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An der Stadtmauer entlang führt mich mein Gedächtnis
in Richtung Campingplatz, wo wir 1998 untergekommen waren.
Oh Nostalgie! Kaum kommt er in Sicht, fällt mein Blick
auf ein Schild: Zur Römerbrücke! Die hatten wir sogar
1998 nicht gesehen. Wegbeschreibung:
Zum Campingplatz und vor diesem ca. 300 m um eine Mauer
(Tennisplatz) herum nach rechts; dann erreicht man den Fluss und
hat bald die Brücke links vor sich. Man kann geradeaus weitergehen.
Links sieht man die Pyrenäen, und man kommt an die Kreuzung,
wo man andernstags beim Aufbruch loslaufen wird (Schilder). Rechts
durch die Stadtmauer geht's dann in die Innenstadt zurück. -
Einkauf und ein letztes Bier (sehr teuer) vor dem Schlafengehen.
Nachts muss ich einmal auf die Etagentoilette. Beim Tasten im dunklen
Korridor, wo ich den Lichtschalter nicht finde, merke ich, dass wir
doch eine Taschenlampe hätten mitnehmen sollen.
Vor dem Refugio sitzen fast 50 Pilger und lauern auf Einlass. Eine Frau mit roten Haaren kommt auf uns zu: "Na, ihr müsst die Fischers sein. Nicht zu übersehen." Es ist Heidi. Auf unsere Rückfrage: Sicher habe sie Nachricht im Refugio hinterlassen. Es stellt sich heraus: es gibt zwei Refugios in Saint-Jean, in derselben Straße! Anscheinend ist man sich nicht grün, denn davon hat man uns kein Sterbenswort gesagt. Im Outdoor-Handbuch stand das zweite auch nicht. - Heidi hat sich den Aufstieg geteilt, weil sie Zeit hatte, und hat in Hunto übernachtet (mit tollem Abendessen und Frühstück). Gute Idee!
16 Uhr: Das Refugio wird aufgemacht. Alles stürmt hinein. Nach einigen Turbulenzen stellt sich heraus, dass für alle Betten da sind. Na also. Das Pilgermenü muss man in einem der zwei Restaurants vorbestellen. Wir tun uns mit einem niederländischen Paar, das mit einem Tandem unterwegs ist, und Heidi zusammen. Dann um 20 Uhr in die Pilgermesse. Proppenvoll, an die 130 Pilger. Mittendrin wankt schweißüberströmt noch einer herein: es ist Manfred (Name geändert), den wir später kennen lernen. Zum Abendessen gibt es Makkaroni und Forelle (wie immer, wie ich aus Berichten weiß).
Im Halbdunkel erreiche ich den Schlafsaal. Ein Refugiohelfer kommt mir entgegen. "Gute Nacht, Pater!" Galt das mir? Ich stammele verwirrt einen Dank. Mit meinem langen Vollbart und dem umgehängten Holzkreuz (das Kinder der Heimatpfarre gebastelt haben) werde ich noch oft für einen Priester gehalten, etwa für einen Theologieprofessor mit Elevem = Harald :-) Wir haben manches Mal unseren Spaß damit gehabt. - Der Nachtschlaf ist leidlich. Gottseilob schnarchen auch andere, nicht nur ich.
Als Statistiker konnte ich feststellen, dass etwa jeder 4. Pilger schnarcht, Männer eher als Frauen, je älter, desto schnarcher. Deshalb sollte man unbedingt Ohrenstöpsel mit haben! Heidi hat sich auf der Pilgertour daran gewöhnt; danach gibt es nur noch das Problem, überhaupt wach zu werden.
Na, es war das erste und vorerst das letzte Mal, dass wir so sorglos mit der Zeit am Vormittag umgingen. Der steile und steinige Abstieg nach Zubiri raubt die letzten Kräfte. Ich will eigentlich nach Larrasoaña weiter, kann in der Sonnenhitze aber nicht mehr gut. Also über die Brücke ins Dorf. Geschäfte geschlossen (Siesta), Mist! Ich brauche Geld, und hier soll ein Automat sein. Etwas weiter an der Hauptstraße rechts in Richtung Refugio finde ich ihn, aber meine Bankkarten machen Schwierigkeiten. Der Schweiß läuft mir in Strömen herunter. Erst mit der 3. Karte bekomme ich Geld. Etwas weiter ist das Refugio. Ohne Aufsicht, mit Hinz und Kunz schon gestopft voll. Na, ich wollte ja sowieso weiter.
Harald meint auch, noch 5 km zu schaffen. Also zurück über die Brücke und nach rechts weiter. - Es wurden fast die schlimmsten Kilometer des ganzen Camino. Nach 1 km treffen wir Manfred. Er ist fertig. Ein anderer Pilger ebenso, setzt nur noch langsam Fuß vor Fuß. Wir nehmen Manfred mit, sprechen ihm Mut zu, rasten alle 500 m. Jedes Mal holt uns der andere Pilger wieder ein. Zu viert nehmen wir einmal einen kräftigen Schluck aus Manfreds Weinschlauch. Endlich in Larrasoaña. Wir haben ganze 3 Kilometer pro Stunde an diesem Tag geschafft.
Ich habe ein Bild für den berühmten Bürgermeister mitgebracht, auf dem er unsere Gruppe vor zwei Jahren begrüßt. Ihro Gnaden ist nicht bei Laune: "Mehr Pilger als ..." schimpft er, und Bilder habe er genug. Dann nicht, Euer Ehren. Um halb acht könnten wir in der Kirche auf den Fußboden. Zu gütig. Ich weiß noch von einer Bar, nicht weit weg, links am Ortsausgang. Dort kaufen wir ein. Wir fragen auch nach Unterkunft. Ob noch Betten frei sind? Die alte Frau muss lange überlegen. Eigentlich nicht. Oder vielleicht doch, genauer gesagt aber nur zwei für uns drei, pro Kopf 3.000 P. Danke sehr, berauben können wir uns selbst. Also doch in die Kirche. - Am Ende war es ganz lustig, dort auf der Orgelbühne zu schlafen. Wohl dem, der eine Isomatte mit hat!
Manfred hat schlimme Blasen. Bei Harald und mir geht es. Der letzte Tag gibt uns zu denken. Die Schnellläufer hatten eindeutig gewonnen. Wir treffen Bernd (Name geändert), der erzählt, dass er schon um 11.30 Uhr in Larrasoaña war und das vorletzte Bett bekam. Also, da war was faul! Wo sollen denn so viele andere Fußpilger noch schneller hergekommen sein? Später hören wir das Gerücht, dass man Beziehungen haben müsse, um in Larrasoaña unterzukommen; d.h. es gibt unter der Hand Reservierungen. Nun, bewiesen ist nichts.
Aber wir machen uns Gedanken: die geplante allmittägliche Siesta im Grünen und das legere Tempo scheinen uns jede Chance auf Betten zu nehmen. Also geht das so nicht! O je, adieu, du beschauliches Pilgern!
Zunächst aber nach Pamplona. Manfred hat sich uns angeschlossen. Er humpelt furchtbar, muss alle 2 km eine Pause machen. Harald und ich schlaffen auch ab, sei es wegen der ungewohnt vielen Pausen, sei es, weil wir auch noch von den beiden vorigen Etappen fertig sind. Und der Weg nach Pamplona ist auch kein Zuckerlecken: immer die Hänge auf und ab. Keine einzige Bar auf dem ganzen Weg; eine Raststelle an der Fernstraße kann sie nicht ersetzen (trotz Wasser und Klo). Dann geht es eine von den Wegeplanern geschickt ausgewählte Route in die Stadt: Man sieht die Industrievorstädte nicht, es geht Parks und kleine Alleen entlang, bis man über eine alte Brücke schon den Stadtkern erreicht hat.
Tipp: Seit April 2005 liegt direkt hinter der Brücke 300 links am Fluss die Pilgerherberge "Casa Paderborn" (24 Betten). Sehr zu empfehlen, wie viele Pilger berichten. Sie wird von den Jakobusfreunden von Paderborn geleitet. Von April bis Oktober geöffnet. Bilder und Beschreibung hier im Netz.
Das Refugio (inzwischen endgültig geschlossen) ist in der Innenstadt ... und ein Schild: "Geschlossen, nächstes Refugio 1,5 km." Es waren "lange" Kilometer, mindestens 3 normale ;-) Von der Innenstadt sehen wir beim Durchqueren fast nichts, aber trotzdem will keiner von uns nachher nochmal so weit zurück. Das andere Refugio (nur im Juli und August) ist eine riesige Turnhalle, mit etwa 120 Betten. Sehr stickig, aber viel Platz, sehr gute Duschen. Hier wird sich erst einmal gepflegt und erholt. Leider lernen wir so von Pamplona nur ein Vorstadtviertel kennen. So werden wir es auch weiterhin auf dem Jakobsweg erfahren: die Erschöpfung steht im Vordergrund und lässt einen gegen alles abstumpfen: die tollsten Kunstschätze, die berühmtesten historischen Stätten, nichts dringt mehr durch die Erschöpfung. Aber auch manches Negative nicht. In den übervollen Refugios ist das sogar hilfreich.
Beim Abendessen bringen wir Manfred schonend bei, dass wir am nächsten Tag lieber allein weiterziehen möchten. Er hat dafür Verständnis. Pilger tun sich selten zusammen. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus und möchte sich nicht dauernd mit anderen abstimmen müssen. Auch ist jede Gruppe nur so schnell wie ihr langsamstes Mitglied. Ferner wollen die echten Pilger Ruhe zum Nachdenken haben, Geplauder stört da nur. So haben wir uns zwar gefreut, immer wieder bekannte Pilgerfreunde wie Heidi wiederzutreffen, aber das wurde dem Zufall überlassen, und gelaufen wurde immer getrennt.
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Letzte Änderung: 02.03.2017