früheren Jahren noch als Pilger in solche Baustellen geriet und keinerlei Hinweis auf die Fortsetzung des Weges hatte, stehen nun überall Hinweisschilder "Camino de Santiago, desvío provisional" (provisorische Umleitung). Das ist schon beachtlich.

In Einzelfällen waren Wege nicht freigeschnitten. Die feuchte Vegetation besorgte einem morgens erst einmal nasse Füße. Besonders vor Tineo gab es auch fürchterliche Matschwege, einmal ohne Ausweichmöglichkeit. Da muss man durch! Ein Stock, mit dem man die Tiefe des Matsches ergründen kann und mit dem man sich auch abstützt, wenn man seitlich an einer Suhle vorbeibalanciert, war sehr hilfreich, auch in schwierigem Geröllgelände.

Die Wegeauszeichnung war i.A. einwandfrei, zumindest auf dem Hauptweg. Auf den Varianten, die wir gingen (Lugo - Friol - Sobrado - Santa Irene), war die Auszeichnung schlechter bis ganz fehlend. In einigen Zweifelsfällen klärte das Handbuch die Situation, z.B. am Ortsausgang von Albeiro (Friol - Sobrado). Dort wäre man an einer Mehrfachverzweigung, wo es keinerlei Hinweis gab, ohne Handbuch aufgeschmissen gewesen.

Ungemein wichtig waren die Wegekennzeichnungen (Pfahl mit Pfeil) auf den Höhen von Hospitales, wo der Nebel so dicht war, dass wir den Weg im Heidekraut zu verlieren drohten. Mit knapper Mühe konnte man kurz nach einem Pfahl den nächsten im Nebel erkennen. Da hätte man nichts auf gut Glück laufen können.

Hunde

Keine neuen Erkenntnisse. Auch auf dem Camino Primitivo sind Hunde inzwischen an Pilger gewöhnt. Ich hatte diesmal weder Pfefferspray noch Ultraschallgerät dabei, verließ mich auf Hans, der gut mit Hunden umgehen kann. Dennoch kam es zu einigen nervigen Situationen auf den genannten Varianten, wo Pilger eben selten sind. In einem Fall wäre Hans um Haaresbreite gebissen worden, was in diesem Fall auch ihn aus seiner sonst unerschütterlichen Ruhe brachte.

Wetter Ende Juni

In Deutschand brutheiß, in Spanien auch fast überall, nur auf dem Camino Primitivo nicht. An morgendlichen Nebel mit Sprühregen war ich ja schon gewöhnt. Aber dass das manchmal den ganzen Tag anhielt, so dass man sich nirgendwo in der Natur niederlassen konnte, das war schon nervig. Man bekam keine Wäsche gewaschen, weil sie nicht trocknete, und sie blieb eklig klamm, bis man endlich mal wieder alles in die Sonne legen konnte. Die Feuchtigkeit drohte auch zu Schimmelbefall im Rucksack zu führen; alles musste immer gut gelüftet werden.

Es war in diesem Jahr so ziemlich das schlechteste Wetter, das ich je auf dem Camino gehabt habe. Die schönste Bergtour wurde durch den Nebel vermiest, wir haben nichts gesehen. Dabei war es nicht einmal sonderlich kalt. Unter der Regenhülle, die dauernd an- und ausgezogen werden musste, schwitzte man ganz schön, und nachts in den stickigen Schlafräumen habe ich auch nicht gefroren.

Trinkwasser, Verpflegung, Finanzen

Ich habe weiterhin nur gekauftes Wasser getrunken, in Ausnahmefällen mal Leitungswasser für den Kaffee verwendet. Man muss sehr aufpassen, regelmäßig an Wasser und andere Lebensmittel zu kommen, denn da gibt es auf dem Camino Primitivo viele Versorgungslücken. Ein bis zwei Tage muss man im Voraus bedenken, wo man wieder was kaufen kann und wie viel man deshalb mitnehmen muss. Dabei sind auch Sonntage zu beachten, und einmal half alles Planen nichts: Wir konnten nicht wissen, dass in Sobrado dos Monxes Fiesta war und die Läden deshalb auch am Montag geschlossen waren.

Oft bekamen wir keine Gelegenheit, am Tag eine warme Mahlzeit einzunehmen. Dadurch gaben wir nicht viel Geld aus, auch wenn die galicischen Herbergen jetzt auch generell 3 Euro kassieren (was ich ja lange schon in meinen Berichten als dringend nötig hingestellt habe). Trotz dreier Übernachtungen im Hostal und einiger Busfahrten bin ich bei pro Tag etwa 22,50 Euro geblieben, jedenfalls unter den gewohnten 25 Euro pro Tag.

Ein Menu del dia kostet zwischen 8 und 10 Euro. Die Qualität ist sehr unterschiedlich. Fisch wird selten. Nepp haben wir nicht erlebt, aber man muss trotzdem zuweilen aufpassen, nicht mehr auszugeben, als man vorhatte (Restaurant in Escamplero).

Ausrüstung

Die Ausrüstung (siehe meine Packliste) war wieder Routine. Meine Eltern hatten mich gedrängt, ein Mobiltelefon mitzunehmen. Ich wollte dann in Spanien eine SIM-Karte kaufen. Aber nach vielem Hin und Her hat man mir in Oviedo in einem großen Laden gesagt, das ginge nicht. Ich müsse ein neues Mobiltelefon kaufen und könne es ja dann beim Verlassen des Landes wegwerfen. Diese Auskunft war falsch, wie mir nachher ein anderer Pilger sagte. Glatter Betrug, aber als Nichtfachmann ist man solchen Beutelschneidern hilfslos ausgeliefert. Ich habe also mein deutsches Mobiltelefon samt Ladegerät nutzlos mit mir rumgeschleppt. (Es gibt Leute, die telefonieren natürlich für teures Geld auch bei Inlandsgesprächen in Spanien über Deutschland, aber das wollte ich nicht.) Ich habe dann wieder 2 Vorbezahlkarten (tarjeta telefónica prepago) für je 5 Euro gekauft, habe fast jeden Tag zu Hause angerufen und einige Inlandsgespräche geführt, ohne die Karten ganz auszuschöpfen. Nur ist man mit ihnen auf Telefonzellen angewiesen ...

Super wieder unser Minitauchsieder für den Kaffee am Morgen, wenn ringsum die Hektiker tobten. Man braucht keinen Adapter. Bei Nicht-Schuco-Steckern passte der Abstand der Stecker. Nur einmal (im Kloster von Sobrado) haben wir dem Uraltstecker nicht getraut.

Die Isomatte habe ich nicht ein Mal gebraucht. Im Freien ging es wegen der Feuchtigkeit nicht, und in den Herbergen gab's immer ein Bett.


Anfahrt

15. Juni 2009, Montag: Flug nach Asturias, Bus nach Gijón und Villaviciosa

2h15 geht der Wecker. Unsere Frauen bringen Hans und mich zum Flughafen Münster-Osnabrück, der nur 12 km von meiner Haustür entfernt ist. Die AirBerlin nimmt ohne Schwierigkeiten unsere Pilgerstäbe an, der von Hans ist 2 m lang!

Flug nach Palma de Mallorca, dort nerviges Warten auf den Anschluss. Endlich nach Asturien weiter, Flughafen Asturias (Oviedo), aber Oviedo liegt gut 40 km entfernt. 11h16 Ankunft, fast pünktlich. In Mallorca war grelle Sonne, hier kommen wir im Nebel und Nieselregen runter. Mahlzeit, so wird's Wetter bleiben. In Rekordzeit haben wir unser Gepäck, auch die Pilgerstöcke. Nun zum Bus.

Ich habe im Netz alle Busverbindungen rausgesucht, die wir brauchen. Aus dem Flugzeug steigen mit uns weitere Pilger aus, aber alles fährt zunächst nach Oviedo weiter. Wir finden aber unseren Direktbus (kein Halt!) nach Gijón. Erwischen sogar den ersten meiner Liste um 12h00, da kommt Freude auf. Der Zeitplan scheint zu klappen.

6,20 Euro, 35 min. Für Spanien relativ teuer, die Preise gehen außerdem laufend nach oben. - Kleiner Busbahnhof in Gijón. Super eine große Anzeigetafel mit den nächsten Fahrten und Zielen, darunter Villaviciosa. Fahrkartenvorverkauf kein Problem. Leider keine Toilette, denn das Gebäude ist im Umbau.

13h00 weiter nach Villaviciosa. 2,55 Euro spottbillig, immerhin gut 45 Minuten Fahrt. Man hat an Hand der Straßenschilder keine Probleme zu verfolgen, wie Villaviciosa näherkommt. Noch kleinerer Busbahnhof als in Gijón. Hier war ich schon 2003 ausgestiegen, hatte damals etwas Mühe, die nahe Innenstadt zu finden, von der es losgehen sollte. Diese Frage wurde von selbst gelöst, weil wir dringend auf die Toilette wollten. Den kleinen Schildern "Servicios" folgend landeten wir von hinten in der Cafe/Bar El Ancho, und diese liegt direkt am Pilgerweg (Calle del Sol). Er führt hier links um die unweite Kirche, die ich gleich wiedererkannte, als ich vorn aus der Tür schaute.

Also brauchten wir gar nicht in die Innenstadt. Auch gab es in der Bar einen Stempel, den die Wirtin mit etwas hochgezogenen Augenbrauen in unsere Pilgerausweise drückte. Im Regen suchte ich draußen eine Telefonzelle und meldete unsere glückliche Ankunft. Die Zelle war vor dem im Handbuch angepriesenen Cafe und Hostal del Sol, das sah ganz gut aus. Gegenüber ein Mobiltelefonladen, leider geschlossen. Ich dachte: "Na, wenn es den schon in Villaviciosa an jeder Ecke gibt, werde ich damit in Oviedo ja wohl keine Schwierigkeiten haben." Damit lag ich daneben.


Pilgerweg

15. Juni 2009, Montag: Von Villaviciosa zum Kloster Valdediós (9,4 km)

Ein empfehlenswerter Schlenker mit Einkaufsmöglichkeit

Gegen 15h00 Aufbruch, wir haben es nicht eilig, umrunden die erwähnte Kirche Santa María de Oliva. Etwas weiter knickt die Landstraße nach rechts ab, das Handbuch empfiehlt, weiter geradeaus zu gehen, aber da kommt man durch ein unangenehmes Industrieviertel. Ich empfehle so zu laufen, wie es Michael Kasper in seinem Band über den Küstenweg geschrieben hat: Der AS-113 nach rechts folgen. Dann kommt man nämlich an einem Lebensmittelladen, der rechts liegt, vorbei und kann sich verpflegen. Gottlob machten wir das auch, denn abends im und am Kloster gab es nichts zu essen. Man folgt der Straße dann auf der linken Seite, bis man wenige Meter vor einer Brücke nach links unten eine Treppe hinabgeht und hinter Hochhäusern, immer links an dem Flüsschen entlang, weiterläuft. Dann kommt von links die Handbuchroute dazu, und man betritt nach rechts den Park aus der Beschreibung. 15h25 erster Halt an der Kirche von Amandi.


Woran man die Abzweigung zum Talweg erkennt

Der Regen hatte nachgelassen, aber es tröpfelte immer wieder etwas. Wir kamen an der Verzweigung der Pilgerwege vorbei. Rechts geht es die Nordroute weiter, links Richtung Oviedo zum Camino Primitivo. Wir bogen also links ab. Nach 6,5 km kommt man an eine Abzweigung von der kleinen Asphaltstraße. Man hat soeben eine Senke mit einigen Häusern hinter sich. Rechts an der Straße steht eine Sitzgruppe mit Tisch und Bänken, auch hat die zuständige Gemeinde hier eine Informationstafel aufgehägt. Leider machte ich hier den Fehler und konsultierte das Handbuch nicht. Der gekennzeichnete Pilgerweg führt geradeaus weiter, aber Raimund Joos empfiehlt hier - und wohl sehr zu Recht - rechts abzubiegen und dem sich ins Tal senkenden Weg zu folgen, wenn man zum Kloster Valdediós will.

Alternativ: die alte Route

Ich merkte erst ca. 1 km später, als der Weg sich zur Landstraße emporzuschwingen begann, dass ich die im Handbuch genannte Abzweigung verpasst hatte und wusste auch gleich, wo das gewesen war. Aber ich hatte keine Lust zurückzugehen. Auch sagte mir eine Bäuerin, dass der Weg durchs Tal viel, viel weiter sei. Ich bezweifele das nach den Entfernungsangaben im Handbuch inzwischen. Wie dem auch sei, wir liefen also zur Landstraße. Dort konnte man links einem begleitenden Weg an Häusern vorbei folgen, musste aber bei der nächsten Gelegenheit gleich wieder zur Landstraße hinunter, weil unten an dieser, kaum zu übersehen, ein großes Schild darauf hinwies, dass es hier rechts ab zum Kloster ging.
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Verzweigung der Pilgerwege

Bar/Tienda und Restaurant vor dem Kloster

In blendender Laune, trotz erneutem Regen, folgten wir der Aphaltstraße und kamen schließlich an einer Bar/Tienda vorbei, die ich noch im Gedächtnis hatte. Diese erreicht man nicht, wenn man dem Weg im Handbuch folgt, muss aber nur 150 Meter nach links zum 1. Haus zurück, sobald man die Straße nach Valdediós erreicht. Jedenfalls erklärt sich so, warum manche Pilger melden, die Bar gäbe es nicht mehr: die sind den Talweg gegangen. - Für uns war es egal: die Bar war geschlossen, obwohl sie renoviert aussah. Eine Reihe von Bierflaschen, offensichtlich von Kunden zurückgebracht, zeigte, dass sie durchaus noch manchmal geöffnet ist; ich vermute, am Wochenende. Jetzt war und blieb sie zu, und es schien auch niemand dort zu wohnen. Vor dem Kloster dann rechts das Restaurant, in dem meine Frau und ich damals gut und preiswert gegessen hatten: auch dieses frisch renoviert, aber verriegelt und verrammelt. Da kenne sich einer aus ...


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Kloster Valdediós

Vergleich der Wege zum Kloster

Insgesamt nehme ich an, dass der Weg durchs Tal, wie ihn das Handbuch beschreibt, schöner ist als der Weg über die Landstraße und wohl auch nicht wesentlich länger, vielleicht mit ein paar Höhenmetern mehr. Gar nicht übers Kloster zu gehen, sondern den ganzen Weg bis zur Passhöhe parallel zur Landstraße, ist natürlich noch viel dümmer. Nichtsdestoweniger ist ja die Pilgerwegauszeichnung so gemacht, was einfach nicht zu verstehen ist. Also auch der, der nicht im Kloster bleiben will, sollte auf jeden Fall den Weg am Kloster vorbei nehmen. Nur der steile Aufstieg zum Schluss spricht dagegen, aber den schafft man, und verlaufen kann man sich auch nicht.

Klosterherberge in Ordnung

17h50 treffen wir am Kloster ein, nichts regt sich. Ich kenne ja die Tür der Pilgerherberge, rechts vom Klostereingang: sie ist nur angelehnt, innen steckt der Schlüssel, also gehen wir rein. Ein großer Aufenthaltsraum, in dem auch ein Bett steht (für Schnarcher?). Rechts der Schlafsaal, 12 Betten, alles relativ sauber, dazu ein Entfeuchter. Im Hintergrund Duschen und Toiletten, nach Geschlechtern getrennt, seit 2001 offenbar renoviert und einwandfrei. Links die Küche, ziemlich verwahrlost, wie üblich viel Müll, den die Pilger haben liegen lassen. Einige Nahrungsvorräte. Insgesamt war die Unterkunft gut in Ordnung. Sie wurde ja als völlig verschimmelt und verkommen gemeldet, das stimmte nicht.

Pater Máximo - der letzte Mohikaner

Auf unser Schellen an der Pforte rührt sich nichts, aber die Kirche ist unverschlossen. Beim zweiten Mal kommt wer, es ist Pater Máximo, den ich schon kenne. Um uns Stempel zu besorgen, muss er weit über den Hof, den ehemaligen Kiosk aufschließen. Wir spenden jeder 5 Euro für die Übernachtung. Zu unserer Verblüffung erzählt er, dass er allein ist, der Letzte. Es gibt daher auch keine Gottesdienste mehr, nur noch seine Messe am Morgen, zu der wir uns gleich anmelden.

In Oviedo erzählen mir Esperanto-Freunde etwas über die Hintergründe: Der Orden hat sich mit dem Bischof angelegt. Der hat alle Mönche versetzt. Daraufhin ist er selbst nach Valencia abgeschoben worden, aber seine Anordnung gilt weiterhin. Nun sollen neue Mönche kommen, sagte auch Pater Máximo. Er habe nur noch zu verwalten. - Die Informationen im Handbuch dürfen also völlig überarbeitet werden.


Auch die präromanische Kirche San Salvador de Valdediós, ein touristischer Anziehungspunkt, ist kaum mehr zugänglich. Hans fotografiert sie durchs Torgitter.

Der weitere Erkundungsgang am Abend erbringt nur das schon geschilderte Resultat, dass nahe Bar und noch näheres Restaurant geschlossen sind, also knabbern wir von Vorräten. Es gibt Kaffee und Pizza von zu Hause. Hans setzt den Entfeuchter so gründlich ein, dass seine Sachen zwar trocken sind, dafür aber der halbe Fußboden schwimmt. Nachts ist es sehr kalt, das einzige Mal, wo ich ganz in den Schlafsack krieche.

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Präromanische Kirche

16. Juni 2009, Dienstag: Vom Kloster Valdediós nach Pola de Siero (16,4 km) (25,8 km)

Wie man die Etappen bis Oviedo besser aufteilt

Unser heutiges Tagesziel ist nicht der Ort, wo wir schlafen werden. Wie schon 2001 machte ich wieder die "Bus-Rochade", um die ca. 35 km bis Oviedo gleichmäßiger aufzuteilen, denn schon 7,1 km hinter Valdediós kommt Vega de Sariego, wo wir in der Pilgerherberge blieben. Wären wir eingelaufen gewesen, hätten wir auch die 35 km in einem einzigen Tag laufen können, aber wir wollten diesmal klug sein, uns anfangs zügeln und die Füße schonen. Dieses Konzept hatte auch vollen Erfolg.

Messe zu dritt

Doch der Reihe nach. 6h45 raus, 8h30 Messe - mit Pater Máximo ganz allein! Wir hatten am Vortag einige Touristen gesehen, auch einen Bruder, aber niemand außer uns hatte hier übernachtet, also Messe zu dritt. Auf Latein? fragte Pater Máximo. Ach nein, trotz großem Latinum verstehe ich das nicht besser als Spanisch. Wie rückständig die katholische Kirche in Spanien ist, zeigen folgende zwei Beobachtungen: Anstatt uns an den Altar zu holen, mussten wir hinten in den Bänken bleiben, gebührender Abstand. Bei der Kommunion verweigerte Pater Máximo mir die Handkommunion, Mundkommunion musste sein. Gut, tat körperlich nicht weh, aber mir kam doch so eine Ahnung, warum hier alles verwaist war. Arme Kirche, seelisch tat's schon weh.

Aufstieg zu einer Bar

9h30 Abmarsch durch das schöne Tal. Der Schlüssel bleibt einfach innen in der Herbergstür. Kein Regen, aber bedeckt. Das Hundegebell bis zum ersten Dorf hielt sich in Grenzen. Man sah bald zurück auf die riesige Klosteranlage. Vor dem zweiten Dorf ging es dann steil nach oben, sehr steil! Aber mit meinem üblichen "Geländegang", wie ich es nenne, nämlich mit Trippelschritten, zog ich langsam, ohne groß zu pusten, geduldig hoch. Oben an einer kleinen Straße vor einigen Häusern ging es nochmal links, zur Landstraße. Um die Ecke dann eine Fernfahrerbar, was ja auch immer gut für Pilger ist. Tatsächlich bekamen wir außer dem üblichen Kaffee noch dick belegte Brötchen. (2x Kaffee und 2 Brötchen 4,40 Euro) Das war ein kräftiges zweites Frühstück.

Herberge in Vega de Sariego

11h45 treffen wir in Vega de Sariego ein. Die Herberge ist offen. Zugleich mit uns trifft ein spanischer Pilger ein. Wir belegen Betten in verschiedenen Zimmern. Auch diese Herberge ist in Ordnung, wenn auch die Bodendielen holzwurmzerfressen sind, wohl vor der Lackierung. Wen stört das? In der "Casa Rufo" gibt's einen Stempel; wir spenden wieder je 5 Euro. Das Restaurant Malaga hat dienstags Ruhetag. Also wieder kein Abendessen. Zu spät finden wir abends heraus, dass auch die Wirtin vom "Casa Rufo" auf Bestellung Abendessen macht (Menü 8 Euro). Tja, wir haben nicht gefragt, es gibt ja auch keinen Esssaal.

Pola de Siero

Jetzt treffen laufend weitere Pilger ein. Ich erkläre einem, dass wir zurückkommen, die meisten anderen bekommen es nicht mit. "Buen camino!" Sie denken, sie sind uns los. 12h45 weiter nach Pola, mit reduziertem Gepäck. Unterwegs nicht mehr so viele Kläffer wie vor 7 Jahren. Es geht i.W. eine kleine Landstraße entlang, ziemlich langweilig.

15h30 in Pola de Siero. Kurz hinter dem Ortseingang, vor der Calle de San Antonio, die gesperrt ist, verweisen Umleitungsschilder nach links. Danach schwenkt man rechts in eine Geschäftsstraße. Es folgt links ein Park, in dem wir Rast machen. Ein Zigeuner will uns Ramsch andrehen; als das nicht klappt, bettelt er für "etwas zu essen"; dabei platzt er bald aus der Hose. Wir wehren ihn mit Mühe ab.

Weiter die Straße hoch, parallel zur gesperrten Calle de San Antonio, stoßen wir zuerst auf 3 Pilgerinnen, die uns von einem Café aus zuwinken. Dann fallen zwei Männer fast über uns her: Sie sind vom örtlichen Pilgerverein und teilen uns begeistert mit, dass im Dezember 2009 hier eine Herberge entstehen soll.
Hier ist die Adresse des Vereins:
Amigos del Camino de Santiago / Siero, Noreña y Sariego, Casa Rectoral, Plaza Don José Galán, s/n
E-33510 Pola de Siero, Asturias, Tel. 0034 985 72 54 51


Nachtrag von 2010: Die Pilgerherberge ist inzwischen tatsächlich eröffnet worden.

Rückfahrt nach Vega

Etwas weiter führte die nächste Straße links zum Busbahnhof. Dort suchte ich lange herum, um eine Information über die Verbindung Richtung Villaviciosa bestätigt zu bekommen. Endlich fand ich was auf einer großen Anzeigetafel. Es gab sogar einen früheren Bus um 16h55, um so besser. Nun musste ich die Haltestelle herausfinden, die gut 1 km von Vega de Sariego entfernt ist. Sie heißt "Santiendas" und liegt in einem Industrieviertel. Fahrtzeit 15 Minuten, der Busfahrer war sehr freundlich und hilfsbereit.

Noch am Busbahnhof in Pola hatte ich einen alten Mann und eine Frau angesprochen. Beider Spanisch blieb mir absolut unverständlich. Sie erklärten lange, wo die Haltestelle ist, ich verstand nichts. Am Ende stellte sich heraus, dass sie auch beide nach Vega fahren. Warum haben sie das nicht einfach gesagt? So hatten wir sie nach dem Aussteigen am Hals. Die Frau schwallte mich voll, der alte Mann Hans. Aus Höflichkeit ging es mit den beiden im Schneckentempo die gut 1 km bis zum Ort. Wenigstens verstand ich von der Erzählung der Frau so viel, dass ich an den richtigen Stellen "Si" sagte.

Die ersten Mitpilger

In der Herberge ist was los. 2 ältere Franzosen, von denen einer dauernd Pfeife raucht (Wir haben ihn dann "die Pfeife" getauft. Ist aber nicht so gemeint, kommentierte Hans treuherzig zu mir.) 1 junger Franzose, 1 junge Französin, die einiges an Fremdsprachen drauf hat. Sie kommt von zu Hause, sieht wild aus. 2 junge Spanierinnen, diverse sonstige Spanier. Ca. 12 Leute bei 16 Betten, unser Zimmer mit 7 Betten ist fast voll belegt. Man will uns erst in ein anderes Zimmer schieben, bis die Leute kapieren, dass die Schlafsäcke auf zwei der reservierten Betten uns gehören. Ich erzähle nochmal die Geschichte mit der Bus-Rochade. Danach gelten wir wenigstens als pfiffig.

Supermarkt in Vega

Abendessen auf den Bänken gegenüber der Herberge. Zwischendurch gab's Schauer, die Wäsche musste ins Haus geholt werden. Es gibt einen guten Supermarkt. Er liegt, wenn man ankommt, links, etwa 100 m vor der Herberge. In der "Casa Rufo" brauchten wir dann nichts mehr einzukaufen. Einige machten was in dem kleinen Zimmer, das Küche und Essraum ist, heiß. Wenig Kommunikation, außer den beiden jungen Franzosen kann niemand Fremdsprachen.


17. Juni 2009, Mittwoch: Von Pola de Siero nach Oviedo (17,4 km) (43,2 km)

Wieder das Schnarchproblem

Die Nacht war schlimm. Ich hatte mir wie oft Tropfen in die Nase getan, um so keine Mundatmung zu brauchen. Das ist die einzige Möglichkeit, weniger zu schnarchen. Trotzdem wurde ich einige Male von anderen, besonders "der Pfeife", wach gemacht, um mein Schnarchen zu unterbrechen. Einmal kam er sogar zu mir rüber und stupste mich an der Schulter. Hans meinte dazu, dass man bei sowas auch leicht einen Ellenbogen ins Auge bekommen könne, weil der Weckende riskiert, als potenzieller Dieb angesehen zu werden. Jedenfalls stellte mich Monsieur morgens noch zur Rede. Ich entschuldigte mich hilfslos. Die junge Französin meinte: "Wenn er schnarcht, hat er ein Problem. Mich hat er nicht gestört." Das fand ich sehr nett von ihr. Ausdiskutieren konnten wir nichts, wegen der Sprachbarriere.

Busfahrt nach Pola de Siero

7h08 zogen wir schon los, um den Bus um 7h30 an der Landstraße zu erwischen. Neuerdings haben die Spanier zumindest im Norden rote Plastikpfähle aufgestellt, um Bushaltestellen zu kennzeichnen. Und - o Wunder - es gibt dabei sogar Fahrpläne! An der Landstraße mussten wir erst feststellen, wo die Haltestelle an der rechten Straßenseite war. Sie war ca. 100 rechts, etwa gegenüber der Stelle, wo wir ausgestiegen waren. Ein Wartehäuschen zeigte, dass wir da richtig waren. Spanien wird immer einfacher. Ich wollte unbedingt etwas früher da sein, und richtig: Der Bus kam glatt 5 Minuten zu früh und fuhr mit uns auch gleich weiter. Der Fahrer stutzte etwas, dass wir nicht nach Oviedo, sondern nur bis Pola wollten. Es war derselbe nette wie am Vortag.

Der Weg nach Oviedo

7h45 kletterten wir in Pola aus dem Bus. Wir mussten nur ein Stückchen (wenn man mit dem Rücken zum Gebäude steht) links vom Autobusbahnhof zur nächsten Kreuzung. Dort kam der Pilgerweg (die Umleitung) von rechts und ging links weiter.

Wir folgten den Pfeilen ohne Mühe, ich schaute aber nach dem gestrigen Reinfall immer auch wieder zur Kontrolle ins Handbuch. Bald kamen wir an der im Handbuch genannten Festung vorbei. Von ihr ist nicht viel zu sehen, wenn man nicht den inneren Bereich betreten darf. Kurz hinter einer Schienenüberquerung war immer noch ein Zigeunerlager, aber man hört nur Stimmen aus den Bruchbuden, das Wetter war nicht für einen Aufenthalt im Freien geeignet.

Es kam nun ein landschaftlich etwas schöneres Stück. Links verlief ein Flüsschen. Wir kamen an einem Restaurant vorbei, das geschlossen zu sein schien, erreichten dann eine Kirche im Grünen. Kurz hinein, um etwas zu beten. Draußen rief auf einmal ein Pirol. Das gab mir gute Laune. Bald erreichten wir die N-634. Hier (Ortschaft Colloto) ging es nach links bis vor eine Brücke. Meine Späheraugen entdeckten aber davor rechts eine ansprechende Bar, nach der ich schon gesucht hatte. 10h30, wir essen und trinken ein wenig. Draußen zieht ein Pilger vorbei, aber mich erfasst keine Hektik. Gut!

Es folgt die Römerbrücke, und dann stellte ich mich nervlich auf den ermüdenden Marsch durch die Vorstädte von Oviedo ein. Es begann mit der Überquerung eines riesigen Kreisverkehrs, bei dessen Anlegung man offenbar von Fußgängern noch nie etwas gehört hatte. Gottlob begann hier mein Stadtplan, den ich von einer früheren Pilgertour aufbewahrt und mitgenommen hatte. Unter der Autobahn her auf die große Ausfallstraße Tenderina, die kilometerlang geradeaus zum Stadtzentrum führt.


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Kirche Santullano

Abstecher zur Kirche Santullano

Wir hatten die Idee, einen kurzen Abstecher nach rechts zu machen, um die präromanische Kirche Santullano zu besuchen. Das war einfacher zu finden, als ich dachte. Rechts wurden die Seitenstraßen durch grüne Schilder angekündigt. An einem kleinen Platz überquerten wir die "Tenderina", als die Nebenstraße "Rio Caudal" angezeigt wurde. Hinter dem kleinen Platz am Kreisverkehr halb links (Angel Cañedo) zu einer Brücke über die Stadtautobahn. Dort sah man die Kirche schon links in einem Park liegen. Hinter der Brücke brauchte man nur links in den Park hinunter und direkt auf die Kirche zu. Zu unserer Freude waren wir schon um 12h50 dort, so dass wir noch schnell eine Blitzbesichtigung bis 13h00 machen konnten. Dann wurde die Kirche geschlossen.

Der Weg zur Kathedrale war ebenso einfach: Wo der Weg von der Kirche auf die Stadtautobahn stieß, gab es eine Fußgängerampel. Gegenüber ging es in die Straße "Marcelino Fernandez" und weiter geradeaus über den Stadtring hinweg durch die Straße "Martinez Vigil" hoch zur Kathedrale. Diese muss man noch umrunden (wir gingen links rum), um zum Hauptplatz und dem Haupteingang zu gelangen.


Vergebliche Suche nach einer SIM-Karte

Wir besichtigten die Kathedrale, die auch schon wieder bald geschlossen wurde, und gingen dann über die Gassen "Santa Ana" und "Oscura" zur Pilgerherberge. Diese wurde ja erst um 19h00 aufgeschlossen. Dankenswerterweise nahm das Geschäft "Modas Petri" sehr freundlich unsere Rucksäcke in Aufbewahrung. Allerdings schlossen auch sie, wir konnten unsere Sachen dann ab 16h00 zurückbekommen. Hans und ich trennten uns. Endlich ein schöner sonniger Tag. Ich kämmte die Geschäftsviertel durch, bekam problemlos eine Vorbezahlkarte für 5 Euro. Aber die SIM-Karte für mein Mobiltelefon wurde ein Reinfall. Es dauerte lange, bis ich einen großen Fachladen für Mobiltelefone gefunden hatte. Dort sagte man mir, eine einzelne SIM-Karte gäbe es nicht. Ich solle ein Mobiltelefon für 19,00 Euro kaufen und am Ende meines Spanienaufenthaltes wegwerfen, wie ich oben schon erwähnt habe. Es war wohl glatt gelogen.


In der Herberge von Oviedo

Um 16h00 holten wir unsere Rucksäcke ab und stellten sie als erste vor die Herbergstür. Bald kamen weitere Pilger: eine blonde Tschechin, die auf der Nordroute war, aber Oviedo mitnehmen und von hier nach Avilés laufen wollte. Eine gekennzeichnete Route wusste ich da nicht. "Die Pfeife" und der zweite Franzose, eine blonde Spanierin, eine Gruppe von 3 Dänen, eine Radfahrerin aus der Schweiz. Außerdem Karin aus Österreich, die ich aus dem Pilgerforum kenne; sie hat mir die Karten der Variante von Sobrado dos Monxes - Santa Irene im Netz gezeigt. Ist vom Camino Francés geflüchtet.
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Wiedersehen mit Luigi

Als der Herbergsvater pünktlich kommt, gibt es kein Durcheinander. Wir nehmen die Betten ganz hinten am Fenster, da ist es etwas heller. Frische Luft ging nicht, denn es zog zu kalt dadurch. Spät abends kommen noch zwei fröhlich durch die Tür, eine ältere Spanierin und ihr tätowierter, noch älterer Begleiter. Als dieser am anderen Morgen mit "Bon giorno" grüßt und sich damit als Italiener zu erkennen gibt, klickt's bei mir immer noch nicht. Erst als Hans mir unterwegs nach Escamplero erzählt, der habe die anderen um ein Frühstück angehauen, fällt der Groschen: Den habe ich schon mal getroffen, ich weiß auch, wo: Vor 6 Jahren auf dem Camino del Norte in Cudillero. In meinem Bericht ist er abgebildet: Luigi, der Jerusalempilger. Bewiesen ist es nicht, dass er es war, aber ich bin mir sicher. Scheint sich als Schnorrer auf dem Camino rumzutreiben. Wir sahen ihn jedenfalls nicht wieder.

Treffen mit Esperanto-Freunden

Um 20h00 kommen zwei spanische Esperanto-Freunde, mit denen ich mich verabredet habe. Vor 3 Jahren hatte Carlos keine Zeit. Jetzt können wir uns einfach in die Bar zwei Häuser weiter begeben. (Eigentlich praktisch, diese Bar ganz in der Nähe, hatte sie gar nicht in Erinnerung.) Sie erzählen mir u.a. über die Geschehnisse in Valdediós. Beide sprechen absolut fließend Esperanto, so dass ich endlich mal keine Sprachbarriere empfinde. Gegen 21h30 sind wir in der Herberge zurück, der Franzose schnarcht schon. In dieser Nacht habe ich gut geschlafen. Und alle waren auch noch am Morgen nett zu mir.


18. Juni 2009, Donnerstag: Von Oviedo nach Escamplero (mit 4 km Umweg über den Berg Naranca) (16,4 km) (59,6 km)

6h45 stehen wir auf, ich fühle mich gut. Wir frühstücken gemütlich im Vorraum. Ich bin sicher, dass die meisten Mitpilger heute eine längere Etappe machen werden als wir und wir sie deshalb nicht wiedersehen. In Escamplero würden erst am Nachmittag Spätläufer eintreffen, die am selben Tag in Oviedo ankommen und sofort die erste Etappe laufen. Genauso kam es.

8h05 Abmarsch. Wir brauchten immer einschließlich Frühstück mit Kaffee-Aufsetzen 1 1/4 Stunde, damit war ich gut zufrieden. Dank unserer Erfahrung saß auch jeder Griff beim Packen, und um das Bett herum war immer alles am selben Platz. Jedes Suchen kann man sich dann ersparen. - Zum allmorgendlichen Gebet gingen wir diesmal vor die Kathedrale. Von dort lief ich einen anderen Weg, als im Handbuch beschrieben wird, nicht über den Bahnhof. Er verläuft wie folgt:

Alternative Route von der Kathedrale aus

Von der Hauptportalseite der Kathedrale aus geradeaus über den Platz und am linken Rand des anschließenden Platzes vorbei in die Straße "San Francisco". Man kommt an der Ostecke des herrlichen Parks San Francisco raus (dort ist der Info-Pavillon für Touristen) und überquert, etwas nach rechts versetzt, den Boulevard Uría. Genau geradeaus geht dann die Avenida de Italia diagonal durch den Park zu seiner Westseite. Oben folgt man der breiten Straße "Conde de Toreno" etwa in gleicher Richtung weiter bis zur "Plaza de América", einem Kreisverkehr, wo man halbrechts in die "Gral. Zuvillaga" einbiegt. Nach 200 m erreicht man den Kreisverkehr an der "Plaza de la Liberación", wo von halbrechts der von Raimund Joos beschriebene Weg dazustößt. Es geht dann halblinks (hinter einem Denkmal der erfolgreichen Verteidigung Oviedos gegen die Galicier!) in die Straße "Tte. Coronel Tejeiro", wie im Handbuch beschrieben.

Nur wenige hundert Meter weiter ist am nächsten Kreisverkehr die Abzweigung rechts zu den beiden präromanischen Kirchen, die Hans und ich sehen wollten. Bei dieser Kurzetappe lag das einfach nahe. Wer dort nicht hin will, folge dem Handbuch, ich beschreibe jetzt den Weg dieses Abstechers.


Abstecher zu den Kirchen auf dem Monte Naranco

Es geht vom Kreisverkehr rechts ab in die Straße "Ramiro I". Rosa Wegweiser zeigen einem, wo es zu den "Monumentos" auf dem "Monte Naranco" geht, aber leider nicht immer. Bei einer Y-Verzweigung folgt man der Hauptstraße nach halblinks. Sie heißt jetzt "Avenida de los Monumentos" und zieht sich in einem langen Rechtsbogen um ein begrüntes Viertel. Man kommt zu einer großen Kreuzung, wo man aufpassen muss. Richtig ist, halblinks (nicht links und nicht geradeaus) weiterzugehen, abermals in einem Rechtsbogen um eingegrünte Häuser. Nun ist der Weg nicht mehr zu verfehlen, und es geht ständig in Fahrtrichtung weiter. Erst liegt links ein Altenheim, dann rechts unten eine Schule. Nach einem Linksbogen wird es wenig später interessant. Die Bebauung links endet mit zwei älteren, einstöckigen einst weißen Häusern mit vergitterten Fenstern. Hier zweigt zwischen den Häusern ein schmaler Asphaltweg nach links ab. Diesen Weg muss man sich merken, denn das ist ein abkürzender Rückweg, der ca. 1 km spart. 9h20.


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Santa María del Naranco
Zu den Kirchen bleibt man auf derselben Straße (der leichten Rechtskurve folgen, nicht geradeaus hoch abzweigen). Es wurde gerade der Bürgersteig aufwändig gepflastert. Nach einer Rechtskurve lässt man die Häuser hinter sich. Einige Hundert Meter weiter zweigt links eine breite Asphaltstraße ab, an der rechts von ihr, etwas tiefer, ein großer Touristenparkplatz liegt. Man durchquert diesen Parkplatz nach hinten. Ein Schild verweist auf einen Fußweg, der durch einen sehr schönen Hohlweg (garantiert die ganz alte Straße) hoch zu den Kirchen führt. Aber nach ca. 500 m verzweigt sich der Weg. Rechts oben sieht man oberhalb eines Bauernhauses die erste Kirche. Ich empfehle, dort auch rechts abzubiegen und links um das Bauernhaus herum zur Kirche hochzusteigen.

Es nieselt mal wieder. Nebel liegt über der Stadt, die ab und zu unten im Tal zu sehen ist. 11h00 Eine Dame fährt im Auto vor, sie schließt die Kirche zur Besichtigung auf. Wir verzichten aber, schauen uns nur das Äußere an. Dann folgen wir einem schmalen Fußpfad neben der Landstraße oben die wenigen Hundert Meter zur zweiten Kirche. Auch sie ist wirklich sehenswert. An der unteren kann man den Eintritt für beide bezahlen.


Links von der Straße kommt neben einer kleinen Brücke der erwähnte Fußweg hoch. Wir benutzen ihn als Rückweg und kommen so sehr schnell wieder nach unten. Bald sind wir an der Abzweigung, die man sich merken sollte, weil dort der Weg in den Stadtteil La Florida hinunterführt, wo man wieder auf den Pilgerweg stößt. Der Weg führt durch ein von Bebauung noch fast unberührtes, landwirtschaftlich genutztes Gelände, ein schöner Pilgerweg. Ein großer Hund, der mitten auf der Fahrbahn liegt, lässt uns unbehelligt vorbei. Dann tauchen vor uns die Hochhäuser von La Florida auf. Leute mustern uns, ob wir uns verlaufen haben. Aber ich führe zielstrebig (alles steht auf meinem Stadtplan) halbrechts weiter nach unten, bis wir die drei parallelen großen Straßen erreichen, die das Viertel La Florida durchziehen. Rechts liegt ein geöffneter Supermarkt.

Wir ziehen die mittlere Straße entlang, sie hat einen breiten Mittelstreifen. Nach einigen Hundert Metern kommen wir an einen Kreisverkehr (es ist nicht der, auf den man gleich zu Anfang stößt). Ich schaue um die Ecke nach rechts: Wie erwartet ist dort ein Park, und an einem Baum ist ein verblasster gelber Pfeil. An diesem Kreisverkehr kommt nämlich der Pilgerweg von links und geht rechts weiter. Alles klar! Also rechts ab und in den Park! (Ende des Umwegs über die Kirchen).


Erste Begegnung mit der polnischen Gruppe

In San Lázaro de Paniceres gibt es rechts eine Häuserzeile mit einer Bar. Sie ist geöffnet, aber wir brauchen noch nichts. Nun folgt ein schöner Teil halbhoch über Bauernsträßchen und Pisten, immer ein wenig rauf und runter. Eine Kapelle kommt in Sicht, vor ihr Pilger. Wie wir die Gruppe fast erreicht haben, kommt von hinten ein Bauer und schenkt ihnen zwei Flaschen Rotwein. Wir kennen die 5 Pilger nicht, sie müssen neu eingestiegen sein. 4 Männer zwischen schätzungsweise 30 und 40 und eine junge Frau Anfang 20. Es sind Polen, und sie sprechen auch deutsch. Kurzentschlossen gibt einer von ihnen eine der geschenkten Flaschen an uns weiter. Eine der seltenen Szenen echter Pilgergeschwisterlichkeit, die wir auf diesem Camino erleben sollten.

Flaschen mitzunehmen, ist für Pilger schwer und umständlich. Ich erinnere mich aber an meine halb vollen Wasserflaschen (aus Plastik), deren Deckel zugleich als Becher dienen. Eine davon, die mit dem grünen Deckel, dient zuweilen als das "böse Fläschchen" und enthält dann Rotwein. Ich gieße schon mal das Wasser in der Flasche mit dem blauen Deckel zusammen und fische nach meinem Taschenmesser mit dem Korkenzieher. Hans plaudert mit den netten Polen. Gerade zeigt einer, dass er auch deutsche Sprichwörter kennt: "Man muss alles so nehmen, wie es kommt." sagt er. "Jetzt kommt erst mal der!" brülle ich und reiße den Korken aus der Flasche. Einen Moment sind die anderen verblüfft, dann lacht alles los. Ich lasse den grünen Deckel des "bösen Fläschchens" mit Rotwein kreisen. "Buen camino und gute Pilgerschaft!" Dann ziehen die Polen weiter. Hinter uns mäht der freigiebige Bauer das Gras. Ich gehe zu ihm, bedanke mich nochmal höflich und sage einen Pilgersegen. Er freut sich. Ich habe in Santiago an ihn gedacht.

Durchs Tal der Nora

Bis zur Bar auf der Landstraße überholen wir die Polen noch einmal. Als wir in der Bar sind (Kaffee und bocadillos), ziehen sie vorbei. Danach sehen wir sie vorerst nicht wieder. Das Wetter wird besser. Wir machen also den Umweg durch das grüne Tal der Nora. Das können wir uns zeit- und kräftemäßig leisten. Hans möchte gern einmal ans Flussufer, aber das Gestrüpp ist zu dicht. Der Aufstieg nach Los Arroxos ist nicht von Pappe, aber ich lege einfach wieder meinen "Geländegang" ein. Fern grüßen ein paar letzte Häuser von Oviedo, im Dunst kaum zu erkennen. Oben an der Landstraßenkreuzung muss man aufpassen, dass man wirklich noch 150 m in Richtung Avilés geht und nicht gleich geradeaus auf ein Asphaltsträßchen, ehe man links nach Escamplero abzweigt.

Schwierigkeiten mit dem Schlüssel

13h30 am Restaurant Tedejón de Fernando. Eine Frau sieht uns durchs Fenster und sagt mir: Den Schlüssel zur Herberge habe ihr Mann und der sei dort. Jedenfalls habe ich das so verstanden. Wie wir 13h40 ankommen, ist niemand da. Die alte Frau, die dort wohnt, will uns zurückschicken. Ihr Spanisch ist absolut unverständlich. Wo denn ihr Hündchen sei? "Tot" verstehe ich noch, wahrscheinlich überfahren. Wir machen es uns auf den Bänken gemütlich, vielleicht kommt der Mann ja noch. Gegen 16 Uhr schrecken wir hoch, Pilger kommen. O je, "Pfeife" mit den beiden jungen Franzosen. Ich mache mich dann doch lieber auf die Socken zum Restaurant, ehe ich lange Erklärungen abgeben muss. Dort angekommen schickt mich die Frau runter in den Hof. Dort (und nicht oben) ist der Eingang zum Restaurant, und es sind etliche Gäste dort. Hinter der Theke steht ihr Mann, holt den Stempel und das Herbergsbuch, gibt mir den Schlüssel. Warum denn nicht gleich so? Habe ich die Frau doch ganz falsch verstanden und hat sie mich nur in den Hof hinunterschicken wollen?

Die Herberge von Escamplero, Einkaufen

Egal, ich komme mit dem Schlüssel in der Hand zur Herberge zurück und bin damit der große Meister, der alles im Griff hat, dem muss man etwas Schnarchen nachsehen. Die Herberge ist sehr gut in Schuss. Man darf nur nicht vergessen, den Boiler anzustellen (in der Küchennische), notfalls vorher die Hauptsicherung rein (hinten links im Schlafsaal). Wäsche waschen. Wind, aber keine Sonne. Bierchen im Restaurant, Einkaufen in dem kleinen Laden unweit der Landstraßenkreuzung (Gegenrichtung wie Avilés, also links, wenn man vom Pilgerweg bei der Ankunft hochkommt.)


Tipp: Wer nichts abends in dem teuren Restaurant essen will, soll sich hier mit Vorräten versorgen.

Essen im Restaurant

Die Franzosen waren überraschend nett zu mir. Ich bot "Pfeife" Ohrenstöpsel an, die er dankend nahm. Na, es geht doch! Unten wurde dann ein Internetcafé aufgemacht, von wo ich den ersten Bericht ans Pilgerforum des Camino Primitivo schickte. Abends zum Restaurant. Das wurde ein finanzieller Reinfall. Es gab kein Menü, sondern nur die normale Speisekarte mit recht gesalzenen (aber für ein spanisches Restaurant normal hohen) Preisen. Chipirones (winzige Tintenfische, meine Leibspeise) 7,50 Euro, Ensalada mixta 5,00 Euro, Wein 4,50 Euro. Brot 1,50 Euro extra. So wurde ich 18,50 Euro los, aber es war reichlich und von sehr guter Qualität.

Weitere neue Pilger

Es kamen noch: die dreiköpfige dänische Gruppe (die Frau japste mächtig, und das bei dieser Kurzetappe!), ein junger Spanier, ein älterer spanischer Pilger noch sehr spät. Damit waren 10 von 12 Betten belegt. Hans und ich nahmen ab da immer ein Doppelstockbett, er oben, ich unten. Er wollte lieber oben schlafen, passte doch! Wenn ich schnarchte, durfte er am Bett rütteln, dann drehte ich mich auf die Seite. Kam ziemlich oft vor, aber er sagte auch, manche Nacht habe ich gar nicht geschnarcht.


19. Juni 2009, Freitag: Von Escamplero nach San Juan de Villapañada (Herberge) (17,6 km) (77,2 km)

Nach einer guten Nacht geht um 5h00 der erste Wecker, der junge Spanier zieht davon. 6h00 geht "Pfeifes" Wecker, aber er hört wegen der Stöpsel nichts, auch nicht, als der Wecker nochmal ertönt. Aber erst um 6h45 werden die Franzosen munter, und ich wecke Hans. Es ist auch unsere Aufstehenszeit. Die Dänen bleiben liegen. Die Übrigen sind schon weg. "Pfeife" hat prima geschlafen, gestikuliert, dass die Stöpsel super waren und sagt auf Deutsch "Danke schön". Besser kann der Tag für mich nicht beginnen. Beim Eingießen des Kaffeewassers erwische ich seine Flasche, kann alles aber heimlich zurückgießen. Mit fällt ein, dass ich mich vor 3 Jahren zweimal aus Versehen an fremden Nahrungsmitteln vergriffen hatte, und muss grinsen.

Aufbruchwetter wie immer

8h15 Morgengebet, dann los. Die Dänen bleiben zurück und kümmern sich darum, den Schlüssel zurückzubringen. Man legt ihn vor die Tür des Restaurants (also im Hof) unter die Matte (sehr originell ;-). Es nieselt mal wieder, ist aber nicht sehr kalt. Jedes Mal bin ich hier noch im Nebel und Sprühregen aufgebrochen. Später am Tag hört der Nieselregen auf.

... und der Spanier im Garten wie immer

Über den Weg gibt es im Vergleich zu der Situation vor drei Jahren nichts Neues zu berichten. Die Bar in Promoño lassen wir ungestört. Der Weg parallel zum Fluss ist voll nasser Gräser. Bevor man hinter Puerma den schönen Uferweg erreicht, liegt rechts ein Haus, in dem beim letzten und vorletzten Mal, als ich hier vorbeikam, ein Mann im Garten arbeitete. Er grüßt wohl alle Pilger und schwatzt ein wenig mit ihnen. Gerade habe ich das Hans erzählt, als der Garten auftaucht, und "natürlich", da ist auch der Mann wieder. Er ist eine gute Auskunftsquelle, wie viele Pilger heute schon vorbeigekommen sind. Ich sage ihm, dass ich mich so zum dritten Mal mit ihm unterhalte. Etwas verlegen meint er, er kenne mich aber nicht wieder. Natürlich nicht bei den vielen Vorüberziehenden, sage ich, aber ich erinnere mich an ihn. Da ist er ganz stolz. - Wenn jemand also dort vorbeikommt, bitte ihn schön von "el Alemán de barba" grüßen. Da wird er sicher ins Grübeln fallen :-)

Grado diesmal im Regen

Vor der Brücke über den Fluss Nalón liegt links eine Bar, war mir gar nicht in Erinnerung. Dort gibt's Kaffee. Das Wetter ist inzwischen leidlich. Wir freuen uns an der schönen Landschaft. Auf der alten Nationalstraße bis Peñaflor ist nichts mehr los. Heiter schreiten wir Grado entgegen. Ich versuche, auf dem gegenüber liegenden Berghang unser Ziel San Juan de Villapañada auszumachen. Später, von der dortigen Herberge aus, sehe ich, dass das gar nicht geht, da der kleine Ort in einem Seitental liegt und von Grado nur der westliche Teil zu sehen ist. Der Blick zurück, wo sich der Fluss durch den Berghang gesägt hat, lohnt.

Heuer nicht, denn da kommen finstere Wolken hinter uns her. Mist! Regenumhänge über. Grado empfängt uns mit lang anhaltendem Regen. Dann merkt man erst einmal, was das Wetter alles kaputt macht. Kein Gedanke, im schönen Park Rast zu machen. Und vor drei Jahren war es auf den Bänken vor Sonne nicht auszuhalten gewesen. - Reklame für zwei El-Arbol-Filialen (meine Lieblingssupermarktkette). Aber wo liegen die? Der Verkehrspavillon ist geschlossen. Kein Stadtplan. Wir ziehen in Richtung Rathaus.

Frag nie einen Einheimischen

Hans möchte Ansichtskarten (tarjetas postales) kaufen. Das ist ihm wichtig, also klappern wir die Innenstadt ab. Nichts zu machen, in Oviedo gab's auch keine. Man soll es nicht für möglich halten: in den folgenden Städten auch nicht. Erst in Fonsagrada war er erfolgreich. Hans war ziemlich sauer. Dann kam noch eine typische Situation: Ein alter Mann spricht uns an, nuschelt herum, ich verstehe fast nichts. "Wo ist denn El Arbol hier?" frage ich ihn. - "Den gibt's hier nicht." - 50 m weiter den Rathausplatz hoch schauen wir in die linke Seitenstraße und stehen vor einer El-Arbol-Filiale. Es ist doch nicht zu fassen. "Du hast ganz Recht," schimpft Hans, "Frag bloß keinen Einheimischen, die haben sie doch nicht mehr alle." Ich drücke mich wegen dem immer noch anhaltenden Regen in eine Schaufensternische und bewache die Rucksäcke, während Hans einkauft; dann tauschen wir. Wenn man zu zweit ist, muss man sehr oft auf den anderen warten. Eine gute Übung, seine eigene Hast zu vermindern. Ist uns in diesem Jahr gut gelungen.

Wo man ein gutes Pilgermenü bekommt

Jetzt hätte ich noch gern ein gutes Pilgermenü. Ich erinnere mich: die Fernstraße hoch gab es vor drei Jahren ein Schild. Nach einigem Suchen (und vergeblichem Fragen, wo es vielleicht Postkarten gibt) kommen wir fast schon am Stadtrand wieder zu einer El-Arbol-Filiale, und gleich daneben ist ein Hotel mit Bar und Menü zu 8 Euro. Nichts wie rein! Meeresfrüchtesuppe (sopa de marisco), Schweinefilet, Eistorte, Wein, Brot: perfekt! Hier schmausen auch Einheimische und Fernfahrer. An der Theke nehmen wir noch einen mit. Der Fernfahrer neben mir scheint sich jeden Moment mit dem Wirt prügeln zu wollen; es geht um ein bestelltes und jetzt doch belegtes Zimmer. Aber nein: was für Deutsche von Lautstärke und Gestik her gefährlich anmutet, ist nur gutmütiges Gestänker unter zwei alten Bekannten. Dann werden wir angesprochen. Deutsche? Er muss immer mal wieder nach Frankfurt. Wir trinken noch einen, fast wären wir versackt. Zimmer gab's ja auch hier. Recht beschwingt suchen wir dann dennoch das Weite. Essen und Trinken haben die Stimmung aufgemöbelt. Regnen tut's auch nicht mehr.

Herberge in San Juan de Villapañada

Mit etwas Alkohol im Blut nimmt man die folgende Steigung (lang und steil) ohne Probleme, nur gut, dass man dann auch oben ist, wenn man in San Juan bleiben will. Wir kommen in die Autobahnbaustelle. Es gibt schon eine Überführung und deutliche Schilder. Wie schon erwähnt: Hier nehmen sie wirklich auf die Pilger Rücksicht. Oben sieht man die Höhe von Fresno mit dem Kloster rechts davon. Dann zweigen wir rechts nach San Juan de Villapañada ab (nicht dem Weg ins Tal hinunter folgen). Hinter der Kirche liegt die Herberge, die linke Tür ist unverschlossen. 15h30, sonst keiner da.


Man betritt den Aufenthaltsraum mit Küche. Rechts neben der Tür zum Schlafraum steht noch ein Doppelstockbett. Dort richte ich mich ein, weil ich dort am wenigsten mit meinem Schnarchen stören werde. Hans nimmt drinnen ein Bett. In vielen Herbergen hat man die Schilder "caballeros" und "señoras" von den Türen der Waschanlagen entfernt. Frauen sind oft nur wenige da und so können beide Duschen auch mal von Männern genutzt werden. Bis auf einen Zwischenfall ging das immer problemlos. Gute Neuerung. - Um die Ecke sind Wäscheleinen, aber da pausenlos der nächste Schauer anrückte, fiel Wäschewaschen mal wieder aus.

In der Küche lagen jede Menge Lebensmittel. Da hatten Pilger wohl aus Angst zu verhungern, viel zu viel gekauft und am Ende alles liegen lassen, weil sie es auch nicht tragen wollten. Wir bedienten uns ungeniert. Ich vertilgte abends eine komplette Tintenfischkonserve, lecker! Hans machte sich über eine dicke Paprikawurst her. Vielen Dank, unbekannte Spender!

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Herberge von San Juan

Erste Begegnung mit späteren Mitpilgern

16h30, die Dänen kommen. Die Frau ist noch fertiger als gestern. Die hält wohl gar nichts aus. Wir selbst machen gerade Kurzetappen zum Einlaufen, und alle anderen sind uns längst weggelaufen. Aber selbst unser Erholungspensum schafft sie nicht. Wir haben die Gruppe danach auch nicht wiedergesehen. - Hans wettete, dass noch 4 weitere Pilger kämen; ich setzte auf 6. Es erschienen noch bis in den späten Abend hinein (Langläufer von Oviedo!): 1 kleiner hutzeliger alter Pole (sehr nett), 1 vornehmer alter Franzose, 1 kleinere Französin und ganz zum Schluss um 20h10 noch ein heiteres spanisches Paar: er mit feschem Schnäuzer und sie erheblich jünger. Die beiden fallen auf zwei freie Betten, ohne den Rucksack abzusetzen und fangen an zu schmusen; Junge, Junge, die sind bestimmt nicht verheiratet ;-) In den nächsten Tagen lernten wir sie alle besser kennen, denn ab da liefen fast alle parallel, auch wenn man nicht jeden Abend alle zusammen dieselbe Herberge ansteuerte, sondern den anderen schon mal einen Tag aus dem Auge verlor. Die kleinere Fanzösin konnte etwas Spanisch, etwa so viel wie ich, der Pole auch. Nur der ältere Franzose war ganz ausgeschlossen, wenn Spanisch gesprochen wurde.

Tagesausklang

Zwischendurch erschien der Herbergsvater, der nebenan wohnt, stempelte und kassierte 3 Euro. Er war immer noch der alte, vergnügt und nett. Da inzwischen so viele Pilger hier übernachten, muss man sich auch nicht vorher anmelden, wie das vor Jahren noch notwendig war.

Draußen auf den nassen Bänken nahmen Hans und ich noch einen Schlummertrunk. Von Grado war inzwischen nichts mehr zu sehen, alles in den Regenwolken. Später, ich lag schon im Bett, brutzelten die Franzosen noch was. Sie waren aber sehr leise, und mich hat's auch nicht gestört. Ich weiß nicht, ob sie errieten, warum ich so abseits blieb. Mit 10 Personen bei 20 Betten war die Herberge ja nur wenig belegt. Das macht wohl ihre Abseitslage.

20. Juni 2009, Samstag: Von San Juan de Villapañada (Herberge) nach Salas (21,9 km) (99,1 km)

Von der heutigen Etappe ist einiges an Neuem zu berichten, da der Autobahnbau an drei Stellen die frühere Wegführung beeinträchtigt. Aber darauf war ich ja gefasst.

6h00 raus, da wir ja früh ins Bett gekommen waren. Außer dem älteren Franzosen schläft noch alles. Auch er will morgens ein Frühstück haben, wie wir das auch halten. Draußen ist mal kein Nieselregen, o Freude! 7h00 Gebet an der Kirche, dann geht's los.

Überraschung: Doch noch bis zum Pass!

Ich bin gespannt auf die im Handbuch geschilderte Umleitung. Wo zweigt sie nur ab? - Die Überraschung ist groß: Es geht doch zuerst die Höhe von Fresno hoch, wie bisher. Das Handbuch erwähnt diesen Namen nicht. Die "im Bau befindliche" Landstraße gab es vorher auch schon; sie wurde jetzt nur wegen dem Baustellenverkehr erneuert. Die neue Streckenführung beginnt also erst oben auf dem Pass: statt wie bisher geradeaus geht es nun rechts ab - und damit hat man die richtige Richtung in etwa im Rücken, ein großer Umweg kündigt sich an. Links liegt oben das Kloster. Von unten kommen zwei Pilger hinter uns her, es ist das spanische Paar.

Der neue Pilgerweg rechts der Landstraße

Später landet man gar wieder auf der Nationalstraße E-634, die von Grado hochkommt. Da hat man sich einige Höhenmeter zusätzlich eingehandelt, aber die schöne Berglandschaft entschädigt etwas. Hinter Alto de Cabruñana muss man sich wieder entscheiden: Landstraße oder rechts von ihr den Pilgerweg? Wo doch unser Ziel weit links lag! Mit etwas ungutem Gefühl (Nebenstrecke bedeutet evtl. Hunde und sicher einen Umweg) entscheide ich mich, dem Pilgerweg zu folgen, um hier berichten zu können (das war wirklich ausschlaggebend). Wie es auf der Landstraße ist, weiß man ja auch so. Nun, es war wirklich ein schöner Weg, den man empfehlen kann, im Zickzack an Bauernhöfen vorbei, keine Hundebelästigung. Auf der parallelen Nationalstraße sahen wir das spanische Paar daherziehen, die würden uns so überholen.

Am Ende einige sehr schlammige und kotige Hohlwege. Ja, wie das Handbuch schreibt, da kommt einem hoffentlich keine Herde entgegen. Man kann diese letzte Strecke vermeiden, indem man vorzeitig zur E-634 hochgeht, die Höfe haben natürlich alle eine Verbindung zur Landstraße.

Auch nach Überquerung der E-634 geht es problemlos weiter, durch Moratin (nur Hunde an der Kette) bis zu einem Steinbruchgelände. Eine Zeitlang sahen wir die Spanier noch vor uns, dann waren sie weg, liefen wohl schneller. Am Ende des Steinbruchs war ich mir sicher, dass uns an dessem Ende die alte Strecke entgegenkam. So war es auch. An der Begegnungsstelle bog man rechts in den Wald, und dann kamen die Serpentinen zur Landstraße nach Cornellana runter. Das kannte ich schon alles. Die Serpentinen sind steil und gefährlich, und Hans war längst unten, als ich vorsichtig nachgestöckelt kam. Wenigstens kein Regen und keine Glitsche.


Achtung: Erdrutsch!

Nachtrag: Monate später las ich in einem Pilgerforum, dass in dieser Gegend ein großer Erdrutsch gewesen sei, ob nun durch den riesigen Steinbruch oder den Autobahnbau verursacht. Jedenfalls geht man wohl nicht mehr über Moratin, sondern muss auf der E-634 bis Cornellana laufen. Bitte mich zu benachrichtgen, sobald sich da wieder was geändert hat.

Nachtrag von 2017: In einem Bericht von Mai 2017 heißt es lakonisch: "Durch schöne Dörfer, etwa 8 1/2 Kilometer bis Cornellana."
Es ist die Frage, ob das wirklich die Landstraße entlang war, klingt nicht so. Wahrscheinlich hat man eine neue Route ausgewiesen.


Abkürzung vor Cornellana

Tipp: Wer nicht in Cornellana einkehren will, kann erheblich abkürzen, indem er gleich zum Kloster San Salvador geht. Also, hinter der Brücke über den Fluss Narcea sofort links auf den Uferweg abbiegen, wie auch im Handbuch empfohlen. Den Bach Nonaya auf einer weiteren, kleinen Brücke überqueren (nicht den Weg vor der Brücke nach rechts weiter verfolgen!), ein Stück am Ufer entlang und dann halblinks direkt auf das Kloster zugehen (dieser letzte Abzweig wird im Handbuch nicht erwähnt.) Der Witz ist: Auch die, die nicht in der Klosterherberge bleiben wollen, stoßen vor der Klostermauer auf einen neuen Verlauf des weiteren Pilgerweges. Man biegt dort links ab. Zur Herberge geht es hingegen rechts um das Kloster herum, am Ende des Vorplatzes links. Muschel oben an der Mauerecke.


Herberge von Cornellana

Wir liefen zum Kloster wie oben beschrieben. Ich musste noch bewältigen, dass mich vor drei Jahren einige "hilfreiche" Rentner davon abgehalten hatten, die Bachbrücke zu überqueren. Diesmal lief ich mit Verstand und registrierte alles. Am Kloster hielten wir uns rechts - und da kam uns das spanische Paar entgegen, recht irritiert, wo wir denn wohl herkamen, wo wir sie überholt hatten und wo wir hinwollten. Nun, sie liefen wortlos weiter, und ich wunderte mich ebenfalls, da ich noch nicht wusste, dass das die neue Wegführung des Pilgerwegs war.

9h15. Das Kloster war wie immer verriegelt und verrammelt. Früher hatten wir hier mal Ansichtskarten bekommen. Ein untersetzter bärtiger Mann in mittleren Alter kommt auf uns zu und spricht uns freundlich an. Ob wir zur Herberge wollten? - Nein, wir laufen nach Salas weiter. - Aber wir könnten sie gern besichtigen.

Es war der Hospitalero, ein netter Mensch. Er schloss uns die Pforte zum Herbergsbereich auf. So konnte auch Hans sich den Innenhof anschauen. Wie der Zustand der Zimmer war, konnten wir nicht sehen. Dann gab uns der Hospitalero noch den Warmduscher-Tipp, bis Llamas der Landstraße zu folgen. Was sollte der Unfug? Der Pilgerweg bis Llamas geht zwar rauf und wieder runter, aber er ist sehr schön, und wenn ich's ganz bequem haben will, bleibe ich gleich zu Hause.


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Aufstieg hinter dem Kloster
Wir merkten auf einmal, dass wir eine Pause brauchten, und ich musste ja noch herausfinden, wo der Pilgerweg jetzt weiterging. Also trabten wir bis in die Innenstadt und landeten in der Bar Ricarda, vom Kloster aus gesehen rechts an der Straße. Kaffee 1,20 Euro. Es gibt aber viele Alternativen. In der Bar konsultierte ich das Handbuch und merkte da erst, dass die beiden Pilger am Kloster durchaus richtig gelaufen waren. Na gut, also zurück!

Der neue Weg aus Cornellana heraus

Man geht also, wie schon erwähnt, links am Kloster vorbei und später rechts eine Asphaltstraße steil hoch, kommt dann zur Autobahnbaustelle, wo aber schon eine Unterführung fertig ist. Das wird wohl so bleiben und ist insgesamt eine gute neue Alternative zu der alten Strecke, auf die man bald zwischen Bauernhöfen stößt. Ohne Schwierigkeiten ging es weiter. 11h35 machten wir in Quintana auf einem Pilgerrastplatz Pause.


In der Baustelle vor Salas

Bis zur nächsten Baustelle vor Salas gibt es sonst nichts Neues zu berichten. Auch hier stand schon eine Unterführung. Auf der anderen Seite hatte man in der Baustelle provisorisch eine Piste abgetrennt, die links von der Landstraße ca. 200 m nach links führte und direkt gegenüber dem Hohlweg nach Salas endete. Sehr gut gemacht. So muss man die Landstraße nur überqueren, aber nicht an ihr entlang.

Nach Salas rein

Als wir vor Salas wieder auf eine große Straße stießen, wusste ich nicht mehr: Ging man geradeaus weiter oder erst nach unten zum Kreisverkehr und dann links in die Stadt? - Nun, beides geht. Aber ich empfehle die zweite Möglichkeit, weil man später in der Stadt so schon an Bares, einem Supermarkt (El Arbol, samstags bis 15h00 geöffnet) und an der Kirche vorbeikommt und sich alles merken kann. Etwas mehr abseits liegt ein anderer Supermarkt "Alimekia" (oder ähnlich): Vom Kirchplatz aus rechts an der Kirche und dem Hotel Soto vorbei, dann auf der rechten Seite. Samstags bis 21h15 geöfffnet.

13h15, etwas zu spät, trafen wir an der Herberge ein; die Betreuerin macht ab 13h00 Mittagspause. Wir stellten die Rucksäcke ab, mussten eigentlich die ersten sein und Betten haben. Salas hat die Uferpromenade noch weiter ausgebaut, und rechts um die Herberge herum ist ein kleiner Park, leider ohne Bäume, aber mit Bänken. Hans und ich kauften abwechselnd ein und aßen, tranken und faulenzten auf den Bänken, denn wir konnten ja die Rucksäcke nicht ganz aus dem Auge lassen.


Herberge in Salas: besser als ihr Ruf

14h45, also 1 Viertelstunde früher als das offizielle Ende ihrer Mittagspause um 15h00, kam schon die Betreuerin. Hans schleppte unsere Sachen in die Herberge und belegte den rückwärtigen Doppelstock, während ich oben mit Stempel und 3 Euro pro Nase alles klar machte. Ich weiß nicht, warum auf diese Herberge so geschimpft wird. Gut, das einzige Fenster lässt sie etwas im Dunkeln, besonders, wenn man seine Wäsche davorhängt, aber wofür ist schließlich die helle Deckenlampe da? In der Dusche gibt es warmes, wenn auch kein heißes Wasser, und leider schwimmt nachher alles, weil wegen eines Konstruktionsfehlers zu viel Wasser auf den Boden und von da in den Vorflur fließt. Wenn die Pilger ein wenig aufpassen und nachher gleich aufwischen, geht es aber. Außerdem für Durchzug sorgen, dass alles gleich wieder trocknet.

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In der Herberge von Salas

Nachtrag von 2010: Die Herbergen von Gondán und Salas sind inzwischen geschlossen worden. Statt dessen gibt es in Salas eine neue Herberge. (Insofern ist mein Beitrag noch die reinste Nostalgie.)

Eintreffen der Mitpilger

Punkt 15h00 kommt der ältere Franzose gemütlich um die Ecke. Er heißt Alain, wie er uns Tage später mitteilt, als wir (nahezu stumme) Freunde geworden sind. Gegen 16h00 stürmt das spanische Paar herein, 16h20 folgt unser polnischer Freund, er heißt Mojciech (Schreibweise ohne Gewähr). Damit sind alle Betten belegt.

Dann gab's für mich noch eine Überraschung. Die junge Spanierin fragte Hans und mich: "Gehört das einem von euch?" Es war das Ladegerät von meinem (nutzlosen) Mobiltelefon. Es musste mir morgens unbemerkt beim Packen aus dem Rucksack gefallen sein. Genau vor sowas hat man immer Angst. - Ich bedankte mich sehr herzlich bei ihr, die schon gehofft hatte, uns wiederzusehen. Das war wirklich sehr nett. Die beiden richteten sich ein und zogen dann in die Stadt.

Streit um ein Bett

16h22 (ich liege auf dem Bett und notiere alles gleich, denn jetzt wird's spannend) taucht auch die Französin auf, sie heißt Chantal, und wir werden noch bis Santiago immer wieder auf sie treffen. Sie schaut empört auf die belegten Betten. Alain sollte ihr doch eins reservieren! - Naja, das geht ja nun mal nicht. Sie gibt nicht auf: Die Hospitalera habe ihr gesagt, es sei noch ein Bett für sie frei, und das wolle sie jetzt haben. (Ich bleibe in Deckung.) 3 Minuten später hat sie die Hospitalera geholt. Diese ist peinlichst berührt, Spanier sind ja so konfliktscheu. Chantal jedenfalls nicht. Nein, sie will nicht nach Gondán, ist angeblich zu erschöpft (danach sieht sie nicht aus). Ja, wenn man sie hinfahren würde! Ins Hostal will sie auch nicht. Hat sich oben ins Herbergsbuch eingetragen und laut dem muss noch 1 Bett frei sein. Hat Alain sich nicht eingetragen, oder Mojciech? Beide sind nicht da. "Zwei Betten müssen noch frei sein" sagt die Hospitalera, und da wissen auf einmal alle Bescheid: Unser fröhliches Paar hat sich oben nicht eingetragen. Dabei steht das dick an der Herbergstüre, und Spanisch lesen können sie ja wohl. Aber jetzt sind auch sie nicht da. Ich bin gespannt, wie die Hospitalera das lösen wird.

Chantal macht Miene, die Sachen der beiden in einem Bett zusammenzuräumen. Wo die beiden sich doch so gut verstehen, könnte das gehen, kichere ich in mich hinein. Da zieht die Hospitalera sie doch noch mit sich. - Chantal kam nicht wieder. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich vermute, die Hospitalera hat sie tatsächlich nach Gondán gefahren. Damals dachte ich von Chantal: "Ganz schön streitlustig!", aber danach haben wir sie als sehr nett und freundlich kennen gelernt. Sie besteht eben darauf, tagsüber langsam alles zu genießen, was ja auch sehr vernünftig ist. Nur riskiert man da manchmal ein Bett, so wie heute. Das ist der Nachteil.

Nochmal: Frag keinen Einheimischen!

19h00 sollte in der Kirche eine Messe sein. Ich weiß nicht mehr, wer uns das gesagt hat. Wie immer gab es sonst an der Kirche keinerlei Hinweise, trotz einem Haufen sonstiger Reklame für alle möglichen kirchlichen Veranstaltungen. Jedenfalls saßen wir um 19h00 allein in der Bank, kurz darauf kam Mojciech. Dann kommt nach und nach eine Reihe alter Frauen. Aha, es wird Rosenkranz gebetet, in einem furchtbaren Eiltempo, bei dem die gemeinsam gemurmelte Antwort der Vorbeterin ins Wort fällt und ihren letzten Satz akustisch überdeckt. 19h30 wird es dann doch noch was mit der Messe.

Kein Menü

Abends suchten wir vergeblich nach einem Menü-Angebot. Die Gaststätte mit den Tellergerichten, wo wir vor 3 Jahren gegessen hatten, war wegen Ferien geschlossen. Endlich in der Bar Campo, hinter dem Stadttor halblinks oben am Platz, gab es wenigstens Empanada - und etliche Bierchen.


21. Juni 2009, Sonntag: Von Salas nach Tineo (19,6 km) (118,7 km)

Eigentlich ließ sich auf dieser Pilgertour alles ganz gut an. Die Anstrengungen hielten sich in Grenzen. Meine Füße, die ich sehr aufmerksam pflegte, hatten einmal ein wenig gebrannt. Da hatte ich gleich zur Vorsorge zwei Streifen elastisches Klebeband (in früheren Berichten "Wunderpflaster" genannt) auf die Ballen geklebt, und seitdem war Ruhe. Auch das Wetter schien allmählich besser zu werden, denn auf dieser Etappe, auf der es früher mächtig getropft hatte, blieb es trocken. Ja, hin und wieder kam sogar die Sonne raus. Und heute überschritten wir gleich zu Anfang die 100-km-Marke, ich merkte es erst später.

Etappe bis Bodenaya

6h45 raus, unsere übliche Zeit. Etwa 1 Stunde später war es dann hell, wir kamen tatsächlich schon um 7h45 los. Um Kaffee zu machen, hatte ich ein Tischchen in den Vorflur gestellt, denn nur dort gab es eine Steckdose außerhalb des Badezimmers.

Gleich hinter Salas steigt man ein herrliches Tal hinauf. Wir genossen alles und waren gut zufrieden, trotz der Anstrengung. Die Strecke war dieselbe wie vor 3 Jahren, bis oben, nach der zweiten Steigung, der Weg etwas hatte verlagert werden müssen, da die Autobahntrasse links dichtauf folgte, ein trauriges Bild der Verwüstung.

Gegen 10h00 bog man zu einem Bauernhof kurz 20 m links ab, um eine andere Straße zu erreichen. Hier passten wir nicht auf und gingen 10 m rechts eine sehr kotige Stelle hoch, so dass wir uns die Schuhe versauten. Man kann statt dessen einfach links zur Straße hoch, wo man nicht im Schlamm versinkt.

Über die private Herberge in Bodenaya

Alain tauchte vor uns auf. Eine Zeitlang gingen wir parallel, bis wir ihn in La Espina verloren. Aber zuvor kamen wir an der neuen Herberge in Bodenaya vorbei. Das Haus machte von außen einen guten Eindruck. Später trafen wir Pilger, die dort übernachtet hatten. Alle waren voll des Lobes. Hans und ich hatten eine Übernachtung dort jedenfalls nicht ins Auge gefasst. Was uns abschreckte, war die "persönliche Betreuung" einschließlich Essen machen usw. Wir wollen lieber unabhängig sein und gerade, was das Essen angeht, uns nach Lust und Laune und spontan entscheiden. Meist aßen wir ganz verschiedene Sachen. Und dann sollte man auch noch eine Spende nach Belieben bezahlen. Das lag uns auch nicht. Wir haben es lieber, wenn der Betrag festliegt und bekannt ist. Soweit unsere persönlichen Vorbehalte, die natürlich nicht objektiv sind.


Nachtrag von 2014: Die Pilgerherberge steht inzwischen zum Verkauf.

Bar und Laden in La Espina

In La Espina ging ich "wie immer" zur Hauptstraße runter und in die Bar Casa el Condano, wo es auch Zimmer gibt. Es war nichts los, klar, Sonntagmorgen, eine Frau wischte gerade den Boden, und wir kommen da mit unseren Drecktretern. Trotzdem winkte man uns herein. Zur "Belohnung" kam dann gleich der nächste Kunde. 1,50 Euro für den Kaffee (wir nahmen immer einen großen Milchkaffee), auch nicht eben billig. Ganz am Ortsende rechts war doch glatt am Sonntag ein Supermarkt geöffnet.

Fürchterliche Schlammwege

Auf den folgenden Wegen musste ich oft an Pilgerbruder André denken, der hier mit seinem Rufen: "Nein, nicht schon wieder!" vor 3 Jahren immer die nächste Matschstelle angekündigt hatte. In diesem Jahr kam es mir noch schlimmer vor. Dauernd taste ich mit dem Stock voraus, wie tief der Schlamm war und ob ich irgendwo auf einen Stein treten konnte. Einmal balancierten wir auf der linken Mauer entlang, einmal mussten wir über Stacheldraht klettern (das war 2006 auch so), einmal half in einem engen Hohlweg gar nichts außer schreiend durchs Wasser zu laufen. Danach waren die Schuhe endgütig voller Schlamm, und meine Hosenbeine sahen auch lustig aus.

11h30 vor El Pedregal holen wir Alain ein und laufen wieder ein Stück parallel. Ein paar Kilometer weiter machen wir unweit des Friedhofs Pause. Ein Pilger (Spanier?) zieht vorüber. Von der scharfen Abzweigung vor dem Friedhof bis zum Stadtrand von Tineo waren es noch 20 Minuten, also fast 2 Kilometer. Ich wollte das mal testen, weil es mir bei ersten Mal endlos lange vorgekommen war. Diesmal, nervlich darauf eingestellt, dass es noch einmal hinunter und wieder hinauf ging, war es halb so schlimm.

Herberge in Tineo deutlich verbessert

13h55 erreichten wir die Herberge. Es standen ein paar Schlammtreter vor der Tür, aber innen im Regal waren auch noch halbwegs saubere Schuhe. Sie gehörten zwei Mädchen, die zur Siesta in den Betten lagen und sich - so kam es mir vor - bei unserem Anblick fast die Decke über die Köpfe zogen. Wir verzogen uns in die entfernteste Ecke und richteten uns halbwegs leise ein. Alain lag ebenfalls im Bett und schlief anscheinend. Der drahtige Läufer, der uns vorhin überholt hatte, machte Lockerungsübungen auf dem Fußboden.

Die Herberge von Tineo war im Vergleich zu 3 Jahren zuvor sehr verbessert. Kein Schimmel, kein Schleim mehr. Offensichtlich wurde sie sehr gut betreut, und als der Hospitalero erschien, wussten wir auch, von wem. An den Waschraumtüren waren die Schilder entfernt, so dass Hans und ich beide Duschen gleichzeitig nutzen konnten. Haken neben den Waschbecken, leider wie fast überall kein Stöpsel. Draußen eigens ein Kran, um die Schuhe zu säubern, sehr gut! Das war ja auch bitter nötig. Ansonsten Bänke und Tische, viele Wäscheleinen, alles bestens in Schuss. Prima! - Da die Sonne schien, war das auch unser großer Waschtag. 15h00 alles schon auf der Leine. Von der Herberge aus herrliche Fernsicht auf das Kantabrische Gebirge.

Schnüffeln im Privaten

Der Herbergsvater war freundlich, sprach aber ein unverständliches Kauderwelsch. Ja, meinte er zu mir, ich könne eben nicht "poco" Spanisch, sondern "pocissimo". Na, danke für die Zitrone!

Hier lag ausnahmsweise das Herbergsbuch offen herum, und so konnten wir Namen, Alter und Berufe der anderen herausfinden. Alain war pensionierter Arzt, 74 Jahre alt. Meine Herren! Ich wusste nicht, ob ich seine sportliche Leistung oder mehr die Tatsache, dass so ein vornehmer Mensch in Pilgerherbergen geht, bewundern sollte. Dagegen war Hape ein Versager!

Tipp fürs Abendessen

Der Herbergsvater gab uns einen Tipp zum Abendessen. Eigentlich bin ich ja skeptisch gegenüber Empfehlungen, aber diesmal war es ein Volltreffer. Links die Hauptstraße hoch, bis die Bebauung zurückbleibt. Noch um eine Linkskurve und dann liegt links, etwas von der Straße ab, das Mesón Pajulón. Es war 18h30. Ich fragte nach einem Menü: Ja, 8 Euro. - Wann? - Wann immer Sie wollen. Wir wollten es jetzt. Da schmiss das Muttchen am Nebentisch die Karten hin, ließ ihre beiden Spielgefährten sitzen und trollte sich in die Küche. Ich bekam: Reissuppe mit viel Einlage, Rippchen bis zum Abwinken, Schokoladenflan. Super! Immer mehr Pilger kamen, darunter Chantal, und an den strahlenden Gesichtern sah man, dass alle hier sehr zufrieden waren. Die Mädchen stellten sich als Schweizer Studentinnen heraus, eine hatte ein spanisches Elternteil. Ich atmete auf, hatte sie um ihr Spanisch beneidet. Sie gaben freimütig zu, ein Stück gefahren zu sein, weil eine von ihnen Knieprobleme hatte. Tja, die hatten sich das Pilgern einfacher vorgestellt.

Zwischen 15h30 und 17h00 waren auch die Übrigen, die wir aus Salas kannten, eingetroffen. Am Ende waren wir ca. 14 Pilger: die 7 aus Salas, die Schweizer Mädchen, der spanische Fußpilger und einige Radfahrer, es war wieder Platz genug. Da wir alles hatten, was wir brauchten, sind wir überhaupt nicht in die Innenstadt gekommen.


22. Juni 2009, Montag: Von Tineo nach Borres (15,9 km) (134,6 km)

Folgen der Hektik

Am Morgen ließ ich mich leider von dem Gewiggel ab 6h00 anstecken und hielt es 6h30 nicht länger im Bett aus, entgegen meinen Vorsätzen. Hans war mit Recht sauer und versuchte, mich zu bremsen. Ich bekam die nur 12 Betten von Borres, unserem heutigen Ziel, nicht aus dem Kopf, obwohl ich hoffte, dass einige unserer Pilgergeschwister direkt oder über Borres weiter nach Pola de Allande laufen würden. Wenn man die Radfahrer abzog, konnte doch eigentlich nichts passieren. Trotzdem geriet ich in Hektik, schaffte es kaum, mit dem ruhigen Alain am Tisch im Flur zu frühstücken. 7h40 wollte ich aus der Tür, als Hans mir mit etwas grimmigem Gesicht meine Muschel und mein Kreuz nachbrachte, die ich am Bett hängen gelassen hatte. Da war ich doch etwas zerknirscht.

Nie eine Abkürzung aus dem Gedächtnis gehen

Der liebe Gott ließ mir gleich noch eine weitere Lehre zukommen. Von 2006 kannte ich eine Abkürzung durch die Oberstadt, bei der man es vermied, allzu weit nach unten zu geraten und das alles gleich wieder hinauflaufen zu müssen. 2006 hatte ich den Weg schon am Abend zuvor gut ausgekundschaftet, aber gestern waren wir ja zu faul gewesen. Außerdem hatte ich einen Stadtplan bekommen, der allerdings mehr irreführte als führte. Dummerweise verließ ich mich auf ihn und mein Gedächtnis und verpasste dabei zum Schluss eine kleine Betonpiste, die links nach unten führte. Das war das letzte Querstück zum Pilgerweg. Ich hingegen glaubte, schon den Pilgerweg gefunden zu haben und stolperte mit Hans an bellenden Hunden vorbei die Höhe hinter Tineo hoch, viel zu früh. Erst als wir vor einer Kuhweide festsaßen, musste ich es zugeben. Der richtige Weg führte ca. 100 Meter tiefer parallel weiter, aber leider sah ich keine Querverbindung, auch später von unten nicht.

Wohl oder übel (mehr "übel") mussten wir den ganzen Weg zurück, bis in die Stadt (der Betonpiste traute ich nun wieder nicht), und dann spitzwinklig zurück. 8h37 erreichten wir diesen Abzweig. Der ganze Spaß hatte uns fast eine geschlagene Stunde und viel Schweiß gekostet. Zu meinem Trost schimpfte Hans aber nicht. Es war und blieb auch das einzige Mal, dass ich ihn falsch geführt habe. Aber nie mehr rein nach dem Gedächtnis, schwor ich mir. Und vor diesem allzu stilisierten Stadtplan kann ich nur warnen.

Wenn jemand seine Garderobe ergänzen möchte ...

Jetzt waren wir natürlich die Letzten, aber damit musste ich mich abfinden. Sobald wir die Höhe nun wirklich hinter uns hatten und eine kleine Asphaltstraße erreichten, lag jede Menge Kleidung abseits des Weges. War m.E. nach vor 3 Jahren schon ebenso. Es sieht so aus, als hätten sich Pilger hier nach der schweißtreibenden Steigung überflüssiger Kleidungsstücke entledigt und viele Nachfolgende ihnen das nachgetan. Oder war es einfach eine typisch spanische Entsorgungsstelle von irgendwem?

Abstecher zur Klosterruine Obona

Der weitere Weg war teilweise sehr schön, besonders der folgende Rechtsschwenk, der von der kleinen Landstraße abzweigte. Vor uns lagen die Berge, unter uns, kaum zu sehen, die Klosterruine Obona, und ganz weit hinten schon der Pass, nur zu ahnen. Während wir also in diesen Minuten gute Sicht hatten, verdeckten kurz darauf schon wieder Nebelstreifen, die ganz schnell aufzogen, das Panorama. Der Abstieg von der Landstraße durch den Wald fiel mir schwer und kam mir sehr lang vor. Trotzdem wollte ich auf den Besuch der Ruine nicht verzichten. Gegen 11h30 machten wir dort eine kurze Trinkpause.

Die geschäftstüchtige Doña Herminia in Campiello

Auf dem folgenden Stück liefen wir lange mit Chantal parallel, die wir eingeholt hatten. In Campiello wollten wir einkaufen und vielleicht auch was essen. Ich kannte schon die Geschäftstüchtigkeit von Doña Herminia, aber was sie dann wieder abzog, war erheiternd und bewunderswert. Zuerst bugsierte sie uns in den Korridor, wo wir die Rucksäcke absetzen sollten. Damit hatte sie uns schon mal festgenagelt. Deutsche? Wupp, hatten wir jeder einen halben Liter Bier vor uns (kostete nur 2 Euro!). "Ich weiß doch, was die Deutschen wollen" lachte sie.

Hans wollte eigentlich nur Empanada, da hatten wir schon jeder einen Teller. Bier macht hungrig, und eine Suppe wäre auch nicht schlecht. Ach was, winkte die Wirtin ab, wir könnten alles haben, alles inbegriffen in dem Menü für 10 Euro, und wenn wir noch eine Unterkunft bräuchten, für lumpige 15 Euro mehr hätte sie da auch was. Jetzt war schleunigst Widerstand angesagt, bevor sie uns völlig unter ihre Fittiche nahm. Wir sagten also "Ok" zu dem Menü, aber "nein" zu der Wohnung. Mit dem kommt Chantal durch die Tür, muss sich auch gleich setzen. Nascht von der Empanada und kommt auch nicht mehr weg. Aber sie leistet heftigen Widerstand gegen das ganze Menü und kommt doch kaum billiger davon.

Draußen laufen die beiden Schweizerinnen vorbei. Sie ahnen nicht, welcher Falle sie hier entkommen sind. Die Empanada ist Vorspeise, während die Wirtin Suppe heiß macht und was brutzelt. Dann kommt eine Riesenterrine Linsensuppe ("Graupen" sagt Hans, es sind aber doch Linsen, aber dicke, aufgequollene). Der sanfte Mojciech, der in eben diesem Moment eingefangen wird, ist ein Kinderspiel für die resolute Doña Herminia. Er sitzt eine Minute später neben mir und hat sich mit dem Wort "Menü" in sein Schicksal ergeben. Zack! hat er schon einen Teller Linsensuppe vor sich, und ich schiebe ihm grinsend den Empanadateller als Vorspeise dazu. Nun, ein schweres Schicksal ist es nicht, Doña Herminias Kochkünste erproben zu müssen. Filet und sehr gute Pommes. O Gott, noch eine Schüssel mit irgendwelchen Brocken: Mann, das ist Leber, meine Leibspeise! Dazu Wein. Wir schwelgen wie noch nie. Der Alkohol steigt zu Kopf. Jetzt tauschen wir endlich zu viert unsere Vornamen aus. Chantal kommt eigentlich aus Nordafrika, sieht aber europäisch aus, wohnt jetzt in Frankreich. Auf jeden Fall hat sie arabisches Blut, sagt sie.

Ein Glück, dass ich mir die Einkaufsliste lange vorher in einer stillen Minute in meinem Notizbuch zusammengestellt habe. Leicht schwankend wird sie nun abgearbeitet, so dass Doña Herminias Mann auch was zum Pilgerschröpfen beitragen kann. Zwei Kinder drücken sich die Nase an der Eistheke platt. Hans und ich denken, die Mutter hat kein Geld, und schenken den beiden ein Eis, bekommen als Dankeschön ein Küsschen auf die Backe (von den Kindern). Irgendwie war diese ganze Szene der stimmungsmäßige Höhepunkt der diesjährigen Pilgertour. Und das einigermaßen gute Wetter blieb uns heute treu.

In der Herberge von Borres

Chantal zog nach Pola de Allande weiter; ich wollte Borres nicht auslassen, um diesmal evtl. die Variante über Hospitales nehmen zu können. Mit Mojciech im Schlepp erreichten wir 13h30 die Herberge, dort waren nur die Schweizer Mädchen. Einen Schlüssel musste man nicht holen. Ansonsten war auch diese Herberge verbessert. 6 Doppelstock-Betten, keine 3-Stock-Betten mehr, keine Fliegen. Draußen neue Wäscheleinen. Alles in Ordnung eigentlich. Aber man muss alle Vorräte mitbringen.

Die "Sportpilger" treffen ein

Gegen 16h30 kommen 3 Langläufer von Bodenaya. Ein Kanadier, ein Franzose und eine Belgierin aus Gent. Mit der konnte ich wenigstens etwas Niederländisch sprechen, was ihre Begleiter irritiert ignorierten. Alle drei waren hager und braun gebrannt, die richtigen Sportpilger. Die Belgierin kam zu Fuß von zu Hause, ich glaubte es aufs Wort. Sie blieben als Gruppe für sich. Ich hatte sogar den Eindruck, als wenn wir sie im ihrem perfekten Ablauf des Pilgertages störten.

Der Herbergsvater (mit knallroten Haaren!) fährt vor und kontrolliert, ob sich keine Autofahrer eingeschlichen haben. Merkwürdig! Später erscheint die Frau mit den beiden Kindern, die wir in Campiello getroffen haben, und richtet sich halb in der Herberge ein. D.h. die Kinder duschen, man lagert draußen. Sie sind mit ihrem Auto unterwegs und warten auf den Papa, der den Pilgerweg mit dem Fahrrad absolviert. So ganz haben wir das alles nicht kapiert. Jedenfalls benahmen sich alle ordentlich, was soll man da sagen?

Sympathische junge Leute

Alain war ebenfalls wohl nach Pola de Allande gegangen. In manchen Büchern steht ja auch noch, dass die Herberge in Borres verkommen sei. Gegen 19h00 erscheinen noch zwei junge Spanier, Anfang 20, Marke Frohnatur. Endlich was für unsere jungen Schweizerinnen. Die Neuankömmlinge sind heute auch einiges gefahren, sonst wär's nicht gegangen, sagen sie. Außer Spanisch können sie auch Englisch, Französisch und sogar etwas Deutsch. Da ich gut mit jungen Leuten auskomme, die meine Späße zu schätzen wissen, unterhalten wir uns lange in mehreren Sprachen. Auch wieder sympathisch! Warum kann ich nur den 3 "Sportpilgern" nichts abgewinnen?

... und ein "alter Kämpfer"

Nach 20h00 kam noch ein "alter Kämpfer" (in diese Kategorie müssen Hans und ich uns wohl auch selbst einordnen), war ziemlich fertig, kam von Salas. Über 35 km! Da staunte ich noch, aber bald sollten wir eine noch längere Etappe hinter uns bringen. "Überhaupt, jetzt ist der Spaß vorbei", sagte ich zu Hans. "Morgen kommt die Mammutetappe über Hospitales, und danach gibt's nur noch knüppelhart oder sehr weit oder beides. Das war heute die letzte Kurzetappe." Ein wenig mulmig war uns schon. Schließlich hatte Hans einen Herzinfarkt hinter sich und noch wenige Tage vor unserem Aufbruch mit Rippenfellentzündung im Krankenhaus gelegen. Aber wir fühlten uns topfit.


23. Juni 2009, Dienstag: Von Borres nach Berducedo (24,9 km) (159,5 km)

Planerische Erwägungen

Zur Planung: Hinter Borres verzweigt sich der Pilgerweg. Es gibt aber auch schon Pilger, die direkt von Tineo nach Pola de Allande auf der Landstraße laufen. Das ist wohl einfacher, aber man verpasst die schönsten Wege durch die herrliche Berglandschaft. In Pola de Allande gibt es eine neue Pilgerherberge. Ich sprach später mit einigen Pilgern, die sie als sehr gut schilderten. Sie waren nur zu dritt dort gewesen, da die meisten Handbücher noch nichts über diese Herberge enthalten; das hier immer wieder erwähnte von Raimund Joos aber wohl.


Achtung: Im Handbuch ist auf Seite 14 ein Fehler. Dort steht:
"(1) Traditionelle Route von Borres über Hospitales nach Berducedo 78,3 km." Richtig ist: 24,9 km.
78,3 km ist die Länge von Lugo - Sobrado dos Monxes - Arzúa (siehe im Handbuch 3 Zeilen weiter). Ferner:
"(2) Die neue Route von Borres über Pola de Allande nach Berducedo 47 km." Richtig ist: 29,1 km.
47 km ist die Länge von Lugo nach Melide (siehe im Handbuch 3 Zeilen weiter).

Man spart also auf der traditionellen Route 4,2 km, und - man glaubt es kaum - auch einige Höhenmeter, weil es auf der neuen Route mehr auf und ab geht. Dennoch ist die traditionelle Route viel schwerer zu laufen. Im Handbuch steht warnend, dass man sie nur wählen solle, wenn man sich "nach genauer Abwägung körperlich und mental dazu in der Lage" fühlt. Na, das ist ein wenig dramatisiert. Aber wenn es Leichtsinnige und Buspilger abschreckt, dann hat es seine richtige Wirkung.

Bis zur Verzweigung hinter Borres

Hans und ich fühlten uns nach genauer Abwägung körperlich und mental dazu in der Lage. Schließlich waren wir zu zweit und erprobte Veteranen, eher zu vorsichtig als zu leichtsinnig.

5h00 hörte ich den "alten Kämpfer" schon im Dunkeln aufbrechen, der schien wirklich süchtig zu sein. Wir haben ihn nicht wiedergesehen. 6h18 stieg ich selbst aus dem Bett, 7h27 ging es los. Im Handbuch steht nicht, wie man von der Herberge zum Pilgerweg kommt. Jedenfalls muss man nicht erst steil zur Viehtränke runter und dann gleich wieder steil hoch ins Dorf. Statt dessen geht man auf der Landstraße oberhalb der Herberge links in den Ort, bis rechts oben ein großer Bauernhof liegt, der durch einen großen Balkon auffällt. Hier geht der Pilgerweg rechts eine Betonpiste hoch. Rechts am Straßenrand steht auch ein Monolith, aber er kehrt denen, die von der Herberge kommen, den Rücken zu, weil der Pilgerweg von der Viehtränke her einem dort entgegenkommt. Ein gelber Pfeil auf der Rückseite des Monolithen wäre hier sehr nützlich.

Das Wetter hatte sich zu meiner Enttäuschung nicht endgültig zum Guten gewendet, sondern war zu den feuchten Nebeln zurückgekehrt, die alles verhüllten. Aber das war 2002 beim Aufstieg auch so, und später kam die Sonne heraus. War bislang noch jeden Tag, der trüb begann, so gewesen, außer am ersten, als wir nach Valdediós gingen.


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Verzweigung hinter Borres
Auf die höchsten Höhen von Hospitales geht es in drei großen Steigungsstufen. Die erste beginnt gleich in Borres und endet an der Pilgerwegverzweigung vor La Mortera. Dieses nicht einfache Stück laufen also noch alle. An der Verzweigung steht ein großes Hinweisschild (siehe auch meinen Bericht von 2006). Ich war in Hochstimmung, dass ich nun endlich einmal hier nach rechts gehen konnte. Hans war genau der richtige Begleiter für so ein körperliches Wagestück, aber ich glaube, meine Frau hätte das auch ohne Schwierigkeiten geschafft. Immerhin war diese Etappe in diesem Jahr erstmalig etwas entschärft, weil es in Berducedo eine neue Herberge gibt.

Zweite und dritte Höhenstufe

Bis zum Dorfkern von La Mortera gibt es noch eine kurze Verschnaufpause auf fast ebenen, nassen Wiesenpfaden, aber dann ab der Kapelle geht es 1,2 km eine breite Piste um 140 Höhenmeter hinauf, das war schwerste Ackerei. Dann kommen noch mal 2 km mit 170 weiteren Höhenmetern, das war schon nicht mehr so steil. Auf 1.020 m Höhe kam schon ein Pass, und man dachte, man sei schon oben. Auch gab es die erste Pilgerhospitalruine zu besichtigen. 9h28. 7 km in zwei Stunden bei dem Gelände, da konnte man zufrieden sein!

Nein, es fehlte ja noch die dritte Stufe: auf 1,6 km fast 200 m Höhenmeter, davon die erste Häfte am steilsten, eine echte Herausforderung. Vor der angekündigten Baumgruppe (diese Wegezeichen im Handbuch waren ein Segen!) sah ich noch, oberhalb von mir, etwas in die Höhe ragen. Ich dachte an Müll, Metallrippen einer Matratze oder sowas. "Rippen" war schon gut geraten. Als wir näher kamen, war es ein Pferdeskelett, der Kopf lag etwas weiter. Etwas Fellfetzen noch auf dem Gebein. Hans legte den Kopf zu dem Rest, und dann musste natürlich ein Foto gemacht werden.


Unter Geiern (nicht von Karl May)

Der Rest der 1,6 km Steigung war nicht mehr so schlimm. Oben trafen wir auf den Rand einer Höhenkuppe. Überall grasten Pferde und Rinder, harmlos. Offiziell war dies der höchste Punkt, und - o Freude - da kam tatsächlich die Sonne raus und enthüllte u.a. einen großen Berg rechts vorn. In dieser majestätischen und einsamen Landschaft mag es einem ängstlichen Gemüt wohl etwas anders werden. Mancher sieht gar schon die Geier auf sich lauern.

Ich musste zugeben, dass ich auch schon zwei sah. Sie kreisten über uns. Gottlob winkte Hans lebhaft, der sah sie also auch. Wir gingen schon wieder ein wenig nach unten, als sich vorn was bewegte: Noch mehr Geier - und Pilger! Wir kamen näher und sahen, dass es die drei "Sportpilger" waren, die offensichtlich staunten, dass wir zwei Zausel diesen Weg genommen hatten, der für sie natürlich selbstverständlich war. Wir hatten sie eingeholt, weil sie durchs Gelände liefen, um sich gegenseitig mit den Geiern im Hintergrund zu fotografieren.

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O Schreck, o Graus!

Nun machten sie, dass sie weiterkamen, aber Hans und ich wollten sowieso eine Trinkpause einlegen. Es war vor der zweiten Hospitalruine, ein würdiger Platz. Die "schöne Quelle" (Handbuch) kam übrigens erst 30 m weiter am Weg. Schön? Na ja, sah aus, als hätten sich hier mehrere schlammbedeckte Pferde gesäubert. Immerhin, reichlich Wasser. Ein gehauenes Bassin, mit Handwerkszeichen, die ich dem Bergwerk zuordnete. In diesen Bergen hatte ich auf Karten mehrere alte Stollen eingezeichnet gesehen. Da hier jedenfalls Wasser war, konnten hier Tiere weiden. Dann ging's wieder ein paar Meter rauf (hier meldet Raimund Joos den höchsten Punkt von 1.228 m), aber dann endgültig wieder tiefer. In dem Einschnitt vor uns wartete schon wieder der Nebel. Mit schwante Übles. Die Sonne war gar nicht durchgekommen, sondern wir hatten nur vorübergehend die Nebeldecke durchstoßen. Jetzt nahm uns dichterer Nebel als zuvor in Empfang, das trübte auch die Stimmung sehr.

Vorsicht bei Nebel!

Laut Handbuch sollten wir das Panorama links und rechts genießen, Pustekuchen! Ich konnte froh sein, dass ich Hans vor mir nicht aus den Augen verlor. Der Steinhaufen der dritten Pilgerhospitalruine blieb fast unbeachtet. Dann lag rechts ein Bergsee, laut Handbuch ausgetrocknet. Das viele Wasser war also eine Fata Morgana ;-) Eine Hochfläche, wieder jede Menge Pferde und Rinder. Auf einmal wurde der Weg undeutlich. Durchs Heidekraut wanden sich viele Pfade, vom Vieh getrampelt. Wir blieben verunsichert stehen. Schräg rechts hinter uns war der See. Geradeaus nichts zu sehen im Nebel. Links eine deutliche Fahrspur nach unten - und ein gelber Fleck an einem Stein, eindeutig Farbe, aber doch kein Pfeil. Es muss wohl ein durchgestrichener Pfeil gewesen sein. Hans und ich schwärmten aus, blieben aber gegenseitig in Sichtweite. "Hier!" Hans hatte rechts oben einen Monolithen gefunden. Das Handbuch bekräftigte die Richtung: Vom See gesehen "geradeaus" bleiben, nicht links ab eine Fahrspur nach unten. Da hätten wir uns übel verlaufen können.

Tiefe Enttäuschung: keine Sicht

Im weiteren Verlauf wären wir ohne Pfosten mit gelben Pfeilen verloren gewesen. Der Nebel war so dicht, dass man soeben den nächsten Pfosten sah, wenn der hinter einem verschwand. Aber vier Augen sehen eben mehr. Ich war jedenfalls heilfroh, nicht allein zu sein. Hätte man alles vorher gewusst, wären wir vielleicht doch lieber über Pola de Allande gegangen; dann wäre aber unser Reservetag aufgebraucht gewesen, und wieder - das war viel schlimmer - mein Traum von "Hospitales" geplatzt. So war wenigstens diese Sehnsucht gestillt (oder etwas weniger romantisch ausgedrückt: dieser Ehrgeiz befriedigt), mangelnde Sicht hin oder her.

Bei dem Pass Alto de Santa Marta muss man aufpassen und das Handbuch wörtlich nehmen: Sofort wenn man kann, rechts zur Straße runter und buchstäblich nur wenige Meter links um die Kurve (hoffentlich kommt da kein Fahrzeug aus dem Nebel geschossen) auf der Straße und schon wieder in der ursprünglichen Richtung rechts ab.

Der Nebel lichtete sich nun ein wenig, so dass die Gefahr des Verlaufens gebannt war, zumal es auch wieder über eine deutlich erkennbare Piste ging. Mittagspause bei einer Gruppe von kleinen Bäumen. Engel des Herrn, wie jeden Tag um 12h00. 12,7 km in 4 1/2 Stunden einschl. der ersten Pause. Ich bin doch schon ziemlich erschöpft, aber so eine Pause tut Wunder, selbst wenn es nur eine Viertelstunde ist. Wir zogen bald weiter und erreichten 12h39 den Pass Puerto del Palo, nicht dort, wo ich vermutet hatte, sondern oben an der Straße, gegenüber der "Schutzhütte", neben riesigen Leitungsmasten. Der Bauernhof war im Nebel gar nicht zu sehen, so nah er war.

Nach Montefurado

Gut, dass ich den Weg nun kannte, denn jetzt kam das schwerste Stück, ganz anders als Steigen, in schlimmem Geröll steil nach unten, und - gemein - wenn man stehen blieb, um zu verschnaufen, konnte man nicht als Belohnung die Landschaft vor einem genießen, wie ich das 2002 und 2006 erlebt hatte. Da man also auch das Dorf Montefurado unten nicht näherkommen sah, stolperte man - so schien es - endlos bergab, ich sehr langsam, Hans etwas schneller. Er wartete aber regelmäßig. Einmal, gestand er mir später, habe er sich abgelegt, ich hätte aber nichts gemerkt. Ist doch keine Schande!

Irgendwie hatte ich den Weg zum Dorf auch etwas anders in Erinnerung. Hier ging man zum Schluss noch ein Stückchen hoch, kam aber dann doch an der Kapelle raus. Ich bin mir nicht sicher, ob wir 2006 genauso gelaufen sind. Was soll's? Wir verliefen uns wenigstens nicht. - Das Dorf hat keine Fortschritte gemacht. Immer nur noch 2 Häuser intakt. Der schlimme Hund war nicht mehr da oder reagierte zu spät. Dann kam der grüne Bergrücken, wie ich wusste.

Der Abstieg hatte sehr viel Kraft gekostet, mir schien es, fast mehr als der Aufstieg. Jetzt ging es schon wieder hoch. Selbst Hans stöhnte, und dann wurde es auch noch teilweise geröllig. Ausgerechnet hier war 2006 ein Langläufer fröhlich und behende an uns vorübergestakst. Außer 2 Minuten Trinkpause an der Kapelle hatten wir seit Mittag keine Pause mehr gemacht. Jetzt zog uns die Bar in Lago magisch an, und bis dahin schien jemand die Kilometer wie ein Gummiband ausgedehnt zu haben. Vor Lago auch noch eine Matschstelle und zum krönenden Abschluss 100 m in Lago steil hoch zur Straße, da konnten wir nur noch links in die Bar taumeln. Das waren vom Pass her die schlimmsten 6 km der diesjährigen Pilgertour. 21,5 km. 14h05, also 6 h 40 min einschließlich Pausen; immer noch sehr gut, wenn man in so einem Gelände auf über 3 km pro Stunde kommt.

Wieder miese Behandlung in der Bar in Lago

Jetzt war aber erstmal die Luft raus. Dos cafés con leche grandes, padrón, por favor! Der hörte nichts. Die Bude war wieder voll mit Forstarbeitern wie 2002, und genauso waren Pilger hier wieder Luft. 2006 war es anders gewesen, da waren wir wohl später da, aber jetzt drehte sich alles um die Stammgäste, und die Pilger waren ein Störfaktor. Dabei schmausten an dem einen Tisch die drei "Sportpilger" Gesottenes und Gebratenes, ließen am Ende ein schön paniertes Stück Fisch oder Filet zurückgehen, während ich vor Hunger nicht mehr konnte. Daneben am anderen Tisch genossen Alain und Chantal (natürlich hatten wir sie wieder eingeholt) Tortilla. Ich schlug mich zur Theke durch: Können wir auch Tortilla bekommen? - (barsch) Nein, die Küche ist zu. - Tja, 14 Uhr machen die die Küche zu, ganz egal, ob da noch jede Menge hungriger Gäste kommen. Aus dem Keller kamen reihenweise Forstarbeiter hoch, mit vollen Bäuchen, blockierten die Theke und führten eine Diskussion unter solchem Gebrüll, dass Hans es fast nicht aushielt und gehen wollte. Also nichts zu essen! Jetzt war ich soweit, den Sportpilgern das panierte Stück vom Teller zu grabschen. Zu spät, war schon abgeräumt. Der Kaffee kam auch nicht. Rückfrage beim Wirt, macht man ja in Spanien nicht. Hektik ist tabu. Wäre unterwegs, dafür sei sein Sohn zuständig. Ein vielleicht Fünfzehnjähriger, der völlig überfordert war. Ich geriet in Wut und fing an zu zittern. Hans missdeutete das und dachte, ich sei körperlich am Ende. Ganz falsch war das nicht, denn es setzten starke Kopfschmerzen ein, eine Reaktion auf Hunger und zu große Anstrengung.

Ich schnappte mir den jungen Mann. Ob denn nicht wenigstens ein Bocadillo drin sei? Viele Minuten später hatten wir den Kaffee und ich mein Bocadillo. Ich weiß, warum ich seit Jahren diesen Dingern abgeschworen habe: Ab mittags ist das Brot zäh wie Leder. Ich kaute und biss mir fast die Zähne aus. Am Ende aß ich nur noch den Schinken runter. Damit und mit dem Kaffee kamen auch die Kräfte wieder. Gegen die Kopfschmerzen gab's ausnahmsweise eine Tablette. - Diese blöde Bar sollte man zum Mond schießen, das Pilgerunfreundlichste, was ich seit Jahren erlebt habe. Bloß nicht vor 14h30 dort Halt machen, solange die Forstarbeiter noch nicht weg sind. Leider ist sie nach der Bergtour, die alle hinter sich haben, auch unverzichtbar. Vielleicht macht ja mal einer in Montefurado was auf ... (Die Toilette ist übrigens nur von draußen zu erreichen.)

Endspurt

Als wir wieder aufbrachen, schaute mich Hans von der Seite an. Ich wusste, was er dachte, setzte mich wortlos an die Spitze (ganz gegen unsere Gewohnheit) und sauste im Pilgereilschritt los. Bis Berducedo war es auch fast eben und sehr gut zu laufen. "Sag mal, was hast du dir da eben eingeworfen?" fragte Hans hinter mir, "Du rennst ja wie verrückt." Ich grinste. 14h50 erreichten wir schon die Herberge am Ortseingang von Berducedo. Es ist eine dieser ehemaligen Schulen, und ich erinnerte mich, früher beim Vorbeilaufen schon gedacht zu haben: Da könnten sie doch auch eine Pilgerherberge draus machen. Hatten sie inzwischen.

Herberge von Berducedo

10 Betten (nicht 12, wie im Handbuch steht), aber es war noch Platz für einen Doppelstock; evtl. war einer in Reparatur. Sehr gute Waschanlagen. Küche und Aufenthaltsraum vor dem Schlafraum wie üblich. Alles im Erdgeschoss; oben wohnte eine Farbigenfamilie. Wäschespinne. Die 3 "Sportpilger" sind schon da, nehmen uns inzwischen zur Kenntnis: ja, "wir, die wir über Hospitales ...", nicht wahr? Draußen ziehen weitere Pilger vorbei. Hans ruft mich: Das waren ja unsere Polen, die uns die Weinflasche abgegeben hatten! Es sind nur noch vier, aber das merke ich nicht. Nein, sie wollen nicht bleiben, gehen nach La Mesa. - Da ist doch die Herberge versifft. - Ja, sagt man, aber bislang war das immer überholt und alles längst renoviert. - Ok, war ja nicht mein Bier. Wir bleiben also zu fünft, bei 10 Betten ein Luxus.

Kein Telefon, aber Einkaufen zur beliebiger Stunde

Heute konnte ich mal nicht nach Hause telefonieren, denn das einzige öffentliche Telefon im Restaurant mit dem aparten Namen "la culpa fue de María" ("die Schuld hatte Maria"?) nahm die Einwahl meiner Vorbezahlkarte nicht an. Diese blau-gelben Apparate, das hatte ich schon öfter erlebt, waren in ihrer Funktion eingeschränkt. Für so ein vornehmes Haus war der Wirt erstaunlich liebenswürdig und hilfsbereit, und für 1 copa "Rioja" (anderen Wein gibt es kaum mehr) zahlte man auch nur eine Bagatelle.

Bei der Herberge um die Ecke unten an der Straße ist die Bar mit ihrem Lebensmittelladen. Die junge Frau sagte mir auf meine Frage, wie lange sie offen hätten: "Beliebig". Nun, wir kauften einiges, denn bis Grandas de Salime gab es ja wieder nichts. Für den Schlummertrunk war ebenfalls selbstredend gesorgt. Hans und ich genehmigten uns sogar eine Flasche Wein. Nach dieser wilden Etappe mit der großen Enttäuschung, nichts gesehen zu haben, war das ein versöhnlicher Abschluss. Diese Nacht schlief ich auch noch besonders gut.


24. Juni 2009, Mittwoch: Von Berducedo nach Grandas de Salime (19,8 km) (179,3 km)

6h10 stehen die anderen auf, ich mache um 6h20 Licht, damit sie nicht im Dunkeln rumsuchen müssen. Wir dösen noch ein wenig rum, bis die anderen abgezogen sind und wir das Reich für uns alleine haben. Beim Frühstück stellt sich heraus, dass die anderen einen halben Käse liegen gelassen haben. Man dankt. Gegen 8h00 kommen wir dann los, haben hinter Berducedo einen kurzen schwitzigen Aufstieg und dann Landstraße bis La Mesa.

Herberge in La Mesa weiter in schlechtem Zustand

9h00 sind wir an der Herberge. Dort sitzen die Polen beim Frühstück. Ich hätte Recht gehabt, erzählen sie. Drinnen sei alles noch verschimmelt, sie haben vor Angst vor den Schimmelsporen unter dem Vorbau oben geschlafen. Ich muss sowieso auf die Toilette und schaue in den Schlafraum. Ringsum sind die Wände bedeckt mit schwarzen Punkten. Für mich sieht das auch nach Schimmel aus, aber ein Pilger im Forum behauptet, es seien nur die Spuren nach Schimmelbehandlung. Die Waschräume waren jedenfalls in Ordnung.


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Kapelle von Buspol

Steiler Aufstieg hinter La Mesa

Die Polen haben Zeit. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie gar nicht abrücken wollen. Ich lag damit ganz richtig, wie ich später erfuhr. Wir machen uns jedenfalls an den Aufstieg, die steile Asphaltstraße hoch. Mein lieber Schwan, das ist ja wie gestern. 1,5 km mit 200 m Steigung. Das war wie gestern! Immer noch Nebel, der das meiste verbirgt, besonders den Blick zurück auf den Pass. Aber nach vorn ist's etwas besser. Grandas de Salime ist zeitweilig zu sehen. Foto an der Kapelle von Buspol. Dann geht's an den Abstieg.

... und der steile Abstieg zum Stausee

Wenn man es nach dem Handbuch ausrechnet, dann geht es auf 5 km (mit einer Unterbrechung von 2 km) ca. 800 m nach unten, der absolute Steigungsrekord. Die ersten gut 3 km, bis man die Serpentinen hinter sich hat, sind äußerst hart, besonders für die Kniegelenke. Gottlob hatte Hans hier die gleichen Probleme wie ich. Wenn man die alte, inzwischen geschlossene Abzweigung ("eingewachsener Weg") erreicht hat, ist das Schlimmste geschafft. Dann kommen die ca. 2 km leicht runter und rauf, wobei wir in der großen Serpentine Alain unter uns herstapfen sahen. Hier liegt auch die alte Anlage, in der früher Bienenkörbe waren, zum Schutz gegen Bären mit einer Mauer umgeben. Von oben kann man das gut fotografieren. (Kurz vor Grandas de Salime kommt man im Wald an einer weiteren, aber nicht so gut erhaltenen Anlage vorbei.)


Restaurant immer noch geschlossen

Dann geht es im Esskastanienhain in großen Serpentinen noch einmal steil hinunter. Dort überholten wir Alain, liefen aber weiter parallel mit ihm zusammen. Die Aussichtsplattform unten an der Straße sollte man nicht verpassen. 12h00 waren wir an der Staumauer. Dort steht ein Schild: Verpflegungsmöglichkeit in 1 km. Nicht freuen, denn das gemeinte Restaurant ist immer noch bankrott und geschlossen. Auf seinen Stufen machten wir mit Alain Pause.

Mit letzter Kraft nach Grandas

12h40 zogen wir wieder los. Eigentlich waren wir angeschlagen, wollten die Etappe aber hinter uns bringen. Ohne es gesagt zu haben, waren wir beide einer Meinung, und Hans zog in scharfem Tempo die Straße entlang. 4 km bis zur Abzweigung nach Grandas de Salime, man konnte es an den Kilometersteinen verfolgen. Alain blieb bald zurück. Kurz vor der Abzweigung vermisste ich die komisch kurze Querverbindung nach rechts, bei der man vielleicht 20 m sparte. Jedenfalls kein Hinweis mehr.

Hans stöhnte, als ich entschlossen die Straße hinter der Abzweigung verließ und in den Wald hinaufstieg. Dieser restliche Weg bis Grandas de Salime ist wirklich wunderschön, aber Hans taten die Füße weh. Nun, alles geht vorbei, obwohl wir auch über einige umgefallene Bäume klettern mussten, die den Weg versperrten und die man nicht durchgesägt hatte. 14h00 sind wir in der Herberge im Rathaus, niemand da. Bei so vielen Leuten auf dieser Etappe vor uns irgendwie verblüffend. Nun, mancher mochte nach Castro weitergezogen sein.

Bar A Reinagada: sehr zu empfehlen

Ich wusste, wie man Hans wieder auf die Beine stellen konnte (und mich dazu). Auf der Straße rechts um die Rathausecke liegt links die Bar A Reinagada. Dort hatten wir schon 2006 gut gegessen. Der Tipp war immer noch Trumpf. Sehr freundliche Leute. Menü 8 Euro: Bohnensuppe (fabada), herrlich! Kaninchenstücke, man glaubt es nicht. Es war so viel, dass ich die Hälfte des Fleisches einpackte und in meiner Tasche verschwinden ließ. Statt des Nachtisches noch ein 2. Bier. Dann holten wir uns dem Stempel im Rathaus, dort waren sie ziemlich unfreundlich. Wahrscheinlich haben sie wegen der immer noch miesesten Herberge (La Mesa lassen wir mal weg) des Camino Primitivo ein schlechtes Gewissen.

Altmännerwirtschaft in der Herberge

Sooo schlimm ist die Unterkunft aber auch nicht. Irgendwie profitierten wir wieder von ihrem schlechten Ruf, denn zunächst blieben wir mit Alain allein. Jeder richtete sich auf einem unteren Bett ein und legte seine Sachen auf das nächstobere. (Es sind immer noch die 3-Stock-Betten.) Die Waschgelegenheit ist eng und nur für 1 Person. Bei Andrang wird das tatsächlich schlimm, aber so zu dritt nicht. Nervig die fehlenden Wäscheleinen. Nachdem Hans seine Sachen halb vor das Fenster hinter uns gehängt hatte, war es noch dunkler. An der Wand ein Schild: "Hier wird nur freitags geputzt; an den übrigen Tagen müssen die Pilger selbst alles sauber halten." - Na, was dabei herauskommt, kann man sich denken! Ich brachte jedenfalls erst einmal ganze Ladungen Müll zum Container. Immer dasselbe! Vor dem zweiten Fenster liegen die alten Herbergsbücher, etwa bis 2008, es gibt kein neues. Ich finde meine Einträge von 2002 und 2006.

Zwei Pilgerfrauen schauten herein, sahen die Altmännerwirtschaft und flohen. Wir grinsten. Draußen neben der Telefonzelle saß noch ein grimmig blickendes Ehepaar, ältere Franzosen. Nein, die wollten auch nicht zu uns rein. Schaaade! ;-)

Tatsächlich kostenlose Internetbenutzung

Da lese ich einen Tipp von Raimund Joos, dass es hier links vom Stadtpark kostenloses Internet im Gemeindezentrum gibt. 16h30. Ich finde das sehr moderne Haus, aber niemand da, obwohl es offen ist. Im letzten Moment kommt mir die richtige Idee, und ich laufe die Treppe hoch. Ja, da oben ist es. Ich trage mich bei der Aufsicht ein und kann loslegen: 2. Bericht von Hans und Rudolf ans Forum.

Doch noch weitere Pilger

Gegen 18h00 kommt ein Radfahrer, stellt sein Fahrrad gegenüber vor die Betten. Naja, ist ja nicht "unser" Bereich. Wir gehen einkaufen: Supermarkt Dia. Dieselbe Straße wie die Bar A Reinagada, aber erst am Ende rechts. Haben keinen Traubenzucker oder Ähnliches. Fehlanzeige auch in der Apotheke, die wollen mich zu Dia zurückschicken.

Gegen 19h00 kommt ein Langläufer zur Tür herein, ein lustiger Geselle. Mit ihm habe ich einige Male geschwatzt, und er hat auch mein Spanisch verbessert. Seine Informationen, die er mit dem "Pilgertelegraf" nach vorn brachte, waren nicht gut: Hinter uns rückt ein riesiger Haufe an, über 20 Leute. Er ist geflohen und hat deshalb die gefürchtete Doppeletappe von Peñaseita nach hier gemacht. Der Mann müsste fertig sein. Nein, er ist etwas müde, aber keineswegs kaputt, beneidenswert!

Ich meine, dass es in Grandas in unser Altmänneridylle war, als unser würdiger Monsieur aus Frankreich sich auf einmal zu uns wandte und "Alain" sagte. Danach hat er oft einzelne Wörter herausgekramt, um sich mit uns zu verständigen, aber sein Spanisch war noch fragmentarischer als mein Französisch.

Traditioneller Schlummertrunk

Der Himmel blieb bedeckt, aber es regnete nicht, und ab zu hatte heute auch mal kurz die Sonne durch die Wolken geschaut. "Nein," sagte Hans, "das war die absolut schwerste Etappe heute. Der Primitivo ist doch härter als alles andere." - "Oder wir sind einfach älter geworden" meinte ich. Schlummertrunk im Café Centro, auch schon fast Tradition. Nachts schnirchelten wir alle um die Wette. Niemand störte uns, niemand sprang um 5h00 aus dem Bett. Wenn's doch immer so wäre!


25. Juni 2009, Donnerstag: Von Grandas de Salime nach Fonsagrada-Padrón (26,0 km) (205,3 km)

Warum diese Etappe um sage und schreibe 4 km gegenüber dem alten Handbuch von Michael Kasper kürzer geworden ist, weiß der liebe Himmel. Der Wegeverlauf ist praktisch derselbe.

Baustelle hinter Grandas

Gegen 6h15 standen wir vier Fußläufer auf. Trotz des Radfahrers machten wir gleich Licht, aber er beschwerte sich auch nicht. 7h28 kamen Hans und ich weg. Schon kurz hinter dem Ort holten wir Alain und den Langläufer ein. Sie suchten an der Straße herum, die von einer Baustelle verwüstet wurde. Ich habe den Eindruck, dass - evtl. schon ab Salas - hier keine Autobahn mehr gebaut, sondern nur die Nationalstraße großzügig ausgebaut wird. Ein kleines Umleitungsschild wies die Pilger in den Busch rechts (früher ging man parallel links), aber ich kannte ja den weiteren Verlauf und wusste, dass man so oder so bald wieder auf die Nationalstraße stößt. Also folgten alle meinem Rat, und wir gingen gemeinsam durch die Baustelle und bogen erst am "beinahe verfallenen" Haus wieder rechts ab auf die alte Piste. An der nächsten Häusergruppe waren meine Frau und ich 2002 über ein paar schlafende Untiere gestolpert. In diesem Jahr - wie schon 2006 - blaffte nur noch ein angeleinter Hund pflichtschuldigst, ohne sich sehr anzustrengen.

Der weitere Verlauf war wie 2006, alles gut gebahnt, recht angenehm zu laufen. In Castro kam Chantal gerade aus der Herberge. Es sei sehr gut gewesen. Wir sagten ihr, dass Alain hinter uns sei, er war zurückgeblieben. Dann warfen wir noch einen Blick auf die Schautafel bei den Ausgrabungen des keltischen Oppidums, sehr interessant. Der Langläufer zog vorbei. Danach folgt ein Abschnitt, auf dem man nach dem Handbuch immer "den breiteren Weg" wählen soll. Das war an einigen Stellen zweifelhaft, ein paar Pfeile wären nicht schlecht. Einmal landeten wir doch auf einem Acker und mussten 100 m zurück. Ich setzte ein Steinmännchen.

Rast am Dorfbrunnen

Hinter Gestoselo kam man wieder in die Baustellen. Bis Peñafuente ging es schon auf der Nationalstraße recht steil hoch. Am Ortsbrunnen wollte ich rasten "wie immer", bevor es zur Alto de Acebo hochgeht. Dort trafen wir 9h45 auf das französische Paar mit den verkniffenen Gesichtern ("die Verkniffenen") und den fröhlichen Langläufer. Sie gingen nach ein paar Minuten hastig weiter. Chantal tauchte auf, schwatzte ein wenig mit uns und zog dann auch los. Dabei ließ sie ihre Wegbeschreibung liegen. Hans und ich aßen und tranken in Ruhe zu Ende. Die Herberge in Fonsagrada-Padrón ist so groß, dass jeder sein Bett bekommen sollte. Deshalb konnte mich heute keiner mit Hektik anstecken.


Panorama vom Pass von Acebo

Das Wetter war relativ gut, kein Regen, fast kein Nebel. Na sowas! Hinter dem Ort wartete Chantal, die ihre Wegbeschreibung vermisste. Nun, sie konnte sich auf uns verlassen. Gemeinsam ging es dann die letzten Steigungstufen zur Höhe von Acebo hoch. Man sieht schon lange vorher Windräder, aber das sind nicht die auf der Höhe; sie stehen auf einem Vorberg. Wenn man glaubt, schon oben zu sein, geht es noch einmal etwas hoch. Eine Sache entschädigte uns etwas für die mangelnde Sicht bei Hospitales: Heute gab es ein tolles Panorama in allen Richtungen, und das war zur Abwechslung mal besser als 2002 und 2006, wo hier Nebel und Nieselregen geherrscht hatten. Mit gut 1.100 m (Höhe auf dem Pilgerweg, nicht auf der Passstraße) ist man hier fast so hoch wie auf dem Puerto del Palo, aber das fällt nicht so auf, weil die Umgebung nicht so alpin wirkt.

Bar hinter dem Pass neu belebt

Nun war ich auf die Bar hinter der Höhe gespannt. Als wir die riesigen Baustellen unter uns sahen, war mir schon klar, dass die Bar vorübergehend Konjunktur haben musste; hier holten sich sicher zig Bauleute ihren Kaffee. Tatsächlich bekamen wir 11h27 beim Wirt (evtl. der Sohn der alten Frau von früher) problemlos das "Brot der Pilger" (den großen Milchkaffee), sogar eine erfreulich große Portion für 1,30 Euro, dazu ein pincho (Oliven). Da kann man nicht meckern. Der Bestand der Bar scheint also vorerst gesichert.
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Galicische Grenze

Als wir weiterzogen und gerade die kleine Höhe oberhalb der Bar erreicht hatten, sahen wir unten Alain ankommen. Wir winkten ihn in Richtung Bar, und er kehrte dort auch ein. Auf dem Pflaster hatte jemand dort unten sogar in gelber Farbe das Wort "Bar" und einen Pfeil aufgemalt.

Gutes Restaurant in Barbeitos

In Fonfría geht es nicht mehr durchs Dorf, sondern auf einer neuen Pilgerpiste rechts von ihm, parallel zur Landstraße (links von ihr). So bleibt einem Hundegebell erspart. - 13h05 erreichten wir die Gastwirtschaft in Barbeitos. Ich hatte diese bislang nie beachtet, weil ich das Haus, das ca. 100 abseits liegt, von hinten nicht als Gasthaus erkannt hatte. Ein Bierchen kam jetzt gelegen. Auch hier tobte rings der Straßenbau und sorgte für Gäste. Das Restaurant war innen ganz toll mit Holzvertäfelungen eingerichtet, sah nobel und teuer aus. Wir hatten sowieso keinen Hunger. Ich kann im Nachhinein sagen, dass man hier ruhig essen sollte, denn Chantal kam aus dem Esssaal im 1. Stock zu uns runter und war vom Essen ganz begeistert. Es gab ein Menü (den Preis habe ich nicht notiert). Unser Bier kostete jedenfalls nur 1 Euro. Ein freundlicher junger Mann bediente uns.

Eine schwierige Stelle

Es folgte nun die bekannte Pilgerpiste, bis diese in einer Baustelle abbricht. Hier kam Verwirrung auf. Vor uns zeigte ein Monolith nach links. Jemand hatte ein provisorisches Schild mit einem gelben Pfeil auf den Kopf gestellt, so dass es nach rechts wies. Was denn nun? Unten war die Landstraße und an ihrem entgegengesetzten Rand wieder ein Monolith, der so merkwürdig gesetzt war, dass ich dachte, er weise jenseits der Straße die Böschung hinunter. Ich überschlage nun ein paar konfuse Handlungen meinerseits und sage lieber, wie man richtig läuft: Am besten gleich oben nach rechts, denn das ist eine neue Pilgerpiste oberhalb der Landstraße. (Man kann auch nach links auf die Straße hinunter und dort rechts gehen, was Chantal machte.) Die Piste setzt sich so lange fort, bis man die Straße zu einem Bauernhof hin überqueren kann. Dort geht es praktisch in den Hinterhof und dann auf einem Wiesenpfad zu einer privaten Kapelle und einem Rastplatz (ohne Wasser), mit schönem Blick zurück auf die Höhe von Acebo. Die lag allerdings inzwischen schon wieder in Regenwolken verborgen.

Fonsagrada im Regen

Sobald man die Landstraße wieder erreicht, setzt sich die neue Pilgerpiste an ihrem linken Rand fort. Hans schimpfte über den Belag: winzige Steinsplitter, die ihm in die Schuhe drangen. Am Ende der Abkürzung nach Paradanova muss man im Hinterhof eines Bauernhauses fast über die Misthaufen klettern. Dann ging es die Ortsstraße von hinten nach Fonsagrada hoch. Die Stadt (eine weiße Stadt wie in Andalusien, über 1.000 m hoch gelegen) war schon seit der Höhe von Acebo sichtbar gewesen. Jetzt, wo wir sie fast erreicht hatten, war sie verschwunden, und man lief im Grünen steil hoch. Als die ersten Hochhäuser vor uns auftauchten, setzte ein heftiger Regen ein. Wir warteten ca. 1 Viertelstunde den schlimmsten Platzregen ab, gingen dann im "normalen" Nieselregen weiter. Nein, diese Pilgerfahrt war nicht vom Wetter begünstigt.

Ansichtskarten und Supermarkt

15h45 erreichten wir die Altstadt an der Kirche. Einkaufen war angesagt, aber alles machte noch bis 16h00 Siesta. Das muss man sich merken: Es lohnt nicht, früher anzukommen. An der Hauptstraße vor dem Kirchplatz links lag ca. 100 weiter auf der linken Seite ein Laden, in dem ich mir eine zweite Vorbezahlkarte für 5 Euro kaufte. Hier bekam Hans endlich seine Ansichtskarten. Ich hatte das von 2006 in Erinnerung. Briefmarken im Tabacos-Laden, etwas zurück zu der Straße, die wir gekommen waren. Porto nach Deutschland: 62 cent. Der Verkäufer tippte 6x 62 cent in seinen Taschenrechner und wollte dann 1,92 Euro. Wir haben es erst nachher gemerkt. Man sieht: Wer kein Kopfrechnen kann, dem hilft auch kein Taschenrechner, denn da vertippt man sich dann.

Hilfreiche Spanier

Links an der Kirche vorbei hoch kommt man zu einem Supermarkt Dia, der auch 16h00 öffnete, nicht früher. Hinter der Kirche weist ein Monolith rechts nach Padrón, aber dahin gehen praktisch alle Straßen, die nach rechts verlaufen. Man kann sich eine aussuchen, sie laufen alle zusammen. - Was für ein Drama, nachher später am Abend einen Postkasten zu finden. Eine Gruppe Rentner schickte uns ungerührt in eine falsche Richtung. Zweimal fragen später fanden wir das Postamt (vom Kirchplatz aus die Hauptstraße rechts hoch, ca. 600 m), da war auch ein Briefkasten.

Wir schleppten unsere Einkäufe nach Padrón, wobei ich einfach links auf der Landstraße entlangging. Der offizielle Weg ist auch nicht länger, aber man sollte nicht halbrechts nach Padrón hineingehen, sondern da wirklich auf der Straße bleiben. Die Herberge liegt links an der Schnellstraße, dem Ort genau gegenüber.

Gewimmel in der Herberge

In der Herberge wimmelte es von Pilgern, die wir nur zum Teil kannten. Da waren ja auch unsere Polen wieder, frisch wie der junge Tag. Sie waren gestern von La Mesa mit dem Taxi gekommen und hatten hier einen Ruhetag eingelegt. Ich hatte es doch schon in La Mesa geahnt! - Ein Mann von der Wegewacht stempelte unsere Pilgerausweise und sagte, wir sollten uns im 1. Stock Betten suchen. Wir nahmen einen Doppelstock in einem 4-Bett-Zimmer. Die anderen beiden Betten waren schon belegt, und als ich die sorgfältig ausgebreiteten Laken mit Nachtzeug darauf sah, wettete ich, dass wir "die Verkniffenen" als Zimmergenossen erwischt hatten. Das hob die Stimmung nicht. Ich suchte aber nicht weiter, fürchtete die Gesichter Bekannter, wenn ich als der notorische Schnarcher bei ihnen einziehen wollte. - Die 3 "Sportpilger" waren da. Auch "Pfeife" sahen wir wieder, hatten so manchen eingeholt. Zwei Spanierinnen (Mutter mit Tochter), die in Grandas de Salime bei uns reingeschaut und geflüchtet waren, fielen mir auf, weil sie eifrig und fix dafür sorgten, dass sie alles hatten. Kein Gedanke, Platz und Einrichtungen mit anderen zu teilen. Generalstabsmäßig wurden die Küche und nachher der Aufenthaltsraum in Beschlag genommen (ich hatte in weiser Voraussicht schon um 18h00 dort gegessen), andere mit feindseligen Blicken abgewehrt. Ich nannte sie deshalb nur die "Kampfpilgerinnen". Dann tauchte eine Familie auf (Vater Spanier, Mutter Deutsche) mit einem kleinen Sohn und Hund. Vater und Sohn liefen, Mutter steuerte das Versorgungsfahrzeug. Wir haben uns abends mit ihr noch länger unterhalten, machte einen sehr sympathischen Eindruck. Dann noch etliche Radfahrer, insgesamt ca. 20 Leute. Die Versorgungseinheiten waren hoffnungslos überlastet.

Neue Mitpilger

Wäsche waschen war wieder sehr schwierig, da wegen Regen draußen nichts trocknen konnte. Ich bewunderte Alain, der nach uns gekommen war, aber in stoischer Ruhe alles auf die Reihe bekam und im einzigen Handwaschbecken der Männertoilette seine Tageskleidung wusch. Wie die trocken werden sollte, war mir ein Rätsel. Ganz spät abends, wir saßen beim Schlummertrunk, kamen noch zwei erschöpfte, braungebrannte Mädchen, gegen 22h00. Wieder Flüchtlinge von der Welle hinter uns, Polinnen. Kamen von La Mesa. Wenn sie das alles heute gelaufen waren ... Man kann sich's nicht vorstellen. Nun, wir hatten noch 4 Betten, das reichte ja.

Nachts nahm ich wieder Tropfen in die Nase. Die Franzosen schliefen schon, als wir möglichst geräuschlos ins Bett gingen. Zwischendurch sägte der Mann auch ganz schön, was mich denn auch sehr beruhigte. Am anderen Tag stellte sich heraus: Sie waren ganz freundlich und nicht "die Verkniffenen" (aber wohl Franzosen). Den Mann habe ich nur "den Riesen" genannt, so groß und ungeschlacht war er. Der passte doch in kein spanisches Bett!


26. Juni 2009, Freitag: Von Fonsagrada-Padrón nach Cádavo-Baleira (22,9 km) (228,2 km)

Diese Etappe ist kürzer als die vorige, hat es aber mit 3 Pässen in sich. Ich unterschätzte sie nicht. Hans und ich waren beide von den letzten Etappen noch etwas geschwächt, wir wollten es heute im Schongang machen.

Die Stimmung schlägt um

6h10 stand das französiche Paar auf. Wir dösten, bis sie weg waren. Wir konnten im Zimmer frühstücken, hatten eine Steckdose und einen kleinen Tisch. Als wir losziehen, ist die Herberge schon fast leer. Alles ist fluchtartig aufgebrochen. Würden die 22 Betten am Ziel langen? Ich musste diesen Gedanken unterdrücken, sonst gab's wieder Hektik. Ich stellte etwas bestürzt fest, dass ich ehrlich gesagt den Pilgerweg leid war. Was mit schöner Landschaft und Ruhe, mit Erwartung auf besseres Wetter und nicht so volle Herbergen begonnen hatte, war inzwischen umgeschlagen in das übliche Sich-Durchkämpfen durch Widrigkeiten, so dass man sich fragte: "Hat das Ganze dann überhaupt noch einen Sinn?" Nun hatte es ja auch keinen Zweck, abzubrechen und nach Santiago zu fahren. Tagelang dort rumzuhängen wäre ja noch schlimmer. Ok, sagte ich mir, dann verspreche ich: Das war's, das war dein letztes Mal. Ich mache einfach nicht mehr mit. Selbst den Primitivo regieren jetzt die egozentrischen Knistertüten, die im Dunkeln losstürzen und mit den anderen um die Wette rennen. Das langt!

Der Aufbruch passte perfekt zu meiner Stimmung: Beim Morgengebet vor der Kirche setzte Regen ein - und an uns vorbei stürmten 3 junge, drahtige Spanier, die dem Aussehen ihrer Ausrüstung nach hier begannen, evtl. Wochenendpilger waren, also 3 weitere Bettkonkurrenten. Etwas missmutig zogen wir aus dem Ort, auf einem überwachsenen Weg, der uns sofort die Schuhe durchnässte. Hans kündigte an, ab sofort die Landstraße zu gehen, machte dann später aber doch nicht Ernst, als es einen ganz passablen Waldweg von der Straße rechts abging.


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Im Regen

Fotos mit Alain

Bei dem Aussichtspunkt vor Montouto holten wir Alain ein und lichteten uns gegenseitig ab. Zu sehen war natürlich nichts. Später Besichtigung der Hospitalruinen mit Großsteingrab auf der benachbarten Wiese. Hans schaute sich nur kurz um, wollte weiter, keine Pause. Wir knüppeln den langen Weg von der Höhe herunter bis zur Straße vor Paradavella, Hans wollte nur noch in die angekündigte Kneipe. Der Ort versteckt sich hinter einer Biegung, liegt urplötzlich direkt vor einem. Kurz vor 10h00 sind wir dort. Nichts wie rein in die Bar, mit der ich freundliche Erinnerungen von 2006 verband.

Da kneifen wir mal

Die 3 "Wochenendpilger" sitzen drin, ferner der Riese und seine Frau. Nach uns kommen Alain und Chantal. Als Hans und ich aufbrechen, sind wir wieder die letzten. Ich berede Hans, auf der Landstraße zu bleiben, habe heute absolut keine Lust, den "wilden Egon" zu spielen und parallel zur Landstraße den supersteilen Abstieg und danach den noch steileren Aufstieg nach La Lastra freiwillig auf mich zu nehmen. Hans ist sofort einverstanden. Wir bleiben hinter Paradella gleich auf der Landstraße, lassen schon den Schwenker nach rechts aus. Später sehen wir oberhalb der Landstraße den Riesen und seine Frau, dahinter Alain auf dem Rechtsschwenk herziehen. Der Pilgerweg kreuzt dann die Landstraße, um in ein steiles Tal zu tauchen. Dort entdecken die Franzosen uns und bleiben hinter uns ebenfalls auf der Landstraße. Als ich Hans von La Lastra aus das Tal zeige, in das man sonst hinab- und hierher wieder hinaufsteigt, schüttelt es ihn. Also, ich habe es zweimal hinter mir, dreimal ist Masochismus.

Pitschnass und die Herberge (fast) voll

12h00 ziehen wir den dritten Pass, die Höhe von Fontaneiro hoch, und Hans keucht als Vorbeter den "Engel des Herrn"; das lassen wir nicht aus. Ansonsten ignorieren wir alle Bares, an denen wir noch vorbeikommen, machen nicht einmal Mittag. Kurz vor dem Ziel erwischt uns ein Unwetter, das wir schon lange haben kommen sehen. Pitschnass sind wir schon um 13h40 an der Herberge. Viel zu spät, alle anderen (bis auf Alain, Chantal, den Riesen und seine Frau und die beiden polnischen Mädchen) sind schon da. Knirsch! Ich habe die Schnauze voll.

Alles schaut zu, wie wir Betten suchen. Der Gang vor den Schlafzimmern ist kreuz und quer mit Wäsche zugehängt. Im ersten Raum scheinen einige Betten frei zu sein, aber nur obere. Hier liegen (ich kann es aus dem Kopf rekonstruieren) die 3 Sportpilger (1 Doppelstock, der Kanadier einzeln, seine Sachen so um sich, dass kein zweiter mehr Platz hat), Mutter und Tochter Kampfpilger unten nebeneinander, wie es sich gehört, links der fröhliche Langläufer. Na, bei dem bin ich wohl noch am besten untergebracht. Tatsächlich kommt er später dazu und begrüßt mich herzlich.


Sehr gute Inneneinrichtung

Eins tröstet: die Herberge ist wirklich supergut eingerichtet. Man nehme nur die Betten: Vier Pfosten, an denen man alles aufhängen kann; Seitenteil oben, dass niemand rausfällt; eine breite bequeme Leiter vorn, auf der sogar ich ohne Mühe rauf und runter komme. Na also, geht doch, ich brumme schon nicht mehr. Zwischen den benachbarten Doppelstockbetten ist eine Nische frei geblieben (nicht wie gegenüber bei dem Kanadier, der alles vollgestellt hat); dort können Hans und ich unsere Rucksäcke lassen. Wir richten uns ein. Wäsche waschen fällt wohl mal wieder flach, dabei habe ich nur noch nasse Sachen.
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Herberge von Cadavo

Der Riese und seine Frau kommen zu uns rein. Er nimmt das Bett über dem Kanadier. Alles klar, schon bin ich nicht mehr der einzige Schnarcher. Ich grinse in Richtung der Kampfpilger, die schon sauer gucken, wie viele denn da noch kommen. Ihre Ecke mit zwei Doppelstockbetten haben sie jedenfalls nicht mehr für sich. Unser Schlafraum ist jetzt voll.

Erster kleiner Zwist

Alain stolpert in die Herberge. Ich nehme ihn mit zu dem anderen Schlafraum, in dem die 4 Polen, die 3 Wochenendpilger und die "Verkniffenen" sind. Also ist gerade noch 1 Bett frei, ein oberes natürlich. Zum ersten Mal sehe ich, dass der stoisch ruhige Alain etwas die Fassung verliert, als er oben schlafen soll. Ich gehe zu den Polen raus und schlage vor, dass einer mit ihm tauscht. Sie wollen nicht. Das hätte ich nicht von ihnen gedacht. Wieder zu Alain zurück. Der hat inzwischen ein paar geistige Übungen gemacht und sagt mir was von "bien". Seine Ausgeglichenheit möchte ich haben.

Chantal im Glück

Jetzt sind wir 20, also beide 10er-Schlafräume voll, und da kommen noch bestimmt weitere Pilger. Zum Beispiel Chantal, die ja immer absichtlich langsam geht und auf ihr Glück vertraut. Da trifft sie schon ein. Ich habe sie erwartet und weiß Rat: Es gibt ja noch das Behindertenzimmer mit 2 Betten. "Setz hier deinen Rucksack ab", sage ich zu ihr. "Wenn der Herbergsvater kommt, bestehen wir darauf, dass er dich da reinläßt." Ich habe es noch nicht ganz gesagt, da fährt er draußen vor. Es klappt prima, Chantal kommt ins 2-Bett-Zimmer; die Frau von dem Riesen aus unserem Schlafraum geht ganz glücklich mit zu ihr rüber. Die anderen freuen sich, dass jetzt in unserem Raum etwas mehr Platz ist. Das ist voreilig.

Etwas später: Tropfnass steht der Familienvater mit seinem Söhnchen vor dem Herbergsvater, hat außerdem noch einen weiteren Pilger im Schlepp. Jetzt wird's kritisch. Man besichtigt das eine freie Bett über Mutter Kampfpilgerin. Das reiche für ihn und seinen Sohn, sagt er. Der andere hat ein Zelt dabei, muss draußen schlafen.


Achtung: In Cádavo-Baleira herrschen strenge Sitten. Schon an der Tür steht, dass niemand auf dem Fußboden unterkommen darf. 22 Plätze besetzt bedeutet: Basta por hoy! Schluss für heute!

Ich bin gespannt, was sie machen, wenn mehr Pilger eintreffen. Wegen der Entfernung kann man ja niemanden weiterschicken. Noch tritt der Notfall ja nicht ein, weil der Überzählige ein Zelt hat.

Supermarkt und Telefonzelle

Einige Hinweise:
Supermarkt: Vor der Kirche (gegenüber) der Herberge her bis zur Fernstraße nach Lugo, dann nach rechts versetzt jenseits der Straße weiter. Dann liegt der Supermarkt links.
Telefonzelle:
Nicht mehr "unten im Ort" (Handbuch), wo der große Platz ist. Man geht von ihm aus in Richtung Fernstraße hoch und geht auf dieser kurz nach rechts, dann sieht man die Telefonzelle.

Das Wetter ist besser. Die Sonne scheint trotz mancher verbliebenen Wolken. Wir haben sogar doch noch Wäsche gewaschen, die jetzt auf den Leinen flattert. Aber jeden Moment kann es wieder einen Schauer geben. Trotzdem riskieren wir es, einkaufen zu gehen. Es geht gut.

Streit unter Pilgern

Als wir wiederkommen, rottet sich vor der Herberge das Volk zusammen. Mutter Kampfpilger führt das Wort, wiegelt die Übrigen auf, greift den Familienvater an, der, oha, ebenfalls neben der Herberge ein Zelt aufgeschlagen hat. Ich verstehe ungefähr, was sie keift: Da hätte man sich so schön im Schlafraum eingerichtet, und dann käme einer mit einem Kind, das sicher die ganze Nacht Terz machte, der Hund letzte Nacht vor der Herbergstür sei schon schlimm genug gewesen (zustimmendes Nicken der Umstehenden). Man hätte schon die Schnarcher am Hals (aua, das ging wohl auf mich) und jetzt noch ein Kind. Wie solle man da schlafen, und man bräuchte doch die Ruhe, um anderntags wieder laufen zu können ("rennen" korrigierte ich im Geiste), usf. Der Vater schimpft dagegen. Dennoch: sein Sohn und er ziehen ins Zelt.

Ich kann es mir nicht verkneifen, zu diesem Erlebten noch einen allgemeinen Kommentar anzufügen. Wie liest man immer in den Berichten, besonders in Journalen und Zeitungen? Alle Pilger waren wie Geschwister und teilten alles, es war ein wunderbares Gemeinschaftserlebnis, usw. Wie die idealisierte Schilderung der christlichen Urgemeinde in der Bibel: schon damals Wunschdenken, das kaum der Realität entsprach. Aber wahrheitsgetreue Schilderungen wie meine hier sorgen nicht selten für Unmut, und hin und wieder bekomme ich böse Zuschriften, dass ich alles so negativ sehe. Eine ev. Pastorin meinte in mir sogar ein typisches Beispiel dafür zu sehen, dass Katholiken einfach süchtig nach Leiden sind. - Stimmt keineswegs, liebe Glaubensschwester!

Brutale Sitten: Auf die Straße geschmissen

Radfahrer fahren in regelmäßigen Abständen vor, werden ausnahmslos abgewiesen. Und dann kommen wieder die beiden polnischen Mädchen, haben sich nach dem schlimmen Tag gestern Zeit gelassen, zu viel Zeit! Jetzt wird's spannend: Was bietet der Herbergsvater an? - Nichts! Ist nicht sein Bier, hier kommen keine zwei Pilger mehr rein; beim ersten Verstoß gegen die maximale Anzahl der 22 Plätze werde der Stadtrat die Herberge schließen. - Ich bin platt. Der Herbergsvater ist sonst gemütlich und freundlich, aber bei dieser Frage beißt man bei ihm auf Granit. Ich hatte erwartet, dass er dann noch Alternativen hat, irgendwohin telefoniert, aber nichts, nada, wie gesagt, ich bin platt. Dabei sind die Spanier sonst allgemein so unglaublich hilfsbereit.


Tipp: Wenn es jemanden dort erwischen sollte: gleich um die Ecke (Parallelstraße zu der vor der Kirche) ist eine Pension, die aber bei unserem Aufenthalt gerade ein neues Schieferdach bekam und evtl. deshalb geschlossen war.

Die armen Mädchen landeten also an der Kirche unter dem Vordach auf den Bänken. Ich drückte ihnen mein Mitgefühl aus, worauf sich eine von ihnen auf deutsch bei mir bedankte. Zwar war ja noch ein Bett frei, aber es konnte unmöglich eine von ihnen allein die Nacht draußen verbringen. Natürlich spielte ich einen Moment mit dem Gedanken, ihnen mein Bett abzutreten, aber das wäre doch ein wenig zu altruistisch gewesen. So endete ein Tag mit reichlich viel soziologischen Beobachtungen unter Pilgern und einem Schwur zu mir selbst, dass ich in Spanien nicht mehr pilgern werde, nicht mehr unter diesen Umständen.


27. Juni 2009, Samstag: Von Cádavo-Baleira nach Lugo (30,8 km) (259,0 km)

Heute stand die erste Etappe an, die auch nach den neuen Entfernungsangaben über 30 km lang war, einschließlich eines provisorischen Umwegs von 1 km vor Lugo. Ich hatte keine Angst, das würden wir schaffen. Der Himmel war wieder bedeckt, also war es nicht zu heiß: Wenn das so blieb, würden wir nicht so in der Sonnenglut leiden wie 2006. So kam es auch. Auf fehlende Sonne konnte man sich in diesem Jahr verlassen. Schade war nur, dass man wegen der Nässe nirgendwo im Grünen Pause machen konnte, wie ich das so liebe (einschließlich Schläfchen auf der Isomatte); wir mussten immer rumsuchen, bis sich eine Sitzgelegenheit fand, Felsbrocken oder niedrige Mauer, Stufen oder Bänke (aber auch die waren manchmal zu nass).

Hetze am frühen Morgen? Ohne mich!

Wie erwartet, geht in aller Herrgottsfrühe das Packen im Schlafsaal los. Wir erheben uns etwas später, aber auch noch vor 6h00, also früher als sonst. Alles andere ist schon davongestoben. Wer weiß, ob in Lugo nicht nur 1 Schlafsaal mit 20 Betten geöffnet ist wie 2006? Nun, ein Wettrennen würden wir sowieso verlieren. In Ruhe konnten wir uns waschen, dann zum Frühstücken, wir sind in der Küche allein. Als wir im Aufenthaltsraum daneben die Rucksäcke zu Ende packen, kommt Chantal rein und reibt sich die Augen: "Ah, da ist ja doch noch jemand. Meine Zimmernachbarin ist längst davongehetzt." Sie geht in die Küche, ich singe halblaut ein Kirchenlied mit der Zeile: "No tengo miedo, confio en ti ..." (Ich habe keine Angst, vertraue auf dich.) Chantal lobt mich, dass ich noch den richtigen Pilgergeist habe. Ist etwas übertrieben, aber ich fühle mich sehr geschmeichelt.

Der letzte Höhenzug

Gegen 7h00 rücken wir ab. Hans stöhnt hinter dem Ortsausgang: "Warum muss es jeden Morgen erst einmal steil bergauf gehen?" Nun, es ist der letzte Höhenzug vor Santiago, aber wir werden auf der Querverbindung vor Sobrado dos Monxes auch noch einmal steigen müssen. Das ist jedenfalls frühmorgens besser als am Nachmittag, wenn man schon müde ist.

Rumgesuche in Castroverde

Salamimethode: Erstes Etappenziel ist Castroverde, unterwegs kleine Sehenswürdigkeiten wie Wallfahrtskapelle am Wald, Parador und Kirche in Villabade, usw. Dass es nach gut 8 km schon eine Bar gibt, hält Hans bei Laune. Wir zogen in Castroverde die Hauptstraße entlang, um zu einem Supermarkt zu kommen. Nach 200 m wurde Hans unruhig, bis ich ihm erklärte, dass wir keinen Abstecher machten, sondern ohnehin hier weiterlaufen könnten. Der erste Laden links war noch geschlossen, sowas Blödes! Dann kommt eine Reklame für Dia, aber die Straßenangabe nutzt uns nichts. Das können wir ja nicht suchen, und sonst ist kaum jemand auf der Straße: Samstagmorgen!

Mal ein wirklich hilfreicher Spanier

Oberhalb des kleinen Platzes an der Kirche weiß ich eine Bar, links oben, wo auch der Pilgerweg herkommt. Auch sie ist geschlossen. Ein alter Mann winkt uns. O nein, falsche Rentnertipps hatten wir schon genug! Wir sollten mitkommen. - Aber es ist doch alles geschlossen! - Alles nicht, er schüttelt den Kopf. Wir gehen hinter der Kirche halbrechts die Rúa da Feira hoch. Links kommt eine Bar Pereira, ist auch geschlossen. Ich will schon stöhnend abdrehen, da winkt der alte Mann wieder. 20 m hinter der Bar Pereira taucht unvermittelt eine weitere Bar auf: Pension/Bar Cortes, und links liegt der Dia-Supermarkt (erst auf dem Rückweg sehe ich das Straßenschild). Die Tür der Bar steht auf, endlich hat uns mal ein "hilfreicher Spanier" tatsächlich geholfen. Wir danken ihm, gehen erst in den schon geöffneten Supermarkt und dann mit den Tüten in die Bar.

Pension/Bar Cortes

Ein Muttchen langweilt sich dort, ist dann sehr nett und stellt uns den Kaffee mit einem "Alstublievt" hin. "Das ist doch niederländisch" sage ich ihr. "So? Ich dachte, es sei deutsch." Sie hat lange in Belgien gearbeitet, ist stolz auf allerlei fremdsprachige Brocken, die sie kann, lobt mein Spanisch. Einige Radfahrpilger haben bei ihr übernachtet, die Räder stehen im Flur nebenan.

Wir sehen Chantal um die nächste Straßenecke lugen, wir winken heftig. Da erst entdeckt sie auch den Laden. "Mann," jubelt sie, "da gehe ich einfach auf gut Glück an der Kirche hoch, und hier ist alles." Später läuft sie lange mit uns parallel, und wir verlieren sie erst vor Lugo aus den Augen.

Als wir abrücken, steht der alte Mann da und grinst glücklich, weil wir uns nochmal bedanken. Er habe schon manchen Pilger zur Bar Cortes geführt, sagt er stolz.


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Begegnung

Routine bis vor Lugo

Den weiteren Weg spulen wir ohne Zwischenfälle herunter. Die überschwemmte Stelle hinter einem Bauernhof ist entschärft. Dort kommt uns eine Ziegenherde entgegen. Chantal macht von uns an dem bekannten Wegekreuz vor Souto de Torres ein Foto. 11h00 erreichen wir Vilar und machen auf zwei Bänken Pause. Am Steinbruch hinter Gondar (Steigung!) beten wir den "Engel des Herrn". 12h50 Pause an der LU-530, auf einem Stapel von Steinen. Das Haus neben der Straße sieht wie eine Bar aus, ist aber keine.

Meine Abkürzung gibt's nicht mehr

Bis kurz vor Lugo geht es so routinemäßig weiter. Wegen dem bedeckten Himmel keine Probleme mit der Kondition. Wir sind heute stärker als gestern, es waren ja auch weniger Steigungen und nur leichte Wege. Nach dem nervig großen Linksbogen zur Autobahnbrücke wird's spannend: Kann ich wieder meine Abkürzung an den Ruinen vorbei laufen? In Chantals Handbuch stand hier der Umweg nach links über die Nationalstraße eingezeichnet. Den möchte ich wie 2006 vermeiden. Ein Blick auf die Aushubberge vor uns gibt die Antwort.


Achtung: Vor Lugo muss man einen Linksschlenker bis zur Nationalstraße machen. Die von mir früher beschriebene Abkürzung ist durch eine riesige Straßenbaustelle (wohl Stadtumgehung) unterbrochen, da ist alles eingezäunt und abgesperrt.

Jetzt ist es also in Ordnung, ein Stück hinter der Autobahnbrücke links abzubiegen, was ich 2006 verweigert hatte. Man kommt an einer Abzweigung nach rechts vorbei, wo später wohl eine Pilgerbrücke geplant ist. Deshalb wird dies der offizielle Pilgerweg bleiben. Solange es die Brücke aber noch nicht gibt, muss man geradeaus zur Fernstraße LU-530 weiter. Das hat aber auch den Vorteil, dass man an zwei Bares vorbeikommt, und in der ersten machten wir wieder Trinkpause. Es gab wieder pinchos, etwas zu knabbern zum Bier, dazu. An dieser Bar muss Chantal uns überholt haben, ohne dass wir uns gesehen haben.

Hinter der Fernstraßenbrücke über die neue Stadtumgehung geht der Pilgerweg dann wieder rechts ab, und nach erstaunlich kurzer Zeit kamen wir an die mir bekannte Kreuzung, wo ein großer gelber Pfeil auf eine langgezogene Stallruine gemalt ist. Ab da kannte ich den Weg wieder.

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Achtung: Pilgerwechsel!

Lohn der Entschleunigung

Schon 15h30 treffen wir an der Herberge ein, sind nicht besonders kaputt. Der Herbergsvater weist uns den 2. Schlafsaal oben an. Ich grinse von einem Ohr bis zum anderen, schaue in den 1. Schlafsaal im 1. Stock: Dort ist alles brechend voll, mit den Leuten, die heute Morgen fluchtartig zum täglichen Wettrennen gestartet sind. Wir selbst treffen ein Stockwerk höher nur 2-3 Leute an, darunter Chantal, die sich kaputt lacht, dass das Gehetze der anderen unproduktiv war. "Schaut mal, ich habe hier massig Platz, und unten der Saal ist absolut voll. Ja," nickt sie mir zu, "no tengo miedo, ich habe keine Angst. Dein Lied von heute Morgen ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf."

Es bleibt so gemütlich, obwohl noch einige weitere kommen, aber insgesamt sind wir nachher nur 10 Pilger, d.h. nur die Hälfte der Betten ist belegt: Mit gegenüber liegt "Pfeife", der uns freundlich zuwinkt, daneben die Belgierin (von den 3 "Sportpilgern"). Siehe da, die beiden Schweizer Studentinnen. Eine hat ihr Knie bandagiert. Von den beiden Frohnaturen, die sie in Borres aufgegabelt haben, ist noch der blonde Lockenkopf dabei. Auch er grüßt uns wie alte Bekannte. Links von uns liegen die "Verkniffenen", sind aber durch den Erfolg bei der heutigen Etappe schon lockerer. Dann noch Chantal und Hans und ich. Da jedes Stockwerk eigene Duschen und Toiletten hat, nach Geschlechtern getrennt, ist auch da nichts überlaufen. 2002 habe ich die Herberge von Lugo als völlig überdimensioniert bezeichnet. Nachdem jetzt auch auf dem Camino Primitivo gewimmelt wird, nehme ich das zurück: Da ist man sogar vorausschauend gewesen.

Geplantes Abendprogramm

Samstag in Lugo, wie 2006. Das heißt, man muss Wäsche waschen (Leinen auf einer Terrasse, leider nur im 1. Stock), Einkaufen, zu Abend essen und in die Kirche gehen zeitlich auf die Reihe bekommen, nicht ganz einfach. Der Herbergsvater teilt uns mit: 19h00 Abendmesse in der Kathedrale (die nähere Kirche, in der wir 2006 waren, ist wegen Renovierung geschlossen). Wir beschließen also: 18h00 einkaufen, 19h00 Messe, 20h00 essen gehen, denn schon um 22h00 wird die Herberge geschlossen.

Wie man den Supermarkt findet

Beim Einkaufen ärgere ich mich sehr, weil ich die richtige Straße zum Supermarkt verfehle. Man muss aus dem Stadtor San Pedro hinaus, gegenüber auf eine Y-Verzweigung zu, in der ein kleiner Stadtpark liegt. Halbrechts ist richtig, nicht halblinks runter. Nach ca. 300 m kommt links der Supermarkt, rechts liegt ein Chinarestaurant, in dem ich sonst gegessen habe. Sie haben immer noch keine Öffnungszeiten angegeben.

Römerfest

Die Innenstadt ist ein Tollhaus: Man feiert ein Römerfest, und alles läuft mehr oder minder kostümiert herum. Auf dem Hauptplatz ist echt was los: Buden, Schausteller, ein Minirömerkastell mit echten Wachen. Wir haben dafür kein Auge, quetschen uns durch die Menge, denn es ist wegen meines Verlaufens schon 18h50. Endlich an der Kathedrale, fast niemand da. Wir warten wie in Salas. Auch kein Rosenkranz. Ich gehe aus der Bank und suche umher, finde ein Schild an der Kirchentür: Nur an Festtagen ist auch um 19h00 eine Messe, sonst nur um 20h00. Dieser verd... Herbergsvater! Hat geglaubt, das Stadtfest gelte auch für die Kirche als Feiertag. Wenn wir bis um 20h00 bleiben, wird's nichts mit dem Essengehen, und ich hatte mich so auf das Chinarestaurant gefreut! Wir sitzen in der Bank und grübeln: Essengehen gegen Messe, beides geht nicht mehr. Ich gebe mir einen Ruck: Sind wir Pilger oder Touristen? Hans schaut mich von der Seite an, ich schaue zurück: "Ich bleibe!" sagt er leise, erwartet wohl Protest. - "Ich auch!" gebe ich lächelnd zurück. Wir sind uns eben doch in den wesentlichen Dingen sehr ähnlich. "Los dos amigos" nannten die anderen uns, hatte uns Chantal erzählt, nicht etwa "los dos Alemanes". Benennungen treffen oft instinktiv den Kern.

Schwieriges Reservieren in Friol

Bis 20h00 trieben wir uns aber doch noch draußen im Trubel herum, war ein kleiner Trost. Zur Messe wurde es dann voll, da dafür nur ein kleiner Bereich mit Bänken abgeteilt war. Später musste ich noch zur Telefonzelle, um in Friol unsere morgige Unterkunft im Casa Benigno vorzubuchen. Das war ein Drama! Ich wusste ja, dass der Wirt am Sonntagabend extra dafür zur Pension kommen musste. 2006 hatte er das sofort zugesagt. Ja, für 5 Leute! Jetzt, bei nur 2, machte er Schwierigkeiten. Wir sollten bis 15h00 da sein, dann mache er die benachbarte Bar zu. Das schaffen wir nicht, gab ich kleinlaut zu, sei ja kein Spaziergang. Oder er gäbe mir eine andere Nummer als diese, um anzurufen. War mir zu kompliziert, ich hatte ja kein Mobiltelefon, und unterwegs gibt's keine Telefonzellen. "Wir kommen wirklich," drängte ich, "Punkt 18 Uhr stehen wir vor der Pension." - "Na gut!" gab er zu meiner Erleichterung nach. Uff! Ich bedankte mich sehr, wieder war mein Spanisch hart bis an die Grenze getest worden.

Die "Kampfpilger" haben ausgekämpft

Zurück in der Herberge gab es ein Abendessen aus kargen Vorräten (beim Einkaufen hatten wir ja noch das Abendessen mitkalkuliert) in einer fast dunklen Küche. Die beiden Kampfpilgerinnen saßen in etwas gedrückter Stimmung - so schien es mir - an einem anderen Tisch. Die Tochter hatte ein Knie bandagiert. Mit dem "Kämpfen" war es wohl vorbei. Es wurde heute auch nicht gesotten und getafelt, sondern sie schnitten sich Stückchen von einer Wurst ab, ähnlich wie wir. Willkommen im Pilgeralltag! Grinste da einer etwas schadenfroh? Ich doch nicht ;-)

Wer wollte, durfte nochmal raus

Die ganze Nacht tobte das Fest auf der Straße. Der Herbergsvater hatte den Pilgern gesagt: Wer mitfeiern will, muss Punkt 1h00 an der Herbergstür sein. Ich komme dann noch einmal und schließe kurz auf und sofort wieder zu. Nur das Jungvolk machte von dem Angebot Gebrauch, wir Älteren schliefen schon früh ein, sobald das Licht automatisch ausgeschaltet wurde. Ich hatte eine prima Nacht. Wir lagen absichtlich direkt an der zweiten Tür, und so konnte man nachts sehr einfach mal raus, und keine Tür quietschte. Die Herberge war viel besser gepflegt als 2002, obwohl sie da neu war.


Vergleich der Varianten Lugo - Santiago de Compostela

Von Lugo aus kann man in mehreren Varianten den Camino Francés erreichen. Man muss dann abwägen, ob man die kürzeren Wege laufen will, auf dem man u.U. 1 Tag sparen kann, oder ob es einem wichtiger ist, möglichst spät auf das Gewimmel des Hauptpilgerweges zu stoßen. Ich beginne mit der östlichsten Variante und beschreibe die westlichste als letzte.

Variante 1: Lugo - Palas de Rei (35,5 km)

Mit dieser Variante kann man den Camino Francés in einer Etappe erreichen (siehe meinen Bericht von 2002). Wegskizze: Man läuft die im Handbuch beschriebene traditionelle Variante Richtung Melide (über San Román hinaus) bis ca. 800 m hinter Pacio, wo man auf die Kreuzung mit der LU-231 stößt. Dort geht es nach links auf der LU-231 11,5 km nach Palas de Rei. (Achtung: Im Handbuch ist die LU-231 auf der Karte von S. 127 rechts am Rand falsch eingezeichnet. Es ist wohl die CP-2911. Die LU-231 ist die weiße Straße darunter, die von der Schrift "C Stein Verlag" gekreuzt wird. - Dito auf der Karte von S. 121 links unten: Ganz links muss es "CP-2911" heißen, rechts daneben ist die Beschriftung "LU-231" richtig; die LU231 verläuft von Friol im Norden stetig nach Süden bis Palas de Rei.)

Entfernung von Lugo nach Santiago de Compostela insgesamt: 105,6 km (3 bis 4 Tage)
Mögliche Etappen ab Palas de Rei:
Variante 1a: Minimum 2 Etappen: Palas de Rei - Arzúa (30,2 km), Arzúa - Santiago (39,9 km)
Variante 1b: 3 Etappen: Palas de Rei - Ribadiso (26,8 km), Ribadiso - Pedrouzo-Herberge (22,4 km), Pedrouzo-Herberge - Santiago (20,9 km) (siehe meinen Bericht von 2000)

Variante 2: Lugo - San Román - Melide (19,6 + 27,5 = 47,1 km)

Entfernung von Lugo nach Santiago de Compostela insgesamt: 101,7 km (4 Tage)
2 Etappen ab Melide: Melide - Santa Irene (31,3 km), Santa Irene - Santiago (23,3 km)
(Einzige Wegeführung, die ich nicht gelaufen bin.)

Variante 3: Lugo - Friol - Sobrado dos Monxes (30,1 + 26,4 = 56,5 km)

Variante 3a: Sobrado dos Monxes - Arzúa (22,2 km), Arzúa - Santiago (39,9 km) (siehe meine Berichte von 2003 und 2006)
Entfernung von Lugo nach Santiago de Compostela insgesamt: 118,6 km (4 Tage)
(5 Tage, wenn man sich wie ich seinerzeit den Luxus gönnt, von Arzúa aus nur bis zum Monte de Gozo zu laufen, um anderntags früh und frisch in Santiago "einzumarschieren".)

Variante 3b: Sobrado dos Monxes - Santa Irene (34,4 km), Santa Irene - Santiago (23,3 km)
Entfernung von Lugo nach Santiago de Compostela insgesamt: 114,2 km (4 Tage) (Wegbeschreibung siehe in diesem Bericht)


Bewertender Vergleich der Varianten

Diese Übersicht liefert einige, teils etwas überraschende Ergebnisse:

Der einzige Nachteil der Variante 3b gegenüber der Variante 3a ist, dass der Weg wesentlich monotoner über Landstraßen geht.


28. Juni 2009, Sonntag: Von Lugo nach Friol (30,1 km) (289,1 km)

6h50 geht das Licht im Schlafsaal automatisch an, in unserem Schlafsaal liegt noch alles im Schlummer. Als ich zum Frühstück nach unten gehe, sehe ich, dass im 1. Stock fast alle schon weg sind. Ich vermisse Alain, den haben wir nicht mehr gesehen. Wo er wohl geblieben ist? Vielleicht hat er sich nach den Erfahrungen in Cádavo-Baleira eine Privatbleibe gesucht.


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Santiagotor in Lugo

Frühstück im Dunkeln

Im Essraum ist alles dunkel. Da geht das Licht nicht automatisch an. Um 8 Uhr wird der Herbergsvater kommen und alle aus der Herberge treiben. Dann ist es mit dem Licht zu spät. Also frühstücken im Dunkeln, alte Spezialität von Galicien, ich habe schon öfter und in anderen Herbergen darüber geschimpft. Außer mir kommt nur noch Chantal. Sie hat eine Plastiktasse, aber ich kann ihr das Wasser in meinem Metallbecher heiß machen. Also trinken wir vorerst einen Abschiedsschluck, in Santiago werden wir uns sicher wiedersehen. Hans verlässt sich wieder darauf, irgendwo eine offene Bar zu finden. Das ging an diesem Tag daneben. Nach so einem Feierwochenende macht doch keiner früh am Montag auf, wo alles noch verkatert im Bett liegt.

8h10 Morgengebet an der Kathedrale. Dann durchs Santiagotor zur Stadt hinaus. Es sind wieder Wolken da, zeitweise Sprühregen, aber später kommt auch mal die Sonne durch. Wir tippeln den Fluss entlang, kommen nach einiger Zeit zur Verzweigung. Links geht's Richtung San Román - Melide hoch. Ein großes Schild und dicke gelbe Pfeile weisen darauf hin.


Von der Abzweigung bis Alta


Achtung an der Abzweigung nach Friol:
Nirgendwo ein Hinweis, dass es hier rechts um das Haus herum am Ufer in Richtung Friol die nördliche Variante weitergeht. Ich weiß es nur aus dem Gedächtnis. Früher waren hier irgendwo blasse gelbe Pfeile, aber rechts vom Haus ist auch eine Baustelle, die vielleicht alles ausgelöscht hat. Aber immer am Fluss entlang, da kann eigentlich nichts passieren. Bald sehen wir auch den ersten blassen gelben Pfeil an einem Lichtmast. Hans schüttelt den Kopf wegen der schlechten Auszeichnung.

Ich habe mir eine Karte aus dem Internet runtergeladen und einen Ausschnitt ausgedruckt. Diese Möglichkeit ist wirklich fantastisch gut. Von 2006 hatte ich in Erinnerung, dass wir komische Umwege gelaufen sind. Heute will ich stur die CP-2911 entlang. Sagenhaft, wie genau die Karte ist. Jede etwas scharfe Kurve kann man ablesen. Das für mich überraschende Ergebnis meiner Kontrollaktion: Der Eindruck war 2006 falsch, man läuft keine Umwege, sondern genau die CP-2911 bis zur Abzweigung mit dem Bushaltehäuschen, wo es links nach Peñarubia geht. Wir legen einen Schritt vor, obwohl der Weg anfangs steigt und später auch noch einiges rauf und runter geht, weil wir das erste Etappenziel Alta ansteuern. Erst kommt aber noch Veral, schon zu früh gefreut. Dann aber endlich die LU-232 und der Platz vor dem Friedhof von Alta.

So, die ersten knapp 10 km haben wir weggehauen. Kurze Trinkpause, da fängt es schon wieder an zu regnen, hört aber ebenso schnell wieder auf. Am Ortsrand schießt ein Hund auf mich zu, mittelgroß, jung, aber angriffslustig. Ich gehe ruhig weiter, lasse aber meinen Stock zwischen ihm und mir über das Pflaster schleppen. Endlich lässt er von mir ab. Der Besitzer war im Hintergrund zu arbeiten, der hat sich nicht gerührt. Das sollten wir noch einige Male erleben.


Lohnender Abstecher nach Santa Eulalia

Die Auszeichnung hinter Alta ist lausig, ich kann das Handbuch nicht aus der Hand legen. An der Verzweigung, wo es halblinks abgeht, keinerlei Hinweis. Gottlob liefert hier das Handbuch sehr genaue Beschreibungen. Dann kommen 2,7 km Landstraße bis zur Abzweigung nach Santa Eulalia de Bóveda. Hans möchte sich die Kirche nicht entgehen lassen, das freut mich, lockert die Eintönigkeit des Latschens etwas. Kurz nach 11 Uhr treffen wir ein, es ist gerade Führungszeit. Der Küster der Kirche, die oberhalb des uralten Wasserheiligtums liegt, drängt uns, die Rucksäcke in der Kirche abzustellen. Sind hier Räuber, oder was? Zwei Touristen scheuchen die Führerin aus dem Büro, 100 m vor der Kirche. Es ist eine niedliche kleine Spanierin, die gleich über mein unbeholfenes Spanisch lacht, aber so, dass man ihr nicht böse sein kann. Hans bekommt ein schönes Faltblatt, aus dem ich einiges zu übersetzen versuche. 2006 war es um diese Tageszeit schon brüllheiß, jetzt ist es angenehm warm
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Santa Eulalia de Bóveda

Wieder mal: ein unerzogener Hund

"Engel des Herrn" und Mittagspause (wir haben 15 km weg) auf einer Bank an der Bushaltestelle an der Kreuzung. Es gibt u.a. Fischkonserve, unsere Lieblingsspeise. In Vilanova das nächste Hundeerlebnis: Ein Schäferhund ist bei seinem Besitzer im Garten, stürzt aber zu uns auf die Straße, obwohl der Mann ihn zurückruft. Hier scheint kein Hund erzogen zu sein. Hans geht hinten, der Hund ist uns noch wütend bellend ca. 50 m auf den Fersen, erst dann dreht er ab.

Panorama vor Friol

Hinter Valín kommt eine Steigung, die nicht von Pappe ist und sich sehr lange hinzieht. Das ist aber auf einer glatten Straße besser zu bewältigen als auf Geröllwegen. Ich verspreche Hans einen Wald und danach ein tolles Panorama. Nein, die Bankette am Wald sind nass, also keine Pause. Hinter der Kreuzung die kahle Höhe hoch. Wir haben wirklich wegen des regnerischen Wetters eine tolle Sicht in alle Himmelsrichtungen. Vor uns die Kette der Sierra de Coba de Serpe, da müssen wir morgen rüber. Ich mache zwei Höhen mit Windrädern aus, dazwischen ragt ein Turm empor, das muss der Sendemast sein, der auf der Nordroute zwischen Miraz und Sobrado dos Monxes den ganzen Tag nicht näherkommen will. Stimmte, wir sahen ihn anderntags ganz nah. Der Übergang ist zwischen ihm und der linken windradbesetzten Höhe.

Ein Gewitter im Nacken

Die ganze Zeit hören wir es wummern. Schießplatz bei Lugo? Oder doch Gewitter? Man sieht keine Blitze. Aber links von uns zieht es rabenschwarz heran, davor zerfetzte weiße Gewitterwölkchen. Ich werde nervös. Schaffen wir es noch bis zu unserem Etappenziel "Kirche von Guimarai"? Hans meint, er könne nicht schneller laufen, setzt sich dann an die Spitze und rast los, dass ich kaum mitkomme. Verbissen hauen wir 3-4 km weg. Endlich sehen wir Häuser im Tal, es geht steil hinunter. Und da ist rechts ja auch schon die Kirche! Unterstellmöglichkeit? Ich schaue mich nach den Gewitterwolken um und traue meinen Augen nicht: die haben sich fast ganz verflüchtigt. Ja, gibt's denn sowas?

Wo liegt die nächste Bar?

Hans' Schuhsohlen brennen wie Feuer. Er zieht Schuhe und Strümpfe aus und kühlt die Sohlen im Gras. Ist ihm ganz egal, dass da auch kleine Brennnesseln sind. Jedenfalls ist hier eine Mauer, auf der man sitzen und was essen und trinken kann. Tut das gut! Und jetzt kommt die gute Nachricht, muntere ich Hans auf: Nächste Bar in 3,5 km Entfernung. Ja, super! jubelt er. - Irgendwas stimmt nicht. Ich kann mich heute an den Weg gut erinnern, weil er 2006 neu war und ich mir alles haarklein gemerkt habe. Also, gleich gehen wir durchs Dorf, kommen auf die Landstraße und - Mensch, da muss doch die Kneipe schon sein! Wo die Besitzer im Garten saßen, mit dem versteckten Schild! Ich grinse: Korrektur, sage ich zu Hans, nächste Bar in 600 m Entfernung. - Bist du verrückt, schreit der, warum machen wir dann hier Pause? - Ja, weil das Handbuch die Bar nicht vermerkt, und das auf dieser Durststrecke!


Tipp: Gleich hinter Guimarai kommt an der Landstraße rechts ein großes schönes Haus mit viel Blumen und einem toll angelegten Garten mit Buchsbaumfiguren. Das ist eine Bar - Taberna de Guimarai - aber man sieht das Schild erst, wenn man davorsteht. 24,4 km. Ist nicht im Handbuch verzeichnet.

Einfach an die Tür böllern!

Wir raffen uns also schleunigst auf und steuern die Quelle pokulärer Freuden an. Niemand zu sehen, die Tür rechts zur Bar geschlossen. Hans will schon enttäuscht abdrehen. Halt, sage ich, wir wissen doch, wie man das in Spanien macht. Ich poche energisch gegen die Haustür, nichts rührt sich. Nochmal. Als Antwort ertönt ein leises Schlurfen. "Hola, buenas tardes" rufe ich. Die Tür geht auf und ein grauhaariger Mann, aber jünger als wir, schaut heraus. "Können wir was zu trinken bekommen?" Er nickt nur, schließt zwei Minuten später die benachbarte Tür zur Bar auf. Seine Frau erscheint, ist besser drauf. 14h30. Wir haben wohl bei der Siesta gestört. Jedenfalls ist Friol nur noch schlappe 6 km entfernt, und wir haben noch Zeit genug.

Ich schwatze ein wenig mit der Frau, mache dies und jenes Späßchen, da lacht sie auch schon. Ich erzähle, dass ich vor 3 Jahren schon einmal da war. Jetzt taut sie richtig auf. Wir nehmen jeder zwei Kaffee, und dann gibt's noch eine copa an der Theke, so freuen wir uns, dass wir diese lange Strecke auch wieder gut schaffen werden.

Ungastliches Restaurant in Friol

Tatsächlich spulen wir die letzten 6 Kilometer gemütlich herunter, ohne sie "wegzuhauen". 16h30 sind wir schon in Friol beim Restaurant links an der Hauptstraße. Dort hatten wir 2006 abends gut gegessen. In diesem Jahr ist irgendwie der Wurm drin. Der mürrische Wirt beachtet uns gar nicht. Seine Tochter bedient, höflich, aber distanziert. Wir sehen wohl abgerissen aus und stinken nach Schweiß. Zur Strafe esse ich ihnen die Schälchen mit Erdnüssen leer, die als pinchos auf der Theke stehen. Die Wirtstochter sammelt gleich die Behälter mit den Schalen ein, recht demonstrativ. Ob wir abends was zu essen bekommen könnten? - Sie fragt in der Küche, immerhin! Nein, die Küche sei heute geschlossen. - Spinnen die, gerade wo doch die Konkurrenz, die Bar unseres Vermieters schräg gegenüber am Sonntag geschlossen hat, machen die hier nicht auf. "Ginge vielleicht etwas Einfaches?" frage ich, "Pommes mit Spiegelei?" Das war voll ins Fettnäpfchen! "Wir haben eine Speisekarte" sagt sie würdevoll. "Was für ein Luxus!" ich werde pampig, mir langt's.

Pension Casa Benigno

17h45 trollen wir uns. Der Wirt knallt das Wechselgeld auf die Theke. Sowas habe ich in Spanien noch nicht erlebt. Wir setzen uns schräg gegenüber vor die Pension Casa Benigno auf ein paar Stufen. Mir ist doch etwas mulmig. Zu essen gibt's schon mal nichts, und wenn uns jetzt auch noch der Vermieter hängen lässt ... Nein, 18h05 springt er vor uns aus seinem Auto, entschuldigt sich wegen der 5 Minuten. "Wir sind doch in Spanien" meine ich erleichtert, denke aber sofort: "Hm, das war auch kein Kompliment."

Er gibt uns die Schlüssel, zeigt uns das Zimmer, und weg ist er wieder. Bezahlen könnten wir morgen früh in seiner Bar. Da wir ja vor 7 Uhr nicht weg wollten, war das kein Problem. Na, der hatte wieder Vertrauen! Wir konnten uns doch um 6 Uhr ohne zu bezahlen vom Acker machen.

Einkaufen in der Bar Casa do Rei

Es gibt wohl inzwischen mehr Pilger, jedenfalls ist der Übernachtungspreis von "spottbillig" (2006: 8 Euro pro Nase) auf "billig" (12 Euro) gestiegen. Die Zimmer sind etwas vernachlässigt. Hier und da wären kleine Reparaturen angesagt, aber für Spanien alles weit im grünen Bereich. Es gibt eine Terrasse mit sehr vielen Wäscheleinen, auf denen bald unsere Wäsche flatterte, solange Wind war und es nicht regnete. Nachts hatte ich noch einige Sachen zum Nachtrocknen im Badezimmer hängen. Dann hatte der Mann uns noch einen heißen Tipp gegeben: Nur wenige Häuser weiter ist die Bar Casa do Rei, und die hat in bewährter Manier einen kleinen angeschlossenen Laden und darf so auch am Sonntag verkaufen. Hurra, wir werden nicht verhungern ;-)

... und ein gutes Abendessen

Es kam noch besser: Die freundliche und hilfsbereite Wirtsfrau in der Bar sagte uns auch noch, wo man neuerdings ein Abendessen bekommt. Casa Peruchela (oder: Perudela), am Kreisverkehr, wo es links Richtung Sobrado geht, rechts die Treppe hoch. Nach dem Einklaufen also nichts wie dorthin.

Wieder ein patentes Muttchen. Sie macht uns gern was, zählt auf, was sie hat. Hans bestellt Caldo Gallego, die berühmte Kohlsuppe - und isst die ganze Terrine leer. Fast hätte sich die Frau genötigt gesehen, ihm eine zweite zu bringen. Ich hatte eine prima Nudelsuppe, habe auch 4 Teller verdrückt. Dann bekomme ich einen Riesenteller Pommes und ein Kalbskotelett, das alles bedeckt. Zwei Flaschen Bier dazu, 10 Euro. Da war ich gut zufrieden und pumpsatt. Kann man empfehlen.

Jetzt wussten wir auch, warum die im Restaurant so mies waren: denen war die Petersilie verhagelt. Die Pilger schliefen im Casa Benigno, tranken werktags in der zugehörigen Bar, kauften nebenan ein und gingen hier bei Muttern zum Abendessen. Da blieb für das vornehme Restaurant nichts mehr. Dann aber Pilger noch zu vergraulen, anstatt sich was Anlockendes zu überlegen, darauf kamen die Leute nicht. Da war die Konkurrenz raffinierter und schickte sich gegenseitig die Kundschaft zu.

Zwischendurch war ich noch zur Telefonzelle am Hauptplatz und versuchte, in Santa Irene bei dem privaten Refugio Betten für übermorgen zu bestellen. Niemand nimmt ab. Danach lese ich im Handbuch, dass sie Sonntagsruhe haben. Naja, dann eben morgen.

Nächtlicher Reparaturversuch

21h30 lagen wir schon im Bett. Nachts wache ich auf, Hans rumort im Badezimmer. Klingt komisch, die Toilette geht ununterbrochen, und er produziert Geräusche, als ob er Porzellan zerdeppert. Manchmal sagen wir zueinander was auf Plattdeutsch: "Büs du an't afrieten?" (Bist du am Abreißen) rufe ich. Er flucht zur Antwort rum, ich schaue zu ihm rein, und er erklärt, was los ist. Musste nachts raus, da ging die Spülung kaputt, rauschte ununterbrochen. Er hat den Deckel vom Wasserbehälter abmontiert und fummelt an der Technik rum, kann's aber nicht reparieren. Immerhin läuft das Wasser nicht mehr, und wenn wir spülen wollen, müssen wir nur von Hand einen Metallstab hochziehen. Das ist ja nicht so schlimm. Aber wie soll ich das bei meinem geringen Wortschatz dem Besitzer erklären? Jedenfalls hat Hans keine Schuld, im Gegenteil, er hat das Wasser wenigstens gestoppt. Verschwendung kann er auf den Tod nicht leiden, auch wenn es nicht seinen Geldbeutel trifft. Das sitzt bei uns noch tief aus der Nachkriegszeit drin.


29. Juni 2009, Montag: Von Friol nach Sobrado dos Monxes (26,4 km) (315,5 km)

6h45, zu unserer normalen Zeit, standen wir auf. Der Zeitpunkt war immer so gewählt, dass das beginnende Morgenlicht von außen auch Schlafräume, in denen kein Licht gemacht wurde, so weit erhellte, dass man Waschzeug und Frühstückssachen finden konnte. Wenn wir vom Frühstücken dann zurückkamen, war es hell. - Heute hatten wir ja unser Privatzimmer, konnten das Licht anmachen, wann wir wollten und im Zimmer frühstücken. Natürlich gab es eine Steckdose. Die Wäsche war inzwischen so gut wie trocken.

Ein verständiger Wirt

8h00 meldeten wir uns in der Bar unten, gaben den Schlüssel ab, bekamen Stempel in die Ausweise und zahlten 24 Euro. Dann beichtete ich stotternd die Sache mit dem zerlegten Wasserbehälter im Badezimmer. Der Wirt wiederholte in gutem Spanisch, was er verstanden hatte: Ja, das Wasser war unaufhörlich gelaufen, und Hans hatte eingegriffen und es zum Stocken gebracht, musste aber repariert werden. Tatsächlich wertete er den Sachverhalt richtig und bedankte sich bei uns. Gottlob.

Zur Festung von Xía

Auf zur Landstraße und erst einmal die Kilometer bis zur Abzweigung zum "Turm von Xía" weggehauen. Er lag links von uns, ganz deutlich zu sehen. Die Abzweigung war vor der ersten Kurve nach einer lange Geraden, auch das grüne Schild, alles da. Hier war ja nicht der offizielle Pilgerweg, der Friol ausspart; deshalb mussten wir hier ohne gelbe Pfeile auskommen. Die Straße erkannte ich nicht wieder, bis mir aufging, dass sie ganz neu ausgebaut war. Am Ausbauende kam die Abzweigung nach rechts, schon wieder der normale Pilgerweg. Hier rief ein Pirol, genau wie vor 3 Jahren. Insgesamt habe ich dreimal auf dieser Pilgerfahrt einen Pirol und einmal einen Wiedehopf gehört.

Hans wollte die Festung sehen, das lohnt auch. Sie ist nur ca. 200 m entfernt. Vom nahen Bauernhof kam wieder ein mittelgroßer Hund, ließ sich von Hans aber mühelos besänftigen, zumal wir nicht in sein Reich eindrangen. Ein paar Fotos, dann zum Pilgerweg zurück.

In a war das Pilgerkreuz im Ortskern restauriert worden, 3 Jahre zuvor stand nur ein Stumpf, war wohl umgefahren worden. Sonst war die Strecke wie gewohnt. Hinter Pousada ist man auf den Anstieg gefasst, denn die Höhe, die zu überwinden ist, liegt nun links zum Greifen nahe. Aber dann geht es nach rechts wieder hinunter und auf der nächsten Straße nach links nochmal weiter hinunter bis zum einem Bach, das wurmt schon etwas. Vor Albeiro muss man das nun alles wieder hoch und steigt noch höher. Ich hätte gern beim ersten Bushäuschen Rast gemacht, aber Hans wollte zum zweiten, als ich dieses erwähnte. Bis dahin war es nicht weit, nur etliche 100 Meter, aber sehr steil. Recht außer Puste kamen wir also beim zweiten Haltestellenhäuschen am Rande von Albeiro an und machten dort um 11h00 nach 11 km eine verdiente Pause.

Weg hinter Albeiro

Aufpassen beim folgenden Wegeverlauf: im alten Handbuch war das fast unverständlich in seiner Kürze, im neuen steht es jetzt gut beschrieben. Nicht gleich an der Haltestelle nach links ins Dorf, sondern eine Straße weiter. Links an Häusern vorbei, und dann gibt es in dichter Folge Verzweigungen, die kaum gekennzeichnet sind: erst links, dann geradeaus und dann halbrechts, eine völlig unauffällige Piste. Nirgendwo ein gelber Pfeil oder gar ein Monolith. Die Piste schwingt sich zum Waldrand hoch, das ist die letzte Höhenstufe. Im Programm Google Earth habe ich den Verlauf ab Albeiro verfolgen können. Man läuft im Wald auf der Höhe (die Windräder sind links auf einer Nase des Höhenzugs zurückgeblieben) diagonal vom rechten (östlichen) zum linken (westlichen) Rand und dann an diesem weiter. Links sieht man durch die Bäume immer wieder Weideflächen des Westabhangs. An der Quelle Setefontes, die eher ein Wasserbassin vor einer Matschstelle ist, geht es vorbei, bis die Piste zu einer Gehöftgruppe links abbiegt. Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten: Geradeaus weiter durch den Wald bis zur Landstraße Friol - Sobrado (LU-934) oder links ab und diagonal durch ein paar winzige Dörfchen, bis man in Mesón auch wieder die LU-934 erreicht.

Da ich Varianten austesten wollte, bin ich mit Hans mal probeweise letzteren Weg gegangen und beschreibe ihn für Interessenten im Folgenden. Google Earth zeigt, dass die Variante nicht viel abkürzt, durch einige Schlenker wahrscheinlich gar nichts. Sie ist landschaftlich etwas abwechslungsreicher, was aber auch leichtes Auf und Ab bedeutet, und vermeidet die Fernstraße, aber Hunde nerven, weil hier nur wenige Pilger herlaufen. Wer hingegen noch gern 2 km Wald möchte und nicht so auf den Weg achten will, für den ist es einfacher, geradeaus bis zur Straße zu laufen.

Für die Variante hatte ich mir wieder eine Ausschnittskarte (wohl 1:25.000) aus dem Netz geholt. Danach fiel es leicht, den Weg zu finden. Hier nun die Beschreibung:


Beschreibung der Variante nach Mesón:
Man biegt mit der breiten Piste am Waldrand in Richtung Gehöftgruppe ab. Dort umrundet man die Gebäude nach rechts, lässt ein weißes Haus links liegen (O Foxo do Cabrito). Man ist jetzt auf einer kleinen Asphaltstraße, die einen großen Linksbogen beschreibt, bis man links wieder Häuser erreicht. Nun macht die Straße einen kurzen Rechtsbogen, wobei man eine Häusergruppe rechts liegen lässt. Nicht nach rechts zu diesen Häusern von der Straße abbiegen, auch nicht mitten im Bogen links auf eine andere kleine Asphaltstraße. Hinter dem Bogen schlängelt sich das Sträßchen etwas bergab zwischen Höfen hindurch, dann geht es bergauf bis zu einer Vorfahrtstraße (CP-4604). Auf dieser rechts 1 km entlang bis zum Dörfchen Abeledo, wo ein Schild nach links weist. Hier geht es ab, wieder ein Bauernsträßchen entlang, durch lockere Bebauung, zum Schluss im Rechtsbogen um eine industrieähnliche landwirtschaftliche Anlage herum, bis zur LU-934 am Anfang von Mesón. Strecke insgesamt ca. 6 km.

Ein schlimmer Hund

Von dieser Variante gibt es zwei berichtenswerte Episoden. Kurz nach 12h00, gleich zu Beginn, an dem weißen Haus von O Foxo do Cabrito schoss ein weißer Hund in Schäferhundsgröße auf Hans zu, ich war 20 m voraus. Ein Jugendlicher machte am Haus rum, tat so, als sähe er nichts. Eine Frau schaute aus dem Fenster, danach eine zweite (das berichtete Hans), riefen den Hund halbherzig zurück, unternahmen aber nichts weiter. Hans versuchte seine Beruhigungskünste, diesmal war alles umsonst. Sobald er sich bewegte, geriet der Hund wieder außer sich, und selbst Hans glaubte, so sagte er nachher, dass er ihn jeden Moment beißen würde. In seiner Not fing er auf deutsch an zu schimpfen und zu brüllen: "Ja, spinnt ihr denn total? Passt auf euren Hund nicht auf und schaut zu, wie der mich bedroht?" Endlich ließ der Hund von ihm ab, Hans war schweißgebadet. Ich habe ihn noch nie so erlebt, und auch er sagte, eine solch gefährliche Begegnung mit einem Hund hätte er noch auf keinem Pilgerweg erlebt. Auch mir schlotterten die Knie, und danach schlich ich mit eingezogenem Kopf an den folgenden Häusern vorbei. Aber die übrigen Hunde waren nicht so schlimm.

... und ein ausgebüxtes Rind

Hinter Abeledo stand ein Jungrind auf der Straße, sah uns zwei kommen, und donnerte vor Angst durch einen Graben unter der Hecke auf die Weide zurück, aus der es ausgekniffen war. Zwei Minuten später sauste ein Auto um die Ecke. Der hätte nicht mehr bremsen können, wenn das Rindvieh immer noch die Straße versperrt hätte. Wir hörten das Fahrzeug rechtzeitig und konnten ausweichen.

Bar in Mesón

Auf der LU-934 muss man links noch bis zum Ortskern von Mesón, wo links eine Bar liegt und wo der Pilgerweg rechts abbiegt. Wir stießen auf den ersten Pilger, einen älteren Mann. Typischer Franzose, der wieder kein Wort außer seiner Muttersprache konnte und den wir deshalb auch nicht interessierten. In der Bar gab's erst einmal kühle Getränke. Die junge Wirtin warnte uns vor einer Fiesta in Sobrado. Nein, nicht schon wieder! Ja, sagte sie entschuldigend, im Winter kann man in Galicien draußen nichts machen, da gibt es im Sommer eine Fiesta nach der anderen.


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Felsen hinter Mesón

Immer noch die Unsicherheit hinter Mesón

Obwohl ich von Google Earth wusste, dass der Rechtsschlenker hier entfernungsmäßig nichts spart, eher umgekehrt, bogen wir von der LU-934 ab. Gegen Ende dieses Schlenkers kommt eine Gabelung, bei der jetzt ein Monolith einwandfrei nach halbrechts weist. 2002 war hier gar kein Zeichen. Wir gingen damals halblinks und kamen ohne Schwierigkeiten zur Landstraße zurück. 2006 führte ich die Gruppe probeweise halbrechts weiter. Dabei kamen wir an eine Pistenkreuzung, wo es keinerlei Zeichen gab. Dort bogen wir links ab und kamen an derselben Stelle an der LU-934 heraus wie 2002, also wo auch der Weg, wenn man halblinks geht, einmündet. Ich habe dann über die unsinnige Auszeichnung geschimpft. In diesem Jahr ging ich wieder halbrechts, weil der Weg halblinks sehr matschig war. Das war ja schon mal ein Grund. Aber warum ist an der besagten Pistenkreuzung (ich machte dort ein Steinmännchen) keinerlei Kennzeichnung? Erst jetzt fand ich die Stelle mit Google Earth und stellte fest, dass man an der Pistenkreuzung einfach geradeaus weitergehen kann und dann hinter einigen Häusern her erst ca. 1 km später auf die LU-934 stößt. Das können Wagemutige ja mal ausprobieren. Per Satellitenbild ist etwas unsicher, ob der Weg durchgängig ist. Auch frage ich mich, warum ich nicht eher auf die Idee gekommen bin, dort einfach geradeaus weiterzulaufen. Am Ort schien mir "geradeaus" nicht möglich. Warum, weiß ich nicht mehr. Zugewachsen? Versperrt? Vielleicht kann ein Leser dieses Rätsel lösen.

Das Rätsel konnte ich 2014 selbst lösen. Tatsächlich läuft man an der Pistenkreuzung einfach geradeaus weiter. Inzwischen ist der Weg viel deutlicher ausgebaut, so dass niemand mehr auf die Idee käme, ohne Wegweiser an der Kreuzung links abzubiegen.

Problemlose Aufnahme im Kloster

Man läuft doch noch einiges auf der Fernstraße, ein Stückchen einen Fußweg an dem See entlang, bis man halblinks nach Sobrado dos Monxes abzweigt, dessen Kloster längst sichtbar ist. Im Klosterhof und auf dem Platz davor, der jetzt wegen der Fiesta mit Buden und einer Bühne zugebaut war, lungerten einige Pilger herum, die einen schon recht alt wie wir, die anderen recht jung. Die Herberge wird erst um 16h30 geöffnet. Das stand im Handbuch nicht so klar drin; da war diese Zeit nur für die Klosterbesichtigung angegeben. Wer schon vor 13h00 eintrifft, kann aber auch schon ein Bett beziehen, wird danach aber ausgesperrt.

Wir bekamen später problemlos Betten, denn diesmal tobten hier keine Klassen und lungerten keine Schnorrer herum. Die Waschgelegenheiten waren total renoviert, unten in gutem Zustand, oben in leidlichem (die Türen waren noch verschimmelt). Keine Geschlechtertrennung, worüber sich ein junger Spanier entsetzte, als er gerade nackt aus der Dusche kam und auf eine Frau stieß. Hans und ich nahmen einen Doppelstock oben ganz hinten an der Toilettentür, damit wir nachts problemlos rauskonnten. Eine entscheidende Sache habe ich bei dieser sonst ja ganz guten Herberge übersehen: Es gab oben keine Fenster und unten auch nur die Tür, d.h. morgens ist es im Schlafraum stockdunkel, auch wenn es draußen schon hell ist, solange kein Licht angemacht werden darf. Das sollte mir noch ganz übel aufstoßen.

Vergebliche Anrufe in Santa Irene

Beim Einkaufen stellte ich fest, dass die Geschäfte wegen Siesta geschlossen waren. Nur in einer Bar erstand ich ein paar spanische Küchlein zum Frühstück, ein übler Missgriff. Lange musste ich warten, telefonieren zu können. Am Hauptplatz gab es natürlich eine Telefonzelle, aber von der Fiestabühne dröhnte die Musik so laut, dass man nichts verstand. Als diese endlich schwieg, rief ich zwei Mal in Santa Irene an, nie nahm jemand ab. Stimmt die Telefonnummer nicht mehr? Nach Rücksprache mit Hans buchte ich telefonisch ein Hostalzimmer in Pedrouzo (40 Euro). Wir konnten uns ja morgen nicht auf die Rekordetappe machen, ohne eine Unterkunft gesichert zu haben.

Abendessen wie bei den vorigen Malen

Abendessen wieder in der Bar Real, die am Pilgerweg ca. 1,5 km außerhalb liegt (Hinweischild am Ortsausgang an der Landstraße, es geht halbrechts am Postamt hoch, an Sportanlagen vorbei). Erst wollte Hans nicht so weit laufen, aber dann ging er doch mit. Es gab ein Menü ab 20h15 für (ich glaube) 8 Euro: Ensalada mixta, Lammrippchen, Wein, Eis, durchschnittlich. An den Rippchen war mehr Fett als Fleisch. Sie hatten aber sehr leckeres hellbraunes Bier: "Doppelbock" mit gut 6 Promille.

Ein besonders "netter" Mitpilger

Neben uns im Schlafsaal lag ein Paar, die auch in der Bar gegessen hatten, und wohl schon den 2. Tag hier Station machen. Er war Deutscher, ein saugrober Kerl, der sich mit Hans stritt, was echte Pilger sind. Mir war es egal, bis der Kerl mir am anderen Morgen das Aufstehen zur Hölle machte. Wochenlang hatten wir jetzt keinen Deutschen getroffen und dann stößt man gleich auf so ein süddeutsches Prachtexemplar.


30. Juni 2009, Dienstag: Von Sobrado dos Monxes nach Pedrouzo (36,9 km) (352,4 km)

6h10 stehe ich auf, wecke Hans. Wir sollten heute etwas früher starten, denn ich hatte dem Hostal gesagt, dass wir wahrscheinlich bis 18h00 eintreffen würden. Weil wir vor der Tür zum Waschraum liegen, fällt durch die anderen Pilger, die längst bei der Morgentoilette sind, Licht zu uns rüber. Da raunzt mein deutscher Nachbar: "Tür zu, was soll denn das Licht?" Ich schließe die Tür und sitze in absoluter Schwärze und Dunkelheit. Mir kommt die reinste Panik hoch. So finde ich nicht einmal in meine Unterhose.

Panik am Morgen

Hans hat am Abend zuvor komplett vorgepackt und zieht schon nach unten. Erstens hatte ich nicht mit einer solchen Dunkelheit gerechnet, und zweitens konnte ich nicht komplett vorpacken, da die Frühstückssachen, ferner die Dinge, die ich nachts brauche, usw. eben nicht vorpackbar sind.

Ich frage meinen brummigen Nachbarn: "Wann wollen Sie denn aufstehen?" (Er war einer der ganz seltenen Pilger, die auf Siezen bestanden.) "Spät, und das Licht bleibt aus." Am liebsten hätte ich zu ihm ein sehr unfeines Wort gesagt, riss mich aber zusammen.

Ich trug dann meine Tüten und alles in zwei, drei Transportschüben in die Küche, wo eigentlich auch kein Platz war, da auch andere packten und frühstückten. Es kam, wie es kommen musste: Mein Ausgehhemd war weg. Ich wieder hoch, suchte alles durch, nichts. Hans nach oben, suchte ebenfalls, nichts. Also alles wieder auspacken. Im Handtuch eingewickelt, fand ich es bei den Waschsachen. Ich musste im Dunkeln mit dem Handtuch das Hemd darunter gegriffen und in die Waschsachentüte gestopft haben.

Tief durchatmen. Jetzt frühstücken. Ausgerechnet hier und jetzt war es das einzige Mal, wo der Schucostecker meines Tauchsieders nicht in die wackelige Steckdose passte. Gewalt war da lieber nicht angebracht. Also kaltes Wasser zum Frühstück, und dann ungewaschen aufbrechen. Das war der schlimmste Morgen der Tour, aber weil die Zeit drängte, ging es nicht anders. Und das alles vor der Rekordetappe, ich durfte gar nicht darüber nachdenken.

Wir probieren den Pilgerweg aus

Es war längst hell. Am Ortsausgang ging es über einen Zebrastreifen auf die rechte Straßenseite und dann am Postamt rechts hoch zur Bar Real, wie schon geschrieben. Vor der Bar führte der Pilgerweg links hinunter, und bald war man wieder auf der Landstraße nach Corredoiras. Dieser Anfangsschwenk ist im Handbuch nicht beschrieben. Obwohl wir nicht so viel Zeit hatten, lief ich trotzig diesmal den ausgeschilderten Pilgerweg, nicht einfach die Landstraße, wie ich das die beiden vorigen Male gemacht hatte, weil wir da um die Betten in Arzúa fürchteten.

In der ersten Hälfte ist der Pilgerweg sogar noch kürzer, weil er schnurgerade durch Vilarchao verläuft, während die AC-934 einen weiten Linksbogen macht. Man erreicht sie nach einigen Kilometern, verlässt sie aber nach kurzer Zeit wieder rechts und tingelt dann durch Dörfchen, am Ende durch Eukalyptuswald, bis man durch eine Querspange nach links wieder auf die AC-934 stößt. Da ist man sicher einige 100 Meter mehr gelaufen als auf der Landstraße. Nun hieß es für uns: Volldampf nach Corredoiras, wo die Bar wartet.

Endlich was im Magen

Dieses Teilstück fiel mir schwer, mit leerem Magen und etwas niedergedrückt. In der Bar gab's dann endlich Kaffee. Ca. ein halbes Dutzend anderer Pilger verpflegten sich hier auch. Hans ließ sich einen Marmeladenbrot machen. Ich versuchte, draußen eins von meinen trockenen Küchlein reinzuwürgen, aber das war eine Quälerei. Also ließ ich es.

Wir zogen weiter und gingen halbrechts nach Vilanova, einem Teil der Gesamtgemeinde Boimorto. Ab jetzt kannte ich die Strecke nicht. Gleich zu Anfang kam ein kleiner Park, und da wurde doch noch den trockenen Küchlein zu Leibe gerückt. Den Rest wollte ich wegschmeißen, aber Hans verbot es mir. Ja, Essen wirft man nicht weg, das war uns beiden in der Nachkriegszeit eingeschärft worden.

Abzweig der AC-603 in Vilanova

Spannend wurde es am Ende der langen Durchgangsstraße, denn hier verzweigte sich die Route mehrmals, wie ich mir gemerkt hatte. Wir mussten zur AC-603. Ich hoffte auf ein Kilometerschild mit Straßenkennzeichnung, wie spanische Landstraßen das neuerdings oft haben, und tatsächlich: schon am Ortsausgang stand so ein Schild mit den Angaben "AC-603" und "0 km". Der Pilgerweg ging hier rechts ab, bog 100 m weiter nach links, während wir geradeaus gingen und damit auf der AC-603 blieben. Ich war sehr erleichtert. Und außerdem hatten wir schon 12 km geschafft. Etwas weiter stand auf der Rückseite einer großen Reklametafel links an der Straße eine eingekratzte Muschel und "Arca", d.i. Pedrouzo, das auch La Arca und O Pino genannt wird. Sonst gab es keinerlei Pfeile, die diese Variante kennzeichneten.

Im Eiltempo auf der Landstraße

Der weitere Verlauf, für den ich mir auch teilweise Karten ausgedruckt hatte, war allerdings sehr leicht zu finden. Zunächst 10 Kilometer auf der AC-603 immer geradeaus. Viele Eukalyptuswälder, nach links oft schöne Fernsicht, man war relativ hoch. Zwischen Kilometer 4 und 5 ein kleines Restaurant an der Straße, aber geschlossen. 11h45 erreichten wir unser nächstes Etappenziel, eine Kapelle bei Kilometer 7. Wir hatten jetzt immerhin schon 19 Kilometer hinter uns, schon mehr als die Hälfte der heutigen Etappe. Ein schöner Brunnen lieferte erfrischendes Wasser (ich trinke aber nie etwas, wasche mir nur Gesicht und Hände). Ringsum Wald. Die Luft war angenehm warm. Vor dem Weiterlaufen beteten wir den täglichen "Engel des Herrn".

Rastplatz in Oins

12h30 haben wir schon das nächste Etappenziel erreicht, eine T-Kreuzung mit der AC-604, der wir nach links folgen (gelber Pfeil). Da kommt eine Bushaltestelle, wo man gut sitzen kann. Hier machen wir bis 13h05 Mittag. 300 Meter weiter weisen mehrere gelbe Pfeile auf dem Asphalt nach rechts, wo wir auf unseren letzten schnurgeraden Streckenteil abbiegen. Hier gab es keine Kilometersteine mehr, aber nach der Zeit, die wir brauchten, um den Camino Francés zu erreichen, nämlich 2 Stunden, müssen es etwa 8 Kilometer gewesen sein. Auf der Hälfte gibt es im Dorf Oins wieder einen schönen Rastplatz mit Wasser (14h00). Danach muss man noch einmal eine leichte Höhe überwinden, aber dann senkt sich das Sträßchen hinunter zum Camino Francés.

Bei einigen Häusern weist ein gelber Pfeil nach halbrechts, wo man laut meiner Karte zwei Dörfchen durchquert und dann in Brea auf den Pilgerweg stößt. Ich wollte uns aber das Zickzack durch die Häusergruppen und eine evtl.e Hundebegegnung ersparen. Ansonsten waren wir heute ohne Hundebelästigungen geblieben. - Wir blieben also auf unserem Sträßchen geradeaus.

Unser geliebter Camino Francés!

14h50 kommen wir bei Xen auf die Nationalstraße. Jubel! Den Rest (6,6 km) machen wir doch mit links! Weil jetzt noch so viel Zeit war, kehrten wir in eine Bar ein, die linker Hand lag. Der Pilgerweg verläuft hier jenseits der Nationalstraße, so dass hier wohl nicht viele Pilger einkehren. Sehr niedrige Preise, z.B. copa zu 0,90 Euro.

Zwei hilflose Gestalten

Danach überquerten wir die Straße in Hochstimmung und harrten der wankenden Gestalten, die auf dem Camino Francés daherzogen. Aber wir sahen nicht viele Pilger, denn die meisten hatten das heutige Wettrennen schon hinter sich. Ein junges Paar kam uns entgegen, Spanier. Ich tippte auf Rückwärtsläufer, die von Santiago aus nach Hause gingen, und brachte meinen üblichen Witz an: "Ist Santiago ausgebucht?" Sie wussten nicht, was ich meinte. Ob es noch weit bis Santa Irene sei? Ich riss die Augen auf. Nein, nicht weit, aber in der Richtung, aus der sie kamen. Sie waren ganz perplex zu hören, dass sie schon 2 Kilometer an Santa Irene vorbei waren. Ich erklärte ihnen den Weg. Sie waren auf der Nationalstraße geblieben, hatten sich mit anderen verquatscht und waren so an ihrem Zielort vorbeigelaufen, waren umgekehrt und hatten Santa Irene wieder nicht gefunden. Ja, waren die denn blind? Wir nahmen sie also in den Schlepp, aber hinter der Höhe von Empalme waren sie ein Stück vor uns, und wir sahen sie gerade noch in die Unterführung nach links zu der privaten Herberge abbiegen. Hoffentlich wollten sie da hin, und nicht zur Gemeindeherberge etwas weiter rechts. Der Hinweis auf die private Herberge ist aber auch (wohl absichtlich) irreführend.

In der Gemeindeherberge holte sich Hans einen Stempel. Ich fragte die Herbergsmutter nach der Pension Maribel. "Liegt genau am Pilgerweg" war die Antwort, die trotzdem ein Missverständnis auslöste. - Die restlichen Kilometer bis Pedrouzo wurden dann doch noch lang. Hans' Sohlen brannten wieder, und wir schleppten uns dahin.

Am Ziel, aber wo ist die Pension?

Endlich an der Kreuzung von Pedrouzo. Der Pilgerweg geht hier geradeaus, wenn man nicht im Ort übernachtet. Ich dachte an die Auskunft der Herbergsmutter und zog also über die Straße hinaus weiter. Nach wenigen hundert Metern holten uns ein paar Pilger ein, unsere Polen wieder mal. Sie waren uns nachgelaufen. Ob es hier zur Herberge von Pedrouzo gehe? Ich erklärte ihnen, dass sie zurück und rechts in den Ort müssten. Sie kamen von Melide, hatten gut 30 km hinter sich und waren ziemlich fertig. Dagegen waren wir fast frisch.

Nun meuterte Hans: "Wo ist denn die Pension?" Immerhin standen wir mitten im Eukalyptuswald, und von Pedrouzo und der Pension war nichts zu sehen. Mir war auch mulmig. "Es kommt noch ein Ortsteil an den Sportanlagen", sagte ich, "Wenn es da nicht ist, gehen wir zurück." Als wir hinter den Sportanlagen eine Straße erreichten, rief ich eine Frau, die gerade in ihrem Haus verschwinden wollte, und fragte sie nach der Pension. 150 m diese Straße in Richtung Pedrouzo. Da hatten wir ja nochmal Glück gehabt. Die Herbergsmutter hatte mit "Pilgerweg" den Weg durch den Ort und hier hoch gemeint. Das kann man ja nicht wissen. Egal, es war noch einmal gut gegangen, und 17h15 waren wir in der Pension. Eine junge Frau empfing uns: "Die beiden Deutschen, die reserviert haben?" "Ja," sagte ich, "die Deutschen: trinken viel Bier, sind aber pünktlich." Sie lachte los.

Pension Maribel

Wir bekamen ein Zimmer neben dem Gästeaufenthaltsraum. Das Bad stand im Prinzip allen Gästen zur Verfügung, aber da gab es keinen Andrang. Die Gäste im 1. Stock hatten alle ihr eigenes Badezimmer. Nach hinten raus Terrasse mit einer Plastikwanne, einem Kran und einer Wäschespinne. Hier gab es also keine Probleme, seine Wäsche sauber zu bekommen. Nachdem Hans sich geduscht hatte und seine Wäsche im Wind flatterte, legte er sich ins Bett und stand vor dem anderen Morgen nicht mehr auf. So müde war er.

Allein in die Stadt

Mich hielt es jedoch nicht in der Pension. Ich musste nur noch meine Füße versorgen. Mit Blasen hatte ich diesmal keine Last gehabt, aber ich hatte auch nach dem ersten Anzeichen von Brennen der Fußsohlen beide Ballen mit elastischer Klebebinde geschützt und danach auch einmal erneuert. Heute hatte mein Problemzeh gelitten: eine dicke Blase an der Vorderseite. Nun, ich stach sie auf und klebte den Zeh wie üblich mit Heftpflaster zu: einen ersten Streifen von hinten über den Zehenkopf nach vorn, einen zweiten um den Zeh herum, so dass aber oben an den Ecken Luft blieb. Das hielt dann ohne Schwierigkeiten bis zu Hause.

Anruf bei Doña Josefina

Ohne jegliche Beschwerden lief ich dann in die Stadt. Zunächst musste ich mit Doña Josefina in Santiago telefonieren, dass sie mir ein Einzelzimmer für zwei Tage reservierte. Ich hatte sie schon brieflich vorgewarnt. Jetzt wollte ich ihr nochmal bestätigen, dass alles so gelaufen war, wie geplant. "Bar La Campana?" - "Si" - "Doña Josefina?" - "Si" - "Soy el alemán de barba." ("Der Deutsche mit dem Bart", so nennt sie mich, weil ich 2005 mit einem riesigen Rauschebart bei ihr aufkreuzte.) Sie freute sich und notierte gleich meine Bestellung. Das war schon mal gelaufen. Hans wollte unbedingt ins seminario menor, obwohl ich ihn warnte, dass es dort teurer sei als 5 Euro wie früher. Naja, musste er ja wissen.

Dann suchte ich ein Lokal zum Abendessen. Überall hingen Pilger rum. Gegen 20h00 kam ich zum Che4, Hauptstraße, also Avenida de Santiago. Hier regierten vier flotte Mädchen. Menü 8 Euro stand draußen, und auf jedem Tisch hatte man endlich einen alten Vorschlag von mir verwirklicht: sämtliche Alternativen zu den zwei Gängen aufzulisten.

Flirt mit der Kellnerin

Wann es denn Abendessen gäbe, sprach ich die vorübereilende Kellnerin an. Sofort blieb sie stehen: Wann ich wolle. Ich wollte jetzt und drinnen; sie bugsierte mich eilfertig rein. Ruckzuck, wurde ich bedient, wobei die junge Frau einem noch den Eindruck vermittelte, ein ganz besonders willkommener Gast zu sein. "Gutt?" fragte sie nach dem 1. Gang. Woher sie denn wisse, dass ich Deutscher sei? fragte ich auf Spanisch zurück. "Och," lachte sie, "so schöne weiße Haare (sie strich mir drüber) und so ein schöner weißer Bart (sie zupfte an ihm), das ist ein Deutscher." Das konnte eigentlich nicht stimmen. Ich habe auch andere gesehen, die aussehen wie ich, und nicht Deutsche waren. Die junge Kellnerin ging mir einfach sehr nett um den Bart ;-) Beim weiteren Verlauf des Abendessens ließ sie keine Gelegenheit aus, mich freundschaftlich zu berühren, und einmal sagte sie "Mi guapo" (mein Hübscher). Nun, auch das war nicht neu, denn das hatte eine Wirtin auch schon mal zu Hans und mir gesagt, man darf sich nichts darauf einbilden. Am Ende überzeugte mich meine neue Freundin, dass ich doch nicht auf den Kaffee verzichten sollte, der auch noch inbegriffen war, und als ich mich mit einem guten Trinkgeld verabschiedete, warf sie Handküsse hinter mir her. Sowas habe ich wirklich noch nie erlebt. Beschwingt machte ich mich auf den Heimweg.

Ein nettes Pilgerpaar

Ich traf dann in einer Bar am Wege noch ein deutsches Pilgerehepaar, das auch in unserer Pension wohnte. Er war vom Rhein aus zu Fuß bis hierhin gelaufen, seit 3 Monaten unterwegs. Seine Frau war Teile mitgelaufen und hatte ihn ab und zu mit neuen Sachen versorgt. Die beiden waren sehr nett, und wir plauschten noch lange, bis dem Wirt die Augen zufielen.

Leise schlich ich mich gegen Mitternacht in unser Zimmer, Hans schlief den Schlaf des Gerechten.


1. Juli 2009, Mittwoch: Von Pedrouzo nach Santiago de Compostela (20,8 km) (373,2 km)

8h00 machten wir uns langsam auf den Weg. Unterwegs trafen wir mehrmals das Pilgerehepaar von gestern wieder. Was musste das ein Gefühl für ihn sein, nach 4 Monaten anzukommen? 11h45 erreichten wir den Monte do Gozo. Die Pilgerherberge oben war noch geschlossen. Hans lief zu dem Pilgerdenkmal hinüber, ich wartete auf ihn unterhalb der Treppen. Unterwegs schaute ich vergeblich nach einem Hinweis auf die Pilgerunterkunft in San Lázaro aus, merkwürdig. In Santiago gingen wir als erstes in die Kathedrale, um für unser glückliches Eintreffen zu danken und dem Heiligen einige Grüße auszurichten, z.B. von Pater Máximo. Im Pilgerbüro war um diese Zeit (ca. 13h00) nichts los. Ich bekam meinen Stempel, und Hans seine compostela. (Seitdem ich 5 davon habe, verzichte ich immer, aber er wollte auch im Hotel Reyos Católicos essen gehen. Ich dachte eher an die casa Manolo.)

13h30 in der Bar "La Campana". Doña Josefina zieht ihre übliche Schau ab und hat für mich ein ganz tolles Zimmer. Ich muss schmunzeln; sie hat vergessen, dass ich das ganz tolle Zimmer schon mehrfach bewohnt habe. Ich bekomme einen Sonderpreis, und wer sich auf "el alemán de barba" beruft, dem kommt sie auch oft entgegen. Denn anscheinend - so kam es mir vor - hat sie ganz schön zu kratzen, ihre Zimmer loszuwerden, die nun wirklich eng und mit uraltem Mobilar ausgestattet sind, aber alles immer noch sauber. Hier die aktuellen Preise:
Einzelzimmer mit Waschbecken 25 Euro; Einzelzimmer Marke "Schlafhöhle" (ohne Waschbecken, selbst ohne Fenster) 15 Euro; Doppelzimmer (ohne Waschbecken) 30 Euro; Doppelzimmer mit Dusche (aber ohne Toilette) 35 Euro. Naja.

Seminario menor sehr verändert

Dann begleitete ich Hans zum Seminario menor. Unterwegs trafen wir die Polen, die eine billige Absteige suchten. Nein, dass man im seminario menor inzwischen 10 Euro zahlte (was meine Vermutung war), glaubten sie nicht. Ein weiterer Pilger, der bei ihnen saß, behauptete 8 Euro. Ich ließ mich überraschen. - Hans ging, am Ziel angekommen, gleich zum Empfangsschalter: 12 Euro! Da war ich ja noch zu optimistisch gewesen. Ich ging mit, um die neuen Zustände hier als Augenzeuge zu berichten. Also, man hat sehr viel gemacht, das muss man zugeben. Jeder zweite frühere Schlafsaal ist jetzt ein Aufenthaltsraum mit Tischen und Bänken. Alle Toiletten und Waschräume sind renoviert und tadellos. Zu jedem Bett gehört ein abschließbarer Schrank. Trotzdem hätte ich die "Schlafhöhle" bei Doña Josefina für 3 Euro mehr vorgezogen. Hier lagen schließlich immer noch 60 Leute in einem Saal. Aber Hans richtete sich gemütlich ein. Wir trennten uns dann und verabredeten uns zum anderen Tag in der Pilgermesse.

Wieder Schlemmen im Casa Manolo

Abends traf ich das deutsche Pilgerehepaar und schleppte sie mit zur Casa Manolo. Sie waren begeistert, ich auch wieder. Natürlich aß ich mein Leibgericht: Sopa de marisco (unvergleichlich gut), Seezunge bis zum Abwinken. Leider gab es chipirones en arroz (Tintenfischbabys in Reis) nicht mehr, was sonst mein liebster 1. Gang war. Ich habe den Menüpreis nicht notiert, ich glaube 8 Euro. Im Manolo war wenig los. Inzwischen gibt es in der Stadt Konkurrenzangebote etwa zum selben Preis, aber nicht mit der gleichen Auswahl und Menge.

Auch in Santiago war mal wieder eine Fiesta. Überall wurden Buden aufgestellt. Nachts grölten zwei betrunkene Mädchen (!) so lange vor meinem Fenster, bis die Stadtwache kam. Das war so gegen 3 Uhr.


2. Juli 2009, Donnerstag, Ruhetag in Santiago de Compostela

Hans und ich gingen schon fast um 11h00 in die Kathedrale, um gute Plätze bei der Pilgermesse zu haben. Aber es wurde gar nicht so brechend voll. Eine neue "Regel" fiel mir auf: Alle Pilger trugen nach der Ankunft ihre Muschel nicht mehr. Es ist faszinierend zu sehen, wie ein neuer Brauch rasend um sich greift. Auch ich fühlte mich binnen kurzem mit meiner umgehängten Muschel zu auffällig und nahm sie ab. In all den Jahren vorher wurde sie während des ganzen Aufenthalts in Santiago stolz getragen.

Bekanntschaften

Hans wollte wieder nicht mit zur Casa Manolo. Ging ich eben allein. Tintenfisch im eigenen Saft mit Kartoffeln, himmlisch. Mailänder Schnitzel zur Abwechslung. - Ein Mann kam an meinen Tisch, sprach mich auf Englisch an, fragte, ob er und seine Begleiterin mit an meinen Tisch kommen dürften. Natürlich, ich war um Gesellschaft froh. Eigentlich war es eine Verwechslung. John aus London, der seit 5 Jahren mit seinem Wohnwagen umherzog, glaubte, mich in Sahagún gesehen zu haben. Er hatte Karin vom Bodensee im Schlepp, sehr sympathisch, war von zu Hause nach hier gelaufen, braungebrannt und drahtig. Erstaunlich, wie viele Pilger ich schon getroffen hatte, die zu Hause aufgebrochen waren.

Karin suchte eine Bleibe und ging mit mir, die "Wohnhöhle" bei Doña Josefina zu besichtigen. Das Zimmer war aber schon vermietet. Sie schaute sich noch die anderen an, wollte aber erst noch einmal zum Fremdenverkehrsbüro. - Nachmittags überraschte Doña Josefina mich mit einem Freibier. Die Chica sei wiedergekommen und habe doch noch ein Zimmer bei ihr gebucht, zum "Alemán-de-barba-Sonderpreis". Na bitte.

Pilgerbetreuung durch die Diözese Rottenburg

18h00 ging ich zum Treffen der deutschen Pilger, die von einer Freiwilligengruppe aus der Diözese Rottenburg betreut werden. Der Bischof von Santiago stellt dafür einen Raum zur Verfügung. (Meiner Erinnerung nach in der Rúa do Preguntoiro, die von der Plaza de Cervantes ausgeht. Linker Hand.) Leider kam außer mir nur noch 1 Frau. Das Treffen war zu Beginn der Pilgermesse bekannt gemacht worden, und wir hatten die Betreuer auch vor der Kathedrale am Morgen schon kennen gelernt. Wer sich austauschen möchte, vielleicht auch Probleme besprechen, sich was von der Seele reden, usw., der sollte diese liebenswerte Initiative in Anspruch nehmen. Wir saßen etwas zusammen und plauderten, sangen dann zwei Lieder, und der Priester unter den Betreuern gab uns am Ende seinen Segen mit. Danke, ihr lieben Menschen!


Auf einer Erinnerungskarte, die man mir schenkte, steht:
"Wir würden uns freuen, wieder von Dir zu hören - schreib uns mal - wir antworten!"
Pastoralprojekt Santiago 2009, Diözese Rottenburg-Stuttgart,
Hauptabteilung IV - Pastorale Konzeption
D-72108 Rottenburg/N., Weggentalstr. 12
07472-169-543, Fax -169-570
www.drs.de

Gegen 22h00 stieß ich in der Stadt noch auf Karin, und wir schwatzten bei ein-zwei Bier noch eine Weile miteinander, bis es Mitternacht war. Ein netter Abschluss dieses Tages.


Rückflug

3. Juli 2009, Freitag, Abschied von Santiago und Rückflug

Da der Rückflug erst am Nachmittag war, konnte ich noch in Ruhe von Santiago Abschied nehmen. Auch Karin traf ich noch einmal an der Kathedrale. Ich verwarf die Idee, mittags noch in der Casa Manolo zu essen, weil es dann etwas riskant wurde, den vorletzten Bus zum Flughafen zu bekommen. Lieber in aller Ruhe frühzeitig los. Abschied von Doña Josefina. Am Busbahnhof nichts von Hans zu sehen. Na, der war erwachsen und fand sicher allein zum Flughafen. So war es auch.

Wieder Raimund Joos getroffen

In der Busbahnhofshalle ruft mich jemand beim Namen. Es ist Raimund Joos, so ein Zufall! Er kommt gerade von einer weiteren Erkundungstour zurück. Ich erkenne ihn nicht, denn ich dachte immer, dass es sein Konterfei sei, das oben auf der Eingangsseite des Via-de-la-Plata-Forums steht. Da hat er mich inzwischen aufgeklärt, dass ich mich da getäuscht habe. Ein wenig peinlich. So haben wir uns jedenfalls nach 2005 ein zweites Mal in Spanien zufällig getroffen.

Auf dem Rückflug hängen wir mehrere Stunden in Palma de Mallorca fest, da die Anschlussmaschine der Air Berlin ca. 1 Stunde Verspätung hat. Ätzend! Ein schlechter letzter Eindruck von der diesjährigen Pilgertour, die mir doch sehr von negativen Eindrücken überschattet schien. Aber die vielen Momente, wo wir doch auch zufrieden und glücklich waren, darf man eben auch nicht vergessen, vor allem nicht die netten Menschen, denen man begegnet ist.


Letzte Änderungen: 15.05.2022