Vom Mittelmeer zum Atlantik: Im Jahre 2005 von Gibraltar nach Sevilla und weiter die Vía de la Plata bzw. den Mozarabischen Weg über Ourense nach Santiago sowie zum Kap Finisterre


Herkunftspfad: Übersichtsseite meiner Pilgerberichte >> Von Gibraltar nach Santiago (Einleitung)
Autor: Rudolf Fischer
Meine Netzadresse: Rudolf.Fischer@Esperanto.de

"Das Pilgern könnte so schön sein, ... wenn die ewige Lauferei nicht wäre!" (Hans)


Zweite, im Frühjahr 2006 gründlich überarbeitete Version meines Berichtes.

Hinweis: Über die Strecke von Zamora bis Santiago siehe meinen Bericht von 2007, noch später den Bericht von 2015 über den Camino Sanabrés ab Tábara.

Einleitung und Resümee

Lange war ich von den Strapazen der Via de la Plata zurückgeschreckt, aber als ich für das Frühjahr 2005 die einmalige Chance bekam, zwei Monate Urlaub zu bekommen, konnte ich nicht widerstehen: Mit meinem Freund Hans Swoboda, der im selben Ort wohnt wie ich und der schon mit mir auf der Pilgerfahrt von 1998 dabei war, konnte ich es wagen. Seine Idee, schon am Mittelmeer, nämlich in Gibraltar, zu beginnen, nahm ich freudig auf, und zum Schluss ergab es sich, dass wir sogar wieder bis zum Meer, nämlich zum Atlantik am Kap Finisterre, insgesamt ca. 1.360 km gelaufen sind. Durch Anklicken vergrößern Hans (rechts) und der Verfasser vor dem Abflug
(Bild: Hedwig)

Wir haben alles gut überstanden, und ich spürte uns unterwegs deutlich durch Gottes Hand geführt. Es kam zu einigen "Zufällen", die man nur als Fügung bezeichnen kann, aber da es sich um recht private Dinge handelt, will ich darauf in diesem Bericht nicht näher eingehen. Meine gute Beziehung zu Gott ist jedenfalls vertieft worden.


Als Handbuch diente uns von Sevilla bis Santiago: Michael Kasper: Jakobsweg: Via de la Plata. Outdoor-Handbuch, Band 116. 1. Auflage, 2004.

Dieser Bericht berücksichtigt jetzt aber auch die neue Auflage von 2005, die von Raimund Joos überarbeitet wurde. Wir haben den Mitautor unterwegs getroffen. Wenn im folgenden Bericht von einem "Handbuch" die Rede ist, so ist damit jetzt diese Auflage von 2005 gemeint:

Michael Kasper (+)/ Raimund Joos: Jakobsweg: Via de la Plata.
Outdoor-Handbuch, Band 116. 2. Auflage, 2005.
ISBN 3-89392-516-3

Die neue Auflage des Handbuchs macht längst nicht alle zusätzlichen Hinweise, die ich hier gebe, überflüssig. Zudem bemühe ich mich, diesen Bericht durch die aktuellen Hinweise von Pilgerfreunden immer auf dem neusten und damit einem verwendbaren Stand zu halten.


Nachruf: Auf der Via kam das Pilgergerücht auf, dass der verdienstvolle Autor Michael Kasper einer schweren Krankheit erlegen ist. Schließlich brachte ein Pilger die Bestätigung, was große Betroffenheit bei den deutschen Pilgern auslöste. Dem Autor, dem auch ich durch seine Handbücher sehr vieles verdanke, sei deshalb ehrend an dieser Stelle gedacht.


Diesen kleinen Jakobspilger links hat mir mein Schwiegersohn Marek geschenkt. Vielleicht, weil er mir nicht ganz unähnlich sieht, siehe das Vergleichsbild rechts. <|:-)#

Die kleine Pilgerfigur weist im folgenden Bericht auf besondere Tipps und wichtige Mitteilungen hin, besonders im Kontrast zum Handbuch (s.o.).


Bildnachweis:
Ich bedanke mich bei den zahlreichen Personen, die mir Bilder zugesandt haben.
Alle Bilder, bei denen kein Absender angegeben ist, stammen von Hans.


Allgemeines

Streckenübersicht: Insgesamt also 56 Marschtage mit 1.363 km, also durchschnittlich 24,3 km/Tag. Die Rekordetappe hatte eine Länge von 39,1 km.

Die eigentlichen Berichte über die vier Teilstrecken findet man, wenn man unten im Abschnitt "Ablauf der Pilgerfahrt" auf die entsprechenden Überschriften klickt.

Pilgerzahlen: Bis Sevilla waren wir allein. Verschiedentlich sagten die Spanier uns, dass sie Pilger kannten, weil sie selbst schon gepilgert waren, aber noch nie hatte man welche im eigenen Ort durchziehen sehen. Wir waren sozusagen Pioniere. Ab Sevilla kam dann der Ansturm. Während Hans 2002 bis Santiago insgesamt ein Dutzend Pilger auf der Via getroffen hatte, brachen mit uns gleich über 20 auf. Bis Salamanca gab es vielfach ein Wettrennen um die Betten, was mir sehr auf die Nerven ging. Die Pilgerzahlen sind also auch auf der Via de la Plata seit 2004 sehr in die Höhe geschnellt, wie von vielen Seiten bestätigt wurde. Dem ist die Infrastruktur nicht gewachsen, und einige Herbergen waren schon recht mitgenommen. Typisches Anzeichen: Häufig gab es in den Duschen kein warmes Wasser (mehr). Ab Salamanca wurde es besser, weil ein großer Teil der Pilger aus verschiedenen Gründen wegfiel (Zeitmangel, Blasen, Gelenk- oder Rückenschmerzen, Krankheit). In Richtung Finisterre waren ab Santiago natürlich wieder Massen unterwegs, ca. 30-40 Pilger täglich.

Wir liefen von Mitte April bis Anfang Juni. Zu dieser Zeit waren sehr viel Deutsche unterwegs, kaum Spanier. Auch fast nur Ältere ab 50 Jahren, überwiegend Männer. Die Schnarchquote stieg deshalb in den Schlafsälen auf ca. 75%. Die Zahl der Radfahrer hielt sich in Grenzen; sie störten nicht so wie auf dem Hauptweg.

Unterbringung: Zwischen Gibraltar und Sevilla natürlich Hostales, teils sehr einfach, aber aus der Sicht eines Pilgers im Vergleich zu Refugios immer noch sehr gut, teils mit, teils ohne eigenes Bad. Ich dachte immer, in Spanien seien wenigstens Waschbecken auf den Zimmern vorgeschrieben, aber das stimmt nicht. - Ab Sevilla sehr unterschiedliche Unterbringung, in sehr einfachen bis (in Galicien) geradezu luxuriösen Refugios, in städtischen und touristischen Herbergen (in der Regel gut bis sehr gut) und ab und zu in einfachen Hostales. Nun haben wir immer viel Glück gehabt und sind auch den laut Handbuch schlechtesten Unterkünften planerisch ausgewichen. Insgesamt hat sich auf der Via sehr viel verbessert, wenn man in älteren Berichten liest, in welchen Drecklöchern die Pilger früher untergebracht wurden.

Ich habe drei Umstände ausgemacht, die für das Wohlbefinden in einer Unterkunft auf den Pilgerwegen entscheidend sind: 1. Zeit: Jede Hast, jede Hektik macht einen fertig. Es ist herrlich, ganz gemütlich auspacken zu können, ohne nachmittags und morgens an einem Wettbewerb "Wer ist der nächste in der Dusche / auf der Toilette?" teilnehmen zu müssen. 2. Platz: Um sein Bett herum braucht man Platz, wo man seinen Rucksack und seine Siebensachen abstellen und auch mal rumkramen kann, ohne dauernd mit "Entschuldigung" über Beine steigen und sich an Leuten vorbeiquetschen zu müssen. 3. Ruhe: Keinen Verkehrs- oder Radiolärm tagsüber, keine lauten Fress- und Sauforgien nebenan oder vor dem Fenster auf der Straße, nachts keine Leute, die zu spät ins Bett gehen oder zu früh wieder rumknistern oder pausenlos auf die Toilette gehen ... Bei großen Schlafsälen ist das gar nicht zu vermeiden. Die meist kleineren Zimmer auf der Via waren deshalb eine Wohltat.

Mit dem Wetter hatten wir unglaubliches Glück: Fast ausschließlich Sonnentage, wobei die schlimmste Hitze durch Wolken, Dunst oder frischen Wind abgemildert wurde. Eigentlich nur 2 Regentage und auch die nicht durchgehend. Von der Regenperiode davor führten viele Bäche noch einiges an Wasser, doch war die Überquerung selten schwierig. Eher strapazierten matschige Wege die Nerven; manchmal waren sie total überflutet, aber auch vom taufrischen Gras gab es morgens zuweilen nasse Füße.

Finanzen: Ich hatte entsprechend früherer Erfahrungen für die 9 Wochen 1.600 EUR kalkuliert, was recht präzise ausreichte, einschließlich der An- und Rückfahrt mit dem Bus, ausschließlich der Flüge. Die Preise waren in Spanien nach meinem Gefühl weiter gestiegen. Das Essen war in etwa gleich teuer, aber die Qualität der Menüs hatte nachgelassen. In Ausnahmefällen wurde in Bares auch Beutelschneiderei (d.h. überhöhte Preise nur für Fremde) betrieben; das ist im Bericht eigens dann vermerkt.

Wege und Wegekennzeichnungen: Die Wegekennzeichnungen waren (ab Sevilla) durchgehend gut bis sehr gut. Hin und wieder gab es irritierende Pfeile; diese sind warnend beschrieben. Die Wege waren i.Allg. gut zu laufen, teils sehr alte und wunderschöne Strecken. Leider auch viele Fernstraßenkilometer, und hin und wieder sehr matschige Fußwege, aber keine zugewachsenen wie auf den Nordrouten.

Laufen nach der Uhr: Zum ersten Mal lief ich in diesem Jahr strikt nach der Uhr, d.h. ich schätzte angegebene Entfernungen aus dem Handbuch nicht "nach Gefühl", sondern nach der Zeit ab. Da wir im Durchschnitt doch immer dieselbe Geschwindigkeit einhielten, kam ich mit 5 Minuten für 400 Meter i.Allg. sehr gut hin. (Bei extrem schlechter Strecke gab's einen Zeitzuschlag.) Wenn also im Handbuch stand "Nach 2,2 km rechts abbiegen", dann rechnete ich aus, dass das nach etwa 28 Minuten fällig war. Bis dahin brauchte man gar nicht ungeduldig Ausschau halten, wie ich das früher immer gemacht hatte: die Uhr sagte einem zuverlässig, dass es noch gar nicht so weit sein konnte. Meist auf die Minute genau kam der Abzweig, und dann gab's auch kein Rätseln: "Ist dieser jetzt gemeint oder noch nicht?" Einige Male sind wir dadurch vor einem ungeduldigen Zu-Früh-Abbiegen bewahrt worden. Eine Methode, die sich also sehr bewährt hat und die ich nur empfehlen kann.

Das Hundeproblem war nicht zu vernachlässigen. Zu den üblichen Dorfkläffern kamen die Hirtenhunde, die schon eine Bedrohung darstellten. Hätte Hans nicht immer die Ruhe bewahrt, wäre mir oft die Angst im Nacken gewesen. Manches Mal hatte ich die Pfefferspritze schussbereit, sie kam aber kein einziges Mal zum Einsatz. Ein Tierfreund hatte mir zu einer Trillerpfeife geraten. Das war völlig wirkungslos. Ein anderer Pilger hatte eine Ultraschallpistole, die wesentlich wirksamer sein sollte.

Auf die Schilderung meiner "Hundeerlebnisse" hin habe ich einiges an Kritik zu hören bekommen. "Aversion gegen Hunde" warf man mir vor, oder "Schauergeschichten zu verbreiten". Das kommt von denjenigen Pilgern, die durch jegliche Kritik an Zuständen auf den Jakobswegen ihre Sicht durch die rosarote Brille gefährdet sehen. Ich bemühe mich hingegen, einfach Fakten zu sammeln. Dazu gehört auch, dass Pilger immer wieder von Hunden bedroht werden und dass es nicht ausreicht, sie "einfach lieb anzuschauen". (Mancher vergisst auch, dass ich ja nicht vom Camino Francés spreche, auf dem die Hunde inzwischen an Pilger gewöhnt sind.) Inzwischen gibt es den einen oder anderen Bericht, dass jemand wirklich gebissen wurde. Raimund Joos wurde (auf dem Fahrrad) "kräftig in die Wade gekniffen" und warnt deshalb wie ich vor dem Untier hinter Almadén de la Plata, das meistens frei herumzulaufen scheint. Ich lasse mich ebenfalls von solchen Warnungen nicht abbringen.

Völlig harmlos waren die schwarzen Schweine und ebenso die schwarzen Kühe, ja selbst einige Stiere, denen wir auf offener Weide begegneten; sie gingen uns aus dem Weg und waren ganz friedlich bzw. nur an einigen Kühen interessiert.

Eine Spanierin erzählte meiner Frau zu Hause von einem lächerlichen Vorwurf gegen Pilger: Bauern hätten sich beschwert, dass Pilger ihre Hunde mitlockten. Nun, man hört öfter, dass Hunde sich Pilgern über viele Kilometer anschließen, und uns ist das auch passiert. Der Grund ist wohl einfach, dass Hunde sich als Lauftiere eben gern einem vorüberziehenden "Rudel" anschließen, zumal, wenn sie von den Pilgern gut behandelt werden. Ein Streicheln gilt sozusagen als Aufnahme ins Rudel. Damit solle man also zurückhaltend sein.

Ausrüstung: Unsere Ausrüstung (siehe meine Packliste) war nahezu optimal. Natürlich nimmt man einiges mit, von dem man hofft, dass man es nie braucht, z.B. Medikamente oder auch die Isomatte. Erfüllen sich diese Erwartungen, sollte man aber nicht von "überflüssig" reden. Man bedenke die umgekehrte Situation. Die Isomatte braucht man höchstens in Notunterkünften; ich würde keine mitnehmen, die schwerer als 500 g ist oder zur Überschreitung des sich gesetzten Höchstgewichtes führt. Die meisten Gegenstände, die wir mitschleppten, hatten eine Doppel- oder Mehrfachfunktion. Besonders häufig waren im Einsatz: der Einkaufsbeutel, die Taschenlampe und die Wäscheleine und -klammern. Trotz oft bitterer Kälte reichte ein Pullover, verstärkt durch den Hut und das Halstuch; zur Not hätte ich noch den Regenumhang übergezogen, aber das war als Kälteschutz nicht ein einziges Mal notwendig (gegen Regen natürlich schon).

Mein Rucksack hat unter einem großen Mittelteil ganz unten noch ein separates Fach mit einem Reißverschluss. Da hinein stecke ich Dinge, an die ich relativ schnell herankommen will. Ich machte dabei aber wieder den Fehler wie schon 2003, auch eine Tube mit Sportlersalbe dort unterzubringen. Dieses Fach wird aber durch das Gewicht des übrigen Rucksacks, besonders beim Absetzen, stark gequetscht. Der Erfolg war, dass die Tube geknickt und beschädigt wurde und der ganze übrige Inhalt derselben Plastiktüte (Verbandszeug, Tabletten, usw.) mit Salbe verschmiert wurde. Also: keine Tuben oder sonst Zerbrechliches in dieses Fach!

Die Diskussion über die richtigen Schuhe hält in Pilgerkreisen unvermindert an. Während Hans in dicken Bergschuhen lief, zog ich leichte Trekking-Halbschuhe vor. Die Folge war, dass die vielen Asphaltabschnitte Hans besonders schwer fielen, während ich auf Geröllwegen weniger trittsicher war. Tatsächlich hatte ich einen bösen Sturz, bei dem ich mir einen Knöchel verstauchte. Schuhe, die die Knöchel bedecken, sind auf der Via doch wohl vorzuziehen; es müssen ja nicht gleich Bergschuhe sein.

Das "Wunderpflaster" kam wieder mehrfach, meist vorbeugend, zum Einsatz. Man kann es in ähnlicher Form, aber etwas dünner und blau statt braun, nun auch in spanischen Apotheken kaufen. Wie gesagt, es ist eine "elastische Klebebinde". - Wir selbst hatten aber höchstens ab und zu mal einen Zeh verpflastert. Dank guter Socken und Schuhe, dazu am Anfang regelmäßiges Einreiben der Füße mit Hirschtalg, bis sich Hornhäute gebildet hatten, blieben unsere Füße vor Schäden bewahrt. Was mich nur sehr verwunderte: Es waren ja fast ausschließlich "alte Hasen" unterwegs, die mindestens den Camino Francés schon gelaufen waren; trotzdem hatten viele nach dem anfänglichen Wettrennen bald die Füße kaputt, so dass einige aufgeben mussten.


Anreise

12. April 2005, Dienstag

Anflug mit der Air Berlin, Zwischenlandung in Palma de Mallorca. Nachmittags kommen wir in Málaga an. Als erstes schaue ich nach einem Ableger des Oficina de Turismo aus, wie es ihn oft in Flughäfen gibt. So auch hier. Also bekomme ich gleich einen Stadtplan. Der erste Einsatz meiner Spanischkenntnisse geht allerdings peinlich daneben: "Estúpido!" jubele ich, aber das heißt "Wie dumm!" und nicht "Wie schön!" (estupendo). Der Angestellte lacht. Ja, das ist eine der Schwierigkeiten im Spanischen: viele Wörter mit völlig verschiedenen Bedeutungen sind äußerlich recht ähnlich, unterscheiden sich manchmal nur durch die Endungen "o" bzw. "a". Das provoziert peinliche Missverständnisse.

Rumsuchen nach der Haltestelle, von der ein Bus in die Stadt fährt. Sie ist außerhalb des Abfertigungsgebäudes, im überdachten Außenbereich. Bald fahren wir in die Stadt, landen im Busbahnhof und müssen dann erst einmal herausfinden, wo wir auf dem Stadtplan sind. Man zeigt es mir, und wir marschieren in die ca. 20 min entfernte Innenstadt. Viel Zeit, eine Unterkunft zu suchen, haben wir nicht, da ich mit einem Esperanto-Freund verabredet bin. Wir landen nach einem Fehlversuch ("completo") im


Hostal Castilla* und Hotel Guerrero, Calle Córdoba 7, 2. Stock, Tel. 952 21 86 35,
Netzadresse: info@hotelcastillaguerrero.com, Doppelzimmer 50 EUR

nicht gerade supergünstig, und sie hatten auch nur noch ein Zimmer mit Doppelbett. Hans und ich lösen den Kampf um die gemeinsame Bettdecke dadurch, dass ich einfach im Schlafsack schlafe, in dem ich mich sowieso ganz wohlfühle.

Pünktlich erscheint der Esperanto-Freund am vereinbarten Treffpunkt und führt uns zu einem Zentrum, in dem viele kulturelle Gruppen zu Gast sind. Unterwegs sehen wir auch noch einiges von der Altstadt. Ich halte einen Vortrag vor ca. 8 Zuhörern, viel größer ist die Esperanto-Gruppe in Málaga nicht. Aber alle freuen sich, dass sie mich gut verstehen und bedanken sich bei mir, dem weitgereisten Gast.


13. April 2005, Mittwoch

Wir haben gut geschlafen und laufen zum Busbahnhof, haben uns die Strecke und die benötigte Zeit gemerkt. 9,65 EUR für die Fahrt bis La Línea de la Concepción, das ist billig. Bald fahren wir bei schönem Wetter die malerische Küste entlang. Hinter Estepona fange ich an, den Hals zu recken, da nun die Gegend beginnt, in der wir ab übermorgen unsere Pilgerfahrt beginnen werden, indem wir in umgekehrter Richtung die Küste entlang zurücklaufen. Tatsächlich glaube ich, bei einer Fußgängerbrücke den Abzweig der Straße nach Casares gesehen zu haben (stimmte!), aber eine andere Beobachtung lässt mir das Herz in die Hose rutschen: Wir fahren auf einer vierspurigen Schnellstraße, parallele Sträßchen scheint es nicht zu geben. Hinter der dünnen Häuserzeile ist schon der Strand. Wo sollen hier Fußgänger hergehen? Die sind einfach nicht vorgesehen. Kann man wenigstens direkt den Strand entlang? Oder sind da auch Abschnitte privat gesperrt? Die Fernstraße mit ihren Leitplanken und fehlenden Seitenstreifen ist jedenfalls für Fußgänger lebensgefährlich. Schöne Aussichten!

Apropos "Aussichten": In der Ferne erhebt sich am Strand ein ungeheurer Koloss von Felsen. Das muss der berühmte Felsen von Gibraltar sein (er war es). So mächtig und isoliert hatte ich mir ihn nicht vorgestellt. Zu unserer Freude fährt der Bus weit in die Stadt La Línea hinein und hält im Busbahnhof. Gibraltar ist zum Greifen nahe. Da kommt Stimmung auf. Nach etwas Suchen finden wir das Oficina de Turismo. Man verlässt den Hof des Busbahnhofs und geht rechts zu einer breiten Querstraße, dort wieder rechts an einem großen Gebäudekomplex vorbei. An der nächsten Kreuzung steht ein Schild "Centro de cividad" und weist nach rechts, das ist aber völlig falsch. Denn das Zentrum von La Línea liegt links; evtl. ist die Stadt Gibraltar gemeint. Jenseits der Kreuzung jedenfalls liegt rechts, kaum erkennbar, das Oficina de Turismo.

Die junge Dame ist bass erstaunt, dass Pilger bei ihr auftauchen. Aber sie gibt uns gleich außer dem obligaten Stadtplan einen heißen Tipp für die preisgünstigste Übernachtung


Pensión La Esteponea, Carteya 10, Doppelzimmer 25 EUR
Selbst mit Stadtplan ist das Zentrum schwer zu finden, weil es im Häusermeer schlecht auszumachen ist, ebenso die Straße unserer Pension. Der Wirt freut sich über die unverhofften Gäste, wir buchen natürlich zwei Nächte. An diesem und am nächsten Tag verlaufe ich mich immer wieder etwas, biege zu früh oder zu spät ab, hätte öfter auf den Stadtplan sehen sollen. Wie gesagt, die Orientierung in La Línea ist ungewöhnlich schwierig. Nicht weit von der Pension liegt der zentrale Platz mit Kirche, aber diese ist nur klein und bietet nicht die übliche Orientierungshilfe. In der benachbarten Bar Parada gibt es günstiges Bier für 1,00 EUR und raciones, z.B. Fleisch mit Tomate für 6,00 EUR. Wir erkunden fast die ganze Stadt; der Strand ist nicht der sauberste, dort wird ohnehin eine Promenade gebaut. Wir merken uns den Weg für übermorgen aus der Stadt heraus. Da wir neugierig sind, gehen wir auch schon ein Stück nach Gibraltar hinein. An der Grenze müssen wir nur unsere deutschen Ausweise hochhalten. Wir kehren aber bald wieder um. Gegenüber dem Oficina de Turismo, an der Straße nach Gibraltar, liegen auch zwei China-Restaurants. In einem essen wir wie gewohnt preisgünstig und gut. Hans macht es nur sehr nervös, dass das gesamte Personal seine einzigen Gäste die ganze Zeit anstarrt. Wir sind eben schon seltene Vögel.

Zu meiner Freude ist gegenüber der Pension ein Telefonutensilienladen, wo ich eine Vorbezahl-Karte (tarjeta telefónica prepago) für 6,00 EUR kaufen kann. Sie stellt sich als sehr schlecht heraus: angeblich hat man 160 Minuten Sprechzeit, aber schon mit einem Anrufversuch sind angeblich 4 min verbraucht. (Ich habe später wieder Karten von reelleren Firmen bekommen; ich empfehle solche mit der Einwahl 900 900 999.)

Am andern Morgen beginnt unsere Pilgerfahrt mit der Etappe (La Línea -) Gibraltar - La Línea.


Ablauf der Pilgerfahrt

(zum Lesen der einzelnen Kapitel auf die entsprechende Überschrift klicken)

Kapitel 1: Von Gibraltar nach Sevilla (11 Etappen, 252 km)

Kapitel 2: Via de la Plata (Sevilla - Riego del Camino): 26 Etappen, 618 km

Kapitel 3: Mozarabischer Weg (Riego del Camino - Santiago): 16 Etappen, 399 km

Kapitel 4: Camino Fisterra: 3 Etappen, 94 km


Rückfahrt nach Santiago, Aufenthalt dort und Rückreise

10. Juni 2005, Freitag

Fisterra. Herrlich geschlafen. Nach einem Frühstück im Hostal Rivas treffen wir uns um 10h00 mit Hans im Refugio. Er lässt seinen Rucksack dort, unser Gepäck durften wir gern im Hostal liegen lassen. Besuch des Weststrandes. Dort hat man einen gepflasterten Weg durch die Dünen angelegt, zum Schluss Holztreppe. Wie wir gerade am entlegensten Ende des Strandes sind, kommt ein Pilgerehepaar (Schacki und Dakshina) daher und trifft uns mal wieder völlig unerwartet, wie es auf der ganzen Pilgertour seit Sevilla war. Wir verabschieden uns lachend ein letztes Mal. Dann zum Oststrand. Die Sonne brennt, die See liegt ruhig wie eine Badewanne, da hält mich nichts. Ich ziehe meine Sachen aus (die Badehose hatte ich schon in weiser Voraussicht morgens angezogen) und wate ins Wasser des Atlantiks. Gar nicht so kalt. Da kommt auch Hans hinterher, nur Manfred bleibt in der Strandbar. Das Schwimmen ist herrlich, der ganze Körper entkrampft sich. Ich suche noch eine Muschel für meinen Schwiegersohn, der August/September mit mir von León nach Santiago gehen will. Dann geht es zu 13h00 zurück, unser Gepäck holen.

Der Bus fährt pünktlich um 13h45 neben dem Refugio in Fisterra ab. Hinter Baio wird die Landstraße auf das Doppelte verbreitert. Der Bus hat durch die Baustellen etwas Verspätung. Ca. 2 1/2 Stunden Fahrt, pro Person 10,25 EUR. Manfred deponiert sein Gepäck im Busbahnhof und setzt sich mit uns zu einem Abschiedskaffee zusammen. Dann gehen wir in die Stadt, Hans wieder ins Seminario Menor, während ich in "meiner" Bar "La Campana" ein Einzelzimmer für zwei Nächte reserviert habe. Das Fenster ist genau über dem Eingang, ich habe auch ein Waschbecken. Auf meine Frage hin bestätigt die Wirtin, dass Ingrid und Renate, mit denen wir 7 Etappen zusammen waren, ebenfalls eingetroffen sind, sich aber in der Stadt aufhalten.

Gegen 18h00 treffen wir uns alle unten in der Bar. Manfred taucht noch einmal auf und verabschiedet sich endgültig. Mit einer weiteren Pilgerin essen wir zu Abend. Die Wirtin macht uns gern Merluza (3,00 EUR) bzw. Tomatenfleisch (3,50 EUR), jeweils mit Pommes; wir bekommen gar nicht alles auf. Mit der Abrechnung kommen sie in der Bar "La Campana" öfter durcheinander; mal zahlt man den Touristen-/Tischpreis von 1,50 EUR für ein Fassbier, mal den Stammkunden-/Thekenpreis von 1,20 EUR. An diesem Abend berechnet die Wirtin einige Bierchen zu wenig, bleibt aber dabei, obwohl ich sie darauf aufmerksam mache.


"La Tuna": Musikanten und Sänger
(Bild: Ingrid)
Durch Anklicken vergrößern Ab 21h30 besuchen wir die Studentenkapelle "La Tuna" auf dem Platz vor der Kathedrale. Ich kaufe mir die neuste CD. Erst 0h20 sind wir zurück. Ich sinke in den himmlischen Luxus meines breiten Bettes (in dem ich 2003 mit meiner Frau zusammen geschlafen habe). Trotz des nächtlichen Lärms von Jugendlichen schlafe ich wunderbar.


11. Juni 2005, Samstag

Bis 9h00 im Bett herumgeräkelt. Bald treffen wir uns zu viert zum Frühstück unten. Draußen ist es warm, aber diesig, mit leichtem Nieselregen. 10h30 gehen wir ins Museum des Pilgerns. Inzwischen kommt die Sonne raus. Gegen 12h30 schauen wir in die Kathedrale, ob nach der Pilgermesse der Botafumeiro geschwenkt wird: Nein! Mit Ingrid gehe ich ins Casa Manolo. Wir sind einige Minuten nach Öffnungszeit (13h30-16h30, 20h30-23h30 außer Sonntagabends) da, bekommen deshalb sofort einen Tisch. Etwas später bilden sich schon Warteschlangen. Menü 6,50 EUR. Diesmal nehme ich als ersten Gang arroz de la marinera (Reis mit Meeresfrüchten), einfach super. Dann lengua (Seezunge). Als Nachtisch gibt es einheitlich Flan (keine Auswahl), aber einen, der sogar mir gut schmeckt. Flasche Rotwein zu 5,00 EUR extra.

Danach Siesta, ich schlafe fast 3 Stunden. Einkaufen. Abends kommen wir wieder in der Bar zusammen. Ingrid und Renate haben sich entschlossen, bis morgen Abend zu bleiben, damit wir noch länger zusammen sind. Prima! Nochmal zur "La Tuna", aber diesmal schon gegen 23h15 zurück, da wir alle müde sind. Hans muss sowieso schon gegen 22h30 flüchten, damit er vor 23h00 im Seminario Menor eingetroffen ist, bevor abgeschlossen wird.

In dieser Nacht lärmen die Erwachsenen; so ist es in vielen spanischen Städten: von Freitag auf Samstag gehen die Jugendlichen aus, von Samstag auf Sonntag die Älteren. Auch diesmal stört mich der Lärm nicht, denn die Bar ist doch etwas abgelegen.


12. Juni 2005, Sonntag

Wieder Treffen zum Frühstück unten in der Bar "La Campana". Packen. Auch Hans kann seinen Rucksack hinten in der Bar bis vor unserer Abfahrt gegen 17h00 abstellen, alles kein Problem. 12h00 gemeinsam in die Pilgermesse, wobei wir Hans verpassen. Er sitzt im Seitenschiff, wir andern drei im Mittelschiff. Wir sehen einige uns bekannte Pilger. Die Abschiedsmesse mit Dankgebeten und inneren Segenswünschen für uns alle und unsere Familien geht immer etwas aufs Gemüt. Nochmal zum Abschied ins Casa Manolo. 6,50 EUR: Ensalada mixta, Hähnchen (3 Oberschenkel); zum (wieder einheitlichen) Nachtisch natilla (Vanillepudding). Wein 5,00 EUR, wie gehabt. Wir werden alle pumpsatt. Draußen eine riesige Warteschlange.


In den Stadtpark zum Abschiedfaulenzen. Schließlich ein letzter Schluck in der Bar "La Campana". Die Wirtin und ihr Sohn verabschieden sich lebhaft von uns; sie bedankt sich noch einmal für meine Reklame in meinen Berichten, die ihr viele Gäste beschert haben. Dann heißt es: das Gepäck geschultert. Ein letztes Mal ziehen wir vier in voller Ausrüstung davon. Durch Anklicken vergrößern Denkmal im Stadtpark
(Bild: Ingrid)


Am Busbahnhof hastiges Umpacken für die Nachtfahrt. Ich vergesse fatalerweise, meinen Pullover aus dem Rucksack zu nehmen. Abschied von Ingrid und Renate, die eine halbe Stunde später nach Fisterra fahren wollen. Ich habe für sie telefonisch ein Zimmer im Hostal Rivas reserviert (war ganz stolz, wie prima das sprachlich klappte). Ein letztes Winken ... wir haben die Etappen mit unseren zwei Pilgerschwestern (und Jean-Pierre und Engracia) doch sehr genossen und werden sicher noch oft an sie denken.

Der Bus nach Bilbao (18h00 - 5h00) ist sehr bequem, kein Vergleich mit dem Rumpel-Nachtzug von 2003. Leider ist es bei ausgeschalteter Klimaanlage zu stickig, mit eingeschalteter zu zugig. Mein Pullover wäre Trumpf gewesen. Ich sitze gottseilob neben einer Gardine und ziehe mir diese als Kälteschutz über die rechte Schulter. So geht's. Der Bus fährt erst nach La Coruña, dann nach Südosten und Osten, zuerst noch im Hellen durch Städte und Gegenden, die ich von 2003 kenne: an Baamonde vorbei nach Lugo, von dort nach Norden durchs Gebirge. Der Bus saust über die kurvige Fernstraße (keine Autobahn), dass einem angst und bange wird. Zum Schluss über die Sundbrücke nach Ribadeo und gleich wieder nach Osten, durch Navia (ich sehe überall Abschnitte des Pilgerwegs), vor Luarca am Refugio von Piñera vorbei. Dann bricht die Nacht herein, und ich schlafe erstaunlicherweise recht früh ein, schrecke nur bei Halten kurz hoch. Avilés (ich erkenne alles wieder), Oviedo. Erst hier gibt's (nach 6 Stunden) 1/4 Stunde Pause; das reicht gerade zu einem Gang zur Toilette und um ein Getränk zu holen. Gijón (auch alles wohlbekannt), Santander (habe ich wirklich so lange geschlafen?), wieder 1/4 Stunde Pause. Der Bus hat ca. 10 Minuten Verspätung, kein Thema. Vor Bilbao bleibe ich ab etwa 4h00 wach. Der Bus holt die Verspätung mühelos auf und ist sogar einige Minuten vor 5h00 am Busbahnhof Termibus. Hier steigen die meisten aus, aber der Bus fährt noch weiter, wahrscheinlich bis Irún.

Ich habe doch glatt einen Stadtplan von Bilbao zu Hause vergessen und muss mich nach dem Gedächtnis orientieren. Eine ausgehängte Karte hilft auch weiter. Mit etwas Mühe und Fragen finden wir die Plaza de Moyúa. Dort steht schon der Flughafenbus, der kurz vorher (eigentlich zu früh) an uns vorbeigefahren ist; wir springen soeben noch rein - und sehen Pilger aus unserem Überlandbus schon in ihm sitzen.


In Bilbao fährt der Flughafenbus neuerdings auch direkt am Busbahnhof Termibus ab, und zwar ab etwa 5h25.

Der Rest ist Routine. Am Flughafen zittern wir noch etwas, ob die Billigfluglinie unsere überdimensionalen Wanderstöcke ohne Schwierigkeiten mittransportiert. Vor Aufregung verstehe ich nicht ganz, was die junge Dame am Schalter sagt, sie wiederholt es auf Englisch. Also, die Stöcke kommen mit, müssen nur gesondert auf ein eigenes Band für Sperrgut gelegt werden. Flug nach Köln. Pünktliche Ankunft. Wir sehen noch, als wir im Flugzeug sitzen, wie unsere Stöcke ausgeladen werden. Am Band warten wir allerdings vergebens, sie sind am Sperrgutschalter abzuholen. Na gut, Hauptsache, wir haben sie. Telefonisch hatte meine Frau die Bahnverbindung nach Münster durchgegeben. Ich fummele am Automaten, um eine NRW-Tageskarte zu bekommen. Eine junge Dame kommt mir zu Hilfe und spricht mich auf Englisch an. Ist während unserer Abwesenheit die Staatssprache gewechselt worden? Gottseilob nicht. Mit meinem inzwischen riesigen Pilgerrauschebart ging ich wohl nicht mehr als Deutscher durch. :-) Der Preis der Karte ist von 24,00 EUR auf 27,00 EUR gestiegen. Junge, und da meckern wir über die Preissteigerungen in Spanien!


Mit (wucherndem) Bart, aber viele Kilo leichter ...
(Bild: Hedwig)
Durch Anklicken vergrößern In Münster wartet meine Frau. Nach 2 Monaten wieder zurück. Wir fahren mit dem Überlandbus nach Hause. Der Busfahrer kennt uns und begrüßt uns lautstark. Die Lokalzeitung hat immer wieder von unserer Tour berichtet; Hans hatte 3 Postkarten an die Redaktion geschrieben. Zu Hause warten die Berge von Post und entsprechend viele Probleme. Der Alltag verschlingt mich sofort. Symbolisch schneide ich den Vollbart ganz kurz. Ich bin zurück, 9 kg leichter, wie die Waage zeigt. Wenn die Trennung von der Familie nicht wäre, möchte ich gleich wieder ins Pilgerleben zurück. Naja, ab dem 16. August ist es ja schon wieder soweit ...

Letzte Änderungen: 06.04.2021